Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

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schokoschendrezki
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben: Mi 5. Okt 2022, 14:17 Das mochte ich nicht so deutlich ausdrücken... ;) aber ich glaube, der Tiefschmerz sind die ausbleibenden Mittel für die Landwirtschaft und die Regionalförderung... und jetzt natürlich Mittel aus dem Wiederaufbaufonds der EU mit zum Teil vergemeinschafteten Schulden. D. h., es zahlt derjenige, der noch kann...
Es gibt in Ungarn in Bezug auf die gesamte EU wie auch auf Europa und irgendwo auch auf die Welt ein viel viel gravierenderes Problem als das Versickern von EU-Geldern: Das ist der aggressive Nationalismus. Es gibt starke politische Kräfte in Ungarn, die die Nichtanerkennung der bestehenden Grenzen fordern. Und eine Missachtung des völkerrechtlich bindenden Friendsvertrags von Trianon von 1920. Bei dem ein großer Teil des Ungarischen Königreichs den umgebenden Nachbarländern zufiel. Überall in Ungarn sieht man Plakate oder Aufkleber mit einem Bild, das Ungarn in den Grenzen vor dem 1. Weltkrieg zeigt. Oder Parolen wie "Ganz Ungarn!" Da die Grenzen der jetzigen EU-Staaten ebenfalls völkerrechtlich anerkannt und verbindlich sind, läuft dies - ob bewusst formuliert oder nicht - letztendlich auf einen Aufruf zu einem Wiedereroberungsfeldzug hinaus.

Und man kann den ganzen Spuk durchaus parallel zur Kreml-Ideologie vom russischen Reich und der Wiederherstellung einer fiktiven Gesamtnation sehen. Wie ein Katalysator wirkt dabei die Tatsache, dass Ungarn mit seiner nichtindoeuropäischen Sprache von lauter Ländern mit komplett anderen Landessprachen (germanische, slawische, romanische) umgeben ist. Irgendwann haben sich die Magyaren in Europa niedergelassen und nun soll das Karpatenbecken und angrenzende Teile ihre Heimstatt sein. Das ganze überwuchert mit allen möglichen historischen Ritualen und Rückbesinnungen.

Und gleichzeitig existiert dieses Netz aus moderat korrupten und fidesz-treuen Lokalpolitikern. Die wiederum ihre Leute vor Ort haben. Ein patriarchales System. Die Patriarchen wirtschaften durchaus in Eigeninteresse, sorgen sich aber auch um die Leute vor Ort. Und unter den Leuten vor Ort gibts die, die über etwas mehr Einfluss verfügen. Die Sportvereine oder (patriotische) Kultureinrichtungen unterstützen. Im Prinzip so ähnlich wie in einem der bekanntesten Auftritte des Satirikers Gerhard Polt, in welchem er eine landbayerische Gemeinderatssitzung auf die Schippe nahm.

Demgegenüber stehen die großen Städte, ihre Bevölkerung und ihre Bürgermeister. Und insbesondere Budapest als politische, kulturelle und wirtschaftliche Metropole. An dem Widerspruch zwischen den traditionalistischen Einstellungen im ländlichen Raum und der urbanen Bevölkerung in den Städten wird das System Orbán am Ende scheitern. Nicht der "Druck aus Brüssel" wird dies bewerkstelligen.
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H2O
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

Ja, diese Anmerkungen zum "größeren Ungarn" habe ich auch ein wenig ungläubig zur Kenntnis genommen. Die Türkei sieht sich in solchen Fragen in der Nachfolge der Osmanen des 17. Jahrhunderts... das will ich hier nicht weiter vertiefen. In Polen gibt es auch solche Spinner, die von "Międzymorze" und "Trójmorze" phantasieren.

Ach ja, hoffentlich lassen die Brüder und Schwestern Italiens das römische Reich aus dem Spiel, wobei zu fragen wäre: vor der Varusschlacht oder danach mit dem Limes zwischen Rhein und Donau...

Fehlt nun nur noch, daß wir uns innerhalb der EU deshalb gegenseitig verprügeln, anstatt zum Wohle der Unionsbürger bestmöglich zusammen zu arbeiten. 19. Jahrhundert...
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schokoschendrezki
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben: Fr 7. Okt 2022, 08:30 Ja, diese Anmerkungen zum "größeren Ungarn" habe ich auch ein wenig ungläubig zur Kenntnis genommen. Die Türkei sieht sich in solchen Fragen in der Nachfolge der Osmanen des 17. Jahrhunderts... das will ich hier nicht weiter vertiefen. In Polen gibt es auch solche Spinner, die von "Międzymorze" und "Trójmorze" phantasieren.
"Größeres Ungarn" heißt hier eher "Ganzes Ungarn" oder irgendetwas wie wiederhergestelltes Ungarn. Das verbindet sich mit einem Gefühl und einem Anspruch von Exzeptionalität. Das durch die Sonderstellung der ungarischen Sprache in der Region befördert wird. Dagegen hilft nur: Sich auf Völkerrecht und auf territiorale Souveranität und die Gültigkeit bestehender Verträge (insbesondere den von Trianon) zu berufen und sich gar nicht erst auf so etwas wie Ansprüche einzulasen, die sich aus igendeinem früheren Jahrhundert angeblich ergeben.
Ach ja, hoffentlich lassen die Brüder und Schwestern Italiens das römische Reich aus dem Spiel, wobei zu fragen wäre: vor der Varusschlacht oder danach mit dem Limes zwischen Rhein und Donau...

Fehlt nun nur noch, daß wir uns innerhalb der EU deshalb gegenseitig verprügeln, anstatt zum Wohle der Unionsbürger bestmöglich zusammen zu arbeiten. 19. Jahrhundert...
Das römische Reich hat doch damit nur wenig zu tun. Meines Wissens war die Haltung etwa zu Homosexualität im Römischen Reich - in gewissen Grenzen - ziemlich tolerant. Für die Melonis, Orbáns und Kaczynskis wäre dann dss römische Reich mal lax gesagt auch ein bissel sowas wie eine Hippie-Kommune. Sie wollen Sitte, Anstand, Heimat, Vaterland, Nation, Werte, Tradition, Identität. Selbstverständlich repräsentieren sie damit nur einen Teil ihrer jeweiligen Gesellschaft. Die aber im Moment eine gewisse Mehrheit hat. Und die Teil einer weltweiten und seit mehreren Jahrzehnten anhaltenden rechtskonservativ-nationalen Kehrtwende in der Welt ist.Das muss ja nich so bleiben.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

Im Strang "Quo vadis, Europa und EU?" hat ein Teilnehmer sich selbst gefragt, ob die informelle europäische Konferenz der europäischen Nachbarn (minus Belarus, minus Russische Föderation) der Nachfolger der OSZE sein könnte. Damals, in besseren Zeiten aus heutiger Sicht, hatten die europäischen Nachbarn sich darauf verständigt, daß in Europa zum Zeitpunkt der Unterschrift geltende Landesgrenzen niemals mit Gewalt verändert werden dürfen. Ewiger Frieden... und nun Pustekuchen!

Wie können ungarische und andere Chauvinisten sich mit einer solchen Festlegung abfinden? Was wollen die denn in einer solchen Versammlung? Oder gar in der EU?

Mit dem Bekenntnis: "Ich nehme die Interessen meines Landes wahr!" ist doch zugleich der Nachsatz verbunden: "Wenn unseren Partnern dadurch ein Schaden entstehen sollte... dann ist das eben so!" Müßte die EU als solidarische Gemeinschaft nicht sehr entschieden gegen derartige Erklärungen vorgehen... besonders dann, wenn sie mehrheitsfähig sind? Will sagen, ein Teil des Volkswillens darf nicht zugelassen werden, führt zu Ausschluß aus der Gemeinschaft.

Was ja automatisch geschehen ist, bei der obigen "Nachfolgeveranstaltung der OSZE". Denn die OSZE als bestehende Organisation ist tot; ihr Gründungsgedanke ist aber nach wie vor alle damit verbundenen Mühen wert. Deshalb haben sich auch die Europäer "minus XXX" in Prag versammelt. :)

Tja, dann fallen mir gleich noch die Vereinigten Nationen ein in ihrer Hilflosigkeit und Erstarrung. Wenn es die Vereinigten Nationen nicht gäbe... man müßte sie sofort erfinden... aber doch nicht so... :mad2:
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peterkneter
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von peterkneter »

Läuft wohl alles wieder wie geschmiert zwischen Orban und der EU...
https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... e3cac4fadf
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Misterfritz »

Orban und Grossungarn ... macht der jetzt den Putin?
Umstrittener Schal bei WM-Spiel
Viktor Orbán provoziert mit Verweis auf größeres Ungarn
Der ungarische Ministerpräsident hat sich bei einem Fußballspiel mit einem Schal gezeigt, auf dem Grenzen des früheren Königreichs Ungarn abgebildet waren. Diese umfassen unter anderem Teile mehrerer EU-Länder und der Ukraine.
https://www.spiegel.de/ausland/viktor-o ... ec73f1dc0a
Das Salz in der Suppe des Lebens ist nicht Selbstdisziplin, sondern kontrollierte Unvernunft ;)
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Vongole »

Misterfritz hat geschrieben: Mo 21. Nov 2022, 18:59 Orban und Grossungarn ... macht der jetzt den Putin?
Scheint so, er macht jetzt auch mit den Mullahs:
https://www.balaton-zeitung.info/37163/ ... menarbeit/
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

peterkneter hat geschrieben: Do 17. Nov 2022, 14:21 Läuft wohl alles wieder wie geschmiert zwischen Orban und der EU...
https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... e3cac4fadf
Na ja, nicht so ganz... aber "geschmiert" paßt doch ganz gut zur Sachlage...
https://www.tagesschau.de/ausland/europ ... n-103.html
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peterkneter
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von peterkneter »

H2O hat geschrieben: Mi 30. Nov 2022, 18:12 Na ja, nicht so ganz... aber "geschmiert" paßt doch ganz gut zur Sachlage...
https://www.tagesschau.de/ausland/europ ... n-103.html
Naja, ich sehe das nicht kommen. Ersmal ist es eine Empfehlung. Es müssen 15 Staaten zustimmen... ob das passiert ist mehr als fraglich.
Ungarn kann auch EU-Beschlüsse blockieren, wie unten im Artikel steht...die Zustimmung zu den BEschlüssen wird sich Orban fein erkaufen lassen...
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Misterfritz »

peterkneter hat geschrieben: Mi 30. Nov 2022, 20:40 Naja, ich sehe das nicht kommen. Ersmal ist es eine Empfehlung. Es müssen 15 Staaten zustimmen... ob das passiert ist mehr als fraglich.
Ungarn kann auch EU-Beschlüsse blockieren, wie unten im Artikel steht...die Zustimmung zu den BEschlüssen wird sich Orban fein erkaufen lassen...
Es wird sicherlich 15 Staaten geben, die zustimmen werden.
Das Blockieren von EU-Beschlüssen ist auf Dauer kein Mittel, denn Ungarn will ja was von der EU, nämlich Geld. Und da wird man sehen, wer den längeren Atem hat.
Das Salz in der Suppe des Lebens ist nicht Selbstdisziplin, sondern kontrollierte Unvernunft ;)
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Bielefeld09 »

Misterfritz hat geschrieben: Mi 30. Nov 2022, 22:06 Es wird sicherlich 15 Staaten geben, die zustimmen werden.
Das Blockieren von EU-Beschlüssen ist auf Dauer kein Mittel, denn Ungarn will ja was von der EU, nämlich Geld. Und da wird man sehen, wer den längeren Atem hat.
Im Moment stehen 13 Milliarden im Raum.
Die kriegt Orban nicht, wenn er den Rechtsstaat nicht wieder herstellt.
So kann die EU auch Politik machen.
Sorry Mods, lasst diese Laden am laufen. Das ist eben Demokratie :( :p
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jorikke
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von jorikke »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 7. Okt 2022, 08:13 Es gibt in Ungarn in Bezug auf die gesamte EU wie auch auf Europa und irgendwo auch auf die Welt ein viel viel gravierenderes Problem als das Versickern von EU-Geldern: Das ist der aggressive Nationalismus. Es gibt starke politische Kräfte in Ungarn, die die Nichtanerkennung der bestehenden Grenzen fordern. Und eine Missachtung des völkerrechtlich bindenden Friendsvertrags von Trianon von 1920. Bei dem ein großer Teil des Ungarischen Königreichs den umgebenden Nachbarländern zufiel. Überall in Ungarn sieht man Plakate oder Aufkleber mit einem Bild, das Ungarn in den Grenzen vor dem 1. Weltkrieg zeigt. Oder Parolen wie "Ganz Ungarn!" Da die Grenzen der jetzigen EU-Staaten ebenfalls völkerrechtlich anerkannt und verbindlich sind, läuft dies - ob bewusst formuliert oder nicht - letztendlich auf einen Aufruf zu einem Wiedereroberungsfeldzug hinaus.

(Fullquote)
Stimmt in weiten Teilen.
Allein, Ungarn ist ein popeliger Kleinstaat dessen Rülpserei die EU nicht aus dem Gleichgewicht bringen wird.
Gleichwohl ein Staat voller liebenswerter Menschen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

jorikke hat geschrieben: Mi 30. Nov 2022, 23:44 Stimmt in weiten Teilen.
Allein, Ungarn ist ein popeliger Kleinstaat dessen Rülpserei die EU nicht aus dem Gleichgewicht bringen wird.
Gleichwohl ein Staat voller liebenswerter Menschen.
Ja, in goldener Erinnerung aus meinen jungen Jahren: "Ich denke oft an Piroschka" mit Liselotte Pulver. Ja, wenn Ungarn so liebenswert sind, dann haben Sie Recht.

Ich kann ganz ohne Piroschka solches Lob für Polen aussprechen. Uns alten Leuten gegenüber äußerst bemüht und höflich... jedenfalls hier in West-Pommern. Und dann steht an der politischen Spitze eine Partei mit einem Parteivorsitzenden, der nichts besseres zu tun hat, als gegen seinen gutwilligen deutschen Nachbarn zu hetzen. Täglich erneut in der Gazetea Wyborcza zu lesen... und es muß ja Leute geben, die ihm bei Wahlreden im Lande noch zuhören. Na, nicht so ganz: Zu den Veranstaltungen werden nur Parteifreunde zugelassen. Das sichert "öffentliche" Begeisterung... da kann der Mann daherreden, was ihm gerade einmal gegen die EU und Deutschland einfällt.

Damit bestraft Herr Kaczyński seine Mitbürger mit dem Entzug von EU-Geldern (wegen zerstörter Rechtsstaatlichkeit) und verhindert so Fürbitten der deutschen Seite um Geduld.

Herr Orban fällt durch Kumpanei mit Putin auf... und durch nachgewiesene Kumpanei mit ungarischen Oligarchen. Da verschwinden die EU-Gelder ohne den erhofften Segen zu stiften. Ohne Überwachungsverfahren der EU dürfen in beiden Fällen keine in der Gemeinschaft von vielen Steuerzahlern erwirtschaftete Gelder mehr in diese beiden Herrschaftssysteme fließen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

jorikke hat geschrieben: Mi 30. Nov 2022, 23:44 Stimmt in weiten Teilen.
Allein, Ungarn ist ein popeliger Kleinstaat dessen Rülpserei die EU nicht aus dem Gleichgewicht bringen wird.
Gleichwohl ein Staat voller liebenswerter Menschen.
Es ist ein Land mit einer wirklich grassierenden Korruption. Mit einer erheblichen Menge von Menschen, die ein Ungarn in den Grenzen von 1919 wiederhaben wollen und dafür bereit wären, heute, 2022 in einen Krieg mit beispielsweise Rumänien zu ziehen. Gerade erst kürzlich wurde der Premier bei einem Fußballspiel mit einem Schal gesichtet, auf welchem das verbreitete Bild Ungarns in diesen Grenzen abgebildet war. Ein Land, in welchem die Regierung offen überall antisemitische Plakate (mit einer Karikatur George Soros' nämlich) aufhängen lässt. Und mit einer Opposition, die in erster Linie aus jungen Leuten, Studenten, Intellektuellen, Künstlern in den größeren Städten und namentlich in der Hauptstadt leben. Die einen hervorragenden liberalen Bürgermeister hat.

Das in den Medien verbreitete Bild von Ungarn ist unvollständig und in vielen Teilen auch verzerrt. (Gestern war ja die ungarische Regierungspolitik bzw. ihr Dissenz mit der EU Thema Nr 1 in der Tagesschau. Das kommt nicht oft vor).

Beispiel Antisemitismus: Das Verhältnis der ungarischen Regierung zur israelischen Regierung war schon immer sehr sehr gut. Das mit der neuen israelischen Regierung ist noch einmal besser. Das ist kaum verwunderlich. Orbán wird von Netanjahu als der wahre Freund Israels in Europa angesehen. Und Orbán war - auch ganz offiziell - weltweit der erste Politiker, der Netanjahu zu seinem neuerlichemn Wahlsieg gratulierte.

Beispiel Wirtschaftspolitik, "EU-Gelder". Das Problem bei vielen, gerade auch seriösen Journalisten besteht u.a. darin, dass sie auf Presseverlautbarungen, Agenturmeldungen, offizielle Interviews usw. angewiesen sind. Oder dass sie Politik- und Wirtschaftswissenschaftler an den Hochschulen befragen. Oder Twitter-Meldungen lesen. Es laufen aber heute viel mehr Dinge in Bereichen ab, die gar kein Interesse an offenen Verlautbarungen haben. Eine dieser Bereiche ist die deutsch-ungarische Industrie- und Handelskammer in Budapest als eine zentrale Vermittlungsstelle. Ich schildere mal - grob vereinfacht natürlich - wie so etwas läuft. BMW plante seit längerem ein großes Werk irgendwo in Richtung Südosten. Österreich war eine angedachte Region. Die Planungen erfordern dort aber die langwierige Prüfung von weitreichenden Auflagen. Ökologischer Art zum Beispiel. Man wendet sich an die deutsche Industrievertretung in Budapest. Die rufen ihren Duzfreund Orbán an. Der ruft seinen Fidesz-Mann in Debrecen in Ost-Ungarn an. "Habt ihr da mal ein geeignetes Gelände für ein großes BMW-Werk?. Es wird dein und euer Schaden nicht sein." "Klar doch!" Fertig. Die Geschichte ist natürlich fiktiv. Und dennoch ziemlich wahrscheinlich.

Heute investiert BMW ganz real viele Milliarden in dieses Werk in Ostungarn und wird dort eine neue Klasse von e-Mobilen fertigen. Und BMW ist nur ein Beispiel von mehreren dieser Art. Wirtschafltich ist das 10-Millionen-Land alles andere als ein "popeliger Kleinstaat". Das können oder wollen klassische Journalisten irgendwie nicht wirklich recherchieren. Und so vermittelt sich der Öffentlichkeit das Bild von einem Staat, der im Grunde mehr oder weniger vollständig von "EU-Geldern" lebt. Und dessen Regierungschef aber aus "unerfindlichen" Gründen dieses permanent selbstzufriedene Lächeln an den Tag legt. Selbst dann, wenn ihm diese Gelder entzogenn werden. Da muss man doch mal nachdenken!

Die (seriösen) Medien heute arbeiten wirtschaftlich anders als früher. Die können nicht überall Korrespondentenbüros mit etlichen Leuten bezahlen. Von denen immer auch einige in die Provinz fahren, gründlich recherchieren, sich mit den Leuten vor Ort unterhalten. Und so kommt es, dass man in scheinbar unterschiedlichen Presseerzeugnissen häufig einfach nur immer ein- und dieselben Agenturmeldungen zu lesen bekommt.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

@ Schokoschendrezki:
In Polen gibt es dazu Parallelen. Auch dort investieren deutsche Unternehmen in neue Betriebe. So ist hier (vergessen wo genau) ein Werk für Daimler- Benz-Motoren entstanden. Die Tatsache der Betriebsgründung hat sich der polnische Premierminister Morawiecki als stolze Leistung seiner PiS-Regierung an die Brust geheftet, aber doch lieber verschwiegen, wer da investiert hat. Zum offenen Fenster hinaus klagt diese Regierung dann über immer weniger polnische Eigentümer solcher Betriebe.

Polen, jedenfalls seine konservativen Politiker, haben eine ganz große Scheu, sich zur sehr engen Zusammenarbeit mit deutschen Investoren zu bekennen, die doch überall im Lande zum Wohlstand beitragen und zu gesellschaftlichen Veränderungen, oft gegen den politischen Willen der Regierungsparteien. Überall im Lande sind Betriebe wie Netto, Lidl, Kaufland, Aldi... mit einem reichen und kostengünstigen Warensortiment vertreten... und verdrängen die althergekommene Kioskwirtschaft kleiner Krauter. Die Konservativen reden diesen in ihrer selbstständigen Existenz bedrohten Kleinunternehmern nach dem Munde, aber die Entwicklung schreitet unaufhaltsam voran. Abstimmung mit den Füßen der Kunden...

Mit der EU Mitgliedschaft im gemeinsamen Markt sind eben auch die Rahmenbedingungen für Investoren aus der EU gesetzt. Während Ihrer Darstellung zufolge Herr Orban diese Möglichkeit beim Schopf packt, dürfte in Polen eher regional ein solches Projekt Unterstützer finden, die dann die Regierung in Warschau davon "überzeugen". So mein Eindruck hier in Polen. Die Konservativen kommen einfach nicht darüber hinweg, daß die EU und in der EU eben Deutschland diese Entwicklungsmöglichkeiten bieten, ganz ohne Zweifel zum Vorteil der Menschen vor Ort, mit Ausbildungsprogrammen und wachsenden Einkommen. Aber auch zum Vorteil der Unternehmen in der EU, die so aufnahmefähige neue Märkte aufschließen und dadurch wachsen.

Insofern verhält sich der Regierungschef Morawiecki ganz vernünftig: Lobt die Entwicklung als eigene Errungenschaft und vermittelt seinen Mitbürgern das Gefühl ständig wachsender Wirtschaftskraft. Was ja nicht gelogen ist... Als Beobachter der Verhältnisse sehe ich diese Entwicklung mit Freude, denn wenn es den Polen gut geht... und ihnen bewußt ist, wodurch das alles so schnell geht... kann das auf Dauer nur zum besseren Miteinander über die Oder hinweg führen.

So ähnlich dürfte die Sache auch mit Ungarn laufen. Je stärker sich die wirtschaftliche Verflechtung mit der EU und Deutschland entwickelt, desto weniger nationale Extratouren werden möglich. Auf beiden Seiten... versteht sich. Dafür werden schon die verflochtenen Wirtschaftsbetriebe sorgen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von jorikke »

schokoschendrezki hat geschrieben: Do 1. Dez 2022, 10:06 Es ist ein Land mit einer wirklich grassierenden Korruption. Mit einer erheblichen Menge von Menschen, die ein Ungarn in den Grenzen von 1919 wiederhaben wollen und dafür bereit wären, heute, 2022 in einen Krieg mit beispielsweise Rumänien zu ziehen. Gerade erst kürzlich wurde der Premier bei einem Fußballspiel mit einem Schal gesichtet, auf welchem das verbreitete Bild Ungarns in diesen Grenzen abgebildet war. Ein Land, in welchem die Regierung offen überall antisemitische Plakate (mit einer Karikatur George Soros' nämlich) aufhängen lässt. Und mit einer Opposition, die in erster Linie aus jungen Leuten, Studenten, Intellektuellen, Künstlern in den größeren Städten und namentlich in der Hauptstadt leben. Die einen hervorragenden liberalen Bürgermeister hat.
(Fullquote)
Das wäre nur dann fatal, wenn die Agenturmeldungen falsch wären.
Die werden sich aber hüten an ihre Kunden, den verschiedenen Presseorganen, dummes Zeug weiter zu leiten, es wäre ihr wirtschaftlicher Untergang.
Was wäre denn, wenn jede Redaktion einen eigenen Korrespondenten auf ein Thema ansetzt?
Im Endeffekt käme eine Vielfalt unterschiedlicher Meldungen dabei raus.
... und der Leser könnte würfeln, welcher Journalist wohl der Wahrheit am nächsten kommt.

Industrieansiedlung. Die Ungarn lieben ihren Orban weil er das Land wirtschaftlich voran bringt und den persönlichen Wohlstand gefördert und jede Menge Arbeitsplätze geschaffen hat.
Du denkst dir eine Geschichte aus, um den ungarischen Zustand zu beschreiben. Dadurch entsteht ein negativer Eindruck. So war es wohl auch gemeint.
Ich sag dir was.
Es ist genauso wie du es beschrieben hast.
Nur, was aus unserer Gesetzes-Vorschriften und Paragraphenmentalität negativ erscheint, gilt in Ungarn als respektabel solange man Erfolg hat.
Kommt dem schlitzohrigen Volkscharakter entgegen. (Vorurteil?)
Übrigens, auch hier hat man gelernt mal Fünfe gerade sein zu lassen.
Beim Bau von Musks Autofabrik im Brandenburgischen ging es vom Baubeginn bis zur Fertigstellung des ersten PKW unglaublich schnell.
Da wurde von oben der Segen erteilt.
Im Sinne des ehemaligen Innenministers Hermann Höcherl, der einst verkündete er könne doch nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm rumlaufen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

jorikke hat geschrieben: Do 1. Dez 2022, 13:56 Das wäre nur dann fatal, wenn die Agenturmeldungen falsch wären.
Die werden sich aber hüten an ihre Kunden, den verschiedenen Presseorganen, dummes Zeug weiter zu leiten, es wäre ihr wirtschaftlicher Untergang.
Das habe ich nicht behauptet. Die Meldungen seriöser Agenturen sind keineswegs "falsch". Sie verengen nur eben den Blick.
Was wäre denn, wenn jede Redaktion einen eigenen Korrespondenten auf ein Thema ansetzt?
Im Endeffekt käme eine Vielfalt unterschiedlicher Meldungen dabei raus.
... und der Leser könnte würfeln, welcher Journalist wohl der Wahrheit am nächsten kommt.
Das gehört jetzt zwar nicht direkt zum Thema. Aber Meinungsvielfalt ist eines der wichtigen Kennzeichen von Demokratie. Das umfasst nicht nur die Meinungen und Ansichten sondern auch die Schilderungen von realen Gegebenheiten. Und dann natürlich die grundsätzliche Annahme eines mündigen Bürgers, der nicht "würfelt" sondern einen Medienartikel als souveränes Individuum zu reflektieren.
Industrieansiedlung. Die Ungarn lieben ihren Orban weil er das Land wirtschaftlich voran bringt und den persönlichen Wohlstand gefördert und jede Menge Arbeitsplätze geschaffen hat.
Du denkst dir eine Geschichte aus, um den ungarischen Zustand zu beschreiben. Dadurch entsteht ein negativer Eindruck. So war es wohl auch gemeint.
Ich sag dir was.
Es ist genauso wie du es beschrieben hast.
Nur, was aus unserer Gesetzes-Vorschriften und Paragraphenmentalität negativ erscheint, gilt in Ungarn als respektabel solange man Erfolg hat.
Kommt dem schlitzohrigen Volkscharakter entgegen. (Vorurteil?)
Die Ungarn gibt es gar nicht. Das war es vor allem, was ich ausdrücken wollte und was auch meinen vielfältigen persönlichen und realen Erfahrungen in dem Land entspricht.
Das mit dem "Volkscharakter" kannst Du getrost stecken lassen. Der "Charakter" einzelner Individuen innerhalb ein- und derselben Region variiert weit mehr als der zwischen den Bevölkerungen verschiedener Regionen. Auch wenn Äußerlichkeiten, Sprache und kulturelle Gewohnheiten etwas anderes nahelegen. Es gibt keinen "Volkscharakter". In Ungarn schon gar nicht. Im Land gibt es zahllose bleibende Einflüsse aus der Zeit der türkischen Herrschaft und natürlich aus der Zeit der k.u.k.-Doppelmonarchie. Den Einfluss der deutschsprachigen Minderheiten ("Donauschwaben"). Und dann natürlich den großen Einfluss von Menschen jüdischer Herkunft. Noch immer kann man in einer Stadt wie Budapest überall diese Einflüsse aufspüren.

Auch bei den ganzen aktuellen Ungan-Diskussionen zeigt sich wieder mal, wie fragwürdig es ist, seine Sympathie oder Antipathie an ein ganzes Land oder an das zu binden, was man als "Nation" oder "Volk" oder "Kulturkreis" bezeichnet. Statt dies mit ganz konkreten politischen Bewegungen, Parteien, einzelnen Persönlichkeiten, Regierungen oder auch einer laufenden politischen Entwicklung zu verknüpfen.

Und zur Wirtschaft nochmal. Die positive Wirkung der massiven Industrieansiedlungen in Ungarn in den letzten Jahren hat zwei Seiten. Einmal das "System Orbán". Nennen wir es mal so. Zu diesem System gehört nicht nur der Regierungschef sondern ein ganzes Netzwerk von teilweise korrupten Fidesz-Politikern vor allem im ländlichen und kleinstädtischen Bereich. Und dann selbstverständlich die ansiedelnden Unternehmen. In Ungarn sind das ganz exponiert Unternehmen mit Hauptsitz in der Bundesrepublik: Siemens, Daimler, Bosch, BMW, etliche etwas kleinere und dann vor allem und an herausragender Stelle Audi. Die Zwistigkeiten zwischen den EU-Institutionen und der ungarischen Regierung scheinen so gut wie keinen Einfluss auf die Investitionstätigkeiten dieser Unternehmen zu haben. Anders sähe es aus, so nehme ich an, wenn es - wie beim Brexit - um die Einbindung Ungarns in den europäischen Binnenmarkt und den freien Waren- und Personenverkehr ginge. Aber der ist - soweit ich weiß - prinzipiell selbst ohne EU-Mitgliedschaft durch Zusatzverträge möglich.

Eine Vermutung von mir, was einer der Gründe dafür ist : Zumindest die Gelder aus dem EU-Infrastrukturfond sind zu großen Teilen bereits verbaut. Und so groß ist das Land nicht, dass es da noch irgendwelche unerschlossenen Steppen gäbe. In der Region in Nordwestungarn, in der ich mich regelmäßig aufhalte ... wenn ich allein die vielen Bahnhofsgebäude ansehe, die in letzter Zeit sorgfältig, ja geradezu liebevoll instand gesetzt wurden ... jemand, der die marode Bahninfrastruktur rund um Berlin nur zu gut kennt ... bekommt echt das Staunen. Und für die Unternehmen, die das produzierte Zeug irgendwohin abtransportieren müssen .... sind Straßen, Eisenbahnen, Brücken, Autobahnen, Wasser- und Energieversorgung da. Der wirkliche Engpass ist die begrenzte Verfügbarkeit von Fachkräften. (Das ist übrigens gar nicht so viel anders wie bei dem Megaprojekt Intel-Fabrik Magdeburg in Sachsen-Anhalt, eine 17-Milliarden-Investition). Jetzt kommt noch die ziemlich zentrale geographische Lage Ungarns in Europa dazu.
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peterkneter
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von peterkneter »

"Ministerpräsident Viktor Orban hält an seiner Ablehnung einer geplanten Auszahlung von 18 Milliarden Euro Finanzhilfe der EU an die Ukraine 2023 fest" (welt)

Orban spielt seine Karten aus. Wird Zeit, dass die EU ihm endlich sein Geld bezahlen dann wird er sicher seine Blockadehaltung aufgeben. Schlimm wie such die EU erpressen lässt..
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Vongole »

peterkneter hat geschrieben: Fr 2. Dez 2022, 15:50 "Ministerpräsident Viktor Orban hält an seiner Ablehnung einer geplanten Auszahlung von 18 Milliarden Euro Finanzhilfe der EU an die Ukraine 2023 fest" (welt)

Orban spielt seine Karten aus. Wird Zeit, dass die EU ihm endlich sein Geld bezahlen dann wird er sicher seine Blockadehaltung aufgeben. Schlimm wie such die EU erpressen lässt..
Sieht nicht danach aus, dass er Geld bekommt: https://taz.de/EU-Foerdergelder-an-Ungarn/!5899711/
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von peterkneter »

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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

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H2O hat geschrieben: Fr 7. Okt 2022, 08:30 In Polen gibt es auch solche Spinner, die von "Międzymorze" und "Trójmorze" phantasieren.
Naja, "Trójmorze" ist aber ein supranationales Projekt, kann man nicht unter der Rubrik nationale territoriale Ansprüche setzen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

oga hat geschrieben: Di 6. Dez 2022, 21:16 Naja, "Trójmorze" ist aber ein supranationales Projekt, kann man nicht unter der Rubrik nationale territoriale Ansprüche setzen.
Ja, das ist auf den ersten Blick richtig; auch "Międzymorze" (Litauen, Polen, Ukraine) kann man so sehen. Beim zweiten Hinsehen sind das aber Projekte, in denen Polen wie selbstverständlich als wirtschaftlich erfolgreichster Teilnehmer die Führung übernehmen möchte. So ähnliche Träume gab es auch schon mit der Mittelmeerunion, in der Frankreich sich in dieser Führungsfunktion sah. Die für solche Gebilde notwendigen Mittel sollten dann allerdings aus der übrigen EU fließen.

Ich bin inzwischen nach der Bildung solcher Interessengruppen wie "Visegrad" (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) sehr hellhörig geworden. Polnischen Chauvinisten geht es ganz besonders darum, in einem Kreis Erster unter Gleichen zu sein, um losgelöst von der vermeintlich deutsch-französisch geprägten EU einen eigenen unabhängig handelnden Club zu bilden.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von oga »

H2O hat geschrieben: Di 6. Dez 2022, 22:38 Ja, das ist auf den ersten Blick richtig; auch "Międzymorze" (Litauen, Polen, Ukraine) kann man so sehen. Beim zweiten Hinsehen sind das aber Projekte, in denen Polen wie selbstverständlich als wirtschaftlich erfolgreichster Teilnehmer die Führung übernehmen möchte.
Möglich, ich kenne das Projekt "Międzymorze" nicht, nur das "Trójmorze" und dort geht es hauptsächlich um Infrastrukturen. Ergo ist es normal, dass die Finanzierung teilweise mit EU Gelder erfolgt. Ist ja im Moment in den einzelnen Ost/Mitteleuropa Ländern auch nicht anders.

Was das Liebäugeln mit der führenden Rolle anbetrifft... was macht Polen da anders als die anderen? ;)
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

oga hat geschrieben: Mi 7. Dez 2022, 00:40 (...)
Was das Liebäugeln mit der führenden Rolle anbetrifft... was macht Polen da anders als die anderen? ;)
Nichts, wirklich nichts; auch nicht die Vorstellung, daß Dritte dafür zahlen sollen. Auf diese Weise wurde die Mittelmeerunion schon still und ohne Pomp beerdigt. Das Europa der Gernegroßen hat sich im 20. Jahrhundert selbst erledigt. Sollte nicht im 21. Jahrhundert noch einmal erprobt werden.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

Vongole hat geschrieben: Fr 2. Dez 2022, 15:57 Sieht nicht danach aus, dass er Geld bekommt: https://taz.de/EU-Foerdergelder-an-Ungarn/!5899711/
Nein. Und das ist auch richtig so.

Allerdings: Schon der erste Satz aus dem verwiesenen Artikel:
Einsicht in eigene Verfehlungen gehört nicht zu den Tugenden, die Ungarns Premier Viktor Orbán und sein rechtsnationalistisches Umfeld auszeichnen.
Ich mein: So dumm kann man doch nicht sein! Dass man annimmt, dass der ungarische Premier abends vor dem Schlafengehen über seine "Verfehlungen" nachdenkt und dann eventuell zu irgendeiner "Einsicht" kommt. Mann! Der verfolgt einfach konsequent seine Interessen. Was denn sonst? Und die, die dagegen halten, ihre. Wir sind doch nicht im Kindergarten.

Ähnlich aus einem Kommentar im DLF von Peter Kapern vor etwa einer Woche:
Das Wasser steht dem Mann mittlerweile bis zum Hals, vor allem finanziell. Die Wirtschaft, in die er gern mal dirigistisch eingreift, ist abgeschmiert, die staatliche Dämpfung des Energiepreisanstiegs kann sich das Land nicht leisten. Die Inflation liegt bei 20 Prozent, die Zinsen bei 17. Für Brot und Spiele ist dem Mann das Geld ausgegangen. Die EU wird den Machtkampf mit Orbán gewinnen, er sitzt am kürzeren Hebel. Es wird ein süßer Sieg sein. Ein Sieg der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit über den Autoritarismus.
https://www.deutschlandfunk.de/ungarn-e ... n-100.html
Unfug. Die Wirtschaft ist nicht "abgeschmiert" sondern läuft wie geschmiert. So sieht eine nüchterne und illusionslose Analyse der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung Ungarns bis aktueller Zeitpunkt aus: https://www.budapester.hu/wirtschaft/di ... hend-raus/ Es gibt in diesem Herbst einen BIP-Rückgang um 0,4 Prozent. Und gleichzeitig einen Anstieg zum Vorjahr um 4,1 Prozent. Und eine Steigerung der Wirtschaftsleistung von Januar bis September 22 um 6,1 Prozent. 2020 gab es Coronabedingt einen drastischen Einbruch. Das Land war zeitweilig quasi unbetretbar. Man denke nur an die Auswirkungen im Tourismus-Bereich. Und noch immer ist man jetzt, Dezember 22, auf einem höheren Niveau als vor Corona. Ich weiß nicht so recht, in welcher Welt einige Journalisten eigentlich leben. In meiner jedenfalls nicht.

Das einzige was stimmt, ist die Inflationsrate. Die ist tatsächlich hoch. Aber ersteinmal wird die allgemeine Verteuerung - nach meinen Beobachtungen - von den Bürgern dennoch als nicht so dramatisch wahrgenommen wie etwa hier in Deutschland oder etwa in UK. Und dann: Wenn ich die Zusammenhänge richtig verstehe, führt die moderate Abwertung der Landeswährung Forint sogar noch zu einer Verstärkung der Investitionstätigkeiten großer Unternehmen. Jedenfalls solange Infrastruktur und Fachkräfteangebot ihr Niveau halten. Und das tun sie in Ungarn sehr wohl.

Das richtige Vorgehen gegen die Entdemokratisierungstendenzen in Ungarn ist meiner Ansicht nach eine Solidarisierung mit der Opposition und vor allem mit den zurückgedrängten kritischen Medien und Presseinstitutionen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein Teil der Öffentlichkeit Ungarn einfach irgendwie nicht mag. Und sich in infantilen Äußerungen wie "es wird ein süßer Sieg" irgendwie Luft zu machen versucht.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von peterkneter »

schokoschendrezki hat geschrieben: Mi 7. Dez 2022, 11:16 Nein. Und das ist auch richtig so.
(Fullquote)
Sehe ich genauso. Orban wurde schon genausoof für tot erklärt wie Trump. Dadurch wird man ihn nicht los.Genausowenig bin ich aber auch dafür, dass die EU wieder auf ihn zu geht und sich die Ukrainehilfe bei ihm für EU Gelder nach Ungarn kauft.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Haegar »

peterkneter hat geschrieben: Mi 7. Dez 2022, 17:40 ... Orban wurde schon genausoof für tot erklärt wie Trump. Dadurch wird man ihn nicht los.Genausowenig bin ich aber auch dafür, dass die EU wieder auf ihn zu geht und sich die Ukrainehilfe bei ihm für EU Gelder nach Ungarn kauft.
Das Bild des einsamen Kämpfers gegen das Establishment geht eine gewisse Zeit gut. Wie bei Trump. Ist nichts Neues und findet immer wieder Menschen die dran glauben. Sieht man auch bei Trump. aber auch hier nutzt sich das immer mehr ab. Sieht man auch bei Trump und die Menschen erkennen, dass sie auch hier die sind, die von diesen (Maul-)Helden für dumm verkauft werden. Meist dann, wenn das "Establishment" "ernst" macht und seine Werte durchsetzt. Und es ans Geld geht. Wie immer. :D
Also:
Schau mer mal.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

Haegar hat geschrieben: Do 8. Dez 2022, 15:10 Das Bild des einsamen Kämpfers gegen das Establishment geht eine gewisse Zeit gut. Wie bei Trump. Ist nichts Neues und findet immer wieder Menschen die dran glauben. Sieht man auch bei Trump. aber auch hier nutzt sich das immer mehr ab. Sieht man auch bei Trump und die Menschen erkennen, dass sie auch hier die sind, die von diesen (Maul-)Helden für dumm verkauft werden. Meist dann, wenn das "Establishment" "ernst" macht und seine Werte durchsetzt. Und es ans Geld geht. Wie immer. :D
Also:
Schau mer mal.
Was Trump bzw. eigentlich eher den Trumpismus anbelangt ... bin ich eher skeptisch. Aber darum gehts hier auch nicht.

Das eigentliche und absolut treffende Vergleichssubjekt zu Viktor Orbán ist der Gouverneur von Florida, Ronald deSantis. Dieser sogenannte "Trump mit Gehirn". Der hat bereits explizit und öffentlich seine Bewunderung für Orbán geäußert. (Ähnlich wie die neue italienische Regierungschefin Meloni). Auch deSantis wird als aussichtsreicher nächster US-Präsident gehandelt.

Orbán ist in keinster Weise ein einsamer Kämpfer gegen das Establishment. Im Gegenteil. Er ist Bestandteil des Establishments. Zum wiederholten male verweise ich auf die ausgezeichneten Beziehungen Orbáns zu den "Wirtschaftskapitänen". Insbesondere denen aus Deutschland. Es ist mit Ungarn im Kleinen wie mit China im Großen. Man hat den Eindruck: Je mehr sich die westlichen Staaten offiziell von China politisch distanzieren, umso intensiver werden die Wirtschaftsbeziehungen und insbesondere die Investitionstätigkeiten großer Unternehmen. Ich habe schon Sätze gehört bzw. gelesen wie sinngemäß "Die gesamte verarbeitende Industrie Deutschlands ist ohne die Produktion in China gar nicht mehr denkbar".

Nochmal zu BMW: Die Fertigungsstätte in Debrecen wird für das Unternehmen das Versuchsfeld nicht nur für die Produktion von E-Mobilen sondern überhaupt für neue Richtlinien in der Fertigung. 2025 soll es losgehen und dann auch zur Blaupause für Produktionsstätten in D werden. Ungarn wird - neben Ländern wie Slowakei - so etwas wie die Industriewerkstatt Europas. https://www.handelsblatt.com/unternehme ... 92494.html Es geht einfach nicht besser: Infrastruktur, geographische Lage, Nähe zu Deutschland, Fachkräfteangebot, moderate Löhne. Das einzige Problem ist, dass es nur rund 10 Millionen Ungarn gibt.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben: Mi 7. Dez 2022, 10:56 Nichts, wirklich nichts; auch nicht die Vorstellung, daß Dritte dafür zahlen sollen. Auf diese Weise wurde die Mittelmeerunion schon still und ohne Pomp beerdigt. Das Europa der Gernegroßen hat sich im 20. Jahrhundert selbst erledigt. Sollte nicht im 21. Jahrhundert noch einmal erprobt werden.
Es gab um das Jahr 2000 herum und davor glaube ich auch schon mal die Vorstellung von irgendeiner Art Alpen-Union. Mit CSU und FPÖ. Und dann gabs diesen Hypo-Alpe-Adria-Skandal. Und dann vor allem die Beteiligung von Jörg Haider an einer Ö-Regierung. Und darauf folgend die - wenn ich es recht sehe - bislang einzigen wirklich konsequent und ernsthaft durchgeführten EU-Sanktionen gegen ein Mitglied. Österreich nämlich. Ich glaub, wenn ich mich recht erinnere, dass da irgendeine Fußball-Meisterschaft stattfand und dass plötzlich wieder verschärfte Grenzkontrollen stattfanden.

Ja. Hats was gebracht?

Der eine Wahlkampf in Ö zu der Zeit ... irgendwann Ender der 90er ... der war dermaßen eklig. Mit mehr oder weniger offenen antisemitischen Äußerungen. Zu der Zeit habe ich angefangen, mir zu denken: Vielleicht ist eine nicht so sehr institutionelle EU von unten und mit Fokus auf Wirtschaft und freien Waren- und Personenverkehr vielleicht doch besser. Was soll ich denn mit Haider oder Kurz? Oder vielleicht irgendwann nächstens mit Marine Le Pen?
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

@ schokoschendrezki:

Was sollen wir denn mit solchen zwielichtigen Gestalten, die wie selbstverständlich Personen, Waren und Dienstleistungen in "Ihrer" entflochtenen EU umherziehen lassen? Dann finde ich es ebenso vernünftig oder unvernünftig, auf demokratische Mehrheiten einer eng verflochtenen EU zu bauen, die solchen halbseidenen Gestalten die Rückzugsmöglichkeiten nimmt, weil etwa eine europäische Finanzpolizei den vollen Durchgriff bis in die letzte Berghütte hat.

Derzeit sieht es doch ganz danach aus, als ob die USA sich auf demokratische Weise vom zeitweise übermächtigen Präsidenten Trump lösten. Ich will gar nicht ausschließen, daß auch eine europäische Föderation sich mit solchen Gestalten herumschlagen müßte. Deshalb wäre mir eine Bundesrepublik Europa angenehmer... wo also klare Machtbegrenzungen und Hierarchien wirken. Wo unsere Außengrenzen von FRONTEX kontrolliert werden... und kein zwielichtiger Bulgare mit staatlicher Hoheit Zuwanderer nach Europa schleust oder Unionsbügerschaften meistbietend verkaufen kann.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von oga »

H2O hat geschrieben: Fr 9. Dez 2022, 15:25 Wo unsere Außengrenzen von FRONTEX kontrolliert werden... und kein zwielichtiger Bulgare mit staatlicher Hoheit Zuwanderer nach Europa schleust oder Unionsbügerschaften meistbietend verkaufen kann.
Etwas spät, findest du nicht?
Die 1'500'000 Zuwanderer von 2015 "Wir schaffen das" sind kaum zu toppen, egal wie viel Pässe verscherbelt werden.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von H2O »

oga hat geschrieben: Fr 9. Dez 2022, 17:48 Etwas spät, findest du nicht?
Die 1'500'000 Zuwanderer von 2015 "Wir schaffen das" sind kaum zu toppen, egal wie viel Pässe verscherbelt werden.
Ach nein; weil uns 2015 eine solche Welle kalt erwischt hat, müssen wir 2022 und folgende Jahre weiter ohne eine Gemeinschaftslösung korrupte nationale Dienste ertragen? Denn genau darum geht es im Gespräch mit @Schokoschendrezki.

Aber Danke für Ihr Interesse.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von jorikke »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 2. Dez 2022, 09:11 Das habe ich nicht behauptet. Die Meldungen seriöser Agenturen sind keineswegs "falsch". Sie verengen nur eben den Blick.
(Fullquote)

Die Ungarn gibt es gar nicht. Das war es vor allem, was ich ausdrücken wollte und was auch meinen vielfältigen persönlichen und realen Erfahrungen in dem Land entspricht.
Das mit dem "Volkscharakter" kannst Du getrost stecken lassen. Der "Charakter" einzelner Individuen innerhalb ein- und derselben Region variiert weit mehr als der zwischen den Bevölkerungen verschiedener Regionen. Auch wenn Äußerlichkeiten,
"Die Ungarn gibt es gar nicht..."
Ein Satz den man auf alle Völker anwenden kann.
Gleichwohl ist es völlig richtig von "den Ungarn", den Deutschen usw. zu reden, wenn man sich auf typische Eigenschaften bezieht.
Deshalb ist die Kritik an einer solchen Bemerkung recht sinnfrei.
Wer kann schon von jedem einzelnen Ungarn ein Psychogramm erstellen, lediglich, um sich nicht dem Vorwurf der Verallgemeinerung auszusetzen?
Ich wiederhole also genussvoll: Der gemeine Ungar an sich ist ein Schlitzohr.
Deshalb schätze ich sie so.
Ich kann gar nicht anders, zu viel Verwandtschaft dort.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Vongole »

Der gemeine Ungar mag ein Schlitzohr sein, ist aber kein Grund, diese Sympathie auf Orban auszuweiten.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von peterkneter »

6,3 Mrd Euro werden eingerforen.
https://www.spiegel.de/ausland/wegen-ko ... 979709a180
1,2 Mrd hat Orban für seine "Bemühungen" dann noch erhalten. Mal sehen, wann diese Milliarden wieder aufgetaut werden...
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben: Fr 9. Dez 2022, 10:06

Nochmal zu BMW: Die Fertigungsstätte in Debrecen wird für das Unternehmen das Versuchsfeld nicht nur für die Produktion von E-Mobilen sondern überhaupt für neue Richtlinien in der Fertigung. 2025 soll es losgehen und dann auch zur Blaupause für Produktionsstätten in D werden. Ungarn wird - neben Ländern wie Slowakei - so etwas wie die Industriewerkstatt Europas. [
Kann sich Orban Ungarn das BMW Werk nach der Sperrung der EU Milliarden noch leisten, oder sind die Anreizmillionen bereits zur Gänze geflossen?
Kann ich mir nicht vorstellen. Er lockte wohl eher mit den EU Milliarden die jetzt nicht fließen. Wenn Orbans Familie und die Parteikasse aus den EU Geldern bedient ist, dann ist nicht mehr viel übrig.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Christdemokrat »

peterkneter hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 08:50 6,3 Mrd Euro werden eingerforen.
https://www.spiegel.de/ausland/wegen-ko ... 979709a180
1,2 Mrd hat Orban für seine "Bemühungen" dann noch erhalten. Mal sehen, wann diese Milliarden wieder aufgetaut werden...
Die hochgradig korrupte EU wirft Ungarn mangelnde Korruptionsbekämpfung vor? Das ist schon sehr realsatirisch.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 09:17 Kann sich Orban Ungarn das BMW Werk nach der Sperrung der EU Milliarden noch leisten, oder sind die Anreizmillionen bereits zur Gänze geflossen?
Kann ich mir nicht vorstellen. Er lockte wohl eher mit den EU Milliarden die jetzt nicht fließen. Wenn Orbans Familie und die Parteikasse aus den EU Geldern bedient ist, dann ist nicht mehr viel übrig.
Nicht dass ich wüsste, dass eine Regierung die Errichtung einer Produktionsstätte eines großen internationalen Unternehmens bezahlt. Dieses dann "Danke" sagt, einzieht und zu produzieren beginnt und schön Umsätze erwirtschaftet.

Das was die Zielländer von Investoren leisten sind doch in der Regel nur Infrastruktur, Fachkräftebereitstellung und zuweilen auch Steuervergünstigung. Das ist im Falle Ungarns aber alles bereits vorhanden und muss gar nicht nochmal mühsam erarbeitet und finanziert werden. Das ist doch eines der wesentlichen Punkte: Ungarn besteht nirgendwo aus erst urbar zu machender Wüste, hat ein ziemlich gutes Bildungssystem und befindet sich außerdem sowieso bereits im mitteleuropäischen Raum.

Der tatsächlich zum Teil katastrophale Grad von Korruption, der auch den Freundes- und Verwandtenkreis Orbáns selbst betrifft ... der hat mit dieser Investorentätigkeit eher wenig zu tun.

So bestürzend dieses Phänomen auch ist. Seine Tochter, Rahel, nur um mal ein Beispiel zu geben, hat mitten im streng geschützten Zweiländer-Naturpark Neusiedler See am einzigen direkten Seezugang Ungarns, in Fertörákos, ein Immobilienprojekt vorangetrieben. Irgendwann vor zwei drei Jahren brach dort ein Großfeuer aus. Löschfahreuge aus Ungarn wie auch aus Österreich haben versucht, den Brand zu löschen. Heute kenne ich wirklich niemanden aus der Gegend, der einen Zweifel daran hegt, dass dieser Brand vorsätzlich verursacht wurde, um das Gelände "frei" zu machen. Das heute übrigens nicht mehr begehbar ist. Jahrelang gabs dort eine große und schöne öffentliche Badestelle.

Nur: Der Irrtum besteht darin, zu glauben, dass diese Zustände Investoren irgendwie an ihrer Tätigkeit behindern würde. Da muss es schon ganz schlimm, viel viel schlimmer als jetzt kommen. Es hat einen Angriffskrieg gebraucht, damit große deutsche Investoren sich allmählich aus Russland zurückgezogen haben. Die Deutsche Bank zum Beispiel. Die war selbst in etliche Fälle von Betrug und kriminellen Machenschaften in Russland verwickelt. Konnten aber stets entsprechend kompetente Anwälte bezahlen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

peterkneter hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 08:50 6,3 Mrd Euro werden eingerforen.
https://www.spiegel.de/ausland/wegen-ko ... 979709a180
1,2 Mrd hat Orban für seine "Bemühungen" dann noch erhalten. Mal sehen, wann diese Milliarden wieder aufgetaut werden...
6,3 Milliarden sind auch für ein Land, dessen Wirtschaft ganz gut läuft, ein ziemlicher Batzen Geld. Vor allem wenn das Land selbst nur etwa 10 Millionen Einwohner hat. Mal nachrechnen, Wieviel für jeden Ungarn? :p

Aber dennoch, und um die Maßstäbe deutlich zu machen: Das größte Unternehmen Ungarns (MOL) macht etwa 11 Mrd. Euro, das zweitgrößte (Audi Hungaria) etwa 7 Mrd. Euro Jahresumsatz. Und so geht es weiter. Da kommen noch etliche gut wirtschaftende Unternehmen hinzu. Es besteht absolut kein Mangel daran.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Haegar »

Christdemokrat hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 13:37 Die hochgradig korrupte EU wirft Ungarn mangelnde Korruptionsbekämpfung vor? Das ist schon sehr realsatirisch.
Im Gegensatz zu Budapest werden solche Menschen in Brüssel angeklagt, verhaftet und kommen vor den Richter. Das ist schon eher die Realität. Ohne Satire. :cool:
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Misterfritz »

schokoschendrezki hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 14:01 6,3 Milliarden sind auch für ein Land, dessen Wirtschaft ganz gut läuft, ein ziemlicher Batzen Geld. Vor allem wenn das Land selbst nur etwa 10 Millionen Einwohner hat. Mal nachrechnen, Wieviel für jeden Ungarn? :p

Aber dennoch, und um die Maßstäbe deutlich zu machen: Das größte Unternehmen Ungarns (MOL) macht etwa 11 Mrd. Euro, das zweitgrößte (Audi Hungaria) etwa 7 Mrd. Euro Jahresumsatz. Und so geht es weiter. Da kommen noch etliche gut wirtschaftende Unternehmen hinzu. Es besteht absolut kein Mangel daran.
Wenn es so ist, wie Du das schilderst,
wozu braucht Ungarn dann überhaupt noch Geld von der EU?
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 13:50 Nicht dass ich wüsste, dass eine Regierung die Errichtung einer Produktionsstätte eines großen internationalen Unternehmens bezahlt. Dieses dann "Danke" sagt, einzieht und zu produzieren beginnt und schön Umsätze erwirtschaftet.

Das was die Zielländer von Investoren leisten sind doch in der Regel nur Infrastruktur, Fachkräftebereitstellung und zuweilen auch Steuervergünstigung. Das ist im Falle Ungarns aber alles bereits vorhanden und muss gar nicht nochmal mühsam erarbeitet und finanziert werden. Das ist doch eines der wesentlichen Punkte: Ungarn besteht nirgendwo aus erst urbar zu machender Wüste, hat ein ziemlich gutes Bildungssystem und befindet sich außerdem sowieso bereits im mitteleuropäischen Raum.

Der tatsächlich zum Teil katastrophale Grad von Korruption, der auch den Freundes- und Verwandtenkreis Orbáns selbst betrifft ... der hat mit dieser Investorentätigkeit eher wenig zu tun.

So bestürzend dieses Phänomen auch ist. Seine Tochter, Rahel, nur um mal ein Beispiel zu geben, hat mitten im streng geschützten Zweiländer-Naturpark Neusiedler See am einzigen direkten Seezugang Ungarns, in Fertörákos, ein Immobilienprojekt vorangetrieben. Irgendwann vor zwei drei Jahren brach dort ein Großfeuer aus. Löschfahreuge aus Ungarn wie auch aus Österreich haben versucht, den Brand zu löschen. Heute kenne ich wirklich niemanden aus der Gegend, der einen Zweifel daran hegt, dass dieser Brand vorsätzlich verursacht wurde, um das Gelände "frei" zu machen. Das heute übrigens nicht mehr begehbar ist. Jahrelang gabs dort eine große und schöne öffentliche Badestelle.

Nur: Der Irrtum besteht darin, zu glauben, dass diese Zustände Investoren irgendwie an ihrer Tätigkeit behindern würde. Da muss es schon ganz schlimm, viel viel schlimmer als jetzt kommen. Es hat einen Angriffskrieg gebraucht, damit große deutsche Investoren sich allmählich aus Russland zurückgezogen haben. Die Deutsche Bank zum Beispiel. Die war selbst in etliche Fälle von Betrug und kriminellen Machenschaften in Russland verwickelt. Konnten aber stets entsprechend kompetente Anwälte bezahlen.
Mir ist die Praxis, Konzernen die Errichtung eines Werks im Land per Handschlag durch die jeweilige Regierung zu vergolden bekannt. Das funktioniert auch anders herum, wenn der Konzern seine Ansprüche bekannt gibt. Ich gehe jede Wette ein, dass das auch in Orbans Ungarn so läuft.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von JJazzGold »

Misterfritz hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 17:19 Wenn es so ist, wie Du das schilderst,
wozu braucht Ungarn dann überhaupt noch Geld von der EU?
Die braucht Orban für den Wahlkampf und die danach einzuhaltenden Versprechen, wenigstens zwei oder drei davon.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Christdemokrat »

Haegar hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 16:54 Im Gegensatz zu Budapest werden solche Menschen in Brüssel angeklagt, verhaftet und kommen vor den Richter. Das ist schon eher die Realität. Ohne Satire. :cool:
Ich habe noch nie gehört, daß es im ungarischen Parlament eine solche Korruption gibt wie im EU-Parlament.

Die EU verschenkt auch Milliarden Euro Steuergeld in die Ukraine, die zwar kein Mitglied der EU, aber bekanntlich einer der korruptesten Staaten der Welt ist. Dort füllen sich die mächtigen Oligarchen ihre Taschen aus den öffentlichen Kassen.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Schnitter »

Christdemokrat hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 20:43 Ich habe noch nie gehört, daß es im ungarischen Parlament eine solche Korruption gibt wie im EU-Parlament.
Ungarn ist nach Bulgarien der zweitkorrupteste Staat der EU:

https://www.transparency.de/cpi/cpi-202 ... rangliste/
Die EU verschenkt auch Milliarden Euro Steuergeld in die Ukraine, die zwar kein Mitglied der EU, aber bekanntlich einer der korruptesten Staaten der Welt ist.
Das tut die EU weil die Ukraine von einem faschistischem Regime überfallen wurde, dessen erklärtes Feindbild die liberale Demokratie ist.

Jeder Cent ist also gut angelegt.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Haegar »

Christdemokrat hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 20:43 Ich habe noch nie gehört, daß es im ungarischen Parlament eine solche Korruption gibt wie im EU-Parlament.

...
Ja, deshalb kommt es auch zu solchen EU-feindlichen Sätze. Weil man halt selektiv "hört".

In Ungarn verteilt der "Boss" die EU-Gelder an seine "Familien-Mitglieder". Also fast christdemokratische Zustände. :D
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von Misterfritz »

Christdemokrat hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 20:43 Ich habe noch nie gehört, daß es im ungarischen Parlament eine solche Korruption gibt wie im EU-Parlament.
Wenn im Land Korruption nicht bekämpft wird, kommt solche auch nicht raus.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 19:02 Mir ist die Praxis, Konzernen die Errichtung eines Werks im Land per Handschlag durch die jeweilige Regierung zu vergolden bekannt. Das funktioniert auch anders herum, wenn der Konzern seine Ansprüche bekannt gibt. Ich gehe jede Wette ein, dass das auch in Orbans Ungarn so läuft.
Also im Falle der Produktionsstätte von BMW in Debrecen/Ostungarn ist die Diskussion über ihre Fertigstellung eigentlich überflüssig. Das Unternehmen (nicht der ungarische Staat) hat bereits mehrere Milliarden in das Projekt fließen lassen und es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass dort ab 2025 Fahrzeuge der "Neuen Klasse" (NK1) gefertigt werden.

Liebe blau-weiß Schreibende. Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass Viktor Orbán einer der blau-weiß-geprägtesten Politiker Europas ist. Jahrelang war er der liebe Ehrengast und Freund bei CSU-Parteitagen wie auch bei internen Partei-Klausuren. Betrachten Sie nur einmal dieses schöne Bild bayrisch-ungarischer Eintracht: https://www.fr.de/bilder/2018/01/05/109 ... 00-L70.jpg Zeitweilig wurden Politikerinnen der Schwesterpartei CDU ausgeladen und dafür Politiker der Bruderpartei Fidesz eingeladen. Jahrelang hat sich der CSU-Poltiker Manfred Weber in der EVP-EU-Fraktion hartnäckig vor die ungarische Regierungspartei gestellt. Das sind aber nur die öffentlich gewordenen Bilder und Informationen. Der bayrische Einfluss auf Ungarn reicht viel viel weiter. Das hat mit dem Flügel in der CSU zu tun, der mit dem Namen Otto von Habsburgs verbunden ist und der nach seinem Tod vor allem von dem CSU-Politiker Bernd Posselt vertreten wird. Ich bin absolut überzeugt davon, dass wesentliche Teile der neuen ungarischen Verfassung von 2011/2012 ("Osterverfassung") unter maßgelichem Einfluss von CSU-Politikern rund um Bernd Posselt entstanden sind. Dazu muss man einerseits diese Verfassung und andererseits die in vielen Jahren geschriebenen Artikel von Posselt (vor allem im Rahmen der rechtskonservativen Paneuropa-Union) kennen.

Für die Ungarn, die sich als Orbán-Fans verstehen, lässt sich die Fidesz-Ideologie kurz und knapp als "Wir in Ungarn" zusammenfassen. Ganz analog zu "Wir in Bayern".

Eins ist allerdings auch richtig: Der Einfluss dieser politischen Strömung innerhalb der CSU ist in jüngerer Zeit deutlich zurückgegangen. Mit dem Ergebnis, dass dieser Einfluss bei vielen Zeitgenossen aus dem Gedächtnis verschwunden ist oder - wahrscheinlicher - einfach verdrängt wurde.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

Misterfritz hat geschrieben: Di 13. Dez 2022, 17:19 Wenn es so ist, wie Du das schilderst,
wozu braucht Ungarn dann überhaupt noch Geld von der EU?
Na sagen wir mal so: Es handelt sich um eine solche Summe, dass man sie auch dann nicht leichtfertig verspielt, wenn man nicht absolut zwangsläufig darauf angewiesen ist.

Nur zum Vergleich: Noch Ende September war die Auszahlung von EU-Geldern an Italien unsicher. Es handelt sich dabei um eine wirklich erhebliche Summe. Ich glaube irgendwas um die 70 Milliarden. Auch wenn Italien wesentlich größer und bevölkerungsreicher ist. Sie wurden wohl inzwischen ausgezahlt. Aber auch bei Androhung einer Nichtauszahlung hätte die neue rechte Meloni (Orbán-Fangirl)-Regierung - bin ich überzeugt - um nichts in der Welt ihr politisches Programm in den Kernpunkten revidiert.

Und in Italien wie auch in Ungarn flutscht die Wirtschaft - trotz der sehr negativen politischen Entwicklungen. Es gibt deutlich höheres Wachstum als in der Durchschnitts-EU. Mach was! Nur: Was? Die Leidtragenden dieser Politik in Ungarn sind in erster Linie junge Leute in den großen Städten, Künstler, Journalisten, Intellektuelle. Ich stehe total auf ihrer Seite. Aber: Ich kenne auch die, denen es gut geht und die ganzjährig eine ungarische Fahne aus dem Fenster wehen lassen und Orbán und seine Politik klasse finden.
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Re: Ist Ungarn für die EU bereits verloren?

Beitrag von schokoschendrezki »

Haegar hat geschrieben: Do 15. Dez 2022, 10:59 Ja, deshalb kommt es auch zu solchen EU-feindlichen Sätze. Weil man halt selektiv "hört".

In Ungarn verteilt der "Boss" die EU-Gelder an seine "Familien-Mitglieder". Also fast christdemokratische Zustände. :D
Richtig. Korruption in Ungarn findet vor allem deshalb nicht im Parlament statt, weil die Regierungspartei dort ohnehin über eine deutliche Mehrheit verfügt. Deshalb kann man sich auch gleich und direkt an den Fidesz-Parteiapparat wenden. Orbán verfügt über ein Netz an loyalen Regionalpolitikern, Bürgermeistern und lokalen Wirtschaftspatriarchen. Wer sich nicht loyal verhält, wird erstmal bei den Ausgaben und Steuergeldverteilungen ausgedünnt. So einfach so effizient.
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