jorikke hat geschrieben: ↑So 1. Mai 2022, 00:11
Deine Einschätzung hat mich neugierig gemacht. Ich kannte das Buch nicht. Um mir etwas Wissen anzueignen habe ich einige Kurzrezensionen gelesen.
Übertrieben ausgedrückt, Kolportage.
Was lohnt sich also?
Als junger Kerl war Golo Manns "Der SS-Staat" das Buch des Themas.
Warum sollen persönliche Unzulänglichkeiten, verwoben mit geschichtlichen Wahrheiten, die Sache besser durchleuchten.
Ein paar kurze, einleuchtende Sätze von dir und ich würde mir das Buch umgehend besorgen.
Für mich war das einfach ein besserer Einblick in die Psyche eines hohen SS-Offiziers beim Morden und beim Umgang mit anderen Nazigrößen als das ein Sachbuch bieten kann. Man bekommt einen vollständigen Einblick in die innere Logik der völkermordenden Klasse vor Ort, in die abstruse völkische Ideologie, ohne dass das Ganze zu einer pornographischen oder sensationslüsternen Abenteuergeschichte gerinnt. Es teckt auch ungeheuer viel Philosophie (teils abstruse Pseudophilosophie der schwadronierenden Mörderklasse) drin. Es ist kein Buch, das einem gefallen könnte im üblichen Sinne, aber drastische Einblicke in die menschliche Psyche liefert. Wobei der Streit damals ja auch darum ging, ob das nun die allgemeine oder die spezifisch deutsche ist.
Ich hatte es in den letzten beiden Jahren immer wieder mal in der Hand. Aber es hat natürlich schon manche Längen. Aber ein bisschen war es auch so, dass es vor 14 Jahren beim Erscheinen eine zeitgeistgeschuldete Diskussion auslöste. Darf man so eine bösartige Gestalt so literarisieren? Darf man die abstruse Philosophie eines SS-Mannes, diese Verzahnung von Bach und Völkermord in Deutschland darstellen? Der Buchhändler in Regensburg, wo ich das Buch gekauft habe, hat lange mit mir diskutiert. Er wollte es nicht lesen und hatte lange überlegt, ob er es überhaupt verkaufen solle. Aber letztendlich wollte er dann doch seine Kunden selbst entscheiden lassen. In dieser Hinsicht ist die Diskussion inzwischen eine andere. Man kann sich wahrscheinlich schon auf den literarischen Wert des Buches konzentrieren. Das Skandalöse daran fällt wohl weg. In diesem Sinne hat es Längen, vor allem der Anfang nach der Toccata (Allemande I und II) war etwas zäh. Und natürlich hat der Autor sich auch ein paar literarische Freiheiten genommen und Ereignisse an etwas andere Schauplätze verlegt.
Ich werd's irgendwann noch einmal lesen. Weil ich es auch immer spannend finde, wie man nach 15 Jahren auf ein einstmals heiß diskutiertes Buch blickt. Die satanischen Verse würde ich mir nicht mehr antun.