Misterfritz hat geschrieben: ↑Mo 12. Dez 2022, 08:27
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das die Proteste zum Erliegen bringt, eher das Gegenteil.
Mir scheint wir sind gerade an dem Punkt, an dem die Proteste normalerweise weitgehend niedergeschlagen wären und das Ausmaß der Aktionen ist verglichen zu den Hochzeiten der Mahsa Amini-Proteste stark gesunken. Das es aber weiterhin Aktionen gibt hat damit zu tun, dass im Iran überhaupt nichts mehr zum Erliegen kommen wird, weil die Ursachen der Proteste unverändert weiterbestehen und daher davon auszugehen ist, dass das jetzt dauerhaft so weitergeht mit mal mehr mal weniger umfangreichen Protestaktionen. Ausgang ungewiss.
Die Ursachen sind, dass die Islamische Republik seit der Machtübernahme ein Legitimationsproblem hat, weil es nur einen Teil der iranischen Gesellschaft repräsentiert. Das ist ja bekannt, dass es im Iran ein Zwei-Kulturen-Phänomenen gibt, dass ein Teil der Bevölkerung eher islamisch-konservativ ist und ein Teil eher säkular, wobei es bei religiösen Ansichten dann etwas komplexer wird, weil es natürlich auch staatsfernes Schiitentum gibt (die Theorie des Velayat-e Faqih wird keineswegs von allen schiitischen Gelehrten als gegeben akzeptiert, aber gegen die Regierung müssen sie damit trotzdem nicht sein) und neben Atheisten auch viele islamisch geprägten Synkretismus und Spiritualismus aller Art. Die christlichen Sekten sind da nur ein Teil eines größeren Phänomens religiöser Suchender in Iran jenseits der orthodoxen Schia. Es wird dann immer erzählt, dass im Iran ein fundamentaler Wandel stattfindet und vor allem die Jugend sich durch westliche/globale Einflüsse von der orthodoxen Schia abwendet und säkularer wird. Ich halte das für Quatsch und Ergebnis m.E. überholter Modernisierungstheorien, dass "Modernisierung" (was auch immer man darunter verstehen mag) immer mit einer Abwendung von organisierter und orthodoxer Religion einher geht. Es gibt ja
diese Studie welche letztere Modernisierungstheorie zu belegen scheint, aber ich gehe davon aus, dass orthodoxe Schiiten im Iran an der Umfrage überproportional nicht teilgenommen haben und daher deren Anteil deutlich höher als angegeben ist. Meiner Einschätzung nach zeigt die Studie, dass die religiösen Ansichten im Iran vielfältig sind, mit dem schiitischen Islam aber als der weiterhin größten Gruppe.
Dieses 2-Kulturen-Phänomen ist eine Eigenschaft der iranischen Gesellschaft seit dem 20ten Jahrhundert. Meine Sichtweise wäre, dass sich in den ersten Jahrzehnten des 20ten Jahrhunderts eine säkulare städtische Kultur entwickelte zu der sich dann durch verstärkte Urbanisierung/Landflucht (in den 1960er und 1970er Jahren) eine islamisch-konservative urbane Kultur hinzugesellt hat, die dann 1979 die Macht übernommen hat, als die säkularen Pahlavis durch eine islamische Theokratie ersetzt wurde. Ein Phänomen der sich in anderen Ländern der Region wiederholt hat und in vielen Ländern zum Aufkommen von islamistischen Strömungen führte von den Vorgängern der AKP in der Türkei bis zu einem Anstieg in Prominenz der Muslimbrüder in Ägypten bzw. ihrer verschiedenen Ableger in der Region. Hier hat sich dann durch sozio-ökonomischen Aufstieg auch eine islamisch-konservative Mittelklasse und Intelligenz gebildet, die dann sowohl im Iran als auch im Westen studiert, aber aus der die Islamische Republik ihre Leute rekrutiert und welche zum Beispiel Ingenieurwesen studiert haben und jetzt in der Revolutionsgardenindustrie Waffensysteme entwickeln. Die säkulare Mittelklasse/Intelligenz gibt es auch noch, aber sie wurde stark ausgedünnt durch Migration, weil natürlich viele nach der Revolution 1979 und gerade auch während dem Iran-Irak-Krieg in den 1980ern ausgewandert sind und weiterhin kontinuierlich auswandern und wenn sie politisch auffällig waren vom Regime auch durch gezielte Repression dazu ermutigt werden meines Erachtens.
Worauf ich hinaus will ist dass die Islamische Republik (prinzipiell/potenziell) durchaus stark verankert ist in einem Teil der iranischen Gesellschaft, aber eben nur ein Teil und daher immer und jederzeit ein Legitimationsproblem in einem Teil der iranischen Gesellschaft hat. Unter Auslandsiranern natürlich im Besonderen, weil dort der Anteil säkularer Iraner besonders hoch ist, aber auch im Iran selbst. Dazu gibt es natürlich auch ethnische Minderheiten, wobei die Situation so ist, dass es eine persisch-schiitische Mehrheitsnationalkultur gibt und eine Reihe von Minderheiten, welche mal mehr mal weniger explizit eine eigene Identität entwickelt haben. Wobei letzteres auch nicht statisch ist und hier langfristige Prozesse stattfinden, in denen "kulturelle Traditionen" als einem "Volk" zugehörig definiert werden und dann mal mehr mal weniger explizit zum Beispiel eine kurdische Nationalkultur der persischen Kultur entgegen gesetzt wird. Man ist dann aber schon Iraner und kein Iraker zum Beispiel und ist dann so etwas wie ein Kurde aus Iran. Gerade für Sunniten ist es aber recht einfach den schiitischen Staatsislam abzulehnen, weil man eigene religiöse Strukturen und eine eigene religiöse Identität hat. Und als jemand der mal im Iran war kann ich sagen, dass man häufig auf große Entfernung eine Moschee des schiitischen Staatsislams als solche erkennt und man sieht einfach, dass die in manchen Gebieten fremd und anders ist.
Das sind die Bruchstellen, welche in der iranischen Gesellschaft existieren und die vor 10-20 Jahren nicht grundlegend anders waren, als sie es heute sind und sie werden auch in 10-20 Jahren noch existieren. Das heißt wenn es nächstes Jahr einen Systemwechsel gibt und ein säkulares System übernimmt, welches Säkularismus und einen persischen Ultra-Nationalismus als verbindendes Element ins Zentrum stellt, was ich für ein mögliches Szenario halte, dann wird das den Exiliranern sehr gut gefallen, aber es wird am Ende auch wieder Legitimationsprobleme in Teilen der Bevölkerung haben, welche eher konservativ-islamisch geprägt sind und solche mit einer mal mehr mal weniger explizit in Abgrenzung formulierten Minderheitenidentität. Darum hoffe ich auf das Szenario, welches ich bereits zu Beginn ein wenig
dargelegt hatte, dass es weniger einen kompletten Umsturz geben sollte, als eine Öffnung des existierenden politischen Systems und der Etablierung einer parlamentarischen Demokratie in der sich die verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft hoffentlich die Macht teilen können. Es wäre wenig gewonnen, wenn 1979 eine säkulare Diktatur durch eine islamische Theokratie ersetzt wurde und 2023 dann wieder eine islamische Theokratie durch ein neues säkulares autoritäres Regime ersetzt wird. Was es braucht ist nicht ständig zwischen These und Anti-These hin und her zu wechseln sondern endlich mal eine vernünftige Synthese zu versuchen.
Was wir nun in den letzten 10 Jahren erlebt haben ist eine Wirtschaftskrise im Iran, welche zu einem nachhaltigen Wohlstandsverlust für große Teile der Bevölkerung geführt hat. Das heißt Leute die eher Mittelklasse waren sind jetzt eher Unterschicht. Jeder muss sich überlegen, wo er sparen kann und Leute können sich von Jahr zu Jahr z.B. weniger Fleisch essen. Größere Anschaffungen sind nicht mehr möglich. Luxuskonsumgüter werden immer unerschwinglicher. Der Gürtel wird immer enger geschnallt und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Und zwar für alle gleichermaßen. Und seit 2017/2018 finden entsprechend mit steigender Schlagzahl auch Proteste statt, insbesondere genau dort wo diese erwähnten Bruchstellen in der iranischen Gesellschaft verlaufen. Es gibt einen BBC-Artikel mit ein paar Grafiken, welche die wirtschaftliche Entwicklung deutlich machen:
How Iran’s economic woes created conditions ripe for protests
Man kann dort in der untersten Grafik sehr schön sehen, dass der Lebensstandard im Iran von Mitte der 90er bis Mitte/Ende der 00er Jahre kontinuierlich angestiegen ist und dann gesunken ist vor allem ab 2010-2012, als Obama die wirklich harten Sanktionen eingeführt hat, und sich jetzt in der Stadt auf dem Niveau der 90er Jahre befindet und auf dem Land deutlich unter dem damaligen Niveau. Das Atomabkommen hat zwischendurch wieder Ölverkäufe und zumindest den Beginn einer wirtschaftlichen Erholung ermöglicht und mit dem Wahlsieg von Trump im Januar 2017 und dem erneuten Ausstieg im Mai 2018 ging es dann wieder abwärts.
Wie die ökonomischen Auswirkungen unter Sanktionen sind ist m.E. sehr komplex und man sollte sich hüten hier nur negative Entwicklungen zu sehen und ich versuche auch selbst noch da ein wenig durchzublicken. Aber es scheint mir klar, dass die Islamische Republik schon Optionen hat die wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen, auch wenn die Wirksamkeit davon am Ende begrenzt ist. Daher ist die Einstellung welche Khamenei in seinen Reden verbreitet, dass man sich hier halt mehr ins Zeug legen muss und im Zweifelsfall die Bevölkerung das jetzt durchhalten muss.
Normalerweise würde der Iran sehr viel Öl und Gas verkaufen und damit Güter aller Art importieren und so einen hohen Handelsüberschuss haben, mit denen man Subventionen und Investitionen finanzieren kann oder mit denen man strategische Währungsreserven bildet. Das geht jetzt nun nicht mehr so wie vorher, weil man weniger Exporte hat durch die Sanktionen auf Ölverkäufe und man auch auf die ausländischen Währungsreserven nicht mehr zugreifen kann. Was der Iran nun versucht ist sich an diese Situation anzupassen, Khamenei hat das
"Resistance Economy" genannt. Dabei geht es darum, dass man versucht den Staatshaushalt zu reformieren, die Sanktionen zu umgehen und die nationale Wirtschaft zu entwickeln. Und die Raisi-Regierung hat im Endeffekt den Auftrag genau das umzusetzen.
Was man jetzt gemacht hat, ist mehr Steuern zu kassieren. Weil im Iran bezahlt kaum einer Steuern. Die Revolutionsgarden und staatsnahen Stiftungen schonmal überhaupt keine und auch sonst wer Kontakte hat eher nicht. Da hat man mal etwas mehr draufgeschaut und das hat auch was gebracht und der Anteil der Steuereinnahmen am Budget ist stark gestiegen. Wobei es natürlich auch die Frage ist, ob eine Regierung die mit Unruhen zu kämpfen hat jetzt unbedingt die Steuern erhöhen sollte...
Dazu hat die Raisi-Regierung zuletzt eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt, welche die Ausgabenseite des Budgets verbessern sollen, die aber zur Inflation beitragen. Die iranische Zentralbank verkauft Staatsanleihen an staatsnahe Banken. Die staatsnahen Banken leihen sich das Geld aber bei der Zentralbank. Mit dem Geld wird dann ein Teil des Staatsbudget und zum Beispiel Subventionen finanziert. Damit kann man kurzfristig liquide bleiben, aber es erhöht natürlich künstlich die Geldmenge die im Umlauf ist. Dazu gibt ja die offizielle Rate (42000) und die inoffizielle Rate (aktuell ca. 400 000) und es gibt die Möglichkeit für die offizielle Rate zu importieren und der Staat bezahlt es. Im Mai diesen Jahres hat man die Möglichkeit abgeschafft die offizielle Rate zu nutzen für den Import von essenziellen Nahrungsmitteln und Medizin. Man hat das dann durch Direktzahlungen an sozial schwache Konsumenten ersetzt, aber es hat natürlich zu einem sprunghaften Preisanstieg über Nacht geführt, den man mit einiger Berechtigung als unmittelbare Ursache der Mahsa Amini-Proteste hinzuzählen kann, auch wenn es etwas verzögert war.
Flour Price Soars In Iran, Impacting Bread, Pasta, As Subsidy Stops
Inflation, subsidy reform hit stomachs in isolated Iran
Was dem Iran zuletzt gelungen ist ist mehr Öl zu exportieren. Durch die Verhandlungen zum JCPOA haben die USA in die andere Richtung geschaut und Iran konnte mehr Öl nach China verkaufen mit Firmen in den Emiraten als Mittelsmänner. (
UAE Earns Big as Iran Sells Oil to China,
Iran oil exports could rise further after June-July increase, trackers say) Man hat zuletzt mit Russland einen Konkurrenten hinzubekommen und es stellt sich die Frage, ob die USA im Zuge der Proteste und einer Pause der Verhandlungen zum JCPOA wieder verstärkt die Sanktionen umsetzen. Gleichzeitig hat man aber in Iran offensichtlich die Vorstellung, dass man sich stärker an die asiatischen Großmächte China und Russland binden will um so mehr Handel zu treiben. Es geht ja nicht nur um Rohstoffe, sondern auch darum Handelsbeziehungen in anderen Wirtschaftszweigen zu entwickeln, wovon die iranische Wirtschaft profitieren kann. Covid kam im Februar 2020 ursprünglich durch Flüge von Mahan Air in den Iran, welche zwischen Wuhan und Qom pendelten. Da ging es meine ich um chinesische Studenten und chinesische Arbeiter, die in Projekten in der Stadt arbeiten. Und in jüngster Zeit kann der Waffenhandel mit Russland als paradigmatisch gesehen werden. Die Iraner verkaufen Drohnen und Raketen und bekommen Waffen und was weiß ich noch alles. Dazu muss man nichtmal Geld überweisen, auch wenn natürlich Alternativen zum SWIFT-System in China und Russland entwickelt werden und Iran da nur dafür sein kann.
Was man natürlich auch machen kann ist die heimische Nachfrage durch große Infrastrukturprojekte anzukurbeln. Raisi hat zum Beispiel versprochen eine Millionen Wohnungen pro Jahr zu bauen. Ist natürlich klar, dass das wieder so ein typisches Mega-Projekt ist, das am Ende an die Revolutionsgardenunternehmen wie das
Khatam al-Anbiyah-Konglomerat gegangen wäre mit dem Ziel die Mietpreise zu senken und die inländische Nachfrage anzukurbeln. Die Frage ist natürlich woher das Geld dafür kommen soll und wie viel dann am Ende in irgendwelchen korrupten Taschen verschwunden wäre. Passieren wird da nicht viel.
Von daher versucht die Raisi-Regierung schon die Situation zu verbessern, zumindest die eigene. Auch sind die jüngsten Prognosen für Iran gar nicht so negativ, der IWF erwartet im Moment 2-3% Wachstum, was natürlich nicht genug ist, aber immerhin. Ich vermute eine Kombination aus steigenden Ölexporten und eine allgemeine Erholung mit dem Abklingen der Covid-Epidemie. Auf der anderen Seite wurde das mit den Atomgesprächen nichts und das drückt die Stimmung. Man heizt die Inflation gerade im Moment besonders an und die Proteste selbst schwächen die Wirtschaft zusätzlich. Durch die unsichere Lage und Streiks (oder auch lange Internetsperren) sinkt die inländische Nachfrage und Investitionen und größere Anschaffungen werden jetzt natürlich nicht getätigt. Die bestehenden Öl- und Gasexporte drohen wegzufallen wenn die Sanktionen stärker umgesetzt werden. Die Inflation steigt auf absehbare Zeit weiter, auch wenn sie wieder nachlässt wenn sich die Preise den realistischen Marktpreisen angenähert haben, und der Lebensstandard sinkt weiter. Auch wenn die Regierung ihr Budget reformiert ist nicht wirklich abzusehen, wie das am Ende die ökonomische Lage der Leute wieder verbessern sollte. Und eine Regierung die Steuern erhöht und Subventionen streicht und trotzdem kein Geld zu haben scheint, strahlt nicht gerade Kompetenz aus und vermittelt keine Zuversicht für die Zukunft. Dazu kommt, dass wir mittlerweile eine Generation von jungen Menschen im Iran haben, welche in den letzten 10 Jahren praktisch nur Inflation und sinkenden Lebensstandard erlebt haben, ohne echten Aussicht auf gute Jobs, wenn sie überhaupt einen bekommen und einen sozialen Aufstieg im Arbeitsleben, während sie aber auch Zugang zu youtube etc. haben. Dazu kommen die Folgeerscheinungen der sozio-ökonomische Probleme wie mehr
Drogensüchtige (habe sowas vor Ort selbst gesehen, wtf),
Prostitution,
Organhandel uvm. Das trägt, zusammen mit der so genannten "security atmosphere", d.h. der hohen Präsenz von Sicherheitskräften an zentralen Plätzen im öffentlichen Raum um Proteste zu unterbinden oder schnell niederzuschlagen, die dann aber zuletzt offenbar willkürlich Leute auf der Straße belästigen wie man so hört, zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Stimmung des Niedergangs und der allgemeinen Verzweiflung bei, welche den Gottesstaat Iran zu einem zunehmend dystopischen Ort macht. Das haben die Exiliraner natürlich immer schon so gesehen, aber es entspricht zunehmend der Realität, selbst wenn man bereit ist die Islamische Republik zu tolerieren. (Es gab ja durchaus auch Zeiten nach dem ersten Golfkrieg, in denen der Lebensstandard gestiegen ist und es gibt durchaus sinnvolle Fortschritte in Sachen Infrastruktur (Teheraner Metro und Ausbau des Schienennetzes zum Beispiel) und einige Sachen, die besser sind als man vielleicht glaubt z.B. in Sachen Digitalisierung (insbesondere mobiles Internet ist top im Iran, sofern nicht geblockt) und das Gesundheits- und Bildungswesen (ist beides eigentlich nicht so schlecht wenn man die Umstände bedenkt) im Iran unter der Islamischen Republik. Aber zuletzt war es wichtiger den USA die Stirn zu bieten als der Bevölkerung ein ökonomisch erträgliches Leben zu sichern... Es wäre halt so viel mehr möglich, wenn man nicht so deppert wäre in der Außenpolitik...)
Und dieser sinkende Lebensstandard wird begleitet von Protesten, welche an Schlagzahl zunehmen. Die erste größere Protestwelle war zum Jahreswechsel Dezember 2017-Januar 2018.
2017–2018 Iranian protests Es gab auch danach immer wieder kleinere Proteste an den Unis und in den Provinzen aber so richtig zur Sache ging es im November 2019 als über Nacht der Benzinpreis erhöht wurde. Die Proteste flammten an den Unis im Januar dann kurzfristig wieder auf, als das Flugzeug abgeschossen wurde.
2019-2020 Iranian Protests Ukraine International Airlines Flight 752 Der Rest von 2020 war (wegen Covid?) eher ruhig aber vor allem im Sommer 2021 haben die Proteste dann wieder angezogen, auch in Folge des Klimawandels, wie ich hier auch im Strang immer wieder berichtet habe:
Ein paar Schlagzeilen machten Unruhen im Februar 2021 in Belutschistan.
2021 Sistan and Baluchestan protests (
mein Post dazu). Es gab eigentlich durchgehend Proteste von Interessensgruppen wie Lehrer und Rentner, welche auf der Inflation angemessene Erhöhungen ihrer Bezüge bestanden.
mein Post vom März 2021 dazu Im Juli Probleme in der Stromversorgung und eine Dürre, welche vor allem in Khuzestan (arabische Provinz in Südwestiran) Proteste auslösten.
2021 Iranian water protests Es gab aber auch Solidaritätsproteste in Tabriz und Teheran zum Beispiel. Videos habe ich hier im Strang
gepostet. Im November 2021 gab es in Isfahan große Proteste wegen der Wasserversorgung.
siehe mein Post im Strang Der Protest damals war größer als alle Mahsa Amini-Proteste außerhalb von Kurdistan und Berlin. (
Artikel mit Video, wo man sieht dass das viele waren)
Und dann wieder nach einer Zeit wo es keine richtig großen Proteste gab ging es dann im September 2022 los mit den Mahsa Amini-Protesten, welche die Situation auf eine neue Ebene gehoben haben. Anstatt sporadischer Proteste die über einen Zeitraum von Jahren gesehen an Frequenz zunehmen, gibt es nun einen ununterbrochenen Zustand der Unruhe und Proteste, in manchen Gegenden mehr als in anderen. Aber ich habe den Eindruck, dass sich alle Seiten jetzt auf einen langfristigen Prozess einstellen, in dem das Regime weiter die Macht hat, allerdings konstant mit Unruhen unterschiedlicher Intensität zu kämpfen hat. Es wird nicht aufhören ehe die wirtschaftliche Lage besser wird und das Vertrauen in oder zumindest die Akzeptanz des Systems zurückkehrt. Oder bis die Legitimität des Regimes selbst unter eigenen Anhängern komplett erodiert ist, weil man zu viele Gräueltaten begangen hat ohne den Anschein zu erwecken die ökonomische und politische Situation dauerhaft unter Kontrolle bringen zu können. Weil es ist ja das allgemeine Verständnis wie solche Revolten ablaufen, dass die Kohärenz des Regimes die zentrale Rolle spielt. Sobald es Risse im System gibt und Leute überlaufen wird es interessant. Im Moment sehe ich das noch nicht, vielmehr erwarte ich Versuche des Systems die verschiedenen Lager im System wieder vermehrt an sich zu binden, die Opposition zu spalten und wenn möglich ins Exil abzuschieben oder anderweitig auszuschalten, aber man wird sehen was passiert. Dazu wird die Repression weiter hochgefahren, der Sicherheitsapparat ausgebaut, und man hofft sicherlich, dass sich die wirtschaftliche Lage dann doch irgendwann bessert oder zumindest stabilisiert.
Iran Protests Fueled by Sickly Economy - The New York Times
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