Homosexualität II (Nur für Männer!!!)
Verfasst: Montag 24. Februar 2014, 17:03
Ich eröffne einmal einen neuen Thread zu einem alten Thema.
Ist Euch schon einmal aufgefallen, dass es aktuell nur wenige Themen gibt, die in unserem Land so häufig und so intensiv öffentlich debattiert werden wie das Thema Homosexualität?
Meistens geht es dabei um die Aspekte persönliche, gesellschaftliche und rechtliche Diskriminierung. Ich eröffne bewusst einen neuen Strang, weil es mir um andere Aspekte bei diesem Thema geht.
Zweite Frage: Ist es Euch schon einmal aufgefallen, dass sich die öffentlichen Debatten um Homosexualität fast ausschließlich mit der männlichen Variante beschäftigen?
Welche Gründe könnte das haben?
Ist denn die weibliche Form mit weniger gefühlter Diskriminierung und ggf. ursprünglich auch mit weniger Scham bei den Betroffenen verbunden?
Wenn ich mein persönliches Umfeld betrachte, dann kann ich nicht wirklich behaupten, dass Lesben häufiger offen mit ihrer Sexualität umgehen als Schwule.
Welche Haltung haben (wir) heterosexuellen Menschen eigentlich gegenüber Homosexualität? Ist uns das allen wirklich in seiner ganzen Bandbreite bewusst?
Man könnte diese Frage nicht nur an uns selbst richten, sondern auch an die andere Seite, nämlich an die Homosexuellen selbst. Welche Haltungen begegnen Euch bzw. sind Euch bisher bei Heterosexuellen begegnet, sobald sie merkten, dass Ihr homosexuell seid? Die Bandbreite der Reaktionen dürfte ziemlich groß sein, nehme ich an.
Welcher Reaktionstyp kommt denn am häufigsten vor?
Ich möchte das Thema einmal mit einer persönlichen Geschichte untermalen.
Ich war etwa 19 Jahre jung, als ich im Urlaub einen Mann kennen lernte. Es zeigte sich sehr schnell, dass wir gut miteinander können. Die gegenseitige Chemie stimmte komplett.
Längst ist er einer meiner besten Freunde und inzwischen auch der langjährigste Freund, den ich kenne. Ich wüsste niemanden unter meinen Freunden, auf den ich mich in all den Jahren so verbindlich hätte verlassen können als auf ihn. Ganz banales Beispiel: Ich ziehe um und benötige freundschaftliche Hilfe. Wenn er eine entsprechende Bitte ablehnen würde, dann wüsste ich, dass er akzeptable Gründe dafür haben muss. Ich müsste noch nicht einmal fragen, warum er keine Zeit hat.
Denn, aus Erfahrung weiß ich, dass er selbst die 4-stündige Anreise, die zwischen unseren Wohnorten liegt, nie scheut, wenn ich seine Unterstützung benötige. Ich müsste im Allgemeinen noch nicht einmal um Hilfe nachfragen, weil das Angebot schon vorher käme. Umgekehrt gilt dasselbe.
Es sind nicht nur interessante Gespräche, Offenheit und Vertrauen, die eine tiefe und inzwischen sehr lange Freundschaft haben wachsen lassen, sondern natürlich auch die Erfahrung, dass man in ganz alltäglichen Dingen füreinander da ist, wenn Not am Mann ist.
Wir kannten einander schon ein paar Jahre, als eines Tages ein langer, sehr persönlicher Brief von ihm in meinem Briefkasten lag, in dem er sich als homosexuell outete.
Obwohl er zwischenzeitlich auch einmal eine weibliche Partnerin gehabt hatte, überraschte mich seit Outing nicht wirklich. Es passte irgendwie schon zu meinem bisherigen Eindruck von ihm, dass er homosexuell ist, obwohl ich paradoxerweise vorher bewusst nie darüber reflektiert oder nachgedacht hatte, so merkwürdig das auch klingen mag.
Ich weiß gar nicht, wie ich bisher über Homosexualität gedacht hatte, auch weil diese Geschichte einfach schon zu lange zurück liegt. Nach heutigem Erinnerungsstand würde ich mutmaßen, dass ich mir vorher noch nie wirklich ernsthafte Gedanken zu diesem Thema gemacht hatte.
Es spielte in meinem Leben vorher nie eine Rolle. Bei mir selbst hatte ich keinerlei sexuelle Empfindungen gegenüber Männern wahrgenommen, obwohl es ja heißt, dass in jedem Menschen solche psychologischen Anteile verborgen liegen sollen. Bewusst war und ist es mir jedenfalls nicht.
Ein solch persönlicher, intimer Brief eines Freundes entwaffnet den Adressaten. Man kann natürlicherweise darauf nicht mit diskriminierenden Gedanken reagieren. Ein Freund wird ja im Laufe des Lebens auch so etwas wie ein Teil von einem selbst. Man würde sich also sogar selbst wehtun, wenn man in einer solchen Situation schlechte Gedanken hätte.
Das ist so ähnlich wie mit dem Jüdischen. Ich hatte früher einen sehr guten israelischen Freund und auch schon einmal eine jüdische Partnerin, die mir immer noch in angenehmer Erinnerung ist. Selbst, wenn man vorher Ansätze zu solchem gezeigt hätte, man kann dann eigentlich nicht antisemitisch denken. Insofern wundert mich so ein wenig die denkerische Wende Heideggers hin zum Nationalsozialismus, denn er war ja mehr als nur befreundet gewesen mit einer seiner bekanntesten Schülerinnen, der Jüdin Hannah Arendt.
Ich rief meinen Freund an und bedankte mich für seine Offenheit, bat ihn schließlich, auf einen Brief von mir zu warten, weil ich erst einmal die Situation auf mich wirken lassen müsse. Was ich darin schrieb, weiß ich nicht mehr.
Später erfuhr ich, dass ich der erste Mensch war, dem er sich geoutet hatte. Es muss ihm viel Überwindung gekostet haben. Trotzdem war natürlich sein bester Freund gerade der richtige Startballon, auch um seinen eigenen Weg in dieser Beziehung zu finden. Ich gebe zu, dass ich sehr stolz darauf war, der erste Mensch gewesen zu sein, dem er sich anvertraute.
Er war damals etwa 25. Es war im selben Jahr, in dem völlig unerwartet und plötzlich binnen weniger Monate sein Vater und seine jüngste Schwester starben. Vielleicht war das emotionale Aufwühlen, welches die Trauer in ihm auslöste, indirekt auch der Nährboden dafür, dass er mit seinen Neigungen anfing, ehrlicher umzugehen.
In den folgenden Jahren ging er zunehmend offener damit um. Er hatte, wie vielleicht die meisten homosexuellen Männer, in dieser Phase ein teilweise recht explosives, exaltiertes sexuelles Verhalten, d.h. er tobte sich erst einmal ziemlich aus.
Der wichtigste Schritt kam für ihn ein paar Jahre später. Sein persönlich wichtigstes Outing war das gegenüber seiner eigenen Mutter. Er hatte großes Glück, denn er hatte eine wirklich erstaunliche, bewundernswerte Mutter. Natürlich ging sie sehr offen und auch annehmend damit um. Ich kannte seine, leider inzwischen verstorbene Mutter sehr gut. Es schien für sie von Anfang an kein Problem zu sein, dass einer ihrer Söhne schwul ist. Vermutlich ahnte sie es ohnehin vorher schon und hat sich sehr bewusst auf diese Situation vorbereitet. Das würde zu ihr passen. Niemand kennt im Allgemeinen einen Mann besser als seine Mutter.
Irgendwann hatte mein Freund erstmals eine dauerhafte Beziehung zu einem Mann und lebte mit ihm jahrelang zusammen.
Eines Tages feierte sein Freund einen runden Geburtstag und man bereitete eine etwas größere Feier vor, zu der etwa 2 Dutzend Leute eingeladen wurden. Als bester Freund seines Partners war natürlich auch ich eingeladen.
"Meine erste Schwulenparty", dachte ich ein wenig süffisant, als ich die schriftliche Einladung mit überaus originellem Layout in meinem Briefkasten fand. Außerdem dachte ich "hoffentlich bin ich nicht verklemmter als ich es bisher dachte, wer weiß, was ich da erleben werde?"
Der Abend war dann doch sehr viel anständiger und gesitteter als ich befürchtete.
Ich gehörte diesmal zu einer Minderheit, denn die meisten anderen Geburtstagsgäste gehörten der homosexuellen Fraktion an, männlichen und weiblichen Typs.
Ich genieße solche Situationen. Das war eigentlich schon immer so. In mir steckt der Urtyp des Außenseiters, der damit haussieren geht und oft sogar damit kokettiert.
Bei den Gästen handelte es sich eher um die Bildungsoberschicht. Die meisten waren Akademiker bzw. akademisch gebildet. Anfangs führte der eine oder die andere irgendetwas persönlich Vorbereitetes auf, als Geburtstagsgeschenk. Klassische Musik, Theater, Kabarett. Ich beteiligte mich an einer Stelle spontan, wenn auch unvorbereitet, weil ein Instrument im Raum stand, das ich ganz gut spielen konnte.
Ein homosexueller Mann schloss das Präludium der Feier ab mit einer persönlichen, kabarettistischen Einlage, einer recht originellen Inszenierung des Themas "Schwule und die Mehrheitsgesellschaft".
Nach dem Applaus sagte ich spontan in die Runde: "Wenn ich ehrlich bin, finde ich Schwul sein eigentlich nicht normal."
Das hatte gesessen. Könnte man denken.
Ein oder zwei Sekunden lang herrschte eine Luft im Raum, als ringe jeder der Gäste mit dem Kloß, den man im Hals verspürte. Man blickte mich mit einer Mischung aus Staunen und Schrecken an.
Ich setzte mein bestens antrainiertes „Naiver-Junge-der von nix weiß-Lächeln“ auf, als hätte ich den Fettnapf, in den ich trat, nicht schon vorher gesehen und schaute zurück.
Ich hatte schon immer eine beinahe erotische Beziehung zum Kontrapunkt.
Plötzlich fingen alle lauthals, wie erleichtert, an zu lachen.
Ich war eigentlich nie der männliche Typ des Alphatiers gewesen. Ich glaube, ich strahle das auch nicht aus. Als Schüler spielte ich zeitweise die Rolle des Pausenclowns. In meinem ersten beruflichen Team spielte ich auf etwas clowneske Art die Rolle des Teamleiters, für die ich mich in Eigenregie entschieden hatte, ohne die anderen vorher zu fragen, weil dem Team der Chef fehlte und man Gefahr lief, unkoordiniert zu werden. Merkwürdigerweise wurde ich in dieser Rolle von allen sehr schnell akzeptiert, auch von den zwei offensichtlichen Alphatieren. Die Kollegen gehorchten meinen Anweisungen, vermutlich auch deshalb, weil ich gefühlt selbst für die Alphatiere keine Konkurrenz darstellte und meine Führung zuweilen ironische und natürlich clowneske Züge hatte. Dem Clown verzeiht man alles, auch Tabubrüche.
Es entwickelte sich daraus eine überaus interessante Diskussion unter allen Gästen, die zwischenzeitlich durch das Abendessen unterbrochen wurde.
Man könnte das Thema der Diskussion mit den hochtrabenden, beinahe philosophischen Worten beschreiben: "Die Dialektik öffentlicher Solidarisierungseffekte gegenüber Homosexuellen".
Vielleicht erinnert sich @Ume noch an eine Bemerkung von mir vor ein paar Tagen, wenn sie das liest. Ich fasse einmal die Diskussion während der Geburtstagsparty mit überwiegend homosexuellen Gästen zusammen.
"Wer sich heutzutage als modern, progressiv und emanzipiert verstehen will, der hat seinen schwulen Vorzeigefreund. Er will damit anderen, der Gesellschaft, aber vor allem sich selbst deutlich signalisieren: Ich bin ein Guter. Ich habe nix gegen Schwule. Besonders eine gesellschaftliche Gruppe ragt hierbei erfahrungsgemäß besonders heraus. Feministinnen und ganz allgemein Frauen, die für sich in Anspruch nehmen, emanzipiert zu sein. Man muss lange suchen, um eine erklärte Feministin zu finden, die nicht wenigstens einen schwulen Mann kennt, den sie als ihren Freund bezeichnet. Das gehört sich so. Beinahe so wie die Stöckelschuhe bei der Chefarztgattin. Man trägt seinen schwulen Freund als Insignie des Emanzipatorischen wie den Federschmuck eines Indianerhäuptlings mit sich herum. Wie Ihr seht, hatte die Diskussion durchaus auch satirische Züge. Das Paradoxe an der Sache ist: Nicht wenige Attribute und persönliche Verhaltensweisen, welche vor allem Feministinnen zuweilen besonders aggressiv bei Männern kritisieren, scheinen bei schwulen Männern deutlich stärker verbreitet als bei heterosexuellen Männern. Was bei vielen heterosexuellen Männern bei einer Radikalfeministin schon einmal "Schwanz-Ab-Fantasien" auszulösen vermag, wird paradoxerweise stillschweigend bei schwulen Männern nicht nur kritiklos toleriert, sondern oft sogar auch noch als chic und emanzipiert empfunden. Natürlich ist diese Tatsache den allermeisten schwulen Männern bewusst und auch, dass diese Haltung bei weitem nicht nur bei Feministinnen anzutreffen ist und man macht es sich gelegentlich auch zunutze. Warum sollte man den Sonderbonus, der einem gewährt wird, nicht annehmen? Es entspricht längst einem allgemeinen, gesellschaftlichen Konsens in unserem Land, dass man gesellschaftliche Minderheiten nicht diskriminiert. Es ist eher sogar ein Tabu, dies zu tun. Die leiseste kritische, öffentliche Äußerung gegenüber einem Homosexuellen oder der Homosexualität an sich, löst zumeist ein ganzes Arsenal an scharfen, wenn nicht gar aggressiven Widerworten und Vorwürfen aus, beinahe als würde man den Kritiker am liebsten gleich am Scheiterhaufen verbrennen. Gleichzeitig stehen diverse Verhaltensweisen, die bei Homosexuellen sehr viel häufiger vorkommen als beim Rest der Gesellschaft eigentlich unter der Dunstglocke des moralisch Verwerflichen. Und zwar oft genau von denselben Menschen, welche die Diskriminierung Homosexueller im Allgemeinen am schärfsten kritisieren. Unsere Gesellschaft ist an Bigotterie kaum zu übertreffen." Ein schwuler Gast ließ sich sogar zur Aussage hinreißen, dass er manchmal glaube, dass die eigentlichen Diskriminatoren Homosexueller am ehesten sogar unter den Menschen zu finden sind, die am lautesten das Zepter der Antidiskriminierung schwingen. Die Aussage hatte Züge des Dialektischen, wie die gesamte Diskussion.
So, das genügt für den Anfang. Jetzt seid Ihr dran.
Ist Euch schon einmal aufgefallen, dass es aktuell nur wenige Themen gibt, die in unserem Land so häufig und so intensiv öffentlich debattiert werden wie das Thema Homosexualität?
Meistens geht es dabei um die Aspekte persönliche, gesellschaftliche und rechtliche Diskriminierung. Ich eröffne bewusst einen neuen Strang, weil es mir um andere Aspekte bei diesem Thema geht.
Zweite Frage: Ist es Euch schon einmal aufgefallen, dass sich die öffentlichen Debatten um Homosexualität fast ausschließlich mit der männlichen Variante beschäftigen?
Welche Gründe könnte das haben?
Ist denn die weibliche Form mit weniger gefühlter Diskriminierung und ggf. ursprünglich auch mit weniger Scham bei den Betroffenen verbunden?
Wenn ich mein persönliches Umfeld betrachte, dann kann ich nicht wirklich behaupten, dass Lesben häufiger offen mit ihrer Sexualität umgehen als Schwule.
Welche Haltung haben (wir) heterosexuellen Menschen eigentlich gegenüber Homosexualität? Ist uns das allen wirklich in seiner ganzen Bandbreite bewusst?
Man könnte diese Frage nicht nur an uns selbst richten, sondern auch an die andere Seite, nämlich an die Homosexuellen selbst. Welche Haltungen begegnen Euch bzw. sind Euch bisher bei Heterosexuellen begegnet, sobald sie merkten, dass Ihr homosexuell seid? Die Bandbreite der Reaktionen dürfte ziemlich groß sein, nehme ich an.
Welcher Reaktionstyp kommt denn am häufigsten vor?
Ich möchte das Thema einmal mit einer persönlichen Geschichte untermalen.
Ich war etwa 19 Jahre jung, als ich im Urlaub einen Mann kennen lernte. Es zeigte sich sehr schnell, dass wir gut miteinander können. Die gegenseitige Chemie stimmte komplett.
Längst ist er einer meiner besten Freunde und inzwischen auch der langjährigste Freund, den ich kenne. Ich wüsste niemanden unter meinen Freunden, auf den ich mich in all den Jahren so verbindlich hätte verlassen können als auf ihn. Ganz banales Beispiel: Ich ziehe um und benötige freundschaftliche Hilfe. Wenn er eine entsprechende Bitte ablehnen würde, dann wüsste ich, dass er akzeptable Gründe dafür haben muss. Ich müsste noch nicht einmal fragen, warum er keine Zeit hat.
Denn, aus Erfahrung weiß ich, dass er selbst die 4-stündige Anreise, die zwischen unseren Wohnorten liegt, nie scheut, wenn ich seine Unterstützung benötige. Ich müsste im Allgemeinen noch nicht einmal um Hilfe nachfragen, weil das Angebot schon vorher käme. Umgekehrt gilt dasselbe.
Es sind nicht nur interessante Gespräche, Offenheit und Vertrauen, die eine tiefe und inzwischen sehr lange Freundschaft haben wachsen lassen, sondern natürlich auch die Erfahrung, dass man in ganz alltäglichen Dingen füreinander da ist, wenn Not am Mann ist.
Wir kannten einander schon ein paar Jahre, als eines Tages ein langer, sehr persönlicher Brief von ihm in meinem Briefkasten lag, in dem er sich als homosexuell outete.
Obwohl er zwischenzeitlich auch einmal eine weibliche Partnerin gehabt hatte, überraschte mich seit Outing nicht wirklich. Es passte irgendwie schon zu meinem bisherigen Eindruck von ihm, dass er homosexuell ist, obwohl ich paradoxerweise vorher bewusst nie darüber reflektiert oder nachgedacht hatte, so merkwürdig das auch klingen mag.
Ich weiß gar nicht, wie ich bisher über Homosexualität gedacht hatte, auch weil diese Geschichte einfach schon zu lange zurück liegt. Nach heutigem Erinnerungsstand würde ich mutmaßen, dass ich mir vorher noch nie wirklich ernsthafte Gedanken zu diesem Thema gemacht hatte.
Es spielte in meinem Leben vorher nie eine Rolle. Bei mir selbst hatte ich keinerlei sexuelle Empfindungen gegenüber Männern wahrgenommen, obwohl es ja heißt, dass in jedem Menschen solche psychologischen Anteile verborgen liegen sollen. Bewusst war und ist es mir jedenfalls nicht.
Ein solch persönlicher, intimer Brief eines Freundes entwaffnet den Adressaten. Man kann natürlicherweise darauf nicht mit diskriminierenden Gedanken reagieren. Ein Freund wird ja im Laufe des Lebens auch so etwas wie ein Teil von einem selbst. Man würde sich also sogar selbst wehtun, wenn man in einer solchen Situation schlechte Gedanken hätte.
Das ist so ähnlich wie mit dem Jüdischen. Ich hatte früher einen sehr guten israelischen Freund und auch schon einmal eine jüdische Partnerin, die mir immer noch in angenehmer Erinnerung ist. Selbst, wenn man vorher Ansätze zu solchem gezeigt hätte, man kann dann eigentlich nicht antisemitisch denken. Insofern wundert mich so ein wenig die denkerische Wende Heideggers hin zum Nationalsozialismus, denn er war ja mehr als nur befreundet gewesen mit einer seiner bekanntesten Schülerinnen, der Jüdin Hannah Arendt.
Ich rief meinen Freund an und bedankte mich für seine Offenheit, bat ihn schließlich, auf einen Brief von mir zu warten, weil ich erst einmal die Situation auf mich wirken lassen müsse. Was ich darin schrieb, weiß ich nicht mehr.
Später erfuhr ich, dass ich der erste Mensch war, dem er sich geoutet hatte. Es muss ihm viel Überwindung gekostet haben. Trotzdem war natürlich sein bester Freund gerade der richtige Startballon, auch um seinen eigenen Weg in dieser Beziehung zu finden. Ich gebe zu, dass ich sehr stolz darauf war, der erste Mensch gewesen zu sein, dem er sich anvertraute.
Er war damals etwa 25. Es war im selben Jahr, in dem völlig unerwartet und plötzlich binnen weniger Monate sein Vater und seine jüngste Schwester starben. Vielleicht war das emotionale Aufwühlen, welches die Trauer in ihm auslöste, indirekt auch der Nährboden dafür, dass er mit seinen Neigungen anfing, ehrlicher umzugehen.
In den folgenden Jahren ging er zunehmend offener damit um. Er hatte, wie vielleicht die meisten homosexuellen Männer, in dieser Phase ein teilweise recht explosives, exaltiertes sexuelles Verhalten, d.h. er tobte sich erst einmal ziemlich aus.
Der wichtigste Schritt kam für ihn ein paar Jahre später. Sein persönlich wichtigstes Outing war das gegenüber seiner eigenen Mutter. Er hatte großes Glück, denn er hatte eine wirklich erstaunliche, bewundernswerte Mutter. Natürlich ging sie sehr offen und auch annehmend damit um. Ich kannte seine, leider inzwischen verstorbene Mutter sehr gut. Es schien für sie von Anfang an kein Problem zu sein, dass einer ihrer Söhne schwul ist. Vermutlich ahnte sie es ohnehin vorher schon und hat sich sehr bewusst auf diese Situation vorbereitet. Das würde zu ihr passen. Niemand kennt im Allgemeinen einen Mann besser als seine Mutter.
Irgendwann hatte mein Freund erstmals eine dauerhafte Beziehung zu einem Mann und lebte mit ihm jahrelang zusammen.
Eines Tages feierte sein Freund einen runden Geburtstag und man bereitete eine etwas größere Feier vor, zu der etwa 2 Dutzend Leute eingeladen wurden. Als bester Freund seines Partners war natürlich auch ich eingeladen.
"Meine erste Schwulenparty", dachte ich ein wenig süffisant, als ich die schriftliche Einladung mit überaus originellem Layout in meinem Briefkasten fand. Außerdem dachte ich "hoffentlich bin ich nicht verklemmter als ich es bisher dachte, wer weiß, was ich da erleben werde?"
Der Abend war dann doch sehr viel anständiger und gesitteter als ich befürchtete.
Ich gehörte diesmal zu einer Minderheit, denn die meisten anderen Geburtstagsgäste gehörten der homosexuellen Fraktion an, männlichen und weiblichen Typs.
Ich genieße solche Situationen. Das war eigentlich schon immer so. In mir steckt der Urtyp des Außenseiters, der damit haussieren geht und oft sogar damit kokettiert.
Bei den Gästen handelte es sich eher um die Bildungsoberschicht. Die meisten waren Akademiker bzw. akademisch gebildet. Anfangs führte der eine oder die andere irgendetwas persönlich Vorbereitetes auf, als Geburtstagsgeschenk. Klassische Musik, Theater, Kabarett. Ich beteiligte mich an einer Stelle spontan, wenn auch unvorbereitet, weil ein Instrument im Raum stand, das ich ganz gut spielen konnte.
Ein homosexueller Mann schloss das Präludium der Feier ab mit einer persönlichen, kabarettistischen Einlage, einer recht originellen Inszenierung des Themas "Schwule und die Mehrheitsgesellschaft".
Nach dem Applaus sagte ich spontan in die Runde: "Wenn ich ehrlich bin, finde ich Schwul sein eigentlich nicht normal."
Das hatte gesessen. Könnte man denken.
Ein oder zwei Sekunden lang herrschte eine Luft im Raum, als ringe jeder der Gäste mit dem Kloß, den man im Hals verspürte. Man blickte mich mit einer Mischung aus Staunen und Schrecken an.
Ich setzte mein bestens antrainiertes „Naiver-Junge-der von nix weiß-Lächeln“ auf, als hätte ich den Fettnapf, in den ich trat, nicht schon vorher gesehen und schaute zurück.
Ich hatte schon immer eine beinahe erotische Beziehung zum Kontrapunkt.
Plötzlich fingen alle lauthals, wie erleichtert, an zu lachen.
Ich war eigentlich nie der männliche Typ des Alphatiers gewesen. Ich glaube, ich strahle das auch nicht aus. Als Schüler spielte ich zeitweise die Rolle des Pausenclowns. In meinem ersten beruflichen Team spielte ich auf etwas clowneske Art die Rolle des Teamleiters, für die ich mich in Eigenregie entschieden hatte, ohne die anderen vorher zu fragen, weil dem Team der Chef fehlte und man Gefahr lief, unkoordiniert zu werden. Merkwürdigerweise wurde ich in dieser Rolle von allen sehr schnell akzeptiert, auch von den zwei offensichtlichen Alphatieren. Die Kollegen gehorchten meinen Anweisungen, vermutlich auch deshalb, weil ich gefühlt selbst für die Alphatiere keine Konkurrenz darstellte und meine Führung zuweilen ironische und natürlich clowneske Züge hatte. Dem Clown verzeiht man alles, auch Tabubrüche.
Es entwickelte sich daraus eine überaus interessante Diskussion unter allen Gästen, die zwischenzeitlich durch das Abendessen unterbrochen wurde.
Man könnte das Thema der Diskussion mit den hochtrabenden, beinahe philosophischen Worten beschreiben: "Die Dialektik öffentlicher Solidarisierungseffekte gegenüber Homosexuellen".
Vielleicht erinnert sich @Ume noch an eine Bemerkung von mir vor ein paar Tagen, wenn sie das liest. Ich fasse einmal die Diskussion während der Geburtstagsparty mit überwiegend homosexuellen Gästen zusammen.
"Wer sich heutzutage als modern, progressiv und emanzipiert verstehen will, der hat seinen schwulen Vorzeigefreund. Er will damit anderen, der Gesellschaft, aber vor allem sich selbst deutlich signalisieren: Ich bin ein Guter. Ich habe nix gegen Schwule. Besonders eine gesellschaftliche Gruppe ragt hierbei erfahrungsgemäß besonders heraus. Feministinnen und ganz allgemein Frauen, die für sich in Anspruch nehmen, emanzipiert zu sein. Man muss lange suchen, um eine erklärte Feministin zu finden, die nicht wenigstens einen schwulen Mann kennt, den sie als ihren Freund bezeichnet. Das gehört sich so. Beinahe so wie die Stöckelschuhe bei der Chefarztgattin. Man trägt seinen schwulen Freund als Insignie des Emanzipatorischen wie den Federschmuck eines Indianerhäuptlings mit sich herum. Wie Ihr seht, hatte die Diskussion durchaus auch satirische Züge. Das Paradoxe an der Sache ist: Nicht wenige Attribute und persönliche Verhaltensweisen, welche vor allem Feministinnen zuweilen besonders aggressiv bei Männern kritisieren, scheinen bei schwulen Männern deutlich stärker verbreitet als bei heterosexuellen Männern. Was bei vielen heterosexuellen Männern bei einer Radikalfeministin schon einmal "Schwanz-Ab-Fantasien" auszulösen vermag, wird paradoxerweise stillschweigend bei schwulen Männern nicht nur kritiklos toleriert, sondern oft sogar auch noch als chic und emanzipiert empfunden. Natürlich ist diese Tatsache den allermeisten schwulen Männern bewusst und auch, dass diese Haltung bei weitem nicht nur bei Feministinnen anzutreffen ist und man macht es sich gelegentlich auch zunutze. Warum sollte man den Sonderbonus, der einem gewährt wird, nicht annehmen? Es entspricht längst einem allgemeinen, gesellschaftlichen Konsens in unserem Land, dass man gesellschaftliche Minderheiten nicht diskriminiert. Es ist eher sogar ein Tabu, dies zu tun. Die leiseste kritische, öffentliche Äußerung gegenüber einem Homosexuellen oder der Homosexualität an sich, löst zumeist ein ganzes Arsenal an scharfen, wenn nicht gar aggressiven Widerworten und Vorwürfen aus, beinahe als würde man den Kritiker am liebsten gleich am Scheiterhaufen verbrennen. Gleichzeitig stehen diverse Verhaltensweisen, die bei Homosexuellen sehr viel häufiger vorkommen als beim Rest der Gesellschaft eigentlich unter der Dunstglocke des moralisch Verwerflichen. Und zwar oft genau von denselben Menschen, welche die Diskriminierung Homosexueller im Allgemeinen am schärfsten kritisieren. Unsere Gesellschaft ist an Bigotterie kaum zu übertreffen." Ein schwuler Gast ließ sich sogar zur Aussage hinreißen, dass er manchmal glaube, dass die eigentlichen Diskriminatoren Homosexueller am ehesten sogar unter den Menschen zu finden sind, die am lautesten das Zepter der Antidiskriminierung schwingen. Die Aussage hatte Züge des Dialektischen, wie die gesamte Diskussion.
So, das genügt für den Anfang. Jetzt seid Ihr dran.