Kohlhaas hat geschrieben: ↑Do 26. Mai 2022, 14:58
Cobra hat insofern recht, dass Deine "Analyse der Lage" sich verdächtig ähnlich anhört, wie das, was die russische Propagandamaschinerie verbreitet. Zudem deckt sich Deine "Analyse" auch nicht mit den Informationen, die uns zugänglich sind.
Russland verfügt über ein Vielfaches der Feuerkraft der Ukraine. Um welchen Faktor wir reden, ist mir nicht ganz klar, aber es ist nicht nur das drei- oder fünffache, sondern bewegt sich in ganz anderen Dimensionen, gerade was schwere Artillerie angeht. Es ist unheimlich aufwendig, diesen Nachteil der Ukraine durch Waffenlieferungen auszugleichen, vor allem wenn diese aus den USA erfolgen müssen, und nicht aus Ländern wie Deutschland, die sich verweigern.
Es ist auch allgemein bekannt, dass die Infrastruktur der Ukraine zunehmend zerstört wird. Auch militärische Einrichtungen und die Rüstungsindustrie werden systematisch von Russland bombardiert. Umgekehrt ist dies nicht der Fall, und soll auch nicht der Fall sein, wenn es nach dem Westen geht. Die wenigen Ausnahmen sind nichts als das, wenige Ausnahmen. Der Krieg soll gemäss dem Willen des Westens eben nicht nach Russland getragen werden, was Russland ermöglichen wird, in Ruhe weiter Waffen zu produzieren und Truppen auszubilden.
Das ist alles allgemein bekannt, auch wenn einige hier nahelegen, das sei nur russische Propaganda. Viele Experten sagen auch genau das, was ich hier auch sage, und ich verstehe nicht, wie hier teilweise versucht wird, eine Blase zu errichten, in der nur angenehme Nachrichten als authentisch wahrgenommen werden, und alles andere als russische Propaganda weggewischt wird.
Kohlhaas hat geschrieben: ↑Do 26. Mai 2022, 14:58
Eine "Analyse der Lage" kann ohnehin niemand von uns liefern. Wir wissen nicht, was die Militärs beider Seiten im Donbass planen. Erkennbar ist aber, dass die russischen Truppen nicht wirklich vorankommen, obwohl dort alles zusammengezogen wurde, was noch verfügbar ist. Die "große Offensive", mit der nach der Flucht vor Kiew und der Konzentration der Kräfte im Donbass zu rechnen war, ist nicht erfolgt oder steckengeblieben. Was wir jetzt sehen, ist ein mühsames Vorankriechen unter hohem Material-/Munitionseinsatz und schweren Verlusten. Währenddessen führen die ukrainischen Truppen einen hinhaltenden Verzögerungskampf und bleiben beweglich. Stichwort: Verteidigungstiefe. So sieht es jedenfalls von außen betrachtet aus. Und das passt nunmal so gar nicht zu Deiner "Analyse".
Wieso soll das nicht zu meiner Analyse passen? Russland dachte wohl, die Ukraine sei ein Spaziergang und ist deswegen gleich aus mindestens drei Richtungen einmarschiert (von der Krim aus in die Südukraine, von Belarus aus nach Kyiv, und vom Osten aus) und hat sich wirklich üble Verluste eingefangen. Die Russen sind aber auch nicht so blöd, wie manche meinen, sondern haben offenbar dazugelernt und sich aus Kyiv und Charkiv zurückgezogen. Umso mehr Kräfte hat man nun für die Operationen im Donbass. Und ja, man führt nun nicht eine grosse Operation mit weiten Vorstössen durch, sondern viele kleinere Operationen mit kleinen Vorstössen, die logistisch einfacher sind.
Kohlhaas hat geschrieben: ↑Do 26. Mai 2022, 14:58
Keiner von uns sitzt im ukrainischen Generalstab. Wir können das alles nur aus der Ferne betrachten. Auf mich wirkt es aber so, als würden die ukrainischen Truppen unter größtmöglicher Schonung der eigenen Kräfte hinhaltend zurückweichen und den Russen währenddessen möglichst große Verluste zufügen. Wenn russische Truppen dann mal ein Dorf besetzen oder kleinere Gebiete einnehmen, dann ist das leider so. Das tut weh, entscheidet aber nicht den Krieg und muss unter der Rubrik "einkalkulierter unvermeidlicher Verlust" abgebucht werden. Entscheidend ist die Frage, wozu das alles dient! Entscheidend ist die Frage, was die Russen mit den mühsam eroberten Dörfern letztlich überhaupt anfangen können. Im Vorrücken werden die russischen Truppen zwangsläufig immer schwächer und im Zurückweichen werden die ukrainischen Kräfte unvermeidlich immer stärker (weil sie "zusammengeschoben" werden und weniger Fläche halten müssen).
Das eroberte Mariupol ist nach Odessa einer der wichtigsten Seehäfen der Ukraine; die umkämpften Sjewjerodonezk und Lyssytschansk sind strategisch wichtige Grossstädte, die auch von ideologischer Bedeutung sind, weil sie das letzte Gebiet der Oblast Luhansk darstellen, die noch nicht unter russischer Kontrolle sind.
Kohlhaas hat geschrieben: ↑Do 26. Mai 2022, 14:58
Sollen die Russen sich an ihren mühsam eroberten Dörfern erfreuen, plündern, morden und brandschatzen. Das lässt sich leider nicht verhindern. Aber halten können sie diese Dörfer letztlich nicht. Das Kräfteverhältnis wird kippen, wenn die russischen Truppen überdehnt und entkräftet sind und die Ukraine Reserven mit moderner Ausrüstung ins Feld schicken kann. Meine Schätzung: sechs bis acht Wochen. Und dann will ich mal sehen, wie sich notdürftig ausgebildete, unmotivierte und unterversorgte russische "Soldaten" in den eroberten Gebieten "festsetzen" wollen!
Wie haben sich die Russen denn in der Krim festgesetzt oder in Donezk? Wie in Cherson? Hat doch alles bisher wunderbar geklappt im Süden und im Osten der Ukraine.
Wie soll die Ukraine diese Gebiete jemals wieder zurückerobern? Möglich, dass die Ukraine eine grosse Sommeroffensive starten wird; ich hoffe es und wünsche ihr viel Erfolg. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Ukraine derzeit netto tatsächlich aufgerüstet wird, wie du behauptest, oder ob sie nicht durch die grossen Verluste derzeit netto an Material verliert.
Ich denke, dass es Russland reichen würde, wenn sie in einem ersten Schritt die Oblaste Donezk und Luhansk vollständig erobern und dazu noch den schon eroberten Landstreifen zur Krim einschliesslich Cherson halten. So unrealistisch ist es nicht, dass die Russen dies erreichen können. Die zu einem Binnenstaat degradierte Ukraine kann dann ja Kyiv und die Westukraine behalten und sich wirtschaftlich vom Westen versorgen lassen, während Russland die wirtschaftlich wertvollsten Gebiete der Ukraine, etwa die Weizenfelder, Schwerindustrie und die Seehäfen für sich selbst ausbeutet und die Bevölkerung dort allmählich russifiziert.