jorikke hat geschrieben:(27 May 2018, 18:13)
Dein letzter Satz beschreibt das Problem sehr gut.
Erkenntnisse und Lösungsansätze von heute unterliegen immer der Gefahr in einigen Jahren belächelt zu werden.
Die Fachleute - da meine ich jetzt mal deine Kategorie - haben immer einen schweren Stand sich durch zu setzen, wenn das Problem nicht allzu offensichtlich ist.
Deshalb ist ihre Ansicht höchst wahrscheinlich doch richtig, du weißt ja wie das ist, recht haben und Recht bekommen.
Wie soll auch der gemeine Deutsche ein Problembewusstsein entwickeln, wenn z.B. in Stuttgart eine sehr hohe Belastung gemessen wird, gleichzeitig aber die Stuttgarter die höchste Lebenserwartung in Deutschland haben? Auch schwer zu verstehen ist natürlich die hohe zugelassene Belastung in Arbeitsräumen während der ganzen Arbeitszeit, aber ein Bruchteil der Belastung, deren Bereich in ca. 20 sec durchfahren wird, soll extrem schädlich sein.
Diese Beispiele mache ich mir nicht in der Sache zu eigen, mir geht es nur darum das fehlende Verständnis für Luftreinhaltungsmaßnahmen aufzuzeigen.
Ich sehe das Problem genereller. In einer sich weiter verdichtenden Bevölkerung, werden, um das Zusammenleben einvernehmlich gestalten zu können, noch viele Opfer bzgl. der individuellen Freiheit gebracht werden müssen.
Natürlich auch finanzieller Art.
Dafür Verständnis zu wecken, scheint mir diese vermaledeite Abgasdiskussion absolut kontraproduktiv zu sein.
In 20/30 Jahren, wenn uns möglicherweise viel größere Probleme belasten, wird man kopfschüttelnd auf diese Diskussion zurückblicken.
...wie war das noch mit der grünen Welle?
Eigentlich ist es meistens auch nicht Aufgabe von Experten, eine verkehrliche Baumaßnahme der großen Bevölkerung zu erklären, sondern die entscheidenden Verkehrspolitiker. Aber die halten sich gerne zurück, weil Verkehr oftmals ein Verliererthema ist, mit dem man nichts gewinnen kann, weil viele Verkehrsteilnehmer denken, sie würden nicht berücksichtigt oder gar benachteiligt. Da hat ein Radfahrer, der die großen Flächen für Fahrbahnen und Parkplätze der Autofahrer sieht, keine andere Einstellung als ein Autofahrer, der sich über Stau und Baustellen ärgert, oder der ÖPNV-Nutzer, der jedes Jahr steigende Fahrpreise sieht, aber nicht das Gefühl hat, die Busse und Bahnen kämen pünktlicher oder seien komfortabler. Also schicken die Entscheidungsträger Ingenieure zu irgendwelchen Veranstaltungen, ob von außen in Form eines Auftragnehmers eines Planungsbüros und/oder eben aus den eigenen Reihen der Auftraggeber/Verwaltungen. Bringen tut das aber für gewöhnlich nix, weil viele Bürger über das "Ob" einer Maßnahme diskutieren wollen, nicht über das "Wie". Aber die rechtliche und demokratische Instanz ist bei hoheitlicher Planung eben die Politik.
Und da sind viele "urban legends". Mich hat es früher geärgert, wenn ich von Journalisten viel Unfug lesen durfte, den viele Bürger aufschnappen und dann nachreden, während ich gestehe, bei anderen Themen das Gefühl zu haben, dass man eine gute Berichterstattung bekommt. Aber da bin ich Laie und Experten sehen es vielleicht anders. Lebenserwartungen haben eben viele Ursachen und nicht nur eine. Dazu gehört eben nicht nur die Luft/Umwelt, sondern auch Bildung, Geld, Arbeitsbelastung, Ernährung etc. Da hat ein Standort mit vielen Arbeitsplätzen für Hochqualifizierte eben andere Rahmenbedingungen als ein Niedriglohnstandort mit hoher Arbeitslosenquote. Und die Belastung in Arbeitsräumen ist auch nicht höher. Das hat der Locus mal vor einer Weile behauptet und alle Gegner von Fahrverboten nahmen es als willkommenen "Fakt" gerne auf, weil sie glaubten, so ein Argument zu haben, wonach die Werte a) willkürlich seien und deshalb b) als Ganzes in Frage gestellt werden müssen. Daher kommt auch nicht die Forderung, an Arbeitsplätzen die Werte zu senken, sondern im Straßenraum alles beim Alten zu belassen.
Nur gibt's eben diese "Fakten" nicht. In Wohngebäuden gelten 40µg/m³ und in Büros 60. Letzterer Wert ist höher, weil die Personengruppen, die am stärksten durch Stickoxide gesundheitsgefährdet sind, dort nicht 40 von 168 Wochenstunden sein sollten: Kinder, Alte und chronisch Kranke. Das war nicht nur Lobbyarbeit. Was aber in der Diskussion gerne eingebracht wird, ist der MAK-Wert in der Industrie (nicht Büro) von 950 µg. Das ist aber kein Wochenmittelwert, sondern ein kurzfristiger Maximalwert. Der Mittelwert (MIK-Wert) ist auch dort 60 µg. Eine Reduktion auf einheitliche 40 µg ist aber auch schon so gut wie verabschiedet. Und es sind eben nicht nur ein paar Sekunden, die ein Autofahrer seinen eigenen Dreck einatmet, sondern die ganzen Stunden, die die Wohnbevölkerung dort verbringt und belastet wird. Deshalb braucht man im anwohnerfreien Hafengebiet auch keine Restriktionen, im bewohnten Quartier führt aber oft kein Weg dran vorbei.