Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

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Misterfritz
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Misterfritz »

Christdemokrat hat geschrieben: Di 17. Mai 2022, 22:49 Europa braucht dringend mehr Männer wie Viktor Orban.
Europa braucht keine Orbans ...
Das Salz in der Suppe des Lebens ist nicht Selbstdisziplin, sondern kontrollierte Unvernunft ;)
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Europa2050
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Europa2050 »

Misterfritz hat geschrieben: Di 17. Mai 2022, 23:05 Europa braucht keine Orbans ...
Stimmt, ich brauch keinen Orban ;)

Wenn meine Entscheidung - falls diese Punkte in Konflikt geraten, was ja nicht sein muss - nicht „individuelle Freiheit“ sondern „Familie, Heimat“ lauten würde, dann hiesse ich ja nicht Europa2050 sondern Türkei1453 oder ähnlich.

Aber zu jedem Orbán gibt es ja auch einen Selensky - so ist Europa nunmal…
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Erasmus »

Christdemokrat hat geschrieben: Di 17. Mai 2022, 22:49
Europa braucht dringend mehr Männer wie Viktor Orban.
Die Ungarn scheinen ihn zu brauchen, was sich in jeder Wahl der letzten Jahre gezeigt hat.
Unabhängig von aller politischen Ideologie, für die er steht, braucht Europa meiner Ansicht nach unabhängig von der politisch präferierten Richtung möglichst integere Politiker. Orban ist korrupt, betreibt üble Vetternwirtschaft und wenn einem etwas zu ihm ganz bestimmt nicht einfiele, dann ist es Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit und jede andere Art dessen, was man als Christ(demokrat), der du ja sein möchtest, gemeinhin unter dem Begriff der moralischen Integrität subsumiert.

Das ist das Elend der ideologischen Brüderschaften. Man wird blind für diese Dinge.

Orban mag als Demokrat gestartet sein, aber er entwickelt Ungarn zu einer reinen Kleptokratie. Wenn das Christdemokratie ist, dann stünde christliche Politik Herrn Putin so nahe wie auch Teile der AfD oder der Linkspartei.
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Christdemokrat
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Christdemokrat »

Ungarn hat "EU-Sanktionen" gegen den Patriarchen Kyrill der orthodoxen Kirche verhindert.

Außerdem stellt Ministerpräsident Orban die Energieversorgung seines Landes sicher, indem er eine Ausnahme für ungarische Importe aus Rußland durchgesetzt hat.
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Vongole
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Vongole »

Christdemokrat hat geschrieben: Do 2. Jun 2022, 18:37 Ungarn hat "EU-Sanktionen" gegen den Patriarchen Kyrill der orthodoxen Kirche verhindert.
Außerdem stellt Ministerpräsident Orban die Energieversorgung seines Landes sicher, indem er eine Ausnahme für ungarische Importe aus Rußland durchgesetzt hat.
Womit mal wieder bewiesen wäre, dass Ungarn nichts mehr in der EU verloren hat.
Und solange Orban regiert, auch nicht unter anderen demokratischen Staaten.
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Vongole
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Vongole »

Es gibt bereits Reaktionen der EU:
Ungarns erfolgreiche Vetodrohung zum Öl-Embargo gegen Russland könnte Regierungschef Orban am Ende teuer zu stehen kommen. EU-Parlamentsvize Barley schlägt vor, Budapest wegen Erpressung und Missbrauch das Stimmrecht zu entziehen. Dabei geht es auch um Milliarden aus Brüssel.
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley hat gefordert, Ungarn das Stimmrecht in der Europäischen Union zu entziehen. Das Land missbrauche das Einstimmigkeitsprinzip in der EU als Erpressungsmittel, sagte die SPD-Politikerin im Interview mit MDR Aktuell. Das Stimmrecht eines Landes könne wegen Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit ausgesetzt werden, erläuterte Barley. "Gerade in Ungarn kann man von demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen nicht mehr sprechen." Ministerpräsident Viktor Orban habe das Land "Stück für Stück komplett in seine Hände gebracht".
https://www.n-tv.de/politik/Barley-will ... 74181.html
Orban wird sich entscheiden müssen, ob Putin ihm das wert ist.
Am Yisrael Chai

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Brainiac
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Brainiac »

Orban muss sich überhaupt nichts überlegen. Das Stimmrecht kann nur auf der Basis eines einstimmigen Beschlusses entzogen werden. :| Es sei denn die EU-Verträge werden geändert, was wiederum Einstimmigkeit erfordert. :|

An der Kern-Union führt kein Weg vorbei - die jetzige EU aufkündigen, und was Vernünftiges machen, im kleineren Kreis. Gern incl. der Ukraine, wenn sie dann soweit ist und will.
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Vongole
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Vongole »

Brainiac hat geschrieben: Do 2. Jun 2022, 19:55 Orban muss sich überhaupt nichts überlegen. Das Stimmrecht kann nur auf der Basis eines einstimmigen Beschlusses entzogen werden. :| Es sei denn die EU-Verträge werden geändert, was wiederum Einstimmigkeit erfordert. :|

(..)
Ja, das Stimmrecht kann man ihm kaum entziehen, aber eben jede Menge Gelder, die die Orbansche Klepokratie benötigt, um auch die Taschen ihrer Unterstützer zu füllen.
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Brainiac
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Brainiac »

Spätestens bei der nächsten Haushaltsrunde (einstimmig zu beschliessen) wird er sich das zurückholen.
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harry52
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von harry52 »

Christdemokrat hat geschrieben: Do 2. Jun 2022, 18:37 Ungarn hat "EU-Sanktionen" gegen den Patriarchen Kyrill der orthodoxen Kirche verhindert.
Und Orban begründet das damit, dass Kyrill ein Kirchenoberhaupt ist.
Ein Kirchenoberhaupt darf also laut Orban massenhaften Raub, Mord, Missbrauch (auch an Kindern), Verschleppung ... unterstützen und sogar selbst begehen und darf nicht sanktioniert bzw. bestraft werden.

Ist das auch deine Auffassung,
dass Kirchenoberhäupter alles dürfen, sogar die schlimmsten Verbrechen, die man sich vorstellen kann?

Jeden Tag werden hunderte Menschen in der Ukraine
in Stücke gerissen, oder verbrennen bei lebendigen Leib, oder sterben grausam in den Trümmern ihrer Häuser und ein Kirchenoberhaupt darf da mitmachen?

Das widerspricht nicht nur unserem Grundgesetz,
nachdem alle Menschen gleiche Rechte und Pflichten haben sollten, sondern diese Ansichten sind extrem gefährlich, bösartig und barbarisch.
"Gut gemeint" ist nicht das Gleiche wie "gut gemacht".
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von streicher »

Christdemokrat hat geschrieben: Do 2. Jun 2022, 18:37 Ungarn hat "EU-Sanktionen" gegen den Patriarchen Kyrill der orthodoxen Kirche verhindert.

Außerdem stellt Ministerpräsident Orban die Energieversorgung seines Landes sicher, indem er eine Ausnahme für ungarische Importe aus Rußland durchgesetzt hat.
Kurz gesagt: Orban ist Putins Mann in der EU. Die nationalistische Ausrichtung Orbans passt auch ins Bild.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von streicher »

Brainiac hat geschrieben: Do 2. Jun 2022, 19:55 An der Kern-Union führt kein Weg vorbei - die jetzige EU aufkündigen, und was Vernünftiges machen, im kleineren Kreis. Gern incl. der Ukraine, wenn sie dann soweit ist und will.
Das ist auch ein kaum machbarer Weg. Der mündet ins größere Chaos. Vielleicht kündigt Ungarn irgendwann der EU auf. Aber unter Orban würde sich Ungarn Russland wohl wie selbstverständlich annähern.
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relativ
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von relativ »

Wenn so ein undemokratischer Regierungschef 4 mal wieder gewählt wird, muss man sich in der EU tatsächlich gedanken machen , ob ein Volk mit dieser Einstellung noch kompatibel ist mit den gewollten demokratischen Regeln der EU.
Das ist ein Trauerspiel, auch deshalb weil beim Thema Rechtsstaatlichkeit und Einstellung vieler Bürger Ungarn eben auch nicht alleine dasteht in der EU. Polen und andere östliche EU Länder zeigen die selben negativen Tendenzen beim Wahlverhalten.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
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JJazzGold
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

Brainiac hat geschrieben: Do 2. Jun 2022, 19:55 Orban muss sich überhaupt nichts überlegen. Das Stimmrecht kann nur auf der Basis eines einstimmigen Beschlusses entzogen werden. :| Es sei denn die EU-Verträge werden geändert, was wiederum Einstimmigkeit erfordert. :|

An der Kern-Union führt kein Weg vorbei - die jetzige EU aufkündigen, und was Vernünftiges machen, im kleineren Kreis. Gern incl. der Ukraine, wenn sie dann soweit ist und will.
Bis zum 24.02. konnte Ungarn sich bei einstimmigen Beschlüssen auf Polen verlassen. Betrachte ich die Haltung Polens zum russischen Angriff auf die Ukraine und die Haltung Ungarns, dann gehe ich davon aus, dass diese Zeiten vorbei sind.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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relativ
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von relativ »

JJazzGold hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 10:08 Bis zum 24.02. konnte Ungarn sich bei einstimmigen Beschlüssen auf Polen verlassen. Betrachte ich die Haltung Polens zum russischen Angriff auf die Ukraine und die Haltung Ungarns, dann gehe ich davon aus, dass diese Zeiten vorbei sind.
Die werden wieder kommen und es ist m.M. auch unwahrscheinlich, daß Polen etwas abnickt nur um Orban zu schaden und dann womöglich als nächster auf einer Sanktionsliste wegen möglicher Rechtstaatlichkeitsvergehen der EU steht und dann von Orbans Veto abhängig ist. Die polnische PIS Partei halte ich für mind. genauso undemokratisch wie die ungarische von Orban.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

In diesem politischen Essay: "Verrat der Konservativen. Demokratien in Gefahr" (https://www.deutschlandfunk.de/verrat-d ... r-100.html) analysiert der Politikwissenschaftler Claus Leggewie die politische Entwicklung der jüngeren Zeit und ordnet darin unter anderem auch das "Phänomen" Orbán ein. Es ordnet sich einem allgemeinen (und aus meiner Sicht fatalen) weltweiten Trend unter: Dem Trend zu "Identät, Tradition, Souveränität". "ITS" war schon der Name einer EU-Parlamentsfraktion aus rechtskonservativ- bis rechtsnationalistischen Parteien. In diesem Essay wird ganz deutlich: Die politische Entwicklung in Ungarn als Sonderfall aufzufassen ist eine fatale Fehleinschätzung. Seit mehreren Jahrzehnten schon läuft so etwas wie eine grundsätzliche politische Wende. Selbst diese sogenannte "Zeitenwende" von 1989/90 ist nur Teil einer weltübergreifenden Entwicklung, die man vielleicht als grundsätzliches Ende der Nachkriegszeit und den Beginn der "Epoche Identität" kennzeichnen könnte.

Trump, Putin, Erdogan, Orbán, Bolsonaro, Kurz, Meloni, Zemmour und viele viele andere stehen dafür. Und Claus Leggewie ist selbst eigentlich ein ziemlich konservativer Denker.

Die Gefahr von whataboutism liegt hier natürlich nahe. Nach dem Motto: Und was ist mit denen und denen? Es nützt aber nix. Die Erkenntnis verläuft bekanntlich vom Konkreten zum Allgemeinen. Dass dieser identitäre Nationalkonservatismus (auch in Verbindung mit Korruption) kein "Spezialfall Ungarn" ist ... wer das nicht versteht, versteht die politische Entwicklung nicht.
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JJazzGold
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 10:25 In diesem politischen Essay: "Verrat der Konservativen. Demokratien in Gefahr" (https://www.deutschlandfunk.de/verrat-d ... r-100.html) analysiert der Politikwissenschaftler Claus Leggewie die politische Entwicklung der jüngeren Zeit und ordnet darin unter anderem auch das "Phänomen" Orbán ein. Es ordnet sich einem allgemeinen (und aus meiner Sicht fatalen) weltweiten Trend unter: Dem Trend zu "Identät, Tradition, Souveränität". "ITS" war schon der Name einer EU-Parlamentsfraktion aus rechtskonservativ- bis rechtsnationalistischen Parteien. In diesem Essay wird ganz deutlich: Die politische Entwicklung in Ungarn als Sonderfall aufzufassen ist eine fatale Fehleinschätzung. Seit mehreren Jahrzehnten schon läuft so etwas wie eine grundsätzliche politische Wende. Selbst diese sogenannte "Zeitenwende" von 1989/90 ist nur Teil einer weltübergreifenden Entwicklung, die man vielleicht als grundsätzliches Ende der Nachkriegszeit und den Beginn der "Epoche Identität" kennzeichnen könnte.

Trump, Putin, Erdogan, Orbán, Bolsonaro, Kurz, Meloni, Zemmour und viele viele andere stehen dafür. Und Claus Leggewie ist selbst eigentlich ein ziemlich konservativer Denker.

Die Gefahr von whataboutism liegt hier natürlich nahe. Nach dem Motto: Und was ist mit denen und denen? Es nützt aber nix. Die Erkenntnis verläuft bekanntlich vom Konkreten zum Allgemeinen. Dass dieser identitäre Nationalkonservatismus (auch in Verbindung mit Korruption) kein "Spezialfall Ungarn" ist ... wer das nicht versteht, versteht die politische Entwicklung nicht.
Das ist keine Entschuldigung für Orbans/Ungarns Fehlverhalten.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von relativ »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 10:25 In diesem politischen Essay: "Verrat der Konservativen. Demokratien in Gefahr" (https://www.deutschlandfunk.de/verrat-d ... r-100.html) analysiert der Politikwissenschaftler Claus Leggewie die politische Entwicklung der jüngeren Zeit und ordnet darin unter anderem auch das "Phänomen" Orbán ein. Es ordnet sich einem allgemeinen (und aus meiner Sicht fatalen) weltweiten Trend unter: Dem Trend zu "Identät, Tradition, Souveränität". "ITS" war schon der Name einer EU-Parlamentsfraktion aus rechtskonservativ- bis rechtsnationalistischen Parteien. In diesem Essay wird ganz deutlich: Die politische Entwicklung in Ungarn als Sonderfall aufzufassen ist eine fatale Fehleinschätzung. Seit mehreren Jahrzehnten schon läuft so etwas wie eine grundsätzliche politische Wende. Selbst diese sogenannte "Zeitenwende" von 1989/90 ist nur Teil einer weltübergreifenden Entwicklung, die man vielleicht als grundsätzliches Ende der Nachkriegszeit und den Beginn der "Epoche Identität" kennzeichnen könnte.

Trump, Putin, Erdogan, Orbán, Bolsonaro, Kurz, Meloni, Zemmour und viele viele andere stehen dafür. Und Claus Leggewie ist selbst eigentlich ein ziemlich konservativer Denker.

Die Gefahr von whataboutism liegt hier natürlich nahe. Nach dem Motto: Und was ist mit denen und denen? Es nützt aber nix. Die Erkenntnis verläuft bekanntlich vom Konkreten zum Allgemeinen. Dass dieser identitäre Nationalkonservatismus (auch in Verbindung mit Korruption) kein "Spezialfall Ungarn" ist ... wer das nicht versteht, versteht die politische Entwicklung nicht.
Das stimmt, so eine Tendenz ist weltweit zu sehen. In einigen Ländern ist diese Bewegung schon wesentlich weiter fortgeschritten und wenn solche Ländern dann auch noch in der EU ,oder NATO sind, macht es die ganze Sache für diese institutionen und für die Demokratie generell so gefährlich.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 10:08 Bis zum 24.02. konnte Ungarn sich bei einstimmigen Beschlüssen auf Polen verlassen. Betrachte ich die Haltung Polens zum russischen Angriff auf die Ukraine und die Haltung Ungarns, dann gehe ich davon aus, dass diese Zeiten vorbei sind.
Nur zum Verständnis: Ungarn auch heute ist ein durch und durch Sowjetunion-kritisches und in der Erbnachfolge russlandkritisches Land. In jeder kleineren Stadt gibts irgendwelche Denkmäler, die an den von der SU niedergeschlagenen Volksaufstand 1956 erinnen. Die aktueklle und neue Staatspräsidentin Novák erinnerte in einem Interview an sowjetische Soldaten, die ihrer eigenen Großmutter das Gewehr an den Kopf hielten. Die Haltung zu "1956" gehört zur absoluten Staatsräson ebenso wie dieses Bekenntnis zum christlichen Abendland. Man sieht in Putin nur eben nicht so sehr den ehemaligen KGB-Mann oder Stalin-Relativierer sondern einen der vielen selbsternannten Retter des christlichen Abendlands.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

Wenn man das Verhältnis von Orbán zu Russland verstehen will, muss man unbedingt die Rolle von MOL in Ungarn verstehen. MOL (Magyar Olaj- és Gázipari Nyilvánosan működő Részvénytársaság) ist das mit weitem Abstand umsatzstärkste und nach Beschäftigten größte Unternehmen Ungarns. Ein weltweit operierender Rohstoffhandelskonzern. MOL ist für Ungarn in etwa das, was Glencore für die Schweiz ist. Beide Länder haben selbst kaum eine Kanne Öl selbst und verdienen aber Milliarden mit dem Handel von Rohstoffen. Nur dass die Schweiz ein wenig mehr in Regionen wie Afrika oder Südamerika aktiv ist und Ungarn eher in ehemaligen GUS-Staaten. Aserbaidshan insbesondere.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Brainiac »

JJazzGold hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 10:08 Bis zum 24.02. konnte Ungarn sich bei einstimmigen Beschlüssen auf Polen verlassen. Betrachte ich die Haltung Polens zum russischen Angriff auf die Ukraine und die Haltung Ungarns, dann gehe ich davon aus, dass diese Zeiten vorbei sind.
Danke für den Hinweis - ich habe nicht genau gelesen und bei Wikipedia ist das nicht präzise erklärt. Der betroffene Staat selbst nimmt an der Abstimmung im Europäischen Rat zur Feststellung einer Verletzung der Grundwerte nicht teil, und hier würde nun Ungarn der Beistand Polens fehlen.

Ich würde mich aber nicht darauf verlassen, dass es so bleibt. Die russische Bedrohung und die Haltung dazu isoliert Ungarn im Moment, es werden aber auch wieder andere Themen en vogue sein, wo Orban nicht mehr alleine steht (Rechtsstaat, Korruption, Finanzen, Energie etc.).
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Brainiac »

streicher hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 09:43 Das ist auch ein kaum machbarer Weg. Der mündet ins größere Chaos.
Natürlich, sehr schwierig - je nach dem wie weit man hier geht, erfordert eine solche Kernunion mit reduzierten Vetorechten mindestens Grundgesetzänderungen, evtl. sogar eine neue Verfassung. Man wird aber über kurz oder lang nicht darum herumkommen. Das bestehende Gebilde ist zu dysfunktional.

Erfahrungsgemäß gelingt so etwas nur im Zuge einschneidender existentieller Bedrohungen. Ein ernstzunehmender militärischer Angriff Russlands auf mehrere EU-Kernstaaten könnte vielleicht solch einen Anlass geben, aber das wünscht sich natürlich niemand. Auf lange Sicht werden wohl am ehesten die globalen Dauerthemen wie Erderwärmung, Energie und Ernährung dafür sorgen, dass der Schritt irgendwann gegangen wird.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von TheManFromDownUnder »

Christdemokrat hat geschrieben: Do 2. Jun 2022, 18:37 Ungarn hat "EU-Sanktionen" gegen den Patriarchen Kyrill der orthodoxen Kirche verhindert.

Und was ist daran so toll??? Ein Kirchenfuerst der an Nazis in der Ukraine glaubt und Putin's Endloesung unterstuetzt?
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von streicher »

Brainiac hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 11:35 Auf lange Sicht werden wohl am ehesten die globalen Dauerthemen wie Erderwärmung, Energie und Ernährung dafür sorgen, dass der Schritt irgendwann gegangen wird.
Auf lange Sicht könnte ich mir vorstellen, dass tatsächlich einige Staaten quittieren, denn wenn Staaten immer Hü sagen, wenn die Mehrheit der EU Hot will, ist das keine Einigung und damit kein Einigungsprozess. Dann sollen diese Staaten halt die Konsequenz ziehen. Auf Hemmsteine kann die EU verzichten, dann wird sie auch wieder "kerniger".
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von TheManFromDownUnder »

Brainiac hat geschrieben: Do 2. Jun 2022, 19:55 Orban muss sich überhaupt nichts überlegen. Das Stimmrecht kann nur auf der Basis eines einstimmigen Beschlusses entzogen werden. :| Es sei denn die EU-Verträge werden geändert, was wiederum Einstimmigkeit erfordert. :|

An der Kern-Union führt kein Weg vorbei - die jetzige EU aufkündigen, und was Vernünftiges machen, im kleineren Kreis. Gern incl. der Ukraine, wenn sie dann soweit ist und will.
Orban ist wie ein Krebsgeschwuer in der EU. Man muss es vollkommen entfernen um genesen zu koennen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von TheManFromDownUnder »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 10:34 Nur zum Verständnis: Ungarn auch heute ist ein durch und durch Sowjetunion-kritisches und in der Erbnachfolge russlandkritisches Land. In jeder kleineren Stadt gibts irgendwelche Denkmäler, die an den von der SU niedergeschlagenen Volksaufstand 1956 erinnen. Die aktueklle und neue Staatspräsidentin Novák erinnerte in einem Interview an sowjetische Soldaten, die ihrer eigenen Großmutter das Gewehr an den Kopf hielten. Die Haltung zu "1956" gehört zur absoluten Staatsräson ebenso wie dieses Bekenntnis zum christlichen Abendland. Man sieht in Putin nur eben nicht so sehr den ehemaligen KGB-Mann oder Stalin-Relativierer sondern einen der vielen selbsternannten Retter des christlichen Abendlands.
Aber verhaelt sich im genauen Gegenteil und waehlt ein Putler Pudel .

Das reimt sich nicht.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 10:34 Nur zum Verständnis: Ungarn auch heute ist ein durch und durch Sowjetunion-kritisches und in der Erbnachfolge russlandkritisches Land. In jeder kleineren Stadt gibts irgendwelche Denkmäler, die an den von der SU niedergeschlagenen Volksaufstand 1956 erinnen. Die aktueklle und neue Staatspräsidentin Novák erinnerte in einem Interview an sowjetische Soldaten, die ihrer eigenen Großmutter das Gewehr an den Kopf hielten. Die Haltung zu "1956" gehört zur absoluten Staatsräson ebenso wie dieses Bekenntnis zum christlichen Abendland. Man sieht in Putin nur eben nicht so sehr den ehemaligen KGB-Mann oder Stalin-Relativierer sondern einen der vielen selbsternannten Retter des christlichen Abendlands.
Auch das kann nicht dazu dienen, Orbans/Ungarns Fehlverhalten in der EU zu entschuldigen.
Inzwischen darf man sich fragen, was die Ungarn in der EU wollen, wenn der russische Retter des orthodoxen Abendlandes quasi auf der Türschwelle steht und Ihnen für treue Dienste ein Stück Ukraine überlassen würde.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 11:49 Auch das kann nicht dazu dienen, Orbans/Ungarns Fehlverhalten in der EU zu entschuldigen.
Inzwischen darf man sich fragen, was die Ungarn in der EU wollen, wenn der russische Retter des orthodoxen Abendlandes quasi auf der Türschwelle steht und Ihnen für treue Dienste ein Stück Ukraine überlassen würde.
"Ein Stück Ukraine überlassen" ist ein sehr ernstes Thema. Das nicht erst mit der russischen Agression zur Debatte steht. Es ist Teil der revanchistischen Bestrebungen der nationalistischen Kräfte in Ungarn, das Land in den Grenzen vor dem Trianon-Abkommen wiederherzustellen. Mit Gebieten mit irgendwie irgendwann ungarischer Bevölkerung in der Slowakei, in der Ukraine, Serbien und vor allem Rumänien. An sich klingt das ganze wie ein schlechter Scherz.

Aber wer sind wir, dass wir uns darüber moralisch überlegen fühlen könnten? Darf ich bitte mal an Frau Erika Steinbach erinnern? Die ist nicht etwa tot sondern seit 2018 Vorsitzende der afd-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, wird demnächst AFD-Mitglied sein und war irgendwann mal im Vorstand der CDU/CSU-Fraktion.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

streicher hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 11:38 Auf lange Sicht könnte ich mir vorstellen, dass tatsächlich einige Staaten quittieren, denn wenn Staaten immer Hü sagen, wenn die Mehrheit der EU Hot will, ist das keine Einigung und damit kein Einigungsprozess. Dann sollen diese Staaten halt die Konsequenz ziehen. Auf Hemmsteine kann die EU verzichten, dann wird sie auch wieder "kerniger".
Solange es eine Teilnahme am europäischen Binnenmarkt, am Schengen-Raum, am freien Personen-, Waren- und Dienstleistsverkehr, an solchen Dingen wie gegenseitiger Anerkennung von Bildungsabschlüssen gibt ... ist ein "Quittieren" im Grunde genommen auch eigentlich kein Problem. Welches Kalkül es etwa bei den Briten hinter einem Quittieren auch darüber hinaus gibt ... Ob es überhaupt ein Kalkül dafür gibt oder gab ... tja."Kern-EU" das heißt ja im Prinzip Institutionen-EU. Die wird man wohl kritisch sehen dürfen. Solange der EU-Rat, sprich die Köngistafelrunde am Ende doch die eigentliche Macht in dieser Institutionen-EU ist.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

Europa2050 hat geschrieben: Mi 18. Mai 2022, 13:46 Stimmt, ich brauch keinen Orban ;)

Wenn meine Entscheidung - falls diese Punkte in Konflikt geraten, was ja nicht sein muss - nicht „individuelle Freiheit“ sondern „Familie, Heimat“ lauten würde, dann hiesse ich ja nicht Europa2050 sondern Türkei1453 oder ähnlich.

Aber zu jedem Orbán gibt es ja auch einen Selensky - so ist Europa nunmal…
Wenn es wirklich in einem solchen Maße auf Personen ankäme und nicht zumindest auch auf Vorstellungen, Prinzipien ... es stünde schlimm. Für bis zu zehn politische Morde wird Selenskys Vorgänger Poroschenko von Menschenrechtsorganisationen im eigenen Land verantwortlich gemacht. Zumindest wurden während seiner Präsidentschaft soviele politische Aktivisten ermordet.

Du wirst Dich bis 2050 mit deiner - von mir 100 Prozent geteilten - Sympathie für individuelle Freiheit anstelle von Familie, Nation, Heimat, Tradition leider und gewiss nicht nur der Person Orbán erwehren müssen, sondern einer sehr großen und wachsenden Menge von Menschen, die diese individuelle Freiheit meinen, nicht aushalten zu können. Und irgendwo ganz und gar dazugehören wollen.


Was hat einen so klugen, überragend guten Jahrhundert-Regisseur wie Emir Kusturica, der sich in seinen besten Filmen ("Schwarze Katze, weißer Kater") für die Wahrnehmung von Randgruppen wie Roma einsetzte, dazu bewogen, sich mit Anfang 50 serbisch-orthodox taufen zu lassen, einen anderen serbischen Vornamen anzunehmen, den verurteilten Kriegsverbrecher Radovan Karadžić einen Helden zu nennen und sich ansonsten der Sache der Nation Großserbien zu widmen? Ist er verrückt geworden oder steht er eher als Repräsentant für einen weltweiten schlimmen Trend?
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

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schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 10:25 ...Claus Leggewie...
Ein Alt-68er verortet Problemursachen also beim politischen Feind. Wie spannend :x Orban ist kein Konservativer, der ist ein Fascho light.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 12:21 "Ein Stück Ukraine überlassen" ist ein sehr ernstes Thema. Das nicht erst mit der russischen Agression zur Debatte steht. Es ist Teil der revanchistischen Bestrebungen der nationalistischen Kräfte in Ungarn, das Land in den Grenzen vor dem Trianon-Abkommen wiederherzustellen. Mit Gebieten mit irgendwie irgendwann ungarischer Bevölkerung in der Slowakei, in der Ukraine, Serbien und vor allem Rumänien. An sich klingt das ganze wie ein schlechter Scherz.

Aber wer sind wir, dass wir uns darüber moralisch überlegen fühlen könnten? Darf ich bitte mal an Frau Erika Steinbach erinnern? Die ist nicht etwa tot sondern seit 2018 Vorsitzende der afd-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, wird demnächst AFD-Mitglied sein und war irgendwann mal im Vorstand der CDU/CSU-Fraktion.
Was soll der Blödsinn mit der ausgegrabenen Steinbach? Die Frau ist keiner vergleichbaren Position.

Ungarn ist nicht EU fähig und willens und sollte soweit als möglich innerhalb der EU isoliert werden, um nicht bis ins Detail als Putins Spion und Handlanger für ein Stück Ukraind agieren zu können.
Los wird die EU Ungarn nicht.
Aber im Zuge einer EU Reform zu einer Kern EU und EU Staaten in zweiter Reihe ließe sich Ungarn an den äußeren Rand drängen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 17:37 Was soll der Blödsinn mit der ausgegrabenen Steinbach? Die Frau ist keiner vergleichbaren Position.

Ungarn ist nicht EU fähig und willens und sollte soweit als möglich innerhalb der EU isoliert werden, um nicht bis ins Detail als Putins Spion und Handlanger für ein Stück Ukraind agieren zu können.
Los wird die EU Ungarn nicht.
Aber im Zuge einer EU Reform zu einer Kern EU und EU Staaten in zweiter Reihe ließe sich Ungarn an den äußeren Rand drängen.
Die Bestrebungen in RIchtung einer "Kern-EU" sind inzwischen so weit kulturalisiert und werden in einer identitätsstiftenden Weise diskutiert ... selbst wenn sie in Hinblick auf die Politik Orbáns politisch richtig sind und meinen eigenen Ansichten entsprechen ... ich möchte nicht irgendwann in einem "Kern-Europa" aufwachen, einem neuen Superstaat. Als Alternative gibt es das Konzept "Europa von unten". Auch schon mal so erklärt: "Machen ist wie wollen. Nur krasser". In einem "Europa von unten" gibt es kein Ungarn am äußeren Rand und kein Deutschland als "Kernbestandteil" sondern nur Menschen in Europa, die offen sind für Ideen wie Liberalismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit. "Kerneuropa" hört sich sehr stark nach politischen Bündnis-Konzepten aus dem letzten Jahrhundert an. Minimalvoraussetzung für ein Europa von unten sind der freie Personen- und Dienstleistungsverkehr, der Zugang zum europäischen Binnenmarkt.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

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schokoschendrezki hat geschrieben: Di 7. Jun 2022, 14:49 In einem "Europa von unten" gibt es kein Ungarn am äußeren Rand und kein Deutschland als "Kernbestandteil"...
Kannst du einen Zeitrahmen abschätzen, in dem die Nationalstaaten abgeschafft wurden?
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben: Di 7. Jun 2022, 14:49 Die Bestrebungen in RIchtung einer "Kern-EU" sind inzwischen so weit kulturalisiert und werden in einer identitätsstiftenden Weise diskutiert ... selbst wenn sie in Hinblick auf die Politik Orbáns politisch richtig sind und meinen eigenen Ansichten entsprechen ... ich möchte nicht irgendwann in einem "Kern-Europa" aufwachen, einem neuen Superstaat. Als Alternative gibt es das Konzept "Europa von unten". Auch schon mal so erklärt: "Machen ist wie wollen. Nur krasser". In einem "Europa von unten" gibt es kein Ungarn am äußeren Rand und kein Deutschland als "Kernbestandteil" sondern nur Menschen in Europa, die offen sind für Ideen wie Liberalismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit. "Kerneuropa" hört sich sehr stark nach politischen Bündnis-Konzepten aus dem letzten Jahrhundert an. Minimalvoraussetzung für ein Europa von unten sind der freie Personen- und Dienstleistungsverkehr, der Zugang zum europäischen Binnenmarkt.
Ich ziehe es vor in einem Kerneuropa zu leben, mit Ungarn und Polen am äußeren Rand.
Statt in einem instablilen Zustand einer Erwartung, welche Typen wie Orban und Kaczinsky immer wieder ad absurdum führen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben: Di 7. Jun 2022, 19:01 Ich ziehe es vor in einem Kerneuropa zu leben, mit Ungarn und Polen am äußeren Rand.
Statt in einem instablilen Zustand einer Erwartung, welche Typen wie Orban und Kaczinsky immer wieder ad absurdum führen.
Der Lebensort ist das eine. Die politischen Grundsätze der Parteien und Organisationen des Landes, in welchem dieser Ort liegt, wieder etwas anderes. Mein Hauptlebensort ist Berlin. Ungefähr 100 Kilometer nordöstlich davon liegt die Stadt Schwedt an der Oder. Dort befindet sich eines der Endpunkte der Erdölpipeline "Drushba" (Freundschaft). Die jetzt ständig im Zusammenhang mit den Ländern Ostmitteleuropas genannt wird. Gesellschafter/Eigentümer ist nicht nur der russische Staatskonzern Rosneft mit Gerhard Schröder als Verwaltungsvorsitzendem sondern in trauter Gemeinsamkeit auch mit dem Weltunternehmen Shell und der italienischen ENI. Ich will nicht behaupten, dass diese Fakten generell in den aktuellen Diskussionen verschwiegen werden ... aber sie werden doch mehr oder weniger an den Rand gedrängt. Die zugehörige Raffinerie PCk versorgt nahezu den gesamten Osten Deutschlands mit Kraftstoff. Auch den Flughafen Berlin/Brandenburg. Einschließlich Regierungsflugverkehr. Wenn Olaf Scholz nach Litauen fliegt, um dort "für Vertrauen in Deutschland" zu sorgen, dann tut er das mit Flugzeugbenzin aus russischem Erdöl, das in einer Raffinerie erzeugt wurde, die mehrheitlich nach wie vor in russischer Hand ist. Manchmal glaube ich, dass maßgebliche Politiker in Deutschland glauben, in einem so kleinen Land an der äußersten Peripherie der EU wie Litauen würde man dergleichen gar nicht bemerken. Gehört ja nicht zu "Kerneuropa", sprich Westeuropa. Was verstehen die schon vom politischen Geschäft. Auf die Tatsache, dass man in solchen Ländern bereits seit langem auf die wachsende Aggresivität Russlands hingewiesen hat wurde übrigens auch schon häufig in diesem Diskussionsforum eingegangen. Ich denke mal, hauptsächlich von Usern wie DarkLightbringer.

Aber Apropos Rosneft. Da ist nicht nur Deutschland führend dabei. Ebenfalls im ROsneft-Verwaltungsrat sitzt Karin Kneissl. Ihres Zeichens Außenministerin des Kerneuropalands Österreich von 2017 bis 2019. Bekannt geworden u.a. damit, dass Wladimir Putin auf ihrer Hochzeit dabei war und sie sich - außerhalb der Protokolls - an einem Hofknicks vor ihm versuchte. Toll. Der britische Premier Johnson ging noch einen Schritt weiter und beförderte den russischen Oligarchen Lebedev in den Adelsstand ("Baron von Sibirien", wortwörtlich) und verschaffte ihm einen Platz im Oberhaus. Wenn man über "Kerneuropa" wirklich einmal nachdenkt, kann einem übel werden. Vielleicht liegts auch daran, dass meine aktuelle politische Buchlektüre den Titel "Kurz. Ein Regime" trägt und eine Art zeitgenössisches Sittengemälde des politischen Lebens in Österreich ist.

Ich weiß sehr wohl zu unterscheiden zwischen den realen politischen Verhältnissen in Ungarn und in Österreich. Ich sortiere Politik aber schon seit längerem nicht mehr nach Nationen. Es gibt den "Standard" in Ö oder die New York Times in den USA oder Haaretz in Israel oder die Gazeta in Polen oder die Magyar Narancs in Ungarn. Ihre Macher und ihre Leser. Und es gibt die BILD in Deutschland, FoxNews in den USA oder die Sun in UK.

Ich weiß auch zwischen dem imperialen Großmachtstreben des gegenwärtigen Russland als neues Zarenreich und der traditionsverhafteten nostalgischen Rückbesinnung auf das britische Weltreich zu unterscheiden. Da gibt es gewaltige Unterschiede. Und offensichtliche Gemeinsamkeiten. Ähnliches trifft etwa auch für das Selbstbild Frankreichs als große Nation, Nuklearmacht und - nach wie vor - einer angedachten Rolle als Herr im Hause Nordafrika zu.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

Tom Bombadil hat geschrieben: Di 7. Jun 2022, 17:05 Kannst du einen Zeitrahmen abschätzen, in dem die Nationalstaaten abgeschafft wurden?
"Europa von unten" ist ein Konzept, eine politische Vision, eine Vorstellung. Und irgendwo auch so etwas wie eine Lebensart.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Tom Bombadil »

schokoschendrezki hat geschrieben: Do 9. Jun 2022, 14:55 "Europa von unten" ist ein Konzept, eine politische Vision, eine Vorstellung. Und irgendwo auch so etwas wie eine Lebensart.
Stichtag ist dann also der St. Nimmerleinstag.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

TheManFromDownUnder hat geschrieben: Fr 3. Jun 2022, 11:42 Aber verhaelt sich im genauen Gegenteil und waehlt ein Putler Pudel .

Das reimt sich nicht.
Dazu nocheinmal ein Lesetipp zur aktuellen politischen Buchlektüre: Fabio Wolkenstein (Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien): "Die dunkle Seite der Christdemokratie. Geschichte einer autoritären Versuchung"

Darin gehts nicht wenig um Orbán, Ungarn, die Fidesz, die EVP. Eine der Kernaussagen lautet im Prinzip, dass Orbán/Fidesz im Grunde und mehr oder weniger allein auf weiter Flur für den eigentlichen Markenkern der christlichen Volksparteien in Westeuropa steht. Die Herausdrängung der Fidesz aus der EVP-Fraktion erfolgte maßgeblich auf Drängen von nord- und nordwesteuropäischen EVP-Parteien neueren Ursprungs, die mit dem klassischen CDU/CSU-Konglomerat nur noch wenig gemein haben.

Wir erinnern uns: Spiegel-Affäre. 1962 ruft Franz Josef Strauß beim Franco-Regime in Spanien an und bittet um Amtshilfe bei der Verhaftung des Journalisten Conrad Ahlers. Stichwort Pressefreiheit. Spanien. Katholizismus. Traditionalismus. "Durchgreifen". Das war nach dem Geschmack. Und genau diese christlich-grundierten ordnungsgläubigen traditionalistischen konservativen nationalistischen patriotischen heimatverbundenen maskulinistischen Grundsätze der Strauß/Adenauer-Ära vertritt heute ein Viktor Orbán. Und noch bis vor ganz kurzem war er damit gern gesehener Gast bei CSU-Parteitagen. Während die Schwesterparteilinke Merkel glaube ich einmal sogar gleichzeitig gar nicht eingeladen war.

Es gibt eine ganze Menge Gründe für diese Entwicklungen. Ein Grund hängt sicher mit dem "C" zusammen. Ein typischer Fidesz-Wähler in Ungarn lebt im ländlichen Raum in einer Kleinstadt, ist in jeder Hinsicht technologiegläubig, geht aber mit Frau und Kindern Sonntags gut angezogen zum Gottesdienst. Und in der Kirche hängt die Nationalfahne neben dem Jesuskreuz. Eine Art aufgeklärte patriotische Ultrabürgerlichkeit . Wie es sie in der Bundesrepublik so möglicherweise und in dieser Ausprägung gar nicht mehr gibt. Unter anderem deshalb, weil die beiden großen Kirchen in D ein massives Problem haben und ihnen scharenweise die Leute davonrennen. Warum das in Ländern wie Ungarn nicht in dem Maße so ist, ist nochmal ein Thema für sich.

Ein Friedrich Merz jedenfalls versucht irgendwie die Balance zwischen Abgrenzung nach rechts in Richtung AfD und nach links in Richtung "irgendwie Mitte, irgendwie Mutti" zu finden. Das wird ihm nicht gelingen. Orbán ist das Original. Und für einen Linksliberalen wie mich schon deshalb beliebter, weil man ihn frontal politisch angreifen kann.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von BingoBurner1 »

JJazzGold hat geschrieben: Di 7. Jun 2022, 19:01 Ich ziehe es vor in einem Kerneuropa zu leben, mit Ungarn und Polen am äußeren Rand.
Statt in einem instablilen Zustand einer Erwartung, welche Typen wie Orban und Kaczinsky immer wieder ad absurdum führen.
Absolut richtig :thumbup:
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben: Do 9. Jun 2022, 09:18 (Fullquote)
Ich habe mich redlich bemüht, in Ihrem Text einen Bezug zu "Ungarn, verloren für die EU" zu finden, aber ich finde ihn nicht.
Was ich finde ist, "aber die Anderen" und das interressiert mich unter dieser Überschrift nicht.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben: Do 9. Jun 2022, 22:53 Ich habe mich redlich bemüht, in Ihrem Text einen Bezug zu "Ungarn, verloren für die EU" zu finden, aber ich finde ihn nicht.
Was ich finde ist, "aber die Anderen" und das interressiert mich unter dieser Überschrift nicht.
Einen gewissen whataboutism kann ich ehrlich gesagt nicht ganz leugnen ...

Ich sags jetzt noch mal ganz klar: Nicht nur FJS sondern auch sehr maßgebliche C-Politiker wie Alfred Dregger oder Hans Filbinger oder Bernd Posselt hätten ihre helle Freude an einem Politiker wie Viktor Orbán. Was heißt "Ungarn ist für die EU bereits verloren?" Das heutige Fidesz-Ungarn hätte regelrecht als eine Art neukonservativer Modellstaat irgendwo im Studienzentrum Weikersheim, in der Werte-Union, unter den Andenpaktlern oder in sonstirgendeiner rechtskonservativen bundesdeutschen Denkfrabrik entworfen sein können. In Hinsicht auf die Paneuropa-Union oder auch das Brüsewitz-Zentrum trifft dies in gewisser Hinsicht auch nachweislich und ganz real zu. In ähnlicher Art und Weise erklären sich auch die herausragend guten Wirtschaftsbeziehungen Deutschland/Ungarn. Ganz aktuell und nur als Beispiel: Gerade entstehen im ostungarischen Debrecen auf einem riesigen Areal Produktions- und Entwicklungsstätten von BMW. Ab 2025 geht es los. Mit oder ohne die direkt angrenzende Ukraine. Wir sind Ungarn. Wir sind Ungarn. Sie glauben, Sie befinden sich in irgendeiner Art Refugium der politisch korrekten Sorte. Sie irren sich!

Nocheinmal ein ganz anderes Thema ist das Verhältnis Fidesz-Ungarn zu Israel. Zumindest zum Netanjahu-Israel bis vor kurzem. Das hat selbstverständlich und aus historischen Gründen auch einen EU-Bezug. Zu allen möglichen Staaten pflegt Israel ein pragmatisches und auf Ziele hin orientiertes Verhältnis. Von Russland bis Aserbaidshan. Von Serbien bis zu den VAR. Das ist auch völlig vernünftig und findet absolut meinen Zuspruch. Nur: Zu Ungarn und speziell zu Orbán muss man allerdings von einem wirklich freundschaftlichen Verhältnis sprechen. Auch was die Personen anbetrifft. Beiden politischen Ansätzen ist es gemeinsam, ein identitäres Staatswesen zu schaffen. Nicht in erster Linie ein liberales, demokratisches Ungarn sondern in allererster Linie ein ungarisches Ungarn.

Auch wenn mir persönlich diese Ansätze wesensfremd sind ... so ist es eben. Nur: Sie befinden sich nicht, wir befinden uns nicht irgendwo diesseits einer gedachten Demarkationslinie hinter der jenseits die Barbarei beginnt.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von TheManFromDownUnder »

schokoschendrezki hat geschrieben: Do 9. Jun 2022, 15:32
Es gibt eine ganze Menge Gründe für diese Entwicklungen. Ein Grund hängt sicher mit dem "C" zusammen. Ein typischer Fidesz-Wähler in Ungarn lebt im ländlichen Raum in einer Kleinstadt, ist in jeder Hinsicht technologiegläubig, geht aber mit Frau und Kindern Sonntags gut angezogen zum Gottesdienst. Und in der Kirche hängt die Nationalfahne neben dem Jesuskreuz.

Klingt wie Bayern ausserhalb der Grosstaedte Muenchen, Nuernberg und Augsburg
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

TheManFromDownUnder hat geschrieben: Fr 10. Jun 2022, 13:02 Klingt wie Bayern ausserhalb der Grosstaedte Muenchen, Nuernberg und Augsburg
Klingt zum Teil nicht nur so.

Das nach Umsatz und Beschäftigtenzahl zweitgrößte Unternehmen Ungarns (nach dem internationalen Rohstoffhandelskonzern MOL) ist Audi Hungaria. Dabei handelt es sich keineswegs einfach um eine ausgelagerte Produktionsstätte von Audi in irgendeiner Sonderwirtschaftszone sondern um ein selbständig eben als "Audi Hungaria" agierendes Unternehmen. Einschließlich Forschung und Entwicklung. Das den normalen ungarischen Gesetzen zum Arbeitsrecht und zur Besteuerung verpflichtet ist. Ich will nicht sagen, dass am Produktions-Standort, in der Stadt Győr/Raab die Gullydeckel vergoldet sind ... aber allzuviel fehlt daran auch nicht mehr. Und natürlich sind die Einlommen nominell so verhältnismäßig gering wie sie eben sind. Nur: Seit die Fidesz an der Macht ist, nehmen diese grundsätzlich immer nur zu. Überlinear. Und zwar sowohl median- wie auch mittelwertmäßig. Das soltle man einfach im Hinterkopf haben, wenn man sich über den Erfolg dieser Partei Gedanken macht.

Die Innenstadt von Győr ist übrigens auch und auch einschließlich der Wohngebäude autofrei oder zumindest weitgehend zufahrtsbeschränkt. Auch wenn die Stadt sich diesen Luxus vor allem durch die ansässige übermächtige Autoindustrie leisten kann.

Die Unterdrückten sind Journalisten, Intellektuelle, Künstler, Musiker, Schriftsteller und natürlich auch Leute im Rechtssystem Dann die wirklich Verarmten vor allem im Osten des Landes. Und die politischen Gegner sind u.a. natürlich Leute wie ich, denen diese ganze Ungarntum-Nummer, diese Tümlerei überhaupt nicht nur unendlich auf die Nerven geht sondern denen es einfach auch immer mehr peinlich ist, überhaupt einen Bezug zu diesem Land zu haben.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von BingoBurner1 »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 10. Jun 2022, 14:28 Klingt zum Teil nicht nur so.

Das nach Umsatz und Beschäftigtenzahl zweitgrößte Unternehmen Ungarns (nach dem internationalen Rohstoffhandelskonzern MOL) ist Audi Hungaria. Dabei handelt es sich keineswegs einfach um eine ausgelagerte Produktionsstätte von Audi in irgendeiner Sonderwirtschaftszone sondern um ein selbständig eben als "Audi Hungaria" agierendes Unternehmen. Einschließlich Forschung und Entwicklung. Das den normalen ungarischen Gesetzen zum Arbeitsrecht und zur Besteuerung verpflichtet ist. Ich will nicht sagen, dass am Produktions-Standort, in der Stadt Győr/Raab die Gullydeckel vergoldet sind ... aber allzuviel fehlt daran auch nicht mehr. Und natürlich sind die Einlommen nominell so verhältnismäßig gering wie sie eben sind. Nur: Seit die Fidesz an der Macht ist, nehmen diese grundsätzlich immer nur zu. Überlinear. Und zwar sowohl median- wie auch mittelwertmäßig. Das soltle man einfach im Hinterkopf haben, wenn man sich über den Erfolg dieser Partei Gedanken macht.

Die Innenstadt von Győr ist übrigens auch und auch einschließlich der Wohngebäude autofrei oder zumindest weitgehend zufahrtsbeschränkt. Auch wenn die Stadt sich diesen Luxus vor allem durch die ansässige übermächtige Autoindustrie leisten kann.

Die Unterdrückten sind Journalisten, Intellektuelle, Künstler, Musiker, Schriftsteller und natürlich auch Leute im Rechtssystem Dann die wirklich Verarmten vor allem im Osten des Landes. Und die politischen Gegner sind u.a. natürlich Leute wie ich, denen diese ganze Ungarntum-Nummer, diese Tümlerei überhaupt nicht nur unendlich auf die Nerven geht sondern denen es einfach auch immer mehr peinlich ist, überhaupt einen Bezug zu diesem Land zu haben.

Ich kenne Ungarn gut. Ein unheimlich kulturelles Land. Doch die hellen Köpfe haben das Land verlassen. Orban will ja diese Burg ? zum Regierungssitz umbauen.
Das stößt selbst den konservativ Ungarn an. Diese Burg und die Donau gehören zu Ungarn wie das Blut in die Venen und Arterien.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 10. Jun 2022, 08:49 Einen gewissen whataboutism kann ich ehrlich gesagt nicht ganz leugnen ...

Ich sags jetzt noch mal ganz klar: Nicht nur FJS sondern auch sehr maßgebliche C-Politiker wie Alfred Dregger oder Hans Filbinger oder Bernd Posselt hätten ihre helle Freude an einem Politiker wie Viktor Orbán. Was heißt "Ungarn ist für die EU bereits verloren?" Das heutige Fidesz-Ungarn hätte regelrecht als eine Art neukonservativer Modellstaat irgendwo im Studienzentrum Weikersheim, in der Werte-Union, unter den Andenpaktlern oder in sonstirgendeiner rechtskonservativen bundesdeutschen Denkfrabrik entworfen sein können. In Hinsicht auf die Paneuropa-Union oder auch das Brüsewitz-Zentrum trifft dies in gewisser Hinsicht auch nachweislich und ganz real zu. In ähnlicher Art und Weise erklären sich auch die herausragend guten Wirtschaftsbeziehungen Deutschland/Ungarn. Ganz aktuell und nur als Beispiel: Gerade entstehen im ostungarischen Debrecen auf einem riesigen Areal Produktions- und Entwicklungsstätten von BMW. Ab 2025 geht es los. Mit oder ohne die direkt angrenzende Ukraine. Wir sind Ungarn. Wir sind Ungarn. Sie glauben, Sie befinden sich in irgendeiner Art Refugium der politisch korrekten Sorte. Sie irren sich!

Nocheinmal ein ganz anderes Thema ist das Verhältnis Fidesz-Ungarn zu Israel. Zumindest zum Netanjahu-Israel bis vor kurzem. Das hat selbstverständlich und aus historischen Gründen auch einen EU-Bezug. Zu allen möglichen Staaten pflegt Israel ein pragmatisches und auf Ziele hin orientiertes Verhältnis. Von Russland bis Aserbaidshan. Von Serbien bis zu den VAR. Das ist auch völlig vernünftig und findet absolut meinen Zuspruch. Nur: Zu Ungarn und speziell zu Orbán muss man allerdings von einem wirklich freundschaftlichen Verhältnis sprechen. Auch was die Personen anbetrifft. Beiden politischen Ansätzen ist es gemeinsam, ein identitäres Staatswesen zu schaffen. Nicht in erster Linie ein liberales, demokratisches Ungarn sondern in allererster Linie ein ungarisches Ungarn.

Auch wenn mir persönlich diese Ansätze wesensfremd sind ... so ist es eben. Nur: Sie befinden sich nicht, wir befinden uns nicht irgendwo diesseits einer gedachten Demarkationslinie hinter der jenseits die Barbarei beginnt.
Für die EU Mitgliedschaft Ungarns sind wirtschaftlich geschlossene Verträge irrelevant, siehe ähnliche Verträge mit Russland und China.
Scholz' derzeitige Rundreise verdeutlicht, was für eine EU Mitgliedschaft als relevant betrachtet wird. Um so intensiver, als Orban das Beispiel des EU Verräters in jedem Aspekt darstellt. Einschließlich der Bloßstellung der EU Hilflosigkeit, dass man diesen nicht mehr los wird und allenfalls ein wenig sanktionieren könnte, was man auch tunlichst vermeiden will. Es passt nicht zum Bild einer gütig, liebevollen Helikoptermutter EU.
Rechtzeitiges hartes Sanktionieren hätte vielleicht, aber auch nur vielleicht angesichts der nationalistischen Besoffenheit der Ungarn, einen Dämpfer versetzt. Jetzt haben die Ungarn auch noch den feuchten Traum von der Erweiterung der Landesgrenzen dank Putin von Orban geimpft bekommen.
Was Ungarn weder für die EU, noch für die Nato qualifiziert. Aber ein gutes Bild davon liefert, was eine EU Osterweiterung an Gefahrenquellen birgt.

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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Christdemokrat »

Die EU-Kommission will Ungarn verklagen, weil es Kinder und Jugendliche gesetzlich schützt.

https://www.tagesschau.de/ausland/europ ... e-101.html
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Misterfritz »

Christdemokrat hat geschrieben: Sa 16. Jul 2022, 16:24 Die EU-Kommission will Ungarn verklagen, weil es Kinder und Jugendliche gesetzlich schützt.

https://www.tagesschau.de/ausland/europ ... e-101.html
Das ist eine "nette" Fehlinterpretation Deinerseits.
Das Salz in der Suppe des Lebens ist nicht Selbstdisziplin, sondern kontrollierte Unvernunft ;)
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von BingoBurner1 »

Atalanttore hat geschrieben: Mo 13. Apr 2020, 20:02 Bei der Parlamentswahl in Ungarn 2018 haben über zwei Drittel aller Wähler ihre Stimme einer rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen Partei gegeben. Ein Großteil der ungarischen Bevölkerung möchte (Wähler) oder macht es nichts aus (Nichtwähler) in einer rechten Autokratie zu leben.

Hat sich dieses Land und seine Bevölkerung mit starker rechter Ausrichtung damit bereits als untauglich für die EU erwiesen?

Oh das weiß ich aus erster Hand. Die Menschen in Ungarn sind nicht dumm, doch sie haben schlicht keine andere Möglichkeit (en) sich zu informieren.
Das ist wie mit Russland. Die klugen, jungen Menschen hauen ab. Die Älteren aktzeptieren schlicht ihre Situation. Das nutzt ein Orban aus.

Wenn ich mit ungarischen Menschen spreche, behaupten die....... in Wien leben nur noch Muslime und jede Frau wird auf offener Straße vergewaltigt solange sie kein Kopftuch trägt.



Ich bin häufig selber ratlos wie man gegen diesen ganzen Müll gegen an argumentieren soll.



Orban ist nicht Ungarn.
Putin ist nicht Russland.

Ungarn gehört zu Europa wie Deutschland.
Zuletzt geändert von BingoBurner1 am Sa 16. Jul 2022, 16:59, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Cobra9 »

Christdemokrat hat geschrieben: Sa 16. Jul 2022, 16:24 Die EU-Kommission will Ungarn verklagen, weil es Kinder und Jugendliche gesetzlich schützt.

https://www.tagesschau.de/ausland/europ ... e-101.html
Das steht aber so nicht in der Quelle. Falsch verstanden mhmm
Andrij Melnyk nennt Rolf Mützenich den „widerlichsten deutschen Politiker“..wo Er Recht hat...

Genieße den Augenblick, denn der Augenblick ist dein Leben
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