BlueMonday hat geschrieben:(17 Aug 2020, 02:02)
Interessant wird sein, was am Ende dieser nun wohl richtig ins Rollen kommenden Entwicklung ("cancel culture") stehen wird.
Ich sehe da nach wie vor nichts rollen. Was ich sehe, ist eher ein krampfhaftes Beschwören einer Entwicklung, mit der mancher sich seine eigene Randständigkeit, die vielen Widerworte, den Gegenwind zurechtbegründet. Dabei sind gerade die doch Ausdruck einer gesunden Meinungsfreiheit.
Aber ich glaube, die Zeit ist einfach vorbei, sich als "Mehrheit" irgendwo zusammenzufinden.
Mehrheit ist schon immer eine Abstraktion, die nur funktioniert, wenn man viele differenzierte Einzelpositionen in ein Raster von Ja und Nein zu einer vorgegebenen Frage summiert und dann zwei Werte vergleicht. In einer Gesellschaft, die zugleich immer mehr Möglichkeiten erlauben kann und zu ihrem Erfolg auch erlauben muss, stellt man besser die Fragen sparsam, beschränkt Politik und Kollektivpositionen auf das Nötige. So gelingt auch Freiheit. Das klassische Fernsehen als Lagerfeuer ist einem Markt der Möglichkeiten gewichen. Nicht nur die Vielfalt der Sender, auch die zunehmende Abrufbarkeit der einzelnen Sendungen nach Wunsch und Bedarf ist eine ganz neue Herausforderung. Künstler präsentieren sich nicht mehr in einem Oligopol der Alternativen, in dem es nur keinen zu verschrecken gilt. Sie stellen sich einer breiten Konkurrenz und müssen einem Segment
am besten gefallen und möglichst ausgewählten anderen Segmenten nicht zu sehr missfallen. Es ist eine ganz wunderbare Situation - anders als häufig behauptet, können Künstler heute sich erlauben, nicht jedem gefallen zu müssen. Ich verstehe den negativen Klang mancher älterer Leute nicht, wenn sie sich damit auseinander setzen. Der kürzlich verstorbene Fips Asmussen war mit seinen oft für mich kaum belustigenden und banalen Angeboten ein ganz typischer Vertreter der alten Zeit - wer will denn dahin zurück?
Es fällt zunehmend schwer, sich dazu ein "Konsensgesicht" vorzustellen. Man nehme den Steinmeier. Spricht so jemand für alle? Steht so jemand für eine lebendige Grundübereinkunft? Für einen Zeitgeist? Für eine einende Idee? Er erscheint eher immer weiter entfernt.
Steinmeier ist nach Wulff bei mir auf Platz 2 der Bundespräsidenten seit 1990. Er steht für ganz zentrale Ideen unserer Gesellschaft ein und nervt nicht mit Versuchen, Partikularstandpunkte als gemeinverbindlich uns unterzujubeln.