Cobra9 hat geschrieben:(22 Nov 2020, 16:36)
Realistisch sollte Russland sich von China, gerade Sibirien, bedroht fühlen.
Gerade deswegen sollten wir aber Russland als Bedrohung nicht überstilisieren.
Völlig d'accord damit, dass das, was Russland in der Ukraine, auch in Georgien und Syrien treibt unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten jenseits von gut und böse ist, darüber muss man nicht diskutieren.
Nur denke ich, dass die Probleme die aus der Zersplitterung der Kräfte und den strategischen Notwendigkeiten herrühren in der Diskussion deutlich unterschätzt werden und dass, so lange Russland diese Politik verfolgt die Vorgehensweise zwar aggressiv ist, die Ziele letztendlich aber gezwungenermaßen sehr begrenzt sind.
Szenarien die von einem größeren, konventionellen Überfall in Europa seitens Russland ausgehen, müssen ja mehr oder minder zur Voraussetzung haben, dass die besetzten Gebiete im Kaukausus aufgegeben werden, die strategischen Reserven aus dem fernen Osten herangezogen werden und alles, was hinter dem Ural liegt mehr oder minder sich selbst überlassen bleibt.
Das wäre für China eine Einladung sich die im 19. Jahrhundert von Russland abgepressten Gebiete zurück zu holen und für Japan eine Einladung die Kurilen zu besetzen und dort Fakten zu schaffen.
Ich meine eigentlich, dass die Ukraine ein recht deutliches Zeichen dafür ist, dass man sich in Russland sehr wohl darüber im Klaren ist, dass die eigenen Kräfte begrenzt sind, denn ansonsten wäre mir schleierhaft, warum man russischerseits in der Ukraine nicht weiter ausgegriffen hat um sich zumindest die Gebiete östlich des Dnepr vollständig unter den Nagel zu reißen und auch keine Anstalten macht, den Donbas annektieren zu wollen.
Wirtschaftliche Sanktionen von westlicher Seite und Aufrüstung hat man auch mit dem, was man von russischer Seite her de facto tat in Kauf genommen. Militärich hätten die NATO-Staaten ad hoc anno 2014 auf ein weiteres Vordrängen russlands, jedenfalls im Sinne der Anwendung konventioneller Waffen auch dann nicht reagieren können, hätte die russische Seite ihren Vorstoß fortgesetzt, von der potenziell damit völlig überforderten ukrainischen Armee nicht zu reden.
Da die Ukraine sich zu Abtretungen noch größerer Gebiete, als der jetzt besetzten dreimal nicht bereitgefunden und der territoriale Konflikt damit weiter Scharf geblieben wäre, hätte man von russischer Seite auch dann keine Befürchtungen haben müssen, dass die Ukraine künftig allmählich in die NATO oder EU hineindiffundieren könnte.
In der Krim konnte Russland zumindest mit der Zustimmung eines Teils der Bevölkerung rechnen und mit Sewastopol, durch die dadurch gegebene Kontrolle über die Straße von Kertsch und damit faktisch die Kontrolle über das Asowsche Meer, hat die Region sicherlich einen gewissen strategischen Wert.
Das dürfte es Russland, neben den Möglichkeiten für die Schwarzmeerflotte erlauben die untere Don-Region besser abzuschirmen und bietet, wenn auch durch die Landenge von Perekop verengt obendrein ein südliches Aufmarschgebiet um die Ukraine konventionell effektiver bedrohen zu können, so dass ohne auswärtige Unterstützung man sich in Kiew kaum Illusionen darüber machen kann, dass es für die russische Seite konventionell nun mehr ein Kinderspiel wäre, alles östlich des Dnepr zu überrennen.
Welche konkreten Vorteile hätte die Russische Föderation konkret von einer Besetzung des Baltikums?
Wirtschaftlich nicht besonders interessant, mit einer Bevölkerung von der größtenteils Schwierigkeiten zu erwarten wären (ja, ich weiß um die russischen Minderheiten).
Ansonsten ein paar Ostseehäfen die Russland aber nicht wirklich etwas brächten, weil es von westlicher Seite her ein leichtes wäre Öresund und Nord-Ostsee-Kanal für die russische Schiffahrt komplett zu sperren, als Ausfallstore für Außenhandel also nicht wirklich geeigent und für die Baltische Flotte, wenn es konkret um handfeste Einsätze gegen NATO-Staaten ginge, auch nicht wirklich viel besser geeignet als St.Petersburg/Kronstadt und Baltijsk.
Das einzige wäre die Landverbindung nach Kaliningrad, aber dafür riskiert niemand einen Weltkrieg, allem, wenn er mit den besetzten Territorien im Kaukasus, Tschetschenien und der Ostukraine bereits ein paa laufende Kriesenherde hat, in Zentralasien ein potentiell dynamisches Vorfeld, dass nicht völlig außer Acht gelassen werden kann und mit China und Japan an der fernöstlichen Peripherie zwei Schwergewichte, mit denen es mindestens unterschwellig gewisse territoriale Streitigkeiten gibt und die man, wenn man diese Gebiete leerzieht um die Resourcen anderswo zu bündeln mit Sicherheit in Versuchung führen würde, sich durch handstreichartiges Eingreifen bei Gelegenheit selbst die erwünschten territorialen Vorteile zu verschaffen.
Insofern würde ich meinen, wenn Russland tatsächlich auf größere Eroberungen aus wäre, hätte es sich längst großzügiger in der östlichen Ukraine "bediehnt". In dem Gebiet dürften, was Europa betrifft, noch die größte russische Minderheit anzutreffen sein und die Loyalitätsprobleme mit den potentiell Unterworfenen noch am geringsten und losgetreten hatte man den Konflikt ja ohnehin.
Wenn ich mir die Handlungsweise da anschaue und die sonstigen globalen Gegebheiten, würde mich das zu dem Schluss führen, dass man im Kreml entweder nicht mehr, als regional sehr begrenzte Ziele erreichen will oder aber sich selbst nicht für hinreichend mächtig hält, weiteres durchzusetzen.
Einen frontalen Angriff auf NATO-Staaten, oder auch nur auf die EU, selbst wenn die USA nicht mit im boot wären, halte ich daher für hochgradig unwahrscheinlich, sofern hier von konventionellen Kampfmitteln die Rede ist.
Ein Eingreifen in Weißrussland halte ich für möglich, aber nichts, was darüber wirklich noch hinausgeht. Das in nächster Zeit auch erstmal ohne weitere Aufrüstung (was jetzt kein Argument per se dagegen sein soll).