Elser » Di 9. Sep 2014, 17:35 hat geschrieben:
Doch Kopernikus, öffentliche Präsenz ist eine Bedingung für Diskreminierungen aller Art. Es ist nicht gerade ein schmeichelhafter Grund, für die Deutschen, das es wohlmöglich NUR die Abwesenheit von erkennbaren Juden ist, das kein breiter Antisemitismus (wenn Du diese Bezeichnung denn unbedingt bevorzugst) aufkommt, das ist mir schon klar, aber dennoch - Ablehnung muss sich an irgententwas festmachen lassen.
Das ist falsch. Weder für Antisemitismus noch Rassismus müssen die jeweiligen Feindbilder in greifbarer Nähe sein oder sich öffentlich erkenntlich geben. Fremdenfeindlichkeit ist seit jeher besonders dort weit verbreitet, wo es die wenigsten Migranten gibt. Das sind gesicherte Fakten und eigentlich keine Geheimnisse. Gerade auch Antisemitismus lebt vom "unnahbaren Juden", der irgendwo im Hintergrund gegen den Rest der Menschheit intrigiert. Da genügt der bloße Verweis auf eine ominöse Rothschild-Familie, um als Begründung herzuhalten. Einem Juden muss man deshalb noch nie im Leben persönlich begegnet sein.
Ich bin viel unterwegs und rede mit vielen Menschen. Ich kann bestätigen, dass es in Deutschland eine gewaltige "Stille Welle" aus Fremdenhass gibt. Türken, Araber, Schwarzafrikaner und Russlanddeutsche (kurz Russen genannt) sind die häufigsten Ziele von rassistischen Aussagen. In katholischen Gegenden wird auch schon mal über Protestanten, und in protestantischen Gegenden schon mal über Katholiken geschimmpft.
Ich bin vollkommen d´accord mit dir, dass Rassismus -insbesondere der alltägliche und subtile- wahrscheinlich noch weiter in der Bevölkerung verbreitet ist als Antisemitismus. Das macht Antisemitismus aber nicht inexistent.
Bösartige Äußerungen über Juden habe ich NIE gehört. Ich schwöre! Es kennt ja kaum jemand einen Juden oder einen den er als solchen erkennen kann.
In dem Fall könnte die Lektüre des Buches "Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise." von Tuvia Tenenbom Erhellendes für dich bereit halten.
Ich glaube Dir gerne dass sich dort, wo es z. B. Synagogen gibt, braunes Gesschmeiß rumtreibt um den Juden dort Horror zu machen. Das ist dann aber kein, in der breiten Bevölkerung, vorhandener Antisemismus. Im Gegenteil! In meinen Gesprächen höre ich immer wieder dass braune Hassaktionen auf jüdische Einrichtungen, auf allgemeine Ablehnung stoßen. Auch der gemeine fremdenhassende Bürger will keine Nazis.
Der gemeine fremdenhassende Bürger hat sich erst vor wenigen Monaten bereitwillig mit Nazis gemein gemacht als es in mehreren sächsischen Käffern um die Verhinderung von Asylbewerberunterkünften geht. Es gibt da nur oberflächlich Berührungsängste. Recht hast du allerdings damit, dass selbstverständlich nicht jeder Rassist auch Antisemit ist. Gilt umgekehrt genauso.
Abgesehen davon ist auch rechtsextreme Gewalt bspw. in unmittelbarer Nähe von Synagogen nur ein Indiz von vielen um die Verbreitung von Antisemitismus zu evaluieren. Aussagekräftiger sind repräsentative Studien, die die Zustimmung zu diversen antisemitischen Ressentiments aufdecken und diese belegen ein stabiles antisemitisches Fundament in der deutschen Gesellschaft, unabhängig davon, ob dir das bereits in persönlichen Gesprächen begegnet sein mag oder nicht.
Genau hier haben wir's ! Demonstrationen gegen die israelische Offensive im Gazastreifen ist zunächst einmal nichts anderes als Protest gegen die israelische Regierung - Punkt. Das ist KEIN Antisemitismus!
Eine solche Kausalkette hat auch niemand behauptet. Allerdings hatte es seine Gründe, dass selbst unser Bundespräsident sich angesichts der erst kürzlich stattgefundenen Proteste genötigt sah, deutlich zu machen, dass Antisemitismus hierzulande nicht toleriert würde. Vorausgegangen waren dem nämlich nicht nur ein paar Ausrutscher von einer handvoll Extremisten, die irgendeinen ansonsten harmlosen Protestzug unterwandert hätten, sondern massive judenfeindliche Aktionen im Umfeld dieser Demos.
(Hier zeigt sich wiedereinmal die grundsätzliche Unbrauchbarkeit dieses Begriffes, da auch Palästinenser Semiten sind - aber bitte - Du willst es ja so).
Es geht nicht darum, was ich will, sondern wie ein Begriff definiert wird und wer nach beinahe 100 Jahren, die der Begriff Antisemitismus explizit Judenfeindschaft bedeutet, immernoch nicht damit klar kommt, dass ein Begriff, der aus zwei einzelnen Worten besteht, zusammengesetzt nicht zwingend das bedeuten muss, was die zwei einzelnen Worte für sich genommen bedeuten, der wird wohl auch glauben, dass ein Ballhaus ein Gebäude ist, wo mit Bällen gespielt wird. Sorry, aber ich kann dieses Argument einfach nicht mehr hören. Es ist schlicht Unsinn.
Ich glaube Dir allerdings sofort, das diese Demonstrationen vom braunen Geschmeiß zu Gewaltaktionen ausgenutzt werden. Feige Gewalttäter, die im Fahrwasser der Aufrechten, ihre schmutzige Suppe kochen, findest Du bei fast jeder Demo. Auch das ist kein Beweiß für einen verbreiteten Antisemitismus!
Es geht gar nicht so sehr um die rechtsextremen Judenhasser, die sich dort versammelt haben. Die gab es auch, allerdings in vergleichsweise geringer Zahl. Lautstarker aber waren Teilnehmer linker und migrantischer Milieus während insbesondere von letztgenannten etliche judenfeindliche Parolen dokumentiert sind. Daneben gibt es Videos über versuchte und tatsächlich Angriffe auf Menschen, die mit Kippa unterwegs waren und festgenommene Personen, die Brandanschläge auf jüdische Einrichtungen verübten. Das ist nichts, was es auf "fast jeder Demo" gibt. Und wieso das nun wieder kein Beweis für verbreiteten Antisemitismus sein soll, wird wohl auch dein Geheimnis bleiben.
Verstehe mich bitte richtig. Ich bin absolut gegen diese Gewaltanschläge und man muss diese Schweine bekämpfen. Aber bitte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Soetwas geht nach hinten los.
Ist mir offen gesagt egal. Nach hinten los gingen die Demos, weil sie zu vielen Teilen aus schlichten Judenhassern bestanden. Erst spät hat man überhaupt darauf reagiert und ist von Seiten zumindest einiger Veranstalter dazu übergegangen, die eigenen Leute inständig darum zu bitten, auf allzu harsche Parolen und Gewalt zu verzichten.
Nimm es mir bitte nicht übel wenn ich es mir hier verkneife Beispiele anzuführen. Wenn Du tatsächlich der Meinung bist, das soetwas noch nie vorgekommen sei, (nichts anderes inpliziert Deine Aufforderung) dann werden wir uns hier nur über aufgezeigte Beispiele streiten. Darum hier nur ein aufrichtig gemeinten Rat an Dich. Höre zu, wenn offizielle Vertreter der Juden oder Israels, in Disusionsrunden sich zur Kritik an der israelischen Politik äußern. Der Hinweis auf möglichen Antisemitismus ist fast immer dabei. Sie würden sich und allen anderen Juden einen RIESEN Gefallen tun, wenn sie das einfach lassen würden.
Juden müssen sich und anderen erstmal gar keinen Gefallen tun. Erst recht nicht, wenn sie auf in israelkritischem Gewand daherkommenden Antisemitismus aufmerksam machen, der zweifellos existent ist. Wen es stört, dass vor solcherlei Dingen gewarnt wird, der sollte mMn. das Problem mal bei sich selbst suchen anstatt vorwurfsvoll den Überbringer unliebsamer Nachrichten zu "warnen".
Das die Juden in Deutschland, auf Grund der grausamen Geschichte, sehr sensibel sind, kann ich gut verstehen! Aber bitte - sie sollten vesuchen Freunde zu erkennen!!! Freude kritisieren einander schon einmal. Das tun sie meist um zu helfen. Nicht immer gleich draufhauen.
Über Freunde freut sich ein jeder Jude wohl genau so sehr wie du oder ich. Allerdings muss sich niemand jemanden als Freund verkaufen lassen, einfach nur weil er bspw. mit Sätzen wie "Ich bin ja nun wirklich ein Freund der Juden, aber..." oder "Die Juden waren ja gerade kulturell für Deutschland ein Segen aber..." in Diskussionen startet. Man merkt als erwachsener Mensch meist recht schnell, ob der Diskussionspartner lediglich vorgibt ein Freund zu sein oder ob er es tatsächlich ist.
Übrigens - das Du mit der alten Masche kommst, dass die Juden am Ende auch noch immer selbst für den Antisemitismus verantwortlich gemacht werden, wusste ich - meine Wort. Das absolute Totschlagsargument. Aber ja, irgentwie stimmt es ja auch. "Das auserwählte Volk" - ist dass nicht auch eine Form von Rassismuss?

Und bitte - ich bin nur ein einfacher Religionsverachter und kein Antisemit oder sonstwie gearteter Rassist.
Elser
Ich habe nichts gegen jemanden, der Religionen verachtet. Das ist Privatsache. Allerdings sollte man gerade dann die mehrere tausend Jahre alte Erzählung von "Gottes auserwähltem Volk" einzuordnen wissen hinsichtlich der Frage, ob Juden deshalb nun Rassisten seien. Ich geb dir einen kleinen Tipp: So gut wie kein Jude bildet sich ein, eine Art Herrenmensch zu sein, der dem Rest der Menschheit überlegen ist. Ansonsten müssten auch Muslime und Christen eines solchen Rassismus schuldig sein, immerhin bleibt allen, die nicht dem jeweils islamischen oder christlichen Glauben folgen, der Zugang zu Gottes Reich versperrt. Er hat ja eben nur sie auserwählt, in den Himmel zu gelangen. Wenn das für dich alles Rassismus ist, dann sind wir in der Tat überall von Rassisten umgeben.