Dieter Winter hat geschrieben: ↑Fr 28. Okt 2022, 19:45
M.W. hat jeder Staat die Entscheidung, ob und wie er sich ggf. beteiligt. Die USA haben nach 9/11 auch den Art. 5 in Kraft gesetzt, oder?
Stimmt genau. Nach 9/11 haben die USA sich auf Artikel 5 berufen. So kam es dazu, dass zum ersten Mal der Nato-Fall ausgerufen wurde.
ABER!:
- Es war keineswegs sicher, dass alle Nato-Mitglieder dem Ruf der USA Folge leisten würden. Es hätte durchaus Mitglieder der Nato geben können, die der Meinung waren, dass das gar kein Nato-Fall war. Ich habe von Staatsrecht jetzt zu wenig Ahnung, um sagen zu können, ob für die Ausrufung des Nato-Falls "Einstimmigkeit" erforderlich ist. Oder krasser formuliert: Ist es wirklich so, dass ein Nato-Staat nur den Nato-Fall ausrufen muss, damit alle anderen Nato-Mitglieder automatisch verpflichtet sind, ohne jede weitere Nachfrage Beistand zu leisten? Ich bezweifele das eher. Da spielen Paragraph 6 (wann tritt der Nato-Fall überhaupt ein???) und vermutlich noch viele andere Regelungen des Natovertrags eine Rolle.
- Wenn dann die Gültigkeit von Paragraph 5 anerkannt wird, sind zwar alle Bündnispartner zum Beistand verpflichtet. Welchen Umfang ihr Beistand hat, entscheiden die Bündnispartner aber immer noch ganz allein und autonom. Auch dafür ist Afghanistan ein Lehrbeispiel. Der Natofall ist (zum ersten und bisher einzigen mal) anerkannt worden. Es haben sich aber keineswegs alle 30 Nato-Mitglieder an den Kämpfen in Afghanistan beteiligt. Jedes einzelne Mitgliedsland hat ganz individuell entschieden, ob es Beistand leisten kann und welchen Umfang dieser Beistand haben kann.
Nimmt man diese beiden Punkte zusammen, könnte ein eingefleischter Putinese oder Erdoganese daraus schließen, dass die Nato ein zahnloser Tiger ist. Jeder Mitgliedsstaat kann ja schließlich jederzeit frei entscheiden, ob ein Nato-Fall überhaupt vorliegt und ob er beim Vorliegen mitmischen will. So ist das aber natürlich nicht. Deshalb kackt Putin sich die Hosen voll, dass die Nato in der Ukraine eingreifen könnte.