Alle beteilligten Parteien sprechen mittlerweile einmütig von Fortschritten in den Gesprächen. Wenn man die Aussagen von Bagheri-Kani, Amir Abdollahian und auch Marandi anschaut, dann reden sie nicht mehr darüber, dass alle Sanktionen sofort aufgehoben werden sollen, sondern es geht jetzt um die Frage der Verifikation der Sanktionsaufhebung und was man dem Iran für Garantien geben kann, dass die USA den Deal nicht nochmal verlassen. Das scheint zu implizieren, dass man bei der Frage, was mit dem ausgebauten iranischen Atomprogramm passiert oder welche Sanktionen genau aufgehoben werden sollen, nicht mehr allzu weit entfernt voneinander ist. Auch hat man ja monatelang gefordert, dass die USA sofort alle Sanktionen aufheben sollen. Da scheint es mittlerweile zu reichen, dass die USA den ersten Schritt machen müssen, der dann natürlich schon erheblich sein muss. Das wird für die USA kein Problem sein, weil man hat ja gesehen, dass man die Sanktionen auch schnell wieder verhängen kann... Ich vermute daher, dass die USA als ersten Schritt zahlreiche Sanktionen aufheben und der Iran dann in Reaktion darauf seine Anreichungssachen abbaut.
Es sieht sehr stark danach aus, dass die Iraner nach ihrem anfänglichen Versuch alles neu zu verhandeln, vor allem von den Russen ein paar deutliche Worte zu hören bekommen haben und dann jetzt doch die politische Entscheidung getroffen haben in Wien zu einer Einigung zu kommen. Dabei will man offensichtlich vermeiden, dass es zu einer Wiederholung des Szenarios unter Rohani kommt, dass man den Deal abschließt und das eigene Atomprogramm zurückbaut, dann aber die wirtschaftlichen Vorteile nicht oder nur stark eingeschränkt eintreten. Das ist natürlich aktuell besonders drängend, weil abzusehen ist, dass die USA in 3 Jahren wieder aussteigen könnten. Es spricht also alles dafür, dass es ihnen wie Rohani ergehen wird. Hier ist dann natürlich die Frage, wie schnell die Iraner dann in so einem Fall ihr Atomprogramm wieder hochfahren können. Zum Beispiel darf man vermuten, dass das angereicherte Uran an Russland übergeben wird, aber was passiert mit den Zentrifugen? Werden sie auch an Russland übergeben oder darf man sie behalten, sie werden aber auf irgendeine Weise unbrauchbar gemacht. (Ein paar dieser Punkte werden in
diesem Artikel diskutiert.)
Die USA und vor allem die Europäer werden auch großes Verständnis dafür haben, dass die Iraner Garantien für den Fall wollen, dass ein Trumpist ins Weiße Haus einzieht. Aber die USA werden sich natürlich auch auf nichts einlassen, dass das Machtverhältnis zwischen den beiden Ländern grundlegend verändert. Also man wird nicht zustimmen im Falle eines Ausstiegs umfangreiche Strafzahlungen zu leisten und am Ende sind es Russland, China und Iran die darüber entscheiden ob sie es müssen. Die Frage ist dann was man da machen könnte. Die Iraner sind da ja mit einer Reihe von Ideen angereist, welche dann auch Teil der Diskussionen wurden und gestern fand
laut Ulyanov eine Sitzung zu dieser Frage statt. Ulyanov meint, dass Russland einige Vorschläge gemacht hat. Es zeigt, dass hier ernsthaft verhandelt wird und jetzt die Zeit gekommen ist, wo es beim Verhandeln wirklich ernst wird. Denn das ist wirklich einer der Punkte, wo man gespannt sein kann, auf was sich beide Seiten womöglich einigen können. Es ist klar, dass die US-Administration keine wirkliche Garantie geben kann, dass die Nachfolgerregierung nicht aus den Abkommen aussteigt. Dafür müsste das Abkommen vom Senat ratifiziert werden und das wird nicht passieren. Aber womöglich könnte man einen solchen Ausstieg erschweren oder die wirtschaftlichen Folgen abschwächen. Zum Beispiel durch langfristige Verträge oder Garantien für Firmen, welche deren Risiko für Geschäfte mit dem Iran mindert.
Denn wie gesagt die wirtschaftlichen Vorteile für den Iran bei einer Rückkehr der USA zum Abkommen sind kurzfristig überschaubar. Die großen staatlichen Firmen werden wieder Öl verkaufen können und man wird Geschäfte mit Russland und China machen können, aber davon abgesehen wird vermutlich erstmal nicht viel passieren. Denn für "normale" Firmen ist es einfach ein zu großes Risiko, dass man jetzt Geld in die Hand nimmt um sich ein Standbein im Iran aufzubauen und in 3-4 Jahren ist alles wieder vorbei. Auch wird der Anschluss des Irans an das internationalen Bankensystem de facto weiterhin nicht passieren und man wird weiterhin kein Geld nach und aus Iran überweisen können, weil das für Privatbanken zu risikoreich ist. Auch wird es auch diesmal keine großen Investitionen in den Öl- und Gassektor geben durch Firmen aus dem Westen oder Indien. Man wird auch diesmal die Zivilflugzeugflotte nicht modernisieren können. All diese Dinge, die ursprünglich kommen sollten, wenn der Atomstreit beigelegt ist, sind 2016/17 nicht eingetreten, weil es zu unsicher war und das ist aktuell nicht anders bzw. nur nochmal schlimmer. Und es war letztlich der politische Untergang von Rohani und seiner Präsidentschaft, dass er mit dem JCPOA einen großen Wirtschaftsaufschwung und quasi blühende Landschaften versprochen hat und all das nie so recht in Schwung kommen wollte und mit Trump dann alles ordentlich den Bach runterging.
Die Raisi-Regierung ist durch die extreme wirtschaftliche Notlage im Land und einer katastrophalen Haushaltsbilanz im Endeffekt gezwungen zu einer politischen Lösung in Wien zu kommen, so denn eine irgendwie möglich ist, aber man wird nicht den Fehler von Rohani wiederholen jetzt das Blaue vom Himmel zu versprechen. Man hat ja auch schon damit angefangen eine Einigung dahingehend zu verkaufen, dass die neue iranische Delegation mit neuen Initiativen angereist sei und der Westen sich von seinen Maximalforderungen zurückgezogen habe und so nun eine vernünftige Einigung möglich geworden sei. Das stimmt wohl nur stark eingeschränkt aber man hat auf jeden Fall nicht den Eindruck, dass es im Regime gerade viele Leute gibt, die den JCPOA grundsätzlich für falsch halten... Man wird am Ende mit Regelungen zur Verifikation und zusätzlichen Garantien eine aus iranischer Sicht bessere Einigung haben als vorher, aber der Kern des Abkommens wird natürlich nicht groß anders sein als das was Zarif&Co verhandelt haben.
Es gibt dazu eine Reihe offener Fragen, wo die Iraner Konzessionen werden machen müssen. Beispielsweise laufen im
ursprünglichen Abkommen alle Einschränkungen des Irans im Laufe der Zeit aus und zwar beginnend nach 10 Jahren im Jahr 2025. Der Gedanke war, dass das iranische Atomprogramm bis dahin weniger kontrovers ist und man leichter ein Folgeabkommen verhandeln kann. Die Möglichkeit zum Snapback der Sanktionen läuft 2025 aus, Einschränkungen zu den ballistischen Raketen laufen 2023 aus, das UN-Waffenembargo ist bereits ausgelaufen. Im Jahr 2023 darf der Iran offiziell damit beginnen fortgeschrittene Zentrifugen zu bauen. All diese Dinge müssen jetzt natürlich neu verhandelt werden und man wird versuchen all diese Zeiträume nach hinten zu verschieben. Das ist ja gerade auch ein Anliegen Israels, dass so rein von der Sache her ein großes Interesse daran haben muss, dass wenn man sich mit einem Abkommen abfinden muss die Einschränkungen für den Iran natürlich möglichst lange gelten müssen. Dazu werden die Iraner in irgendeiner Form sich zu weiteren Gesprächen bereit erklären. Ich vermute, dass Saudi Arabien bei diesem Punkt eine Rolle spielen könnte, denn diese sind als der lokale primäre geopolitische Rivale in der Region für die Iraner der Hauptansprechpartner. Es gibt ja auch bereits direkte Gespräche zwischen Iran und Saudi Arabien, wo vor allem über die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und über ein Ende des Kriegs im Jemen gesprochen wird. Ich halte es für gut möglich, dass die Iraner am Ende Gesprächen über ihre Rolle zustimmen und man dabei dann explizit auf die Gespräche mit Saudi Arabien verweist. Damit hätten die USA ihre Forderung nach Folgegesprächen durchgesetzt und die Iraner hätten etwas zugestimmt was sie ohnehin schon machen. Das die iranische Seite Folgegesprächen über umfangreiche Einschränkungen ihres ballistisches Raketenarsenals zustimmt halte ich für extrem unwahrscheinlich und das wäre eine schmerzhafte Konzession, die für mich zumindest überraschend käme. Hier könnte ich mir nur vorstellen, dass man bereit ist über Einschränkungen bei Langstreckenraketen verhandelt, die man nach eigener Aussage ohnehin nicht bauen will. Das die Iraner Gesprächen darüber zustimmen ihre Proxies nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zu unterstützen ist natürlich völlig unrealistisch und das wäre für die iranische Seite nach dem ganzen Theater, dass man jetzt die Tage auch wieder wegen Qassem Suleimani gemacht hat nicht weniger als ein Gesichtsverlust.
Wenn es wirklich zu einer Einigung kommen sollte, wird vor allem auch das Verhalten von Russland interessant gewesen sein. Weil durch den vom Iran erzwungene Verhandlungsmodus, dass man nicht direkt mit den USA verhandelt, hat sich jetzt offenbar eine Situation ergeben, dass die Russen für die Iraner mit den USA verhandeln. Damit sind die Russen, das heißt vor allem Ulyanov, der zentrale Vermittler zwischen beiden Parteien, was Russland in eine starke Position bringt. Ich vermute mal, dass Russland auch mit Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen NATO/USA-Russland hier die Gelegenheit sieht, sich als ernsthaften diplomatischen Aktuer zu beweisen, der in der Lage und willig ist konstruktive diplomatische Verhandlungen zu führen. Es führt aber auch zu der Position, dass das Schicksal des Irans nicht von diesem selbst sondern von zwei ausländischen Mächten verhandelt wird. Russland nimmt gegenüber dem Iran die Position des zentralen Verbündeten ein, aber man ist natürlich kein reiner Anwalt iranischer Interessen.
Die Geschichte der russisch-iranischen Beziehungen ist nicht weniger blutig und verheerend wie die Geschichte mit den Engländern oder den USA. Im 18ten Jahrhunderten führten Peter der Große
1723/24 und
Katharina die Große 1796 Feldzüge im Nordwesten des damaligen iranischen Einflussbereiches durch. Es gab natürlich in napoleonischer Zeit 1804-13 über viele Jahre Gefechte zwischen den Kadscharen und dem russichen Zarenreich, welche damit endeten, dass die Russen ihre Herrschaft im Kaukasus etablierten und der Iran entsprechende Gebiete abtreten musste.
Zehn Jahre später versuchten es die Kadscharen dann nochmal, nachdem religiöse Gelehrte zum Krieg aufgestachelt hatten, was in einer totalen Niederlage, der Besetzung von Täbris durch russische Truppen endete. Im
Vertrag von Turkmanchai musste man dann weitere Territorien abgeben, einer nachteiligen Zollregelung zustimmen, verlor alle Schiffahrtsrechte im kaspischen Meer, musste russischen Staatsbürgern Kapitulationsrechte zugestehen und Russland sicherte sich mit der Unterstützung des damaligen Kronprinzen dauerhaft einen direkten Einfluss auf die Thronfolge im Iran.
Man war so das ganze 19te Jahrhundert hindurch eine koloniale Macht im Iran, welches mit den Engländern konkurrierte. Dabei war es eigentlich immer so, dass Russland der große Gegner des Irans war und die iranischen Herrscher beständig versuchten Garantien von den Engländern zu erhalten, sie gegen die Russen zu unterstützen, wozu sich die zahlreichen englischen Botschafter im Iran aber nie haben durchringen können. Das Szenario war dabei immer, dass sich Russland der Gebiete rund ums kaspische Meer bemächtigen könnte und es zu einem russischen Binnenmeer machen würden. Das war angesichts des
Vorrückens der russischen Truppen in Zentralasien in der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts auch durchaus ein realistisches Szenario. Es hatte sich dann aber mit dem
Vertrag von Akhal (und einer daran anschließenden Grenzkommission) dann irgendwann de facto erledigt.
Russische Truppen fielen in der ersten Hälfte des 20ten Jahrhunderts gleich mehrfach im Nordwesten des Iran ein.
1907 hatten Russland und England das Land in Einflusszonen eingeteilt und im Verlaufe der konstitutionellen Revolution und des ersten Weltkriegs besetzten russische Truppen Teile des Irans bzw. waren an diversen Kampfhandlungen beteilligt.
Täbris war von 1909 bis 1918 mit einer kurzen Unterbrechung durchgehend von Russland besetzt. 1920 besetzte man dazu zeitweise Gilan um eine
dortige Sowjetrepublik zu unterstützen. Im Zweiten Weltkrieg
besetzten sowjetische Truppen den Norden des Irans um den
persischen Korridor, also den Nachschubweg in die Sowjetunion, zu sichern. Man hat damals sogar Khorasan besetzt meine ich.
In dieser Zeit kam es auch zur
Konferenz von Teheran, als sich Stalin, Roosevelt und Churchill in Teheran trafen. Wer da nicht am Tisch saß war der eigentliche Herrscher des Landes in dem sie sich befanden, Reza Schah Pahlavi. Insbesondere die Besetzungen durch ausländische Truppen im ersten und zweiten Weltkrieg waren für den Iran eine Katastrophe, weil dadurch die Hungersnöte
1917-19 und
1942-43 ausgelöst wurden. Insbesondere die Hungersnot im ersten Weltkrieg, als russische, britische und osmanische Truppen auf iranischem Gebiet aktiv waren, hat schätzungsweise 2 Mio Menschen das Leben gekostet, 10% der damaligen Bevölkerung. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es dann noch eine Zeit lang eine
pro-sowjetische Republik Aserbeidschan im Nordwesten des Iran, die sich aber nicht halten konnte. Darauf folgte dann der kalte Krieg und mit dem Putsch 1953 hatte sich der sowjetische Einfluss im Iran erstmal erledigt. Ich meine dass erst wieder im Zuge des Kriegs in Syrien waren dann erstmals wieder russische Truppen auf iranischem Boden aktiv, als sie auf iranischen Flugfeldern zwischengelandet sind.
Angesichts dieser Geschichte erfordert es dann doch einiges an Verbiegung bzw. freundlichen Auslassen von Seiten der Islamischen Republik Russland als Verbündeter im Kampf gegen den US-Imperialismus in Stellung zu bringen. Man macht ständig die Briten und USA für alles mögliche verantwortlich und verteufelt sie, aber bei der kolonialen Erfahrung mit Russland lässt man taktische Zurückhaltung walten. Hin und wieder taucht es dann aber doch mal auf, wie beispielsweise im August letzten Jahres, als der britische und russische Botschafter im Iran das berühmte Foto der Teheran-Konferenz nachstellten und die Iraner dann doch recht aufgebracht waren.
Iran Slams Russian-British Recreation of Iconic Tehran Conference Photo Auch aktuell ist es bemerkenswert, dass Russland schon fast als Schutzmacht des Iran auftritt und zum Anwalt iranischer Interessen in Wien geworden ist. Das führt dann zu der Situation, dass in Wien aktuell der russische Unterhändler mit der US-Delegation über das Schicksal des iranischen Atomprogramms verhandelt. Und die aktuelle Raisi-Regierung will sich in ihrer Ost-Ausrichtung der Außenpolitik noch viel stärker in den Machtbereich der Russen und Chinesen begeben... Die Kooperationsabkommen mit Russland und China mag den ein oder anderen ja schon an diverse Konzessionen für ausländische Staaten aus dem 19ten und 20ten Jahrhundert erinnern...
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