Historikerstreit 2.0

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Dark Angel
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Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

Der 1986 durch den Historiker Ernst Nolte ausgelöste Historikerstreit und der Historikerstreit 2.0, haben etwas gemeinsam und zwar die Relativierung des Holocaust und die Leugnung dessen Singularität und damit um Geschichtsrevisionismus.
Ging es bei Ernst Nolte noch darum, den Holocaust mit einer "Angstreaktion Hitlers und seiner Mitstreiter auf die Verbrechen der "Bolschewiki" in der Sowjetunion, speziell in den Gulags" zu erklären bzw zu relativieren, geht es beim Historikerstreit 2.0 darum, die Verbrechen der Kolonialmächte während der Kolonialzeit mit dem Holocaust gleichzuetzen.
Dabei wird ignoriert, dass keines der Verbrechen in der Kolonialzeit, kein früherer Genozid geplant, systematisch und industriemäßig durchgeführt wurde wie der Holocaust.

Während Nolte vor allem bei Rechtsaußen "Zuspruch" fand, sind es heute Linke bzw Linken nahestehende Historiker, die sich an dem Geschichtsrevisionismus beteiligen. Erschreckend dabei ist, dass sich am Historikerstreit 2.0 auch jüdische Historiker, wie Dirk A. Moses beteiligen - in deren Verständnis die Flucht- und Befreiungsbewegung der Juden, die zur Gründung Israels führte, eine kolonialistische Bewegung bleibt, die noch heute "kolonialistische Verbrechen" gegen die Palästinenser begeht.

Der „postkoloniale“ Historiker Dirk Moses wirft den Deutschen vor, sich mit dem „Katechismus“ der Singularität des Holocausts vor ihrer Verantwortung für koloniale Verbrechen zu drücken. Vertreter der „critical race theory“ unterstellen, weiße Historiker würden den Holocaust nur deshalb besonders erschreckend finden, weil die Opfer Weiße gewesen seien; und weil er den „weißen“ Zionismus rechtfertige.

In diesem Zusammenhang verweist Moses auf einen angeblichen "Katechismus der Deutsche", die das Gedenken an den und die Verurteilung des Holocaust zu einer Glaubenssache machen.

"Nach Moses besteht der „Katechismus der Deutschen“ aus fünf Überzeugungen:

Der Holocaust werde aus Sicht derjenigen, die diesem Katechismus anhingen, für einzigartig gehalten.
Die Erinnerung an ihn als Zivilisationsbruch bilde für sie „das moralische Fundament der deutschen Nation“.
Deutschland trage in dieser Sichtweise für die Juden eine besondere Verantwortung und sei Israel zu besonderer Loyalität verpflichtet.
Der Antisemitismus sei nach diesem Katechismus spezifisch deutsch und nicht mit Rassismus zu verwechseln; zudem schließe er
den Antizionismus ein.

Das sollen sie sein, die fünf Gebote der „Schuldreligion“, wie Martin Sellner es nennt. Glaubenssätze also, die Moses in Deutschland für hegemonial hält und die dort nach seinem Eindruck erbittert vertreten und verteidigt werden.


Natürlich kann man die Existenz objektiver Fakten leugnen und die Vorstellung einer Universalgeschichte als Versuch abtun, eine eurozentrische Sicht der Dinge dem Rest der Welt zu oktroyieren. Doch dann wäre es unsinnig, die Einmaligkeit des Holocausts zu bestreiten. Wenn es keine Universalgeschichte gibt, kann es keine Vergleiche geben, nur eine Folge von Verbrechen und eine Fülle interessengeleiteter „Diskurse“ über diese Verbrechen.

Die in postkolonialen Kreisen verbreitete, „weiche“ Version dieses radikalen Relativismus sieht die Beschäftigung mit dem Holocaust als eine Strategie weißer Dominanz: Indem ein „White-on-white“-Verbrechen als ultimativer Ausdruck des Bösen hingestellt wird, würden die Leiden der „BPoC“, der Menschen anderer Hautfarbe, entwertet. Der Begriff „Zivilisationsbruch“ werde für die Ermordung von Weißen durch Weiße reserviert; wenn Schwarze durch Weiße ermordet werden, sei das kein Zivilisationsbruch.


In das gleiche Horn tutet auch Achille Mbembe indem er Israel mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime gleichsetzt.
Darüber hinaus versucht er den Holocaust zu relativieren, indem er den nalten antisemitischen Hut hervorkramt, den die sowjetische Propaganda bereits vor Jahrzehnten verbreitete.
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conscience
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von conscience »

Und was soll nun diskutiert werden ?


Der deutsche Kolonialismus der Vorkriegszeit, eine gerade mal 30 jährige Epoche, ähnelt den anderen Kolonialismen der europäischen Großmächte, auch in seiner Grausamkeit (s. Belgisch Kongo).

Im Ersten Weltkrieg waren die deutschen Kolonien nutzlos und militärisch nicht zu halten; in Verbindung mit der britischen Hungerblockade entsteht eine neue "koloniale" Utopie.

Die Verbindung von Kolonialismus und Faschismus inklusive gibt’s durchaus.

1.
Italien überfiel 1935 Äthiopien, der einzige nicht koloniale souveräne Staat Afrikas, nach einem der grausamsten mit dem Einsatz von Giftgas geführten Kolonialkriege der Geschichte rief Mussolini das wiedererstehenden römische Imperium.

2.
Der NS Begriff "Lebensraum im Osten" hat durchaus koloniale Facetten: u.a. Die Vorstellung mit minimalen Kräften das Maximale ausbeuten zu können. Die britische Kolonie Indien stand ihnen dabei Parte.

3. Die personalen Kontinuitäten sind eher marginal, siehe beispielsweise Paul von Lettow-Vorbeck

4. Es ist durchaus möglich Faschismus und Nationalsozialimus als einen "Verspäteten Kolonialismus" zu interpretieren, der freilich durch Ereignisse wie der Erster Weltkrieg, Russische Revolution u.a.m. bestimmt wird. In "Mein Kampf" erteilte Adolf Hitler dem Kolonialismus der Vorkriegszeit eine Absage; lediglich um den Blick auf den Osten als neuen kolonialen Raum zu richten.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von X3Q »

[edit Mod.]themenfremder Spam und ad hominem Angriffe haben hier eine sehr kurze Halbwertszeit. Falls du etas zum Thema beitragen willst, darfst du das gerne tun, ansonsten halte dich zurück!
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Platon
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Platon »

Es ist ja schon immer so, dass es eine "Konkurrenz der Leidensgeschichten" gibt zwischen Kolonialismus, Holocaust, Stalinismus in Osteuropa oder - wenn man mal mit Japanern redet - auch die Atombombenabwürfe im zweiten Weltkrieg. Es hat anti-koloniale Theoretiker/Denker/Aktivisten schon immer gestört, dass die koloniale Erfahrung nicht unbedingt von allen und jedem als das alleinige, alles überragende und ultimative Menschheitsverbrechen gesehen wird. Umgekehrt natürlich genau das Gleiche. Es prallen dann hier die moralischen Imperative (nationaler Geschichtsschreibung) aufeinander, aber letztlich führt die Diskussion zu nichts, außer, dass die einen als Antisemiten und die anderen wie hier jetzt als Neo-Kolonialisten beschimpft werden.
Dieser Beitrag ist sehr gut.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

conscience hat geschrieben:(09 Jan 2022, 17:58)

Und was soll nun diskutiert werden ?


Der deutsche Kolonialismus der Vorkriegszeit, eine gerade mal 30 jährige Epoche, ähnelt den anderen Kolonialismen der europäischen Großmächte, auch in seiner Grausamkeit (s. Belgisch Kongo).

Im Ersten Weltkrieg waren die deutschen Kolonien nutzlos und militärisch nicht zu halten; in Verbindung mit der britischen Hungerblockade entsteht eine neue "koloniale" Utopie.

Die Verbindung von Kolonialismus und Faschismus inklusive gibt’s durchaus.

1.
Italien überfiel 1935 Äthiopien, der einzige nicht koloniale souveräne Staat Afrikas, nach einem der grausamsten mit dem Einsatz von Giftgas geführten Kolonialkriege der Geschichte rief Mussolini das wiedererstehenden römische Imperium.

2.
Der NS Begriff "Lebensraum im Osten" hat durchaus koloniale Facetten: u.a. Die Vorstellung mit minimalen Kräften das Maximale ausbeuten zu können. Die britische Kolonie Indien stand ihnen dabei Parte.

3. Die personalen Kontinuitäten sind eher marginal, siehe beispielsweise Paul von Lettow-Vorbeck

4. Es ist durchaus möglich Faschismus und Nationalsozialimus als einen "Verspäteten Kolonialismus" zu interpretieren, der freilich durch Ereignisse wie der Erster Weltkrieg, Russische Revolution u.a.m. bestimmt wird. In "Mein Kampf" erteilte Adolf Hitler dem Kolonialismus der Vorkriegszeit eine Absage; lediglich um den Blick auf den Osten als neuen kolonialen Raum zu richten.
Was diskutiert werden soll, steht im Threadtitel!
Es geht um den Historikerstreit 2.0, um Gemeinsamkeiten mit dem Historikerstreit, der durch Ernst Nolte ausgelöst wurde.
Aus den verlinkten Zitaten dürfte ersichtlich sein, welchen (politischen) Hintergrund dieser Historikerstreit 2.0 hat.

Damit dürfte dir klar sein, dass dein Beitrag weit am Thema vorbei geht, defacto Threadschredderei darstellt.
Ich habe einen eigenen Thread erstellt, statt das Thema im Thred "Geschichtsrevisionismus" zu thematisieren, weil es sehr aktuell ist.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

Dark Angel hat geschrieben:(09 Jan 2022, 15:08)

Erschreckend dabei ist, dass sich am Historikerstreit 2.0 auch jüdische Historiker, wie Dirk A. Moses beteiligen - ...
Ich korrigiere: Der deutsch-australische Historiker Dirk A. Moses ist kein Jude.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

Platon hat geschrieben:(09 Jan 2022, 19:22)

Es ist ja schon immer so, dass es eine "Konkurrenz der Leidensgeschichten" gibt zwischen Kolonialismus, Holocaust, Stalinismus in Osteuropa oder - wenn man mal mit Japanern redet - auch die Atombombenabwürfe im zweiten Weltkrieg. Es hat anti-koloniale Theoretiker/Denker/Aktivisten schon immer gestört, dass die koloniale Erfahrung nicht unbedingt von allen und jedem als das alleinige, alles überragende und ultimative Menschheitsverbrechen gesehen wird. Umgekehrt natürlich genau das Gleiche. Es prallen dann hier die moralischen Imperative (nationaler Geschichtsschreibung) aufeinander, aber letztlich führt die Diskussion zu nichts, außer, dass die einen als Antisemiten und die anderen wie hier jetzt als Neo-Kolonialisten beschimpft werden.
Es geht in diesem Thread nicht um eine Konkurrenz der Leidensgeschichten" gibt zwischen Kolonialismus, Holocaust, ...", sondern um Geschichtsrevisionismus, ausgelöst durch den Historikerstreit 2.0.
Ein Historikerstreit, den linke bzw Linken nahestehende Historiker ausgelöst haben, ein Historikersteit, der von Dirk A. Moses ausgelöst wurde, an dem Wissenschaftler wie Aleida Assmann, Jan Assmann u.a. beteiligt sind.
Es geht um die Gemeinsamkeiten des, durch Ernst Nolte ausgelösten Historikerstreits und des Historikerstreits 2.0 - es geht (um es ganz deutlich zu sagen) um antisemitische und antiisraelische Tendenzen und um die Leugnung der Singularität des Holocaust!

Haltet euch doch bitte an das Thema!
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von schokoschendrezki »

Man muss nur aufpassen, dass man die Ereignisse der Realgeschichte im Auge behält und nicht den Streit um den Streit. Ich kann gar nicht ausdrücken wie mir dieser seit etlichen Jahren überstrapazierte Begriff der "Deutungshoheit" auf den Senkel geht.

Eine ganz andere, für viele Menschen wahrscheinlich/vermutlich ziemlich provokante Sicht auf die Shoah hat der Publizist und Autor Max Czollek aufgeworfen. "Die Wiedergutwerdung der Deutschen". "Das Versöhnungstheater". Die deutsche Erinnerungskultur der Nachkriegszeit sieht er als eine Art Versöhnungstheater. Es gebe reale Menschen jüdischer Herkunft auf der einen Seite und "symbolische Juden" auf der anderen Seite. Deren Funktion es lediglich sei, der deutschen Nation zur "Wiedergutwerdung" zu verhelfen. Und er lässt bei seiner Kritik auch die eigentlich typischen Vertreter dieser Kultur nicht aus: Die ganze Reihe der Bundespräsidenten.

Nachzulesen all dies vor allem in seiner Publikation "Desintegriert Euch" und grad erst kürzlich in einem Beitrag der DLF-Nova-Reihe "Hörsaal": https://www.deutschlandfunknova.de/beit ... ungskultur

Czollek setzt sich darin auch ganz ausführlich mit den Positionen von Aleida Assmann auseinander (die wurde hier grad erwähnt ... deshalb bin ich jetzt auch auf Czollek und seine Position gekommen ... also nicht gleich mich der "Threadshredderei" bezichtigen). Er erkennt das Anliegen von Assmann, nämlich den Nationenbegriff nicht den Rechten zu überlassen, durchaus an ... er hält es jedoch nicht wirklich für möglich. Ein Zivilisationsbruch ist vom Begriff her eben dies und ein "unverkrampftes Verhältnis zur deutschen Nation" ist grundsätzlich nicht wiederherstellbar. Was ja keinesfalls bedeutet, wan müsste sich deshalb von deutscher Sprache, deutscher Kultur abwenden. Wie denn auch. Schon gar nicht wird das ein Autor fordern, für den die deutsche Sprache das eigentliche kreative Vehikel ist.


Es gibt nicht sehr viele Menschen des öffentlichen Lebens (nicht meines Privatlebens), von denen ich sagen würde, dass ich sie wirklich zutiefst bewundere. Aber Czollek mit seiner Konsequenz und Unnachgiebeigkeit gehört dazu. Noch dazu, wenn man bedenkt, dass er in jüngerer Zeit auch von Seiten einiger Menschen jüdischer Herkunft angegriffen wird. Er maße sich seine eigene jüdische Herkunft nur an, weil "nur" sein Vater, nicht aber seine Mutter jüdischer Herkunft ist. Wer solche eher orthodoxen Vorstellungen von Herkunft präferiert, soll es halt tun. Und wer nicht halt nicht. Ganz einfach.
Nein, nicht ganz einfach! Es geht eben nicht um irgendwelche Privatpräferenzen irgendwelcher Leute bzw irgendwelcher Vorstellungen zur Herkunft, sondern um Definitionen.
Die Juden selbst bestimmen wer Jude ist und wer nicht. Seit es Juden - als Religion UND als Volk - gibt, definieren sie ihre Herkunft über die Mutter, NICHT den Vater und das ist heute noch so.
Nimm das gefälligst zu Kenntnis!
Wenn Juden jemandem seine jüdische Herkunft absprechen, weil nur sein Vater Jude war, nicht aber seine Mutter, dann ist der Betreffende KEIN Jude. Ist das angekommen?


Nein! Ist es überhaupt nicht! Die Sichtweise der Herkunftsweise nur über die Mutter oder auch über Mutter und Vater ist genau einer der Unterschiede zwischen orthodoxen und einem bedeutsamen Teil nichtorthodoxer Juden. Irgendwann in den 90ern ist der - vielleicht nicht sehr schön klingende Begriff "Vaterjude" aufgetaucht. Aber schon an dieser Begriffsbildung erkennt man: "Vaterjuden" gleich Teilmenge von Juden. Das ist unter anderem die Sicht der liberalen und nicht-orthodoxen Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands. Informiere dich bitte etwas genauer. Du kannst diese Bemerkungen gerne auch in rot oder gelb schreiben. Sie werden dadurch nicht richtiger.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mittwoch 9. Februar 2022, 09:23, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von schokoschendrezki »

Es ist gar nicht so lange her, dass ich von einem geschichtsstudierten Menschen gewissermaßen als summarische Zusammenfassung der Beschäftigung mit Geschichte die Ansicht hörte, Geschichte sei einfach de facto kein Gegenstand für Wissenschaft. Auch wenn es natürlich Ausgrabungen, Faktenmaterial und alles mögliche gibt. Am Ende haben wir es immer mit "Deutungen" zu tun. Oder krasser ausgedrückt: Für Historiker, Geschichtswissenschaftler ist die Historie vor allem "ein Steinbruch für Wurfgeschosse, mit denen sie ihre Gegenwartsinteressen verteidigen." Es wird auch noch einen Historikerstreit 7.6 geben. Vor allem dann, wenn es endgültig keine Holocaustüberlebenden mehr gibt.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von aleph »

Dark Angel hat geschrieben:(10 Jan 2022, 11:33)

Ein Historikerstreit, den linke bzw Linken nahestehende Historiker ausgelöst haben, ein Historikersteit, der von Dirk A. Moses ausgelöst wurde, an dem Wissenschaftler wie Aleida Assmann, Jan Assmann u.a. beteiligt sind.
Es geht um die Gemeinsamkeiten des, durch Ernst Nolte ausgelösten Historikerstreits und des Historikerstreits 2.0
Nolte ist aber eher rechts. Warum die Hervorhebung? Es ist für den Sachverhalt irrelevant, ob er links oder rechts ist.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von schokoschendrezki »

Ich finde ja bereits diese Bezeichnung "Historikerstreit" irgendwie befremdlich bzw. eben bezeichnend. Da steht nicht ein historisches Ereignis im Mittelpunkt sondern die Historiker. Wissenschaftliche Streritfragen werden nach meinem Eindruck sonst eher nach dem Gegenstand des Streits benannt.

Der Historikerstreit 1.0 hat nix gebracht und der 2.0 wird auch nix bringen.

Wie beginnt eine Zusammenfassung von 1.0?
Der Historikerstreit (auch: Historikerdebatte, Historikerkontroverse oder Habermas-Kontroverse) von 1986/87 war eine zeitgeschichtliche Debatte in der Bundesrepublik Deutschland um die Singularität des Holocaust und die Frage, welche Rolle dieser für ein identitätsstiftendes Geschichtsbild Deutschlands spielen soll.
https://de.wikipedia.org/wiki/Historikerstreit
Geht das nicht ziemlich genau in die Richtung, die Czollek kritisiert? Die Erinnerungskultur dient vor allem der "Wiedergutwerdung der Deutschen". Es werden "symbolische Juden" konstruiert, die der Aufrichtung der deutschen Nation dienen sollen. Der erste Reflex, den ich da auch bei 2.0 habe, ist: Man soll sich mit den Ereignissen der Realgeschichte so wie auch der Realgegenwart (z.B. dem wachsenden Antiosemitismus) und nicht mit "Deutungen" befassen.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von schokoschendrezki »

Platon hat geschrieben:(09 Jan 2022, 19:22)

Es ist ja schon immer so, dass es eine "Konkurrenz der Leidensgeschichten" gibt zwischen Kolonialismus, Holocaust, Stalinismus in Osteuropa oder - wenn man mal mit Japanern redet - auch die Atombombenabwürfe im zweiten Weltkrieg. Es hat anti-koloniale Theoretiker/Denker/Aktivisten schon immer gestört, dass die koloniale Erfahrung nicht unbedingt von allen und jedem als das alleinige, alles überragende und ultimative Menschheitsverbrechen gesehen wird. Umgekehrt natürlich genau das Gleiche. Es prallen dann hier die moralischen Imperative (nationaler Geschichtsschreibung) aufeinander, aber letztlich führt die Diskussion zu nichts, außer, dass die einen als Antisemiten und die anderen wie hier jetzt als Neo-Kolonialisten beschimpft werden.
Die Singularität der Shoah ergibt sich nach meinem Verständnis gar nicht aus einer so oder anders gearteten "Deutung" sondern aus verschiedenen Tatsachen und Ereignissen der realen Geschichte. Die Historikerstreite sind dafür eigentlich irrelevant.

Und bei den Tatsachen handelt es sich nicht allein um nackte Zahlen. Juden waren während der NS-Zeit nicht allein wegen irgendeines vermeintlichen oder tatsächlichen Tuns oder Denkens oder allein wegen ihres Glaubens verfolgt, sondern bereits deswegen, weil sie Juden waren. Das lässt sich doch durch verschiedene Indizien objektiv belegen. Zum Beispiel (aber natürlich nur als Beispiel): Der nachweisbare Einsatz für das deutsche Vaterland im Ersten WK nützte einem Juden nix. Er wurde dennoch verfolgt. Sowohl der transatlantische Sklavenhandel wie auch der Kolonialbetrieb hatten - zumindest in erster Linie - ökonomische Hintergründe. Bedeutet ja nicht, dass es dabei auch nur in irgendeiner Hinsicht human zuging.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

aleph hat geschrieben:(09 Feb 2022, 08:34)

Nolte ist aber eher rechts. Warum die Hervorhebung? Es ist für den Sachverhalt irrelevant, ob er links oder rechts ist.
Richtig, Nolte hat sich zunehmend eine eher rechts zu verortende Sicht auf die Geschichte - insbesondere dir Verbrechen des NS-Regimes und der der Wehrmacht - zu eigen gemacht, was 1986 zum Historikerstreit führte.
Damals kam die Kritik an der Relativierung des Holocaust/der Shoa (mit antisemitischen Tendenzen) eher von liberalen bis linken/Linken nahestehenden Historikern.
Heute erfolgt die Relativierung des Holoaust/der Shoa von denjenigen, die genau diese Relativierung (1986) kritisiert haben.
1986 ging es darum, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, den Holocaust als Mahnung an zukünftige Generationen zu betrachten und Antisemitismus keinen Raum zu bieten.
Heute wird der Holocaust/die Shoa von genau denjenigen - unter dem Vorwand Rassismus bekämpfen zu wollen bzw sich gegen Rassismus zu wenden - relativiert, wird sich genau der Mittel bedient, die man 1986 noch verurteilt hat und es wird nicht einmal davor zurück geschreckt, sich dabei auch antisemitischer Propaganda zu bedienen - wie der jüngste Bericht von Amnesty International verdeutlicht.
Deshalb die Hervorhebung!
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von aleph »

Ok, danke für die klarstellung.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(09 Feb 2022, 10:20)

Die Singularität der Shoah ergibt sich nach meinem Verständnis gar nicht aus einer so oder anders gearteten "Deutung" sondern aus verschiedenen Tatsachen und Ereignissen der realen Geschichte. Die Historikerstreite sind dafür eigentlich irrelevant.
Auseinandersetzung mit Geschichte bzw Aufarbeitung geschichtlicher Ereignisse ist immer eine Deutung bzw das Ergebnis von Interpretationen - wie sich Kausalketten aufbauen etc pp.
"Reale Geschichte" ist eben nicht nur eine Aneinanderreihung von Tatsachen und Ereignissen, sondern auch die Analyse von Ursachen und Wirkungen, vom Einfluss bestimmter Ideologien auf diese Ereignisse. "Reale Geschichte" passiert nicht mal eben im "luftleeren" Raum, ohne dass die Ereignisse in Kausalität und Korrelation zueinander stehen.
Und genau deshalb sind Historikerstreite nicht irrelevant, v.a. dann nicht, wenn die Interpretation/die Sicht auf Geschichte zur Relativierung von Ereignissen und damit zum Geschichtsrevisionismus führen.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von schokoschendrezki »

"Deutung" klingt bei mir - anders als "Analyse" - immer ein wenig nach Astrologie. Und "Historikerstreit" nach einer Diskussion in einem Zunfthaus, wo die Vertreter der Historikerzunft ihre Meinungsverschiedenheiten austragen. Es wurde schon zum Historikerstreit 1.0 die Frage gestellt, ob der irgendwas an Erkenntnissen gebracht hat. Und ich glaube, nicht selten lautete die Antwort: Nein.
"Tatsächlich blieb ein Erkenntnisgewinn über die Funktionsweise des nationalsozialistischen Terrors aus. Dies lieferten erst spätere Forschungen. Beide Seiten stritten um die Deutungshoheit einer deutschen Identität nach dem Nationalsozialismus." (nur als ein Beispiel von vielen, https://www.zukunft-braucht-erinnerung. ... kerstreit/)

Der Begriff "Deutungshoheit" macht rein kommunikationslogisch nur Sinn, wenn es einen gemeinschaftlichen Diskussionsraum mit verbundenen Teilnehmern gibt, die sich auf ein Minimum an Begriffsverständnis geeinigt haben. Nur dann kann irgendjemand eine "Deutungshoheit" erlangen. Es muss über den Gartenzaun, im Vereinshaus und in der Gaststätte regelmäßig über ein Thema geplaudert werden. Oder es muss eine irgendwie gemeinschaftlich betriebene "Öffentlichkeit" im Rahmen des ganzen Landes geben,

Wir leben aber in einer Zeit mehr und mehr getrennter und z.T. schon disjunkter Sozialmillieus und vor allem getrennter Mediengewohnheiten. Für die, die in irgendeiner Facebook-Gruppe über die Shoah diskutieren besteht die "Deutungshoheit" in einer möglichst hohen Zahl von Followern oder Likes. Ich weiß davon garnix, weil ich da nicht mitmache. Für mich ist entscheidend, dass es öffentlich zugängliche Informationsquellen gibt (Archive, Bibliotheken, Mediatheken zum Beispiel) Und dass prinzipiell Meinungsfreiheit herrscht. Ich also meine Ansichten zum Thema Shoa ungehindert (oder gehindert nur durch rechtstsaatliche Prinzipien) frei äußern kann. Wo auch immer. Ich weiß gar nicht, was das ist: "Deutungshoheit".
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von conscience »

aleph hat geschrieben:(09 Feb 2022, 08:34)

Nolte ist aber eher rechts. Warum die Hervorhebung? Es ist für den Sachverhalt irrelevant, ob er links oder rechts ist.
Nolte ist ein Liberaler, meint beispielsweise Armin Mohler
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von aleph »

conscience hat geschrieben:(09 Feb 2022, 15:15)

Nolte ist ein Liberaler, meint beispielsweise Armin Mohler
Danke für die Bestätigung. :thumbup: ;)
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von conscience »

aleph hat geschrieben:(09 Feb 2022, 15:18)

Danke für die Bestätigung. :thumbup: ;)
Ich hoffe, Du kannst mit Armin Mohler was anfangen :D
Brodkorb: […] Nolte wird vom, wie Sie es nennen, „ultrarechten Spektrum“ immer wieder massiv kritisiert. Von Mohler wird er zum Beispiel ausdrücklich wegen seiner Verteidigung der Singularität angegriffen: „Aber Nolte – das ist ja das Schlimmste – zementiert geradezu die These von der ‚Singularität’ der deutschen Verbrechen. Er findet sogar eine neue Kategorie des Verbrechens, das transzendentale Verbrechen, das nur die Deutschen begangen haben. Er ist ein Liberaler, er ist gar nicht so weit entfernt von Habermas. Nur: Die Leute lesen das nicht, nehmen das nicht zur Kenntnis.”
Die Zeit vom 15.06.2011 klick
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(09 Feb 2022, 11:26)

"Deutung" klingt bei mir - anders als "Analyse" - immer ein wenig nach Astrologie.
Auweia, was für ein verschwurbelter Unsinn!
Während der Begriff Deutung einen Erkenntnisprozess zur Ermittlung einer (möglichen/wahrscheinlichen) Bedeutung beschreibt, handelt es sich bei einer Analyse um die systematische Untersuchung von Objekten und/oder Sachverhalten - also um zwei völlig unterschiedliche Dingen.
Und Nein, Deutung hat nichts, aber auch gar nichts mit Astrologie zu tun. Gedeutet werden u.a. die weltweit verbreiteten Geoglyphen oder die astronomische Ausrichtung der Zeremonialzentren der Maya-Städte oder die Ritzzeichnungen an europäischen Megalithbauten etc, deren Bedeutung zu ermitteln, Deutungen finden in der Meteorologie statt, um die Bedeutung des Auftretens bestimmter Wetterphänomene für die Wetterentwicklung zu ermitteln.
schokoschendrezki hat geschrieben:(09 Feb 2022, 11:26) Und "Historikerstreit" nach einer Diskussion in einem Zunfthaus, wo die Vertreter der Historikerzunft ihre Meinungsverschiedenheiten austragen. ...
Wie so oft keine Ahnung - beim Historikerstreit um Noltes Sichtweise ging es mitnichten (nur) um Meinungserschiedenheiten unter Historikern, sondern um geschichtsrevisionistische, geschichtsverfälschende Sichtweisen sowie um die Relativierung von Verbrechen - insesondere um die Relativierung des Holocaust.
Es ging damals wie heute - beim Historikerstreit 2.0 - um Relativierung von Verbrechen, um die Leugnung der Einzigartigkeit der Shoa.
schokoschendrezki hat geschrieben:(09 Feb 2022, 11:26)Der Begriff "Deutungshoheit" macht rein kommunikationslogisch nur Sinn, wenn es einen gemeinschaftlichen Diskussionsraum mit verbundenen Teilnehmern gibt, die sich auf ein Minimum an Begriffsverständnis geeinigt haben.
Nein beim Begriff Deutungshoheit geht es darum, dass eine Gruppe, eine Minderheit (von Menschen) das alleinige Recht für sich beansprucht eine moralische Wertung vornehmen zu dürfen und diese moralische Wertung die einzig richtige und allgemein gültige ist.
schokoschendrezki hat geschrieben:(09 Feb 2022, 11:26)Ich weiß gar nicht, was das ist: "Deutungshoheit".
Und das glaube ich dir auf's Wort. Wer nicht weiß was eine Deutung ist, kann schließlich auch nicht wissen, was Deutungshoheit ist. gelle
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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conscience
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von conscience »

Timothy Snyder und die Frage war der Holocaust einzigartig:
Man kann die Einzigartigkeit des Holocaust schon rein logisch nicht argumentieren. Entweder ist sie banal: Denn alle historischen Ereignisse sind einzigartig, auch unser Gespräch. Oder sie ist eine Art Einschüchterung: Wenn ich Ihnen sage, der Holocaust sei unvergleichbar, heißt das nur, dass ich den Vergleich bereits gezogen habe und Sie das nicht tun dürfen. Denn wie wissen wir, dass etwas unvergleichbar ist, bevor das jemand getan hat?
https://sciencev2.orf.at/stories/1764002/index.html

Beispiellos
Ich bevorzuge den Begriff "beispiellos" (unprecedented), denn es gab niemals zuvor den Versuch, die Mitglieder einer großen Gruppe komplett zu ermorden. Der Holocaust ist auch analytisch beispiellos. Es gibt zwei Schulen, die Massenmorde erklären. Die sozialwissenschaftliche sagt: "Staaten brechen zusammen, Grenzen verschieben sich, Bürgerkriege finden statt und dann geschehen Genozide." Die historische sagt: "Ein-Partei-Staaten wie Kambodscha, die Volksrepublik China oder die Sowjetunion töten ihre eigenen Bürger." Quelle: ebenda

Fazit
Auch aus Sicht eines Osteuropahistorikers ist die These von der Unvergleichbarkeit nicht sehr sinnvoll. Denn auf dem Gebiet, wo die meisten europäischen Juden gelebt haben, also Polen, Sowjetunion, Ungarn, Weißrussland, haben sie beide Erfahrungen gemacht: von Nazi-Deutschland und von der Sowjetunion. Wenn man jüdische Quellen liest, merkt man, dass sie andauernd Vergleiche angestellt haben. Nicht nur nach dem Krieg, sondern schon währenddessen. Der Grund ist ganz einfach: Sie wollten wissen, was sie tun sollen, wohin sie flüchten sollen, wo ihnen am ehesten geholfen wird. Quelle: ebenda
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Jester »

conscience hat geschrieben:(09 Feb 2022, 21:30)

Timothy Snyder und die Frage war der Holocaust einzigartig:
Man kann die Einzigartigkeit des Holocaust schon rein logisch nicht argumentieren. Entweder ist sie banal: Denn alle historischen Ereignisse sind einzigartig, auch unser Gespräch. Oder sie ist eine Art Einschüchterung: Wenn ich Ihnen sage, der Holocaust sei unvergleichbar, heißt das nur, dass ich den Vergleich bereits gezogen habe und Sie das nicht tun dürfen. Denn wie wissen wir, dass etwas unvergleichbar ist, bevor das jemand getan hat?
https://sciencev2.orf.at/stories/1764002/index.html

Beispiellos
Ich bevorzuge den Begriff "beispiellos" (unprecedented), denn es gab niemals zuvor den Versuch, die Mitglieder einer großen Gruppe komplett zu ermorden. Der Holocaust ist auch analytisch beispiellos. Es gibt zwei Schulen, die Massenmorde erklären. Die sozialwissenschaftliche sagt: "Staaten brechen zusammen, Grenzen verschieben sich, Bürgerkriege finden statt und dann geschehen Genozide." Die historische sagt: "Ein-Partei-Staaten wie Kambodscha, die Volksrepublik China oder die Sowjetunion töten ihre eigenen Bürger." Quelle: ebenda

Fazit
Auch aus Sicht eines Osteuropahistorikers ist die These von der Unvergleichbarkeit nicht sehr sinnvoll. Denn auf dem Gebiet, wo die meisten europäischen Juden gelebt haben, also Polen, Sowjetunion, Ungarn, Weißrussland, haben sie beide Erfahrungen gemacht: von Nazi-Deutschland und von der Sowjetunion. Wenn man jüdische Quellen liest, merkt man, dass sie andauernd Vergleiche angestellt haben. Nicht nur nach dem Krieg, sondern schon währenddessen. Der Grund ist ganz einfach: Sie wollten wissen, was sie tun sollen, wohin sie flüchten sollen, wo ihnen am ehesten geholfen wird. Quelle: ebenda
Eine elegant argumentierte und sehr erhellende Einsicht. Gerade der erste Absatz. Geschichte muss eben auch gedacht und philosophisch analysiert werden.
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conscience
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von conscience »

Sie sollten unbedingt achtsam sein mit Kommentaren mit diesen Schlussfolgerungen, denn Timothy Snyder hat mit Leuten wie Nolte wenig zu tun. Es besteht ausschließlich die Chance, das Geschehene zu akzeptieren und eben nicht die Shoa in philosophische Luftbuchungen, bei Ernst Nolte sind das Phänomene, zu verwandeln.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Tom Bombadil »

Es ist halt auch ein Unterschied, wenn sich seriöse Historiker kontrovers über das Thema austauschen oder wenn irgendwelche Leute mit "Judenfimmel" das tun, wobei auch ein Historiker nicht vor Relativierung dieses Massenmordes gefeit ist.

Dass jüdische Betroffene in der Zeit Vergleiche angestellt haben ist auch wenig verwunderlich, ich vermute, sie werden damit versucht haben, Hoffnung zu schöpfen, dass es wohl nicht so schlimm werden würde, leider haben sie sich getäuscht und es wurde noch schlimmer als der schlimmste Alptraum.

Mir stellt sich auch immer die Frage der Intention, warum da jemand am Holocaust herumfummelt. Bei seriösen Forschern ist die Antwort klar, bei Normalsterblichen oft nicht.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Palasta »




Beispiellos
Ich bevorzuge den Begriff "beispiellos" (unprecedented), denn es gab niemals zuvor den Versuch, die Mitglieder einer großen Gruppe komplett zu ermorden. Der Holocaust ist auch analytisch beispiellos. Es gibt zwei Schulen, die Massenmorde erklären. Die sozialwissenschaftliche sagt: "Staaten brechen zusammen, Grenzen verschieben sich, Bürgerkriege finden statt und dann geschehen Genozide." Die historische sagt: "Ein-Partei-Staaten wie Kambodscha, die Volksrepublik China oder die Sowjetunion töten ihre eigenen Bürger." Quelle: ebenda
Mir fehlt das Rationale in diesen... Analysen. Beispiellos war der Holocaust doch schon vom Blickpunkt der Machbarkeit her.

Der Genozid in Ruanda war Beispiellos. Ein Völkermord, der schneller vollzogen wurde, als der Holocaust. Kein gegeneinander aufwiegen und verharmlosen, nur ein Hinweis warum Intention alleine nicht ausreichend ist. Die Mongolen waren Beispiellos, nicht einzig weil Genghis den Willen hatte. Es war mit den vorhandenen Mitteln machbar, Jahrhunderte lang andere Völker beispiellosem Terror auszusetzen. Die Hutu waren im Stande schneller zu morden, als die Nazis, weil es möglich war, landesweit den Willen zu kommunizieren, zu organisieren, synchronisiert Vorbereitungen zu treffen und loszuschlagen. 200 Jahre früher wäre das undenkbar gewesen, weil nicht zu realisieren und damit unversucht, auch wenn ausreichend Willenskraft verfügbar gewesen wäre.

Fazit: Selbstverständlich war der Holocaust "Beispiellos". Wann zuvor in der Menschheitsgeschichte gab es die Voraussetzungen, eine Tötungsrate von dieser Qualität und Quantität zu erreichen?
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Teeernte »

Palasta hat geschrieben:(10 Feb 2022, 09:14)

Mir fehlt das Rationale in diesen... Analysen. Beispiellos war der Holocaust doch schon vom Blickpunkt der Machbarkeit her.
Man kann sich beispielslos mit dem Hammer auf den Finger hauen...so schlimm hat man sich noch NIE auf den Finger gehauen !!

>> Persönliche Erfahrung. Betroffenheit..(Schmerz)

Es gibt (regionale) Kriminalfälle , die als Beispielslos beschrieben werden.

Regionale Erfahrung (Betroffenheit) der Einwohner. (Schmerz der Angehörigen)

Es gibt überörtliche "Ereignisse" mit vielen Betroffenen...
Die meisten Toten bei Passagierschiffsversenkungen, die grössten ....Chemiefirmenunfälle, Flächenbombardierungen (>> Dersden - wo man immernoch um die "MENGE" streitet)...Stalin - Tote...Rote Khmer. Völkermorde... Bis hin zum "Bodycount" - dem Tote zählen/aufrechnen...in Relation setzen.

Einzeln abgegrenzte (Regional, Betroffene, Anzahl,....aber auch Brutalität, Art...Schmerz der Angehörigen)... beispiellose Fälle.

-------------------------------------

Worum es KEINEN Streit geben sollte - die WISSENSCHAFTLICHE .... INDUSTRIEALISIERUNG ....Aufbietung grosser Ressourcen - programmatischen Ausrottung der Juden.

vom Programm - (1919 - „Entfernung der Juden überhaupt“ )
vorab -"Wissenschaftliche" Beründung..Forschung - "Genetik".
Ja es ging nicht mal um Religion - sondern ABSTAMMUNG.
Stammbaumerfassung,
Propaganda - Überzeugung der Heimatrfont..verächtlich machen der Bevölkerungsgruppe..
"Nichtmenschen" "Erklärung" - Propaganda//Filme.
allumfassende Selektierungsbefehle in allen Bereichen -
ausgeklügelte Transport, Lager, tötungs und Vernichtungsmaschinerie.

Diese ALLUMFASSENDE Ausrottung - von der Idee über Planung, Durchführung, wissenschaftliche Verbrämung, - Einbeziehung der Vernichtung einer Bevölkerungsgruppe als Ideologie - INDUSTRIEALISIERUNG des Todes - in Zusammenfassung

- OHNE "Kriegsteilnehmer"/Kombattantenstatus - "Inhaber" (für die Völkerrechtler)....ohne GEGENER zu sein - ist - weltweit - diese UNVERGLEICHLICHE Beispiellosigkeit.

Wenn ein Wissenschaftler versucht seine "Erkenntnisse" auf Kosten der Toten aufzuwerten ... ist das eine RIESENSAUEREI ++ - über die es nicht diskutiert werden muss.

Nachvollziehbar - ist ein versuchter Vergleich bei den Betroffenen - deren Schmerz immer - persönlich - unvergleichlich ist. (Traurig hinzunehmen.... aber nicht diskutierbar.)

Ich mag nun nicht über die einzelnen hier aufgeführten "Diskussions-RELATIVIERUNGS-Beispiele" eingehen.

FAZIT - aus WELCHER "Historiker" SICHT auch immer ->>> bei den "VERGLEICHEN" fehlt der Bezug auf die GESAMTHEIT der >>Judenausrottung<< !! (Von den BetroffenenOpferangehörigen Shoa beschrieben - was aber - den jahrelangen Schmerz, die Qualen..Hunger.. Todeskamp >> mit beinhaltet - der von Wissenschaft - Meinermeinung nicht erfasst werden kann.)

Ideologie-Programmatik-(NICHTGEGNERSCHAFT der Juden//..ungefährlichkeit der Bevölkerungsgruppe//..."grundlose" //von "keinem" beeinflussbare Selektion.... bis zur Industriell geplanten Vernichtung.

DAS macht die Einzigartigkeit aus - >> Wer auch immer mitdiskutiert - einige "Unvergleichliche" Merkmale fehlen IMMER !

>>- was das "BEISPIELLOSE//Unvergleichliche" ausmacht.

Hier möchte ich aber auch nicht weiterdiskutieren - ich hab NUR meine NICHT-Historiker-Ansicht mitgeteilt.

"Historiker" ->> Streit ? >> unwissende Platterdler Narzisten/sensationslüstenden Selbstdarsteller/Mietschreiber die sich am Holocaust "messen" (relativieren..herabwürdigen...in Vergleich setzen, Geld erschleichen) wollen.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(09 Feb 2022, 18:23)

Auweia, was für ein verschwurbelter Unsinn!
Während der Begriff Deutung einen Erkenntnisprozess zur Ermittlung einer (möglichen/wahrscheinlichen) Bedeutung beschreibt, handelt es sich bei einer Analyse um die systematische Untersuchung von Objekten und/oder Sachverhalten - also um zwei völlig unterschiedliche Dingen.
Und Nein, Deutung hat nichts, aber auch gar nichts mit Astrologie zu tun. Gedeutet werden u.a. die weltweit verbreiteten Geoglyphen oder die astronomische Ausrichtung der Zeremonialzentren der Maya-Städte oder die Ritzzeichnungen an europäischen Megalithbauten etc, deren Bedeutung zu ermitteln, Deutungen finden in der Meteorologie statt, um die Bedeutung des Auftretens bestimmter Wetterphänomene für die Wetterentwicklung zu ermitteln.
Ich spare mir polemische und persönlich diffamierende Entgegnungen und sage einfach: Es geht schlicht am Kern der Sache vorbei, was du schreibst. "Deutung" umfasst sowohl das Erkennen wie auch das Konstruieren einer Bedeutung. Selbstbverständlich gehört Sternendeuterei in diesen Bereich. Ebenso wie Handlesen. Natürlich nicht ausschließlich. In der Meteorologie wird gedeutet? Glaubst du das wirklich? Ganz im Ernst? Und auch die Erschließung der Bedeutung religiöser Bauten oder von Kultgegenständen zum Beispiel ergibt sich wesentlich genauer, wenn man versucht, die soziale Wirklichkeit und die Macht- und Interessensverhältnisse der Zeit zu rekonstruieren.

Wenn ich nicht wirklich weiß, was Sache ist, dann habe ich bestimmt auch schon etlichemale sinngemäß etwas in dieser Art geschrieben: Das Treffen dieses mit jenem Politiker deutet darauf hin, dass da eine Annäherung der betreffenden Staaten läuft. Im Grunde genommen heißt das: Man hat keine Ahnung und will trotzdem seinen Sermon abgeben. Wolken deuten darauf hin, dass es Regen geben könnte.
Wie so oft keine Ahnung - beim Historikerstreit um Noltes Sichtweise ging es mitnichten (nur) um Meinungserschiedenheiten unter Historikern, sondern um geschichtsrevisionistische, geschichtsverfälschende Sichtweisen sowie um die Relativierung von Verbrechen - insesondere um die Relativierung des Holocaust.
Es ging damals wie heute - beim Historikerstreit 2.0 - um Relativierung von Verbrechen, um die Leugnung der Einzigartigkeit der Shoa.
Alle mir bekannten Rückblicke auf den Historikerstreit 1.0 sehen die Fragen der Relativierung und die Leugnung der Einzigartigkeit der Shoa als Anlass für den eigentlichen Kern: Das Suchen nach einer nationalen Identität der Deutschen. Das was Max Czollek das "Versöhnungstheater" und die "Wiedergutwerdung der Deutschen" nennt. Ich spare mir jetzt eine entsprechende Zitatensammlung. Und dass dieser Historikerstreit letztendlich keinerlei Erkenntnisse gebracht hat. Das ist ganz wesentlich.
Nein beim Begriff Deutungshoheit geht es darum, dass eine Gruppe, eine Minderheit (von Menschen) das alleinige Recht für sich beansprucht eine moralische Wertung vornehmen zu dürfen und diese moralische Wertung die einzig richtige und allgemein gültige ist.
Ich kann damit nix anfangen. Schon während meines Studiums galt das Prinzip als heilig, dass Aussagen, Beweise, Erkenntnisse nicht durch Autorität anerkannt werden sondern nur durch Vorbringung von Fakten, Messwerten zum Beispiel, belegten Statistiken sowie durch logisch konsistente Schlüssigkeit. Das haben die M/L-Dozenten natürlich nicht verstanden. Es spielt einfach keine Rolle, dass und ob jemand "das Recht für sich beansprucht eine moralische Wertung vornehmen zu dürfen" ... Kann ja jeder machen. Ist ja nicht verboten. Aber ich meine: Warum soll man das ernst nehmen? Warum soll das relevant sein? Warum um alles in der Welt soll ich denn überhaupt jemandem zuhören, der ein solches Recht für sich in Anspruch nimmt?

Der einzige Grund wäre der, dass die Gesellschaft mehr oder weniger homogen ist. Dass es eine "Öffentlichkeit" gibt, die auch Relevanz hat. Dass die große Mehrheit der Gesellschaft immer wieder das gleiche Forum aufsucht. Und dass es dort "Bestimmer" (und "Bestimmerinnen") gibt, denen die Möglichkeit offensteht, zu bestimmen, wos langgeht. Dass eine große Mehrheit allabendlich die Tagesschau sieht oder meinetwegen die Aktuelle Kamera. Das ist aber nicht der Fall. Nur wer an BestimmerInnen glaubt, der hat auch irgendwie etwas mit "Deutungshoheiten" am Hut.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Freitag 11. Februar 2022, 21:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von schokoschendrezki »

Palasta hat geschrieben:(10 Feb 2022, 09:14)

Mir fehlt das Rationale in diesen... Analysen. Beispiellos war der Holocaust doch schon vom Blickpunkt der Machbarkeit her.

Der Genozid in Ruanda war Beispiellos. Ein Völkermord, der schneller vollzogen wurde, als der Holocaust. Kein gegeneinander aufwiegen und verharmlosen, nur ein Hinweis warum Intention alleine nicht ausreichend ist. Die Mongolen waren Beispiellos, nicht einzig weil Genghis den Willen hatte. Es war mit den vorhandenen Mitteln machbar, Jahrhunderte lang andere Völker beispiellosem Terror auszusetzen. Die Hutu waren im Stande schneller zu morden, als die Nazis, weil es möglich war, landesweit den Willen zu kommunizieren, zu organisieren, synchronisiert Vorbereitungen zu treffen und loszuschlagen. 200 Jahre früher wäre das undenkbar gewesen, weil nicht zu realisieren und damit unversucht, auch wenn ausreichend Willenskraft verfügbar gewesen wäre.

Fazit: Selbstverständlich war der Holocaust "Beispiellos". Wann zuvor in der Menschheitsgeschichte gab es die Voraussetzungen, eine Tötungsrate von dieser Qualität und Quantität zu erreichen?
Es gibt vermutlich nicht nur den einen Aspekt. Der unglaublichen perfektionistischen Bürokratie, Logistik, Technologie der Verfolgung und Vernichtung von Menschen jüdischer Herkunft während der NS-Zeit steht das am Ende und letztendliche Fehlen eines rationalen ökonomischen Kalküls gegenüber. Auch noch, als jedem klar war, dass der Krieg verloren war, gab es Abtransporte. Natürlich gab es Enteignungen und Firmenübernahmen und dann den Raub jedweden Eigentums. Wäre es aber einfach um materialistische Bereicherung gegangen ... da hätten zumindest einige der NS-Führer sich effektivere Methoden ausdenken können.

Das Problem besteht vielleicht darin, dass das Kolonialsystem oder der transatlantische Sklavenhandel trotz des primären ökonomischen Interesses im Konkreten grausam und inhuman war. Aber man hätte - das vermute ich einfach mal bzw. setze es als mehr oder weniger selbstverständlich voraus, ohne es wirklich zu wissen - auch jedes andere Volk der Erde auf den Zuckerrohrplantagen arbeiten lassen. Wenn es denn einen ökonomisch größeren Nutzen gebracht hätte. Wenn ichs richtig verstanden habe, fuhren die Sklavenschiffe nicht leer sondern mit Produkten wieder über den Atlantik zurück.

Mindestens ebenso aber schockiert diese Reduktion auf das, was die Nazis mit den Begriffen Rasse und Blut verbanden. Dabei war es den Nazis ziemlich gleichgültig, ob jemand, den sie als "jüdisch" einsortierten, jüdischen Glaubens war oder nicht oder ob er oder sie lediglich über die Vaterlinie jüdischer Herkunft war. Oder ob er liberal, nichtgläubig oder sogar deutsch-vaterländsich war. Es nützte ihnen nix.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2022, 20:57)
Ich spare mir polemische und persönlich diffamierende Entgegnungen und sage einfach: Es geht schlicht am Kern der Sache vorbei, was du schreibst. "Deutung" umfasst sowohl das Erkennen wie auch das Konstruieren einer Bedeutung. Selbstbverständlich gehört Sternendeuterei in diesen Bereich. Ebenso wie Handlesen.
Ich habe nicht bestritten, dass in Pseudowissenschaften und in Bereichen der Esoterik reine Deutung betrieben wird, sondern darauf hingewiesen, dass Deutung als Prozess der Erkenntnisgewinnung auch (bzw sehr oft) in den Wissenschaften Anwendung findet - nämlich zur Ermittlung einer Bedeutung!
schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2022, 20:57) In der Meteorologie wird gedeutet? Glaubst du das wirklich? Ganz im Ernst?
Das glaube ich nicht nur, sondern weiß es!
Ich habe geschrieben:

"Deutungen finden in der Meteorologie statt, um die Bedeutung des Auftretens bestimmter Wetterphänomene für die Wetterentwicklung zu ermitteln."
Wetterphänome, welche gedeutet werden, um deren Bedeutung für die Wetterentwicklung/das Wettergeschehen in einem bestimmten Zeitraum zu entwickeln sind u.a. rotierende Gewitterzellen innerhalb einer geschlossenen Wolkendecke - v.a. dann wenn sie beginnen, einen Trichter zu bilden, Wetterphänome sind Überentwicklung von Kumuluswolken zu Kumulus-Nimbus-Wolken bzw einelner Kumuluswolken.
Insbesondere Segelflieger müssen derartige Wetterphänomene deuten können, weil ihr Leben davon abhängen kann.
Gerade beim Streckensegelflug müssen immer wieder thermische "Aufwindgebiete" genutzt werden, um Höhe zu gewinnen und dabei ist es wichtig, Wolken anzufliegen, die sich sichtbar vergrößern (quellen).
Anhand der Geschwindigkeit, mit der sie das tun, lässt sich erkennen, mit welcher Geschwindigkeit (m/s) die warme Luft aufsteigt und ob diese Wolke zu einer Überenticklung neigt. Ebenso zeigt diese Geschwindigkeit an, ob der Quellvorgang in unmittelbarer Zukunft (wenige Stunden) zum Stillstand kommt (die Wolke durch Abtrocknung der Atmosphäre wieder zerfällt) oder ob sich eine geschlossene Wolkendecke mit eingelagerten Gewitterzellen bildet.
Das sind Beispiele aus der Meteorologie, bei denen man auf der Grundlage von Beobachtungen auf Deutungen angewiesen ist. Und selbst bei Vorhandensein von Dopplerradar ist man auf die Deutung der angezeigten Wetterphänomene angewiesen. Auf Grundlage solcher Deutungen müssen unmittelbar Entscheidungen getroffen werden.
schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2022, 20:57) Und auch die Erschließung der Bedeutung religiöser Bauten oder von Kultgegenständen zum Beispiel ergibt sich wesentlich genauer, wenn man versucht, die soziale Wirklichkeit und die Macht- und Interessensverhältnisse der Zeit zu rekonstruieren.
Tja - und genau aus diesem Grund kommt man um eine Deutung nicht herum - v.a. wenn es keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt.
schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2022, 20:57) Alle mir bekannten Rückblicke auf den Historikerstreit 1.0 sehen die Fragen der Relativierung und die Leugnung der Einzigartigkeit der Shoa als Anlass für den eigentlichen Kern: Das Suchen nach einer nationalen Identität der Deutschen. Das was Max Czollek das "Versöhnungstheater" und die "Wiedergutwerdung der Deutschen" nennt. Ich spare mir jetzt eine entsprechende Zitatensammlung. Und dass dieser Historikerstreit letztendlich keinerlei Erkenntnisse gebracht hat. Das ist ganz wesentlich.
Ganz wesentlich ist, dass du immer noch nicht begriffen hast, dass es weder beim Historikerstreit 1.0 noch beim Nistorikerstreit 2.0 um Erkenntnisse und/oder Erkenntnisgwinn geht, sondern darum bereits vorhandene Erkenntnisse zu relativieren bzw Schlussfolgerungen aus diesen Erkenntnissen zu revidieren.
Es geht eben NICHT um Identitätssuche und/oder "Versöhnungstheater, wie das Moses und auch dein "hochgeschätzer Max Czollek behaupten.
Du begreifst nicht einmal, dass genau DAS, was Moses, Membe, Czollek u.a. betreiben, den Kern des (linken) Historikerstreits 2.0 ausmachen - nämlich die Relativierung des Holocaust UND eine Form des Geschichtsrevisionismus!
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Haegar »

„Ein Verbrechen ohne Namen“ – Argumente zum „Historikerstreit 2.0″

Eine Rezension zu diesem Buch:

https://www.belltower.news/rezension-ei ... -0-127867/
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

Haegar hat geschrieben:(17 Feb 2022, 10:40)

„Ein Verbrechen ohne Namen“ – Argumente zum „Historikerstreit 2.0″

Eine Rezension zu diesem Buch:

https://www.belltower.news/rezension-ei ... -0-127867/
Ich habe mir die Rezension durchgelesen. Sie bietet eine sehr gute Diskussionsgrundlage für dieses Thema, besser als der Eingangsbeitrag.
Mal schauen, ob die Statements der Autoren auch online zu finden sind.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Haegar »

Ein Blick auf die Gedanken des Historikers Moses:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/a-di ... -1.5279010

"Damit setzt sich Moses sowohl von Forschern ab, die Rassenhass, einen sich bis zur physischen Vernichtung radikalisierenden Antisemitismus, als Hauptgrund für den Holocaust angeben, als auch von denen, die eine Kontinuitätslinie zur kolonialen Gewalt im außereuropäischen Raum für maßgeblich halten."

Diesem Satz zufolge ist Moses gerade nicht ein Anhänger der CRT ?

Und hier die Antwort von Moses selbst auf die Reaktionen zu "Der Katechismus der Deutschen":

https://www.berliner-zeitung.de/wochene ... -li.175278
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von butterfly »

Schweres Thema und man sollte wie immer die geschichtliche Linie der letzten paar tausend Jahren kennen :eek: kennen die die Historiker die sich streiten? Erscheint mir nicht so!!!
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

Haegar hat geschrieben:(18 Feb 2022, 13:47)

Ein Blick auf die Gedanken des Historikers Moses:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/a-di ... -1.5279010

"Damit setzt sich Moses sowohl von Forschern ab, die Rassenhass, einen sich bis zur physischen Vernichtung radikalisierenden Antisemitismus, als Hauptgrund für den Holocaust angeben, als auch von denen, die eine Kontinuitätslinie zur kolonialen Gewalt im außereuropäischen Raum für maßgeblich halten."

Diesem Satz zufolge ist Moses gerade nicht ein Anhänger der CRT ?

Und hier die Antwort von Moses selbst auf die Reaktionen zu "Der Katechismus der Deutschen":

https://www.berliner-zeitung.de/wochene ... -li.175278
Zunächst - es wäre nicht verkehrt, wenn du auch eigene Gedanken beisteuern könntest.
Das Problem ist, dass Moses gerade mit dem Verweis auf die, von ihm postulierte, "illiberale permanente Sicherheit" den Holocaust/die Shoa relativiert und verharmlost.
Waren es bei Nolte noch die Verbrechen Stalins, mit denen er den Holocaust zu begründen suchte, ist es bei Moses die angeblich von Juden ausgehende Gefahr für das zu errichtende "Tausendjährige Reich, die mit dieser "permanenten Sicherheit" begründet wird.
Dieses Postulat einer "permanenten Sicherheit" dient ja gerade als Entschuldigung für den Holocaust, ebenso wie für die Genozide, die in jüngerer Vergangenheit stattgefunden haben.
Er unterschlägt dabei bewusst oder unbewusst, dass keiner der Genozide, sei es der an den Herero oder der an den Armeniern derart systematisch geplant und industriemäßig durchgeführt wurde, wie das bei der Shoa/dem Holocaust der Fall war.
Moses schmeißt alles in einen Topf und rührt kräftig um, was dabei heraus kommt, ist ziemlich unverdauliche Kost.
Tatsächlich tut Moses genau das, was er anderen vorwirft - er ist es der den Holocaust entpolitisiert und ihn nur noch moralisierend betrachtet.
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Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Haegar »

Dark Angel hat geschrieben: Freitag 18. Februar 2022, 17:39 Zunächst - es wäre nicht verkehrt, wenn du auch eigene Gedanken beisteuern könntest.
....
Dieses Postulat einer "permanenten Sicherheit" dient ja gerade als Entschuldigung für den Holocaust, ebenso wie für die Genozide, die in jüngerer Vergangenheit stattgefunden haben.
Er unterschlägt dabei bewusst oder unbewusst, dass keiner der Genozide, sei es der an den Herero oder der an den Armeniern derart systematisch geplant und industriemäßig durchgeführt wurde, wie das bei der Shoa/dem Holocaust der Fall war.
Moses schmeißt alles in einen Topf und rührt kräftig um, was dabei heraus kommt, ist ziemlich unverdauliche Kost.
Tatsächlich tut Moses genau das, was er anderen vorwirft - er ist es der den Holocaust entpolitisiert und ihn nur noch moralisierend betrachtet.
Ich denke hier liegt der eigentliche Kern der Diskussion um Moses zitiere mal Jehuda Bauer:

"Moses sieht den Holocaust als einen Genozid, der wie andere Genozide seine besonderen Eigenschaften hatte, aber ein zivilisationsändernder Wendepunkt war er seiner Meinung nach nicht..
Doch ist der Wendepunkt, anders als es Moses sieht, ziemlich klar: Wie schon oben beschrieben, war der Holocaust, anders als andere Genozide, das Resultat hauptsächlich einer anti-pragmatischen Ideologie, zum ersten Mal – wenigstens in dieser extremen Form – und deshalb ein geschichtlicher Bruch. Diners Definition so einfach abzutun, wie Moses es tut, ist nicht überzeugend. (Anmerkung Diner (verk.): "Holocaust war Zivilisationsbruch")


Die Antwort von Alon Confino, Amos Goldberg, Raz Segal:

"Es scheint so zu sein, dass Bauer die umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten der vergangenen zwei Jahrzehnte zu Völkermord, Kolonialismus und Holocaust wissentlich ignoriert. Arbeiten, die zeigen, dass ideologische Beweggründe – unterlegt mit Fantasien, Gefühlen und Vorstellungen – in allen Völkermorden die entscheidenden Motive waren.
Diese Politik (Völkermord) war – und sollte es auch nach Bauers Verständnis des Begriffs sein – irrational, da die spanischen Kolonialisten auch dann Bedingungen für ein Massensterben schufen, wenn sie die einheimische Bevölkerung als Sklavenarbeiter benötigten. Einigen Historikern wie Jürgen Zimmerer zufolge galt dies auch für den von Deutschland 1904 bis 1908 begangenen Völkermord an den Herero und Nama, da doch die einheimische Bevölkerung aus wirtschaftlichen Gründen eigentlich gebraucht wurde."

Für folgendes weitere Zitat der Autoren:

"Auch hier ist der koloniale Kontext entscheidend. Der nationalsozialistische Antisemitismus – die Idee der Vernichtung der Juden und der jüdischen Kulturwelt als Schlüssel zur Schaffung einer besseren Welt – wäre ohne die europäischen Vorstellungen von Rasse und Rassenkunde als Motor des Fortschritts unvorstellbar gewesen, die die Europäer dazu brachten, Imperien in der ganzen Welt zu errichten und dabei Gesellschaften zu zerstören, die sie als rückständig, unzivilisiert oder als Bedrohung für die erlösende Qualität der Verbreitung der europäischen Zivilisation auf der Erde ansahen."

Dabei bin ich auf folgende Serie von arte gestoßen:

https://www.arte.tv/de/videos/095727-00 ... n-aus-1-4/

Meine Gedanken:
Ich denke darüber nach, ob das wieder ein Weg ist, mit der deutschen Geschichte "abzuschliessen" oder hat Rassismus insgesamt mit der "Nationwerdung" (ab dem 15 Jhd.) zu tun.
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user title: From Hell

Re: Historikerstreit 2.0

Beitrag von Dark Angel »

conscience hat geschrieben: Montag 28. März 2022, 22:57 Was ist Faschismus - ein entlegener Quellentext.

Über den Faschismus (von Iwan Iljin, 1948)

[Mod] In diesem Thread geht es um den "Historikerstreit 2.0", indem der Holocaust durch direkten Vergleich mit der Kolonialpolitik relativiert wird.
Faschismus bzw Faschismustheorien sind in diesem Thread NICHT das Thema und stehen auch NICHT im Zusammenhang mit dem Thema "Historikerstreit 2.0".
Halte dich bitte an das Threadthema!
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Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
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