Die Causa Guérot und der Meinungspluralismus

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Progressiver
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Die Causa Guérot und der Meinungspluralismus

Beitrag von Progressiver »

In diesem Thread soll es um Ulrike Guérot gehen. Aber nicht nur. Die Autorin ist Wissenschaftlerin, aber auch eine glühende Kämpferin für die europäische Idee. Ihr Buch „Warum Europa eine Republik werden muss. Eine politische Utopie“ war europaweit ein Bestseller. Ich denke nicht, dass sie sich seitdem verändert hat. Was sich aber seit Corona und dem Ukrainekrieg geändert hat, ist der Punkt, dass der zulässige Meinungskorridor sich extrem verengt hat. Schon mit ihrem Buch „Wer schreibt, stimmt zu“ zu der Situation in der Corona-Krise erfuhr sie massiv Gegenwind. Jetzt hat sie zusammen mit Hauke Ritz ein Buch vorgelegt mit dem Namen „Endspiel Europa. Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist -und wie wir wieder davon träumen können“. Es war als Essay gedacht. Essay heißt auf französisch Versuch. Es sollte ein Diskussionsbeitrag sein bzw. eine Diskussion anstoßen. Anstatt aber die Thesen des Buches zu diskutieren, gibt es Kollegen, die sie persönlich aufs Übelste angreifen. Ihre Universität distanzierte sich von ihr. Sie selbst sagt aber, dass sie gar nicht in deren Namen geschrieben hat, sondern im Rahmen der Meinungsfreiheit einen Diskussionsbeitrag starten wollte. Ist das jetzt plötzlich verboten, möchte man fragen.

Wer ihre Haltung zu dem Thema kennenlernen möchte, kann dies hier tun:



Sie selbst ist jedenfalls derzeit wegen diesem Mobbing seit geraumer Zeit krank geschrieben und in Therapie, kann man da erfahren.

Was in ihrem Essay steht, kann man in Kürze hier lesen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Endspiel_Europa

Aus Erfahrung weiß ich, dass auch hier Bücher und Autorinnen verrissen werden, ohne den Inhalt zu kennen. Obwohl es in dem Buch hauptsächlich gar nicht um Russland und Putin geht, wurde sie in den Medien als „Putin-Trollin“ bezeichnet. Dabei möchte sie meiner Einschätzung nach nur die Idee eines europäischen Bundesstaates verbreiten. Natürlich ist das utopisch. Aber die Phalanx der Anti-Europäer wirft ihr deswegen gleich vor, sie sei eine Totalitaristin. Und der Generalverdacht des „Anti-Amerikanismus“ wird gegen sie angebracht. Natürlich kann man ihre Thesen diskutieren. Sie sagt ja auch selbst, dass sie die Weisheit nicht mit den Löffeln gefressen hat und sich irren kann. Aber dies gilt auch für ihre Gegner. Aber sie dafür gleich mundtot machen wollen? Und was sagt das über die Kraft der sachlichen Argumente ihrer Gegner aus, wenn diese nicht einmal versuchen, sie sachlich von ihrem eigenen Standpunkt zu überzeugen, sondern stattdessen sie persönlich kaputt machen wollen?

Dabei sollte eines klar sein: Wenn wir die europäische Idee retten wollen, dann braucht es jetzt vor allem: mehr Europa! Europa darf meines Erachtens nicht Teil Großrusslands werden. Aber andererseits hat Europa andere Interessen als die USA. Die USA brauchen die Europäer als Verbündete. Aber eben nur in Form von zersplitterten und in sich uneinigen Vassallenstaaten. Meiner Meinung nach darf sich Europa weder von Russland noch von den USA in die Suppe spucken lassen. Der Vorwurf des „Antiamerikanismus“ kann also nur von Leuten kommen, die gerne Untertanen des US-amerikanischen Hegemoniesystems sind. Was Europa aber braucht, das ist, dass es mit einer einigen Stimme spricht und die europäische Integration vorantreibt, damit wir irgendwann endlich einen europäischen Bundesstaat haben werden. Aber selbst Politiker wie Olaf Scholz reden mittlerweile nur noch von einer Osterweiterung bis zum Geht-Nicht-Mehr. Von der europäischen Integration und Vertiefung wird überhaupt nicht mehr gesprochen. Was aber, wenn die neuen Beitrittskandidaten alle ticken wie Orbans Ungarn und nur Gelder abgreifen wollen? Was passiert dann, wenn wir immer mehr Netto-Empfänger in einer überdehnten EU haben? Und was machen wir, wenn aus Protest dagegen in den westlichen Staaten die Rechtspopulisten an die Macht kommen?

„Die herrschende Meinung ist immer die Meinung der Herrschenden.“ Das durfte nicht nur Ulrike Guérot erfahren. Sondern auch viele andere Intellektuelle werden derzeit mundtot gemacht. Interessanterweise ist das Buch „Endspiel Europa“ bei der Bevölkerung Deutschlands laut Amazon ein Bestseller. Genau so wie auch „Die vierte Gewalt“ von Precht und Welzer nicht nur oft verkauft wird. Nein. Zumindest bei Amazon bekommen beide Bücher überwiegend positive Rezensionen.

Trotzdem möchte ich fragen: Was ist in Deutschland los seit Corona und dem Ukrainekrieg? Was macht das mit dem Land, wenn nur noch in einem kleinen Meinungskorridor diskutiert werden darf? Und was ist mit der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in diesem Zeiten von übelster „Cancel Culture“? Bei Voltaire hieß es noch: „Ich teile Ihre Meinung nicht. Aber ich werde dafür kämpfen, dass sie sie vortragen können.“ Steuern wir da nicht in eine informelle Meinungsdiktatur, wenn nicht mehr offen beispielsweise über die EU diskutiert werden darf? Oder über die Rolle der Medien? Und natürlich gibt es auf der anderen Seite die echten Verschwörungstheoretiker. Aber was ist mit den unabhängigen Stimmen, die sich nicht in das manichäische „wir gegen die“-Muster pressen lassen wollen. Werden diese jetzt alle kaputt gemacht und mundtot?

Demokratie lebt von Meinungspluralismus. Auch Ulrike Guérot wünscht sich wohl, dass ihre Bücher vielleicht auch hart in der Sache diskutiert werden. Wenn man aber de facto Meinungen verbieten will, die einem nicht genehm sind, tut das dem gesellschaftlichen Klima nicht gut. Und die Menschen dahinter verlieren ja auch ihre gesellschaftliche Stellung, ihre Jobs etc. Die rechten Verschwörungstheoretiker holt man auf diese Weise nicht in den demokratischen Diskurs zurück. Aber auch die jeweils scheinbar herrschende Meinung kann am Ende nur mit Gewalt aufrechterhalten werden, aber nicht mit der Kraft der besseren Argumente. Die gesellschaftliche Spaltung vertieft sich immer mehr und die Polarisation nimmt zu.

Also: Ist das die Gesellschaft, in der wir leben wollen? Quo vadis, Meinungspluralismus?
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Re: Die Causa Guérot und der Meinungspluralismus

Beitrag von NicMan »

Offenbar darf man nichts mehr gegen die Meinung von Leuten wie Guerot und Elsässer sagen ohne gleich vorgeworfen zu bekommen, man würde die Meinungsfreiheit nicht respektieren. Mittlerweile sind wir von schon so weit, dass man sogar totalen Schwachsinn tolerieren soll, weil sich sonst jemand diskriminiert fühlt. Das ist die eigentliche Fehlentwicklung. Das sich eine Guerot gleich „gemobbt“ fühlt, weil Menschen ihre Thesen widerlegen. So arbeitet auch die neue neue Rechte. Bedauerlich, dass ein User, der sich „progressiver“ nennt, darauf hereinfällt.
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Re: Die Causa Guérot und der Meinungspluralismus

Beitrag von Wähler »

Progressiver hat geschrieben: Sonntag 18. Dezember 2022, 13:18 In diesem Thread soll es um Ulrike Guérot gehen. Aber nicht nur. Die gesellschaftliche Spaltung vertieft sich immer mehr und die Polarisation nimmt zu.
Also: Ist das die Gesellschaft, in der wir leben wollen? Quo vadis, Meinungspluralismus?
Ich halte es nicht für glücklich, das Thema Entwicklung der politischen Kultur in Deutschland mit einem Buch einer bestimmten Intellektuellen über Europa zu verknüpfen.
Über die Berichterstattung und Kommentierung des Ukraine-Krieges nachzudenken, scheint mir da schon zielführender zu sein, auch wenn dieses Metathema wirklich unangenehm und sehr schwierig ist.
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Re: Die Causa Guérot und der Meinungspluralismus

Beitrag von Progressiver »

NicMan hat geschrieben: Sonntag 18. Dezember 2022, 13:26 Offenbar darf man nichts mehr gegen die Meinung von Leuten wie Guerot und Elsässer sagen ohne gleich vorgeworfen zu bekommen, man würde die Meinungsfreiheit nicht respektieren. Mittlerweile sind wir von schon so weit, dass man sogar totalen Schwachsinn tolerieren soll, weil sich sonst jemand diskriminiert fühlt. Das ist die eigentliche Fehlentwicklung. Das sich eine Guerot gleich „gemobbt“ fühlt, weil Menschen ihre Thesen widerlegen. So arbeitet auch die neue neue Rechte. Bedauerlich, dass ein User, der sich „progressiver“ nennt, darauf hereinfällt.
Elsässer ist einer der ganz Rechten. Dieser ist für mich uninteressant. Auch der Ukrainekrieg selbst interessiert mich nur am Rande. Wie Guérot zu ihrer Meinung zum Ukrainekrieg kommt, erschließt sich mich nicht. Aber ihre Gegner wollen weder diesen noch die europäische Frage mit ihr diskutieren, sondern praktizieren übelste Cancel Culture. Sie verweigern sich jedem öffentlichen Streit mit ihr. Stattdessen wird sie hinter ihrem Rücken kaputt gemobbt. Es wird versucht, sie aus ihrer Professorenstelle zu mobben.

Früher hätte es da doch zwischen ihr und ihren Gegnern öffentlichen Streit gegeben, bis die Fetzen geflogen wären. Das wäre zwar brutal gewesen, aber auch irgendwie reinigend. Aber heute wird nicht mehr diskutiert, sondern hintenrum gemobbt. Da gibt es Machtspiele, Einschüchterungen und weitere üble Sachen. Wie offen ist unsere Gesellschaft noch, wenn überall im Hinterhalt nur noch die Heckenschützen lauern? Wann wurde in unserer Gesellschaft es verlernt, sachlich, aber scharf im Ton zu streiten?

Ihre Einschätzungen bezüglich der EU teile ich, so weit ich sie kenne. Auch ich denke, dass Europa als eine Ansammlung von Regionen werden muss. Und der europäische Bundesstaat sollte Wirklichkeit werden, da ansonsten das europäische Projekt in tausend Scherben zerfällt, wenn nicht weiter an der europäischen Integration gearbeitet wird. Im Moment sieht es aber nicht danach aus, dass die "Vereinigten Staaten von Europa" jemals Wirklichkeit werden würden. Gerade aber angesichts der globalen Herausforderungen der Klimakrise, der Flüchtlingskrise und diversen anderen Krisen wäre es dringend nötig, wenn Europa vereinigt werden würde. Leider lassen die europäischen Staaten sich nur allzu leicht auseinander dividieren. Russen, Amerikaner und neuerdings die Chinesen spielen nur allzu leicht "Teile und herrsche". Ist das plötzlich unwichtig und verboten, so etwas zu diskutieren?

Ich selbst habe im Übrigen bei der letzten Landtagswahl und Bundestagswahl die Partei "Volt" gewählt. Keine der großen Parteien konnte mir glaubhaft versichern, dass ihnen die Bewältigung der Klimakrise und die Idee der europäischen Einigung auch nur am Rande wichtig ist. Leider hat "Volt" jeweils nur 0,4 Prozent der Stimmen eingefahren. Die größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind somit den meisten Leuten egal.
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Re: Die Causa Guérot und der Meinungspluralismus

Beitrag von Progressiver »

Wähler hat geschrieben: Sonntag 18. Dezember 2022, 15:07 Ich halte es nicht für glücklich, das Thema Entwicklung der politischen Kultur in Deutschland mit einem Buch einer bestimmten Intellektuellen über Europa zu verknüpfen.
Über die Berichterstattung und Kommentierung des Ukraine-Krieges nachzudenken, scheint mir da schon zielführender zu sein, auch wenn dieses Metathema wirklich unangenehm und sehr schwierig ist.
Vielleicht wäre es auch ohne die neuesten Krisen zu einer "Cancel Culture" gekommen. Die Coronakrise und der Ukrainekrieg wirkten aber wie ein Katalysator. Ulrike Guérot ist dabei ein Opfer dieser "Cancel Culture". Es gibt aber viele andere Intellektuelle, die weniger bekannt sind. Aber auch diese stehen derart im Kreuzfeuer, dass sie entweder aufgeben oder mundtot gemacht werden. Wie wird das aber dann bei künftigen Krisen sein? Wieso werden nur noch hinterhältige Machtspiele gespielt, anstatt sich bis aufs Blut zu fetzen? Und was ist schlimmer: Ein Konflikt, der bis aufs Äußerste im Ton, aber doch sachlich ausgetragen wird? Oder aber ein Konflikt, der wie bei den Chinesen möglichst unter der Decke gehalten wird?

Man sollte bedenken: Die Bevölkerung ist bei den verschiedenen Themen gespalten. Auch viele Individuen sind vielleicht gespalten in ihrer eigenen Meinung. Aber anstatt dass in einem Konflikt alle Parteien sämtliche Argumente wie rhetorische Messer aufeinander werfen, wird eben nicht gestritten, sondern mit Machtspielen versucht, die Integrität der Gegenseite auszuhebeln. Das Ergebnis ist: Die Rechtsknaller werden in ihrem geschlossenen Weltbild bestätigt. Kein einziger von denen wird dadurch wieder von der Idee der Demokratie zurückgewonnen. Dass die Rechten ein geschlossenes Weltbild haben? Geschenkt. Wenn sich aber die vermeintliche gefühlte "Mehrheitsgesellschaft" ebenso verschließt, dann finde ich das äußerst bedenklich. Anstatt einer einzigen demokratischen Gesellschaft anzugehören, in der jeder mit jedem über alles offen und sachlich streitet, gibt es immer mehr Leute, die sich in ihren Filterblasen verstecken. Das Ergebnis wird sein, dass die Gesellschaft sich atomisieren wird. Letztendlich wird unser Gesellschaftssystem so zerfallen, wenn über die großen Themen nicht mehr hart in der Sache, aber immerhin offen diskutiert wird.
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Re: Die Causa Guérot und der Meinungspluralismus

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben: Sonntag 18. Dezember 2022, 15:07 Ich halte es nicht für glücklich, das Thema Entwicklung der politischen Kultur in Deutschland mit einem Buch einer bestimmten Intellektuellen über Europa zu verknüpfen.
Über die Berichterstattung und Kommentierung des Ukraine-Krieges nachzudenken, scheint mir da schon zielführender zu sein, auch wenn dieses Metathema wirklich unangenehm und sehr schwierig ist.
Progressiver hat geschrieben: Mittwoch 21. Dezember 2022, 22:16 Vielleicht wäre es auch ohne die neuesten Krisen zu einer "Cancel Culture" gekommen. Das Ergebnis wird sein, dass die Gesellschaft sich atomisieren wird. Letztendlich wird unser Gesellschaftssystem so zerfallen, wenn über die großen Themen nicht mehr hart in der Sache, aber immerhin offen diskutiert wird.
Das Phänomen von Cancel Culture und Filterblasen in den sozialen Medien gilt es, weiter zu beobachten. Empirische Daten wären hilfreich, um nicht nur auf das Beispiel einer prominenten Intellektuellen angewiesen zu sein.
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Re: Die Causa Guérot und der Meinungspluralismus

Beitrag von Progressiver »

Vor Weihnachten hat Ulrike Guérot einer freien Journalistin ein Interview gegeben. Dort erklärt sie noch einmal ihren Werdegang. Bzw. die Abkehr der großen Parteien von der europäischen Idee. Frau Guérot hat sich in ihrer Leidenschaft für Europa nämlich in den letzten dreißig Jahren nicht verändert. Dafür aber die Parteien! Am Anfang ihrer Karriere stand sie noch der CDU nahe. Doch ab 1998 wollte diese von der europäischen Einigung nichts mehr wissen. Dann war sie Mitglied bei den Grünen. Ulrike Guérot bezeichnet sich als linksliberal. Ab der Bankenkrise 2008ff stand sie plötzlich Ideen der LINKEN nahe. Obwohl sich auch da ihr politischer Kompass nicht verändert hatte.

In der Corona-Krise wurde sie mit ihrer Haltung einerseits zum Liebling von einigen Bevölkerungsteilen. Andererseits entdeckten sie die Leitmedien als absolutes Hassobjekt. Es wurde nicht mehr mit ihr diskutiert. Sondern eine andere Wissenschaftlerin wollte bei einer geplanten Diskussion über die europäische Idee nicht mehr gemeinsam mit ihr auftreten. Und so geht das dann weiter.

Ihr Buch "Endspiel Europa" war dann nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. In den Leitmedien wurde sie absolut zur "persona non grata". Obwohl Ulrike Guérot sich auch hier nicht wirklich verändert hatte, wurde ihr plötzlich eine Nähe zu den Rechtsknallern unterstellt.

Das wirklich sehenswerte Interview mit der Journalistin Ulrike Stockmann, die unter anderen für die Jüdische Rundschau schreibt, kann man hier sehen:



Man muss Ulrike Guérot nicht in allen Punkten zustimmen. Aber ich finde es dennoch bezeichnend, dass die Leitmedien sie zur "persona non grata" erklärt haben und keine Interviews mehr mit ihr führen wollen. Und auch bestimmte Kollegen haben anscheinend verlangt, dass ihre Universität sich von ihr distanzieren soll. Dies geschah dann drei Tage nach Erscheinen ihres Buches "Endspiel Europa". Ulrike Guérot bezweifelt, dass diese Leute überhaupt das Buch gelesen hatten. Andere Kollegen diskutierten ebenfalls nicht mit ihr, sondern kamen gleich mit dem Plagiatsvorwurf. Durch den ganzen Umgang mit ihr ist sie jetzt seit geraumer Zeit krank geschrieben und in Therapie.

Doch ist sie, insgesamt betrachtet, nur ein Opfer unter vielen. Viele andere Intellektuelle werden zur Zeit entweder auf die gleiche Art und Weise mundtot gemacht. Oder sie ziehen sich zurück. Ähnlich haben es ja auch Precht und Welzer in ihrem Buch "Die vierte Gewalt" beschrieben. Übrig bleibt dann nur noch die "herrschende Meinung". Und diese ist in der Regel die Meinung der Herrschenden.

Was macht das aber mit unserer Gesellschaft, wenn diese Entwicklung so weiter geht? Wo bleibt der offene demokratische Diskurs, wenn bestimmte Themen nicht mehr diskutiert werden dürfen? Ich finde es schlimm genug, dass es in unserer Gesellschaft so viele Rechtsknaller mit einem geschlossenen totalitären Weltbild gibt. Wenn sich aber die "herrschende Meinung" ebenfalls verschließt, dann gibt es nur noch ein manichäisches "Wir gegen Die" zweier Haltungen, die in sich verschlossen sind. Die offene Gesellschaft wird Geschichte sein, da sich nur noch zwei Totalitarismen gegenüberstehen.

Und natürlich kann man sagen: Das sei jetzt nicht der ideale Zeitpunkt, um diese Sachen zu diskutieren. Aber dann tritt dieser ideale Zeitpunkt nie ein. Bis jetzt hatten wir die Corona-Krise und den Ukrainekrieg. Weitere Krisen werden garantiert folgen. Wann soll aber der ideale Zeitpunkt sein, um die Tabuisierung bestimmter Themen infragezustellen, die der herrschenden Meinung nicht passen? Der passende Zeitpunkt ist doch immer "jetzt". Oder wie sollen wir die offene Gesellschaft, in der alles mögliche diskutiert werden darf, ansonsten retten können?
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