Herkunft, Straftaten und Anschläge in den 1990er Jahren
Im Jahr 1993 radikalisierte sich die politische Einstellung von Mundlos und anderer Besucher, woraufhin sie im Winzerclub Hausverbot erhielten.[11] Sie reagierten mit Swastika-Graffiti an den Außenwänden der Einrichtung.
Mundlos und Böhnhardt gingen gelegentlich in nachgeahmten Uniformen der SS durch die Straßen des Stadtteils Winzerla, den sie als „national befreite Zone“ betrachteten.[12]
Im Herbst 1994 formierte sich in Thüringen eine „Anti-Antifa“, aus welcher 1996 der Thüringer Heimatschutz hervorging. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gehörten mit André Kapke, Ralf Wohlleben und Holger G. der Kameradschaft Jena des Thüringer Heimatschutzes an, die später als „Sektion Jena“ bezeichnet wurde. Böhnhardt war neben Mundlos stellvertretender Leiter der Sektion.[13] Der 1997 ca. 120 Mitglieder[14] (2001 ca. 170 Mitglieder) starke Thüringer Heimatschutz wurde maßgeblich von dem stellvertretenden Vorsitzenden des NPD-Landesverbandes Thüringen Tino Brandt aufgebaut, der von 1994 bis zu seiner Aufdeckung 2001 V-Person des Thüringer Verfassungsschutzes war.[13][15]
Im Februar 1995 meldete Zschäpe eine Demonstration der „Interessengemeinschaft Thüringer Heimatschutz“ mit dem Motto „Zur Bewahrung Thüringer Identität, gegen die Internationalisierung durch die EG“ an, die von der Stadt Jena untersagt wurde.[16] Am 25. März 1995 wurde Mundlos bei einem Skinheadtreffen in Triptis in Gewahrsam genommen.[16] Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt und Kapke plakatierten am 3. Mai 1995 Zettel mit der Aufschrift: „08. Mai 1945–08. Mai 1995 Wir feiern nicht! Schluß mit der Befreiungslüge! Junge Nationaldemokraten – Brockenberg 5a 52223 Stollberg.[17]“ Erwähnung findet dies in Gutachten, weil die Plakatierung ohne Genehmigung stattfand.
Am 29. Juni 1995 wurde Mundlos wegen der Herstellung und Vorrätighaltung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt. Die Tat hatte er am 13. August 1994 begangen.[18]
Mitte der 1990er trafen sich etwa 20 Neonazis, unter ihnen Böhnhardt, Zschäpe und Wohlleben in der Nähe von Jena und verbrennen Kreuze. Die Staatsanwaltschaft Gera erhob damals Anklage, nachdem sie bei Zschäpe Fotos gefunden hatte, auf denen ein lichterloh brennendes Holz und Personen beim Hitlergruß zu sehen waren.[19]
Am 14. April 1996 hängte Böhnhardt einen Puppentorso mit gelbem Judenstern an einer über die Bundesautobahn 4 führenden Brücke bei Jena auf und deponierte zusätzlich eine Bombenattrappe.[20][21][22][23] Dafür und wegen Volksverhetzung wurde er 1997 nach Jugendstrafrecht verurteilt, hat die Strafe jedoch nicht angetreten.[24] Bereits im Vorjahr, am 15. November 1995, war eine ähnliche Puppe in Jena angezündet worden. Täter wurden nicht ermittelt.[25]
Zschäpe, Mundlos, Wohlleben und Holger G. reisten nach Worms, um am 17. August 1996 an einer unangemeldeten Demonstration zum Gedenken an den Tod von Rudolf Heß teilzunehmen, die von dem Rechtsextremisten Thomas Wulff, dem Vorsitzenden der Jungen Nationaldemokraten (Abk. JN) Holger Apfel und dem JN-Bundesorganisationsleiter Jens Pühse organisiert wurde.[26][27]
Kapke, Mundlos, Böhnhardt und Wohlleben besuchten mit Bomberjacken und Springerstiefeln bekleidet und begleitet von einer Gruppe von Anhängern die Verhandlung vor dem Amtsgericht Erfurt gegen den vorbestraften Rechtsterroristen und Holocaustleugnung Manfred Roeder, der am 26. September 1996 wegen einer am 9. Juni desselben Jahres begangenen Sachbeschädigung an der Wehrmachtsausstellung zu einer Geldstrafe von 4.500 DM verurteilt wurde.[28] Im Gerichtsgebäude vor dem Verhandlungssaal entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift „Unsere Großväter waren keine Verbrecher“.[29]
Am 30. September 1996 wurde im Ernst-Abbe-Sportfeld in Jena eine mit einem Swastika versehene Bombe platziert, die 1998 dem Trio zugeordnet werden konnte.[30]
Im November 1996 erhielten sie ein Hausverbot für die Gedenkstätte des KZ Buchenwald, da sie in SA-ähnlichen Uniformen erschienen waren.[31]
Am 21. April 1997 wurde Böhnhardt wegen Volksverhetzung zu zwei Jahren und drei Monaten Jugendstrafe verurteilt, wobei mehrere Vorstrafen seit 1993 wegen fortgesetztem zum Teil gemeinschaftlich begangenem Diebstahl, mehrfachem Fahren ohne Fahrerlaubnis, Gefährdung des Straßenverkehrs, Kennzeichenmissbrauch und Erpressung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung einbezogen wurden.[32] Am 10. Dezember 1997 wurde das Urteil rechtskräftig. Am 23. Januar 1998 gingen die Akten beim zuständigen Jugendrichter ein, der den Termin für den Haftantritt bestimmen sollte. Drei Tage später war Böhnhardt untergetaucht.[33]
Als im Laufe des Januars 1997 mehrere Briefbombenattrappen bei Jenaer Institutionen (Redaktion der Thüringischen Landeszeitung, Stadtverwaltung und Polizeidirektion) eingingen, gerieten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos erneut ins Blickfeld der Polizei. Darüber hinaus wurden sie verdächtigt, am 2. September 1997 eine Bombe mit einigen Gramm TNT – allerdings ohne Zündvorrichtung – in einem mit einem Swastika bemalten Koffer vor dem Theaterhaus Jena abgelegt zu haben. Nach zielgerichteten Ermittlungen gegen mehr als ein Dutzend Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes wurden auch Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos vernommen, aber nicht festgenommen.[34]
Am 26. Dezember 1997 entdeckten Spaziergänger an der Gedenkstätte für den 1944 erschossenen Häftling des KZ Buchenwald Magnus Poser auf dem Jenaer Nordfriedhof einen Koffer mit aufgemaltem Swastika, der im Nachhinein ebenfalls Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zugeordnet wird.[35]
Am 16. Oktober 1997 wurde Böhnhardt wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz (Tatdatum 16. April 1997) zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt.[36]
Am 24. Januar 1998 nahm das Trio an einer Demonstration der NPD gegen die Wehrmachtsausstellung in Dresden teil. Es ist auf Fotos mit der Parole „Nationalismus – eine Idee sucht Handelnde“ zu sehen.[27]
Im September 1998 rechnete das Landeskriminalamt Thüringen die drei „zum harten Kern der Blood-and-Honour-Bewegung“ in Jena.[37]
Als die Polizei am Samstag, dem 26. Januar 1998 in Jena sieben Wohnungen und Garagen mutmaßlicher Rechtsextremisten im Zuge einer Razzia durchsuchte,[38] konnte man in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage im Stadtteil Burgau eine Bombenwerkstatt ausheben. Es wurden fünf funktionsfähige Rohrbomben ohne Zünder mit insgesamt 1,4 kg TNT sichergestellt. Der Sprengstoff gehörte zu insgesamt 38 kg TNT, die 1991 aus dem Komplexlager 22, einer unterirdischen Lagerstätte für Waffen der ehemaligen Nationalen Volksarmee bei Großeutersdorf, gestohlen worden waren.[39]