New Model Army, 2010 hat geschrieben:
Auf dem Papier bin ich Protestant, deshalb habe ich das auch angewählt.
Allerdings ist das alles nicht so einfach. In gesellschaftlicher oder alltagsweltlicher Hinsicht fällt es mir deutlich leichter, Protestant als Katholik zu sein, einfach weil ich glaube, dass Restriktionen, Strenge und penetrante Entwicklungsresistenz nicht sinnvoll sein können. Wenn ich beobachte, wie viele Menschen auf dem Land in den katholischen Gottesdienst gehen "weil es sich so gehört" oder weil sonst "die Nachbarn reden", dann kann ich das nur verachten. Leider stelle ich diese Haltung unter Katholiken sehr häufig fest. Ein Protestant gilt dahin gehend gelassener, toleranter.
Toleranz ist mein Stichwort: Ich finde sie ausgesprochen wichtig. Wichtig finde ich dazu auch, dass Toleranz ohne angemessenen Respekt niemals aufrichtig sein kann. Toleranz heißt nicht "Jaja, glaub was du willst

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armer Idiot 
"
Nur wer aufrichtige Toleranz leistet, kann dieselbe auch erwarten. Die Fähigkeit zu aufrichtiger Toleranz glaube ich häufiger unter Verschiedengläubigen zu finden als zwischen Gläubigen und Atheisten. Agnostiker( ja ich weiß, was der Begriff meint) wissen ja eigentlich selber nicht, was sie sind...). Der Atheist als "Nicht-Gläubiger" ist für mich allerdings auch ein Gläubiger, im Sinne davon, dass er nicht
glaubt.
Atheisten sind es meist, die Gläubige angreifen und für nicht ganz bei Sinnen halten, bzw. über sie lustig machen. Dabei hat die Frage, ob man nun glaubt oder nicht, beileibe nichts mit Entrücktheit oder kognitiver Leistungsfähigkeit zu tun.
Was die großen "europäischen" Religionen zusammen mit dem Islam angeht: Dabei finde ich interessant, dass Christentum, Judentum und Islam im Endeffekt die gleichen Wurzeln haben. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren.
Denn die unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen von Religionen haben ihren Ursprung in der geographischen Herkunft: Ob etwas koscher ist oder nicht, oder ob etwas geschächtet werden darf oder soll oder nicht, ob nun Schwein unrein oder die Kuh heilig ist oder nicht, ist auf die klimatischen Bedingungen der Ursprungsregion zurückzuführen. Außerdem haben diejenigen, die einen Glauben durch dessen Ausbreitung angenommen haben, unterschiedlichen kulturellen Background, der immer auch die Religionen mitprägte. Daraus ergaben sich letztlich unterschiedliche Auffassungen und Weltsichten.
Die grundlegenden Regeln: Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht ehebrechen etc. sind in allen Religionen gleich. Die Frage ob man einen heiligen Krieg führen darf/soll oder nicht, kann ebenso auf Basis der Bibel wie auf Basis des Koran diskutiert werden. Beide befürworten ihn und lehnen ihn auf anderen Seiten ab. Dahinter steckt letztlich nicht mehr und nicht weniger als Politik...

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Religionsbekenntnis hat für mich nur sehr bedingt etwas mit Glauben zu tun. Letztlich weiß, mich selbst eingeschlossen, ohnehin niemand, was er wirklich glauben soll. Jeder von uns rätselt und zweifelt, jeder sucht. Wüsste er es, dann würde er wissen, nicht glauben. Auch Atheisten machen sich Gedanken über das Woher und Warum, auf ihre Art. Selbst Wissenschaftler tun nicht anderes. Dies zu leugnen, finde ich unaufrichtig. Mit Schöpfungsgeschichten kann ich wenig anfangen, aber man sollte sie ja ohnehin bildlich verstehen, wie fast alles in den heiligen Schriften. Urknallforschung, Naturwissenschaft leistet bislang nur, nach dem
wie zu fragen und vermag es letztlich nicht, Antworten auf das
Warum zu liefern (frei nach
Prof. Harald Lesch, den kann man kennen).
Religionsbekenntnis ist Ausdruck einer kulturellen Zugehörigkeit, nicht mehr, nicht weniger. Und das ist den Menschen wichtig, sonst würden sie es nicht milliardenfach tun. Hier sehe ich so mache siebengescheite, überhebliche Atheisten genauso in der Pflicht wie so viele religiöse Fundamentalisten.
Deshalb wiederum - und jetzt schließt sich vielleicht ein Kreis - ist es wichtig, aufrichtige Toleranz, eine Respekt beinhaltende Toleranz, zu üben. Nur das erfüllt den kategorischen Imperativ und meiner Meinung nach hat dieser durchaus seine Daseinsberechtigung (was nicht heißt, dass ich immer menschlich dazu in der Lage bin, mich an ihm zu halten. Auch ich selbst bin nicht vor Intoleranz gefeit, besonders gegenüber religiösen Extremen).
Ich finde das protestantische Christentum nicht übermäßig verwerflich, deshalb kann ich gut damit leben. Als Deutscher, als Europäer, als Bewohner des Abendlandes stehe ich vor und in alten Kirchenbauten ehrfürchtiger, als in modernen, architektonisch streitbar gestalteten Kirchen. Ich sauge gerne die (historische, kulturelle) Atmosphäre in Gotteshäusern auf, verhalte mich gerne respektvoll bekreuzige mich aber nicht. Die schönste Kirche, die ich je bestaunen durfte, war eine orthodoxe. In einer Moschee war ich noch nie, sollte ich aber mal, um es mal selbst erlebt zu haben.
Die christliche Kirche stellt die Säulen meiner abendländischen Herkunft dar, die Geschichte der Kirchen ist europäische Geschichte, mit ihren Höhen und Tiefen. Als solche respektiere ich sie. Aber im Alltag finde ich Protestantismus bequemer und sinnvoller als Katholizismus....außerdem belasten zu viele Feiertage unser BIP...
Ich weiss nicht, was ich glauben soll, ich weiss nur:
Toleranz ist nur sinnvoll, wenn sie aufrichtig ist, also auf gegenseitigem Respekt fußt.
P.S.: Diese Woche ist im Magazin von DIE ZEIT eine Karte der räumlichen Verteilung von Lotto-Spielern. Es zeigt sich, dass sich die Häufungen von Lottospielern mit katholischen Hochburgen tendenziell und deutlich erkennbar decken.