Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

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Balsamico
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Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von Balsamico »

Hi Leute,

diese Abneigung mancher türkischen und türkischstämmigen Menschen gegenüber kurdischen.... wie verbreitet ist sie tatsächlich in der Türkei als auch hierzulande? Gibt es Unterschiede ob von Leuten in der Stadt oder dem Land die Rede ist? Spielt das Alter eine Rolle? Wer hier einen Ein- oder Überblick hat, könntet ihr hier vielleicht bitte den ein oder anderen Satz dalassen?

Mich persönlich würde am meisten interessieren, wie das in Deutschland aussieht, mit TürkenInnen aus der Türkei habe ich nie zu tun. Ich finde es schade, jemanden kennenzulernen, einen guten Eindruck zu haben und dann plötzlich von einem so krassen NoGo an Charakterzug geschockt zu werden, der total nicht ins Bild passt und hoffe, dass die nicht ganz so verbreitet sind, wie es den Anschein hat.


Und noch ein paar Fragen dazu hätte ich...

-Stimmt es, dass viele KurdenInnen in D. oft auf türkisch machen um Ausgrenzung usw. entgegen zu wirken? Weiß jemand was darüber?

-Stimmt es, dass sich der Teil der T., der Erdogan unterstützt, in etwa deckt mit dem, der das kurdische Volk nicht leiden kann?

-Gibt es gängige Vorurteile oder wie muss man sich vorstellen, was ich ich Antikurdismus nenne? Gibt es Parallelen zum Antisemitismus auch abgesehen vom Klang des Wortes? Ist die Bezeichnung Erbfeindschaft hier übertrieben?


aber vor allem:

Hatte jemand Erfolge, in Diskussionen mit Antikurdisten, Ihnen diese Überzeugungen auszureden? Wenn ja, wie lief das ab? Fühlen viele bei Kritik, die ihr Bild von Kurden betrifft, fälschlicherweise ihren Nationalstolz angegriffen? (Letzteres scheint oft ein wunder Punkt zu sein: eine Vulnerability sozusagen über die zuverlässig die kühnsten Überzeugungen induziert werden und sich, einmal gesetzt, halten zäh wie Unkraut) Ich weiß, dass es bei Erdogan-Support oft der Fall ist.... -bei Antikurdismus auch?


Danke.

LG!
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Ashina
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Re: Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von Ashina »

Ich denke, dass der Antitürkismus auf der Welt ein weitaus größeres Ausmaß an Betroffenen hat.
Adam Smith
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Re: Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von Adam Smith »

Ashina hat geschrieben:(06 Jan 2021, 19:28)

Ich denke, dass der Antitürkismus auf der Welt ein weitaus größeres Ausmaß an Betroffenen hat.
Und warum glaubst könnte es so was geben bei z.B. den Syrern oder den Irakern oder den Armeniern?
Das ist Kapitalismus:

Die ständige Wahl der Bürger bestimmt das Angebot.
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Re: Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von streicher »

Ashina hat geschrieben:(06 Jan 2021, 19:28)

Ich denke, dass der Antitürkismus auf der Welt ein weitaus größeres Ausmaß an Betroffenen hat.
Das ist in dem Thread allerdings nicht das Thema.
Die Zukunft ist Geschichte.
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Re: Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von streicher »

Was ich mitbekommen habe, dass quasi "Kurde" als Schimpfwort gebraucht worden ist, quasi gleichzusetzen mit "Opfer", und das allerdings recht oft unter Jugendlichen. Das ist allerdings Jahre her. Ich weiß nicht, ob das immer noch so ist.
Mit einem Türken habe ich mich mal darüber "eingehend unterhalten", der es auch so gehandhabt hat, auch den Begriff "Jude" hat er so verwendet. Er hatte allerdings gegenüber Kurden und Juden nicht eine abneigende Haltung, wie es wohl doch immer wieder vorkommt. Er war schnell einsichtig.

PS.: Er hatte übrigens später im Studium übrigens einen jüdischen Mitstudenten, mit dem er sich gut verstand.
Die Zukunft ist Geschichte.
Bobo
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Re: Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von Bobo »

Balsamico hat geschrieben:(04 Jan 2021, 00:44)

Hi Leute,

diese Abneigung mancher türkischen und türkischstämmigen Menschen gegenüber kurdischen.... wie verbreitet ist sie tatsächlich in der Türkei als auch hierzulande? Gibt es Unterschiede ob von Leuten in der Stadt oder dem Land die Rede ist? Spielt das Alter eine Rolle? Wer hier einen Ein- oder Überblick hat, könntet ihr hier vielleicht bitte den ein oder anderen Satz dalassen?

Mich persönlich würde am meisten interessieren, wie das in Deutschland aussieht, mit TürkenInnen aus der Türkei habe ich nie zu tun. Ich finde es schade, jemanden kennenzulernen, einen guten Eindruck zu haben und dann plötzlich von einem so krassen NoGo an Charakterzug geschockt zu werden, der total nicht ins Bild passt und hoffe, dass die nicht ganz so verbreitet sind, wie es den Anschein hat.


Und noch ein paar Fragen dazu hätte ich...

-Stimmt es, dass viele KurdenInnen in D. oft auf türkisch machen um Ausgrenzung usw. entgegen zu wirken? Weiß jemand was darüber?

-Stimmt es, dass sich der Teil der T., der Erdogan unterstützt, in etwa deckt mit dem, der das kurdische Volk nicht leiden kann?

-Gibt es gängige Vorurteile oder wie muss man sich vorstellen, was ich ich Antikurdismus nenne? Gibt es Parallelen zum Antisemitismus auch abgesehen vom Klang des Wortes? Ist die Bezeichnung Erbfeindschaft hier übertrieben?


aber vor allem:

Hatte jemand Erfolge, in Diskussionen mit Antikurdisten, Ihnen diese Überzeugungen auszureden? Wenn ja, wie lief das ab? Fühlen viele bei Kritik, die ihr Bild von Kurden betrifft, fälschlicherweise ihren Nationalstolz angegriffen? (Letzteres scheint oft ein wunder Punkt zu sein: eine Vulnerability sozusagen über die zuverlässig die kühnsten Überzeugungen induziert werden und sich, einmal gesetzt, halten zäh wie Unkraut) Ich weiß, dass es bei Erdogan-Support oft der Fall ist.... -bei Antikurdismus auch?


Danke.

LG!
Ich habe bei meinen Besuchen in der Türkei abseits der Touristenzentren viel Gastfreundschaft erfahren und die Gelegenheit bekommen, die Kurdenfrage offen anzusprechen. Ich nannte es "Kurdenproblem" und wurde überrascht. Die einhellige Antwort war; Es gäbe kein Kurdenproblem. Tatsächlich gaben sich einige am Tisch als Türken, andere als Kurden zu erkennen. Darunter auch Angehörige einer Familie. Eine Beobachtung hat sich mir jedoch aufgedrängt. Die Kurden schienen mir sehr viel mehr dem traditionellen Islam verpflichtet als Türken. die Türken allen Alters und Geschlechts kamen viel weltoffener rüber. Insofern wundert es mich, dass Erdogan ein Problem mit dem Kurden hat, wo er doch darauf zielt, die Türkei in eine islamische Diktatur zu verwandeln. Diesbezüglich dürfte der Widerstand aus der türkischen Bevölkerung höher sein als der aus dem kurdischen Teil.

Aus der Beobachtung heraus wage ich die Prognose, dass ein Kurdenstaat viel eher zu einer streng islamischen Republik würde als die Türkei. Bis hin zu einer Kopie Pakistans. Die Türken waren mir dem Mittelalter schon viel zu sehr entwachsen als dass sie sich von Erdogan oder sonst wen in einen spürbar islamisch dominierten Staat pressen ließen. Insofern sehe ich gar keine Notwendigkeit für Türken, sich als Kurden auszugeben. Die vielen Türken, darunter auch viele junge Frauen, die mir begegneten, definierten sich über ihre Persönlichkeit, nicht über ihre Nationalität. Wie hier und anderswo in der Welt auch. Nicht wenige davon waren hinreißend bis umwerfend. So sehr er es sich auch wünschen mag, Erdogan ist nicht die Türkei!
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McKnee
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Re: Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von McKnee »

Bobo hat geschrieben:(09 Jan 2021, 12:09)

So sehr er es sich auch wünschen mag, Erdogan ist nicht die Türkei!
Das ist der übliche Unterschied zwischen den Einheimischen und den Ausgewanderten. Stellt man bei vielen bis allen Nationalitäten fest.

Bezogen auf Deutschland und nur hier habe ich unmittelbare Erfahrungen auf allen Seiten der Betroffenen und Alliierten.

Ich glaube gerne, dass in der Türkei Türken und Kurden an einem Tisch sitzen, aber die Kurdenproblematik ist trotzdem gegenwärtig und bedrohlich für einen Teil der Bevölkerung. Dabei spielt Erdogan eine große Rolle und selbst wenn ER nicht die Türkei ist, so wählen sie ihn wiederholt zu ihrem Anführer und - davon bin ich aufgrund meiner Erfahrungen und der Berichterstattung überzeugt - er spricht den Türken mehrheitlich aus der Seele oder trifft ins Zentrum ihrer Selbstwahrnehmung.
Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten.

Es ist mir egal, ob es ein Albert-Einstein-Zitat ist ...

.....er wusste es :D
Bobo
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Re: Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von Bobo »

McKnee hat geschrieben:(09 Jan 2021, 17:20)

Das ist der übliche Unterschied zwischen den Einheimischen und den Ausgewanderten. Stellt man bei vielen bis allen Nationalitäten fest.

Bezogen auf Deutschland und nur hier habe ich unmittelbare Erfahrungen auf allen Seiten der Betroffenen und Alliierten.

Ich glaube gerne, dass in der Türkei Türken und Kurden an einem Tisch sitzen, aber die Kurdenproblematik ist trotzdem gegenwärtig und bedrohlich für einen Teil der Bevölkerung. Dabei spielt Erdogan eine große Rolle und selbst wenn ER nicht die Türkei ist, so wählen sie ihn wiederholt zu ihrem Anführer und - davon bin ich aufgrund meiner Erfahrungen und der Berichterstattung überzeugt - er spricht den Türken mehrheitlich aus der Seele oder trifft ins Zentrum ihrer Selbstwahrnehmung.

Da liegst du wohl richtig. Erdogan hat sicher ein Problem mit den Kurden. Soviel steht mal fest. Ob seine Wähler das im Hinterkopf haben, wenn sie ihn wählen. Man weiß es nicht. Ich hege die Hoffnung, dass Erdogans Wiederwahl mehr als fraglich ist. Mal schauen, was kommt. Erdi hat genug kaputt gemacht, denke ich.
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Dietz
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Re: Wie verbreitet ist "Antikurdismus" unter TürkenInnen und Türkischstämmigen? Wie ausreden?

Beitrag von Dietz »

McKnee hat geschrieben:(09 Jan 2021, 17:20)

Bezogen auf Deutschland und nur hier habe ich unmittelbare Erfahrungen auf allen Seiten der Betroffenen und Alliierten.

Ich glaube gerne, dass in der Türkei Türken und Kurden an einem Tisch sitzen, aber die Kurdenproblematik ist trotzdem gegenwärtig und bedrohlich für einen Teil der Bevölkerung.
Was ist eigentlich die Kurden - Problematik, von der immer wieder in diesen Threads die Rede ist?

Wie so oft muss man nur in die jüngere Geschichte dieses alten 35-Millionen- Volkes im Nähen Osten zurückblicken. Im osmanischen Reich waren sie ein geeeintes Kurden- Volk mit eigener Sprache und ausgeprägter Kultur, das unter dem jeweiligen Sultan in Istanbul relativ eintraechtig mit seinen allerdings feudalen Strukturen lebte.

Erst mit dem Ende des 1. Weltkrieges, als das osmanische Groß-Reich von den Alliierten Frankreich, Grossbritannien und USA zerschlagen wurde, begannen die Unruhen - eindeutig aus der Schuld der Alliierten heraus. Sie "verteilten" das autonome Kurdistan im Vertrag von Sevres (Art. 62/64) auf Iran, den neugebildeten Irak, Syrien und die Resttuerkei. Mit dem Versprechen, dass die Kurden entsprechend ihrer langen Tradition Autonomie-Status erhalten wuerden. Auch Mustafa Kemal Atatürk sicherte ihnen das zu, nachdem die Kurden an seiner Seite die bereits beschlossene Zerschlagung der Resttuerkei in seinem Befreiungskrieg militärisch zunichte machte.

Alle Beteiligten hielten sich nicht an ihre Zusagen. Hier liegt der Hund begraben. Und hier wurde die Zuendschnur für die blutigen Ereignisse mit Attentaten und Bombenanschlaegen gelegt. Mit zahlreichen Opfern auf allen Seiten. Die PKK, das muss der guten Ordnung allerdings gesagt werden, kämpfte in ihrer leninistischen Ausrichtung auch gegen das Kurden interne Feudalsystem. Und dieser Kampf dauert insgesamt schon 100 Jahre. Die Zuendschnur dafuer wird vom Vater auf Söhne und Tochter (letztere kämpfen bei den Kurden aktiv mit) weitergegeben.

Und mit jedem neuen Konflikt in diesem Vierlaenderdreieck, wie jetzt in Syrien, spielt auch die ungelöste Kurdenproblematik eine Rolle. Ein Ende ist nicht in Sicht. Da ist leider nichts und niemandem etwas "auszureden". Man denke nur an Karl Mays: Durchs wilde Kurdistan.
"Nehmen Sie die Menschen wie sie sind. Andere gibt es nicht." (Konrad Adenauer)
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