JJazzGold hat geschrieben:(29 Jun 2020, 10:13)
Ich bin sicher, dass sich viele Leser zumindest das Schmunzeln nicht verkneifen konnten, als sie von dem Ersuchen um Polizei Schutz und -beratung gelesen haben. Das ist menschlich. Wer Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Ging mir genauso und dazu stehe ich auch.
Geschmunzelt habe ich weniger, eher bitter gegrinst. Der ganze Vorgang zeigt doch nur auf, wie weit wir als Gesellschaft mit dem Recht auf Meinungsfreiheit gekommen sind: Wir verlieren immer mehr Maß und Ziel.
Es ist nur drei Jahre her, da schrieb die TAZ über eine von Nazis bedrohte Gay pride-Demo in Bulgarien:
"Wenn heute Menschen ganz offen als Müll bezeichnet werden, wenn das Leben von Schwulen und Lesben von Neonazis bedroht wird, dann hat unsere Gesellschaft ein Problem."
https://taz.de/LGBT-Demonstration-in-Bu ... /!5419451/
Nun könnte man sagen, die TAZ misst mit zweierlei Maß, vielleicht ist dem auch so, aber ich sehe noch etwas anderes, nämlich eine durch die Jahre gesunkene Hemmschwelle in Meinungsäußerungen.
Heute gehen Richter hin und attestieren der einen Politikerin, dass sie es hinnehmen muss, als Fotze bezeichnet zu werden, der anderen, dass die gegen sie gerichtete permanente Hetze eines vorbestraften Rechtsradikalen
von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Keine der unsäglichen Meinungsäußerungen der letzten Jahre zur "Entsorgung" missliebiger PolitkerInnen, Peter Boehringers Ausfall über Merkel als "Dirne der Fremdmächte", der von einem Teil der Linke
geäußerte Wunsch, Reiche zu erschießen hat dazu geführt, dass ein Gericht es als das verurteilt hätte, was es ist, nämlich unsägliche Hetze mit dem Ziel, diese Menschen nicht nur verbal an den Pranger zu stellen, sondern sie zum Abschuss
freizugeben wie z.B. im Fall Walter Lübcke. Sollte der unsägliche Taz-Artikel zur Verletzung oder zum Tod eines Polizisten führen, würde es mich auch nicht wundern.
Inzwischen wird nun die Taz-Autorin bedroht, bis jetzt "nur" verbal, aber genau aus all den gerade genannten Gründen schmunzle ich deswegen nicht.
Letztes Jahr schrieb ich hier an anderer Stelle, und ich kann mich nur wiederholen:
"Eine Gesellschaft, die Meinungsfreiheit ohne Moral und Ethik praktiziert und akzeptiert, wird auch die Gesetzgebung entweder dahingehend aufweichen, Verstöße und Verbrechen in anderem Licht zu sehen und milder
zu beurteilen, oder sie wird dazu führen, dass wir drakonischere Strafen einführen müssen, weil eine derart entfesselte Gesellschaft nicht anders in den Griff zu bekommen ist.
Das Eine wie das Andere führt uns an Ende der Freiheit."
Ein Teil meiner Prophezeiung hat sich bereits teilweise erfüllt, die ganzen Anzeigen werden ins Leere laufen, denn die Aussagen der Kolumne sind von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt.
Ich hoffe sehr, dass sich der zweite Teil nicht auch erfüllen wird, und wir als Gesellschaft statt dessen mal darüber nachdenken, was wir so alles hemmungslos meinen, äußern zu müssen.