pudding » Mi 14. Aug 2013, 20:23 hat geschrieben:
Genau das ist deine und die Intention der Mindestlohngegner, es könnte ja jemand da sein der für weniger arbeitet! Menschenverachtender könnte man sein Verhältnis zur Ware Mensch gar nicht kund tun. Die soziale Kluft soll um jeden Preis vergrössert werden.
Werter pudding - menschenverachtend finde ich, dass du Menschen zwingen willst, für 2,50€ Netto arbeiten gehen zu müssen, und gleichzeitig anderen verbieten willst, für 4€ Netto arbeiten gehen zu dürfen. Das ist ein menschenverachtender Eingriff in die Freiheit!
Ich will dir mal einen etwas anderen Ansatz dem Mindestlohn gegenüber stellen:
Gib JEDEM Menschen die Grundsicherung - also sagen wir mal 677,50€. Sag dem Arbeitgeber, wenn du jemanden Vollzeit einstellst, dann muss ER DIESE 677,50€ für den Arbeitnehmer zahlen. Die sind dann auch unversteuert - und tauchen als Grundsicherung auf dem Lohnzettel auf.
Als Stundenlohn zahlst du nur noch das aus, was oberhalb der 677,50€ zu zahlen ist - das wird aber ab dem ersten Euro versteuert.
Du solltest dir klar machen, dass genau DIES im Grunde genommen heute schon passiert - 677,50€ ist der monatliche Betrag, den du als Arbeitnehmer steuerfrei bekommst. Es ist der Grundfreibetrag - der nichts anderes ist, als das, was jedem (arbeitenden) Menschen als Einkommen zusteht, auf das der Staat nicht zugreift.
Trotzdem macht es einen großen Unterschied, ob du diesen Betrag auf deinem Lohnzettel als Einkommen siehst, oder ob auf deinem Lohnzettel steht, dass du diesen Grundfreibetrag vom Staat bekommen hast, auch wenn der Arbeitgeber diesen Betrag an den Staat dafür abgeben musste, dass der Staat dich als Arbeitnehmer für den Unternehmer zur Verfügung gestellt hat.
Mach dir mal klar, dass der übliche Hartz IV-Satz inklusive Wohngeld und Sachzuschüsse relativ genau auch bei diesem Betrag liegt.
Mach dir klar, dass heute der Staat für Kinder zwar ein Kindergeld in unterschiedlicher Höhe zahlt - aber tatsächlich die Kombination aus Kindergeld und Grundfreibetrag nichts anderes ist als ein Kindergeld von 364€ - was aber in Deutschland nicht jedes Kind bekommt! Denn wenn die Eltern zu wenig verdienen, bekommt man nur das Kindergeld, aber nicht den steuerlichen Vorteil. Und das ist niedriger.....
Eine Familie mit 3 Kindern auf Basis Hartz IV bekommt, wenn sie in einer Wohnung mit ca. 800€ Mietkosten und 250€ Nebenkosten wohnt, in Summe ca. 1916€ ausgezahlt. Nun rechne mal für die 3 Kinder die 3*364€ ab. Bleiben 1092€. Für die beiden Erwachsenen rechnest du jetzt noch einmal die 677,50€ ab - und dann noch 345€ Hartz IV für die zweite Person. Die Wohnkosten teilen die zwei sich ja. Ganz gleich wie - du kannst beliebig hin und her rechnen - es sind mal 100-200€ mehr, mal weniger - es kommt aber in Summe immer auf ähnliche Beträge. DAS IST KEIN ZUFALL!
Substantiell zahlt heute schon der Staat im Prinzip so etwas wie eine Grundsicherung für alle - allerdings macht der Staat ein unglaubliches Tohuwabohu darum - verlangt viele Formulare, Nachweise, Gänge zum Amt, etc. etc. etc......
Und um das ganze zu verwalten, gibt der Staat nochmals viel Geld aus!
Tatsächlich entsteht bei all diesem Rahmenwerk ein Geflecht an staatlichen Zuschüssen und ineffektiven Bürokratien, was man leicht deutlich radikal ersetzen könnte durch eine staatlich garantierte Grundsicherung - ohne Mehrkosten, ganz im Gegenteil - es wäre billiger!
Allerdings würde ein solcher Zugang auch gnadenlos aufzeigen, an welchen Stellen unser Sozialstaat heute versagt! Wir benachteiligen in unserem Sozialstaat heute gnadenlose folgende Gruppen:
Geringverdiener
Familien mit mehr als einem Kind
Familien, bei denen ein Partner nicht (Vollzeit) arbeiten geht
....
Und: Menschen, die in unterschiedlichsten Varianten Lebenspartnerschaften haben, gleichzeitig aber wenigstens einer dieser Beteiligten auf Hartz IV angewiesen ist.
Von all diesen sozial relativ schwachen Gruppen holt sich derzeit der Staat in der Regel mehr, als von denen, die (finanziell) Leistungsfähig sind.
Der Mindestlohn ändert an diesen sozialen Schiefständen mal genau fast gar nichts! Es wird eine soziale Scheinteilhabe organisiert - die den Interessen der Gewerkschaften und der Zielgruppe der SPD entspricht.
Reine Klientelpolitik - keine grundsätzliche Änderung der Sozialpolitik! Eine Gruppe der finanziell Schwachen bekommt ein paar Brosamen - auf niedrigstem Niveau! Alle anderen schauen in die Röhre - zahlen sogar in Teilen drauf.
Und DAS ist DAS, was DU BEFÜRWORTEST.!!! ???
Ich finde das ziemlich unsozial!
Ich finde es auch extrem unsozial, dass der Staat auch bei Normalverdienern typische Familienverhältnisse bei denen ein Partner ganz oder in Teilen seinen Job darin sieht, dass er sich um die Familie kümmert, deutlich und dramatisch benachteiligt. DAS muss geändert werden!
WENN aber diese Dinge geändert sind, dann braucht man keinen Mindestlohn mehr - denn dieser Mindestlohn entstammt der Idee der sozialen Abfederung der Zwangsarbeit. JEDER soll arbeiten gehen - aber dann gönnen wir ihm mal großzügig BRUTTO auch so was wie den Mindestlohn. DIESE Idee finde ich befremdlich! Ich lehne Zwangsarbeit generell ab! Ich finde
Zwangsarbeit ist menschenverachtend!
Die meisten Befürworter von Mindestlöhnen sind sich gar nicht bewußt, dass sie noch immer implizit den Gedanken in sich tragen, dass ALLE ARBEITEN MÜSSEN! Man trennt Arbeitslose (die sind ja gar keine richtigen Menschen, weil die nicht arbeiten.....) von denen, die Arbeit haben (die müssen anständig entlohnt werden, damit man sie von den "Faulen" auch unterscheiden kann.....) und vergisst die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die zu Arbeitslosigkeit führen. Man hängt platt gesprochen einem Bild vom Menschen und von der Arbeit nach, was ziemlich alt ist, antiquiert, was in die Irre führt, und der heutigen Realität nicht mehr gerecht wird.
Und dann versucht man, den Mindestlohn als DIE SOZIALE ERRUNGENSCHAFT schlechthin darzustellen!
Das ist er aber mitnichten! Menschenverachtend - das gilt weit mehr für den Mindestlohn, als für die weitaus bessere und vernünftigere Alternative - ein Grundeinkommen.
Wenn du mich in die Ecke derer schieben willst, die allein dafür unterwegs sind, von Unten nach Oben umzuverteilen, bist du auf dem falschen Dampfer! Aber nur weil du sozialpolitisch in den 80ern feststeckst, und die klassischen SPD- und Gewerkschaftsparolen runterbetest, wird Falsches ja nicht richtig!
Gerade weil das Bundesverfassungsgericht in vielen vielen Urteilen wieder und wieder festgestellt hat, dass jedem Menschen eine sichere Existenz zusteht - gerade deshalb haben wir heute schon faktisch eine Art Grundeinkommen für alle - allerdings total widersprüchlich organisiert, aufwendig organisiert, in vielen Details unterschiedlich organisiert - wir brauchen viel Bürokratie, und werden vielen konkreten gesellschaftlichen Anforderungen in keiner Weise gerecht!
WEG DAMIT!
Was dann bleibt, ist ein Grundeinkommen für alle! Stand heute schon könnten wir ein Grundeinkommen für alle in Höhe von 677,50€ (Erwachsene) und 364€ für Kinder rechtfertigen. Nimmt man Beträge für die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung in diese Beträge mit rein, erhöht sich dies um weitere 100-150€. Würde man den Besuch von Kindergärten, Schulen und Universitäten mit passenden Gebühren belegen, könnte man auch gleich ein einheitliches Grundeinkommen von ca. 800€ rechtfertigen! Und müsste noch nicht mal all zu viel gegenfinanzieren - nur die Regeln im Staat mal einheitlich gestalten, und nicht immer wieder an allen Ecken und Enden über viele Trickserei mal die eine mal die andere gesellschaftliche Gruppe bevorteilen.
Statt Klientelpolitik, wie du sie forderst, wären wir damit bei einem gesellschaftlichen Ansatz, der die Frage der gesellschaftlichen Teilhabe auch grundsätzlich klärt. Und zwar durchaus ohne größere Widersprüche - denn solche sind im Konzept des Mindestlohnes eine ganze Menge enthalten.
Entsprechende Konzepte liegen auf dem Tisch, wurden auch schon durchgerechnet - sind bezahlbar und finanzierbar, ohne dass die Gesellschaft zusammenbricht. DAS ist Sozialpolitik!
WENN ich aber genau eine solche Gesellschaft habe, brauche ich dann noch Mindestlöhne?
Wozu?
Wenn man aus dem normalen Gehalt die soziale Mindestabsicherung herausrechnet, reduziert sich das normale Gehalt um ca. 5€. Reden wir über das üblich genannte Mindestlohnniveau von 8,50€ - dann reden wir eigentlich darüber, dass wir festlegen wollen, dass bei einer Beschäftigung über die Mindestabsicherung hinaus noch 3,50€ gezahlt werden. DIE aber werden auch noch versteuert - so dass 20% davon für den Arbeitnehmer nicht sichtbar bleiben. So verbleiben 2,50€ die wir tatsächlich ungefähr garantieren wollen....
Und hier sag ich: Leute, lasst die Kirche im Dorf! WENN jemand für diese 2,50€ NETTO mehr bereit ist, arbeiten zu gehen - dann lasst ihn. Wenn sich jemand findet, der für 75 Cent das machen will - lasst ihn. NIEMAND wird gezwungen, jeder darf frei entscheiden, ob er bereit ist für maximal 2,50€ je Stunde Konsumzuwachs arbeiten zu gehen.
Ich muss das nicht staatlich regeln!
Im direkten Vergleich finde ich, dass DEINE Mindestlohnansätze relativ wenig auf die wirklichen Bedürfnisse der Menschen eingehen - nur Minderheiten adressieren, und dann noch in der konkreten Ausprägung unsozial gegenüber gerade gesellschaftlich schwachen Menschen sind! DAS halte ICH für menschenverachtend - deshalb bin ich auch dann nicht bereit, mich als Befürworter eines Mindestlohnes zu outen, wenn wenn ich damit einer kleinen Minderheit mal ein wenig helfen könnte. Ich würde jedem den Mindestlohn gönnen - aber unsere sozialen Probleme werden damit nicht gelöst, sondern verschärfen sich im Gegenteil.
Nun darfst du dich gerne weiter für den Spaltpilz Mindesteinkommen einsetzen - und dafür sorgen, dass eine kleine Minderheit der sozial schwächeren für richtig harte Arbeit ein paar Brosamen hingeworfen bekommt, die dann noch begleitet werden von Gesetzen, die davon ausgehen, dass jeder ARBEITEN MUSS!
Ich sage dir jetzt schon voraus - wenn das Mindesteinkommen kommt (und davon gehe ich inzwischen aus) löst sich genau gar nichts unserer sozialen Probleme - auch nicht die Problematik der Rentenpolitik und vieler weiterer Problemfelder. Statt einer Lösung aus einem Guß, die alle (zumindest mal die meisten) sozial Benachteiligten ausreichend und vernünftig adressiert, erreichst du mit der Lösung des Mindestlohnes nur, dass die notwendige Debatte zur Reform unseres Sozialstaates auf Jahre verzögert wird.
Mindestlöhne sind kein sozialer Fortschritt - sondern im Gegenteil die Zementierung sozialer Widersprüchlichkeiten, die Verdrängung der Problemursachen aus dem Bewußtsein - und damit in Gänze ein gescheiterter soziale Ansatz.
Vielleicht könnte es dich nachdenklich machen, dass inzwischen auch in Teilen der CDU/CSU massiv über Mindestlöhne nachgedacht wird.....sie werden kommen. Aber um welchen Preis! Man wird damit genau die Menschen mit Ansichten wie du sie vertrittst ködern - und
ihr werdet anbeißen. Und dann - wurde wirklich was für sozial Schwächere erreicht?
Nein! Wenn man die Mindestlöhne nicht wenigstens jährlich um die IN DIESER GRUPPE relevante Inflationsrate bereinigt, wird der Mindestlohn ein gutes Argument liefern, dass man ausreichend viel für die passende Klientel scheinbar tut......
Du willst Menschen helfen - und forderst einen Mindestlohn.
Du verstehst offensichtlich aber die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu wenig - denn sonst wäre dir klar, dass du mit dieser Forderung, der man bald entsprechen wird, genau gar nichts erreichst, sondern im Gegenteil nur die Ungerechtigkeiten zementierst, die heute im gesetzlichen Gesamtregelwerk enthalten sind.
Mach dir klar, dass ich dich argumentativ in den nächsten Jahren immer wieder auf diesen Zusammenhang hinweisen werde - und geh mal locker davon aus, dass dein Mindestlohn kommt, und gleichzeitig meine Kritik daran genau so eintritt!
Viel Spaß!