apartofme hat geschrieben:Natürlich wird der Tiefe Staat nicht einmal von Türken geleugnet. Merkwürdigerweise projizieren Türken, die an dieses Konzept glauben, in diesen Tiefen Staat aber zumeist genau das, was ihrer eigenen politischen Überzeugung zuwider läuft. Schon allein das sollte wenigstens ein kleines Indiz für den wahnhaften Charakter dieses Volksglaubens sein.
Vielleicht reden wir ja aneinander vorbei, aber ich spreche nicht von dem "Tiefen Staat" der, wie es die Türken gerne sehen, von äußeren Mächten geleitet wird. Unterstützung beim Aufbau ihrer Konterguerilla gab es zwar schon von der Nato (Stichwort: Gladio) aber es geht primär um türkisch-nationale Interessen. Die Türkei hatte einen sehr großen Stellenwert für die Nato während des Kalten Krieges und das hat die Türkei gekonnt für sich ausgenutzt. Bis zum heutigen Tag ist es noch nicht ganz genau geklärt weshalb sich die kurdische Freiheitsbewegung in der Türkei so sehr am Kommunismus orientiert hat und das in den späten 70er Jahren (also dem Höhepunkt des Kalten Krieges). Als die Kurden im Irak ab den späten 50er Jahren wieder die kurdische Karte ins Spiel brachten wurden auch die Kurden in der Türkei inspiriert. Hierbei handelte es sich noch um eine Mischung aus einer links-orientierten Intelligentsia und einflussreichen patriotischen Stammesführern. Von einer marxistischen kurdischen Massenpartei war keine Rede. Der Fokus der Kurden im Irak lag auf die Ausübung ihrer Sprache und Kultur aber auch einer politischen Selbstbestimmung in einem schwachen Irak der von politischen Umstürzen gezeichnet war (König Faisal I, König Faisal II, Abdulkareem Qasim, usw.). In den 60er Jahren gab es dazu auch in der Türkei Tendenzen, jedoch nicht was die Selbstbestimmung betrifft. Man unternahm lediglich den Versuch die kurdische Identität am Leben zu halten. Das war natürlich Horrorszenario für die Türkei - wohin das Aufkeimen eines kurdischen Volksbewusstsein führen sollte war ihnen bewusst. Man hatte schon während des Osmanischen Reiches Erfahrungen damit gemacht. Interessant ist hier dann das Erstarken der türkischen Dev-Genc, einer marxistisch-leninistischen Jugendbewegung in den 60er Jahren - der Vorgängerbewegung aller extremen linken Strömungen in der Türkei (darunter auch die PKK). Die Rolle von "linken" Türken wie Dogu Perincek, innerhalb der Dev-Genc und ihrer späteren Splitterung ist hierbei interessant. Perincek entpuppte sich im Laufe der Zeit dann als türkischer Nationalist und war laut türkischer Justiz ebenfalls ein Teil der Ergenekon- Truppe. Auch interessant sind die Beziehungen zwischen Öcalan und dem MIT die es schon in den 60er Jahren gab. Sein Schwiegervater war sogar ein MIT- Offizier. Der türkische Enthüllungsjournalist Ugur Mumcu (der unter mysteriösen Umständen starb) als auch der Kurde Kemal Burkay griffen dieses Thema immer wieder auf. Alles an den Haaren herbei gezogen? In dem Kontext muss man sich dann betrachten wie die PKK in den Anfangsjahren aufgetreten ist.
1. Man stoss die tribalistische kurdische Landbevölkerung vor den Kopf mit ihrem linken Atheismus und der Forderung Töchter für den Kampf bereit zu stellen.
2. Die Verkehrssprache der PKK war Türkisch, man dachte auch auf Türkisch. Von einer kurdisch- nationalen Bewegung, die ja eigentlich notwendig war, war keine Rede. Auch wenn das Ziel eine kurdisch-sozialistische Republik war, standen stets der Kosmopolitismus und der Kampf gegen den internationalen Kapitalismus auf der Agenda.
3. Anders als die kurdischen Freiheitsbewegungen im Irak und im Iran setzte die PKK auf Terrorismus. Zivilisten und Unschuldige wurden angegriffen und somit spaltete man das kurdische Volk. Teile des kurdischen Volkes profitierten eben vom Staat und waren ihm gegenüber loyal. Das gab es auch im Irak und Iran, aber die kurdischen Parteien dort gingen nicht so rigoros gegen die Familien derer vor die mit der Zentralregierung paktierten. Ein fataler Fehler, der sich bis heute bemerkbar macht.
4. Die PKK griff andere marginale kurdische Parteien an, bevorzugt natürlich solche die kurdischen Nationalismus verkörperten. Man entledigte sich somit der "Konkurrenz" bzw. liess keine Parteien am Leben welche die Anwendung der kurdischen Sprache und Kultur fokusierten. Stattdessen sprachen PKK-Kader auf Türkisch von Kurdistan, Stalin, Lenin, usw.
5. PKK-Kämpfer wurden für den israelisch- palästinensischen Konflikt verheizt und somit zog man den Fokus Israels auf sich.
Das sich danach innerhalb der PKK eine Eigendynamik entwickelt hat ist nicht weiter verwunderlich, aber bis heute noch kommt es einem so vor das innerhalb der PKK Fremdkörper existieren. Die Ermordung von Sakine Cansiz in Paris sollte hierbei unter Betracht gezogen werden.
Was ich damit sagen möchte ist das die kurdische Bewegung ins linke Lager gedrängt wurde und so entwickelte sich die Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung. Die Mehrheit der Türken weisen auch immer auf die Themen Stalinismus, Terrorismus, usw. hin wenn es darum geht den kurdisch-türkischen Konflikt zu analysieren. Es soll den Kolonialismus Kurdistans rechtfertigen, speziell im Westen. Das hat auch ziemlich gut funktioniert, sogar bis heute. Wenn Türken vor kurdischem Publikum reden müssen, dann wird die PKK als Armenierbande oder Yezidenbande hingestellt. Damit möchte man beweisen das wahre Kurden gar nicht gegen den türkischen Staat vorgehen könnten. Die PKK hat ihnen dazu natürlich auch viel Futter gegeben, zumindest in den Anfangsjahren. Also während die Türkei von der Nato ausgenutzt wurde im Kampf gegen den Kommunismus brachte man die Kurden mit ans "Boot". Der Tiefe Staat wurde niemals von Außen dirigiert, er handelte stets nach den Interessen der türkischen Leitkultur, aber verdeckt.
apartofme hat geschrieben:Darüber hinaus gibt es Verschwörungstheorien, die
(1) die offiziellen politischen Vertreter von gegenteiligen politischen Positionen als Marionetten einer Schattenregierung und daher nicht als Angriffspunkte für den politischen Wandel sehen und den politischen Prozess daher für eine Farce halten oder
(2) Organisationen als von undurchschaubaren Netzwerken durchdrungen betrachten, die die Unterscheidung zwischen Schuldigen und Unschuldigen innerhalb dieser Organisation unmöglich machen und daher massive Willkürmaßnahmen gegen diese Organisationen rechtfertigen
Der Tiefe Staat der Türkei in den 90er Jahren beispielsweise konnte nicht ohne das Einverständnis der Premierministerin Tansu Ciller agieren. Ciller war keine Marionette dieser Schattenregierung, der Tiefe Staat war/ist auch keine Regierung, sondern lediglich eine dubiose Struktur innerhalb des Staates um sich der lästigen Bürokratie zu entziehen. Man wollte immerhin eine Rechtsstaatlichkeit aufrechterhalten. Wenn man Leute wie Mehmet Agar, Cem Ersever, und Veli Kücük nicht aktiviert hätte, so hätte sich der türkische Staat offiziell gegen die Kurden richten müssen was wiederum dem Versuch eines geplanten Völkermordes gleich kam.
apartofme hat geschrieben:Dass es den JITEM gibt, leugne ich nicht. Es wurde ja auch mehr oder weniger versucht, ihn formalrechtlich zu institutionalisieren. Was ich allerdings leugne, ist, dass Armee-Generäle, PKK-Abschwörer, Hizbollah-Anhänger und türkische Rechtsextreme eine Verschwörung bilden, die im Hintergrund der Türkei einen Parallelstaat errichtet haben, der eigene konspirative Ziele verfolgt.
1. Die Existenz des JITEM obwohl es diesen offiziell nicht geben darf, ist schon ein Beweis dafür das hinter den Kulissen etwas stattfindet.
2. Veli Kücük hat diesen JITEM aufgebaut, ein pensionierter Brigadegeneral.
3. Der Vorfall in Shemdîn als zwei Gendamerie-Polizisten und ein PKK-Abschwörer (Veysel Ates) Handgranaten in einen Buchladen warfen und dann von Zivilisten gestellt wurden ist ein eindeutiger Beweis für die Verstrickungen zwischen PKK-Abschwörern und dem JITEM
4. Die "kurdische" Hizbollah war ein Instrument der Regierung und war niemals eine unabhängige Bewegung. Die Nachfolger dieser Islamisten wurden dann während den letzten Parlamentswahlen wieder aktiviert um Unruhe im HDP- Südosten zu erzeugen und Angst zu schüren. Was ja in den Neuwahlen gut geklappt hat.
5. Zu den türkischen Rechtsextremen brauch ich wohl nicht viel sagen. Man nehme als Beispiel nur den Mörder von Hrant Dink. Recherchieren dürfen Sie hier selber.
Lange Rede kurzer Sinn, der Tiefe Staat versucht nicht, wie es die AKP behauptet, einen Parallelstaat aufzubauen. Es geht einzig und allein um eine asymetrische Kriegsführung. Man entledigt sich seiner Feinde auf eine schnelle und kompromislose Art und Weise - ohne langes hin und her und bürokratischem Papierkram. Die Angriffe der armenischen ASALA auf türkische Diplomaten haben hierzu beigetragen. Nichtsdestotrotz ist das Hauptanliegen des Derin Devlet, die asymetrische Kriegsführung gegen das kurdische Volk - dem einzig verbliebenen inneren Feind der türkischen Leitkultur.
Make Kurdistan Free Again...