schokoschendrezki hat geschrieben:(07 Nov 2019, 15:01)
Die Betonung liegt auf "auch". Und Du schreibst ja ganz richtig: "begründet
wird das" und nicht: "begründet
ist das". Der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zum Beispiel. Das ist ja nicht nur eine Phrase sondern eine wirklich ziemlich ausgearbeitete Ideologie. Mit marxistischer Grundierung, dann aber auch mit weiteren Zugaben: Von Simón Bolívars Panamerikanismus bis hin zum deutschen Soziologen Heinz Dieterich und dem bekannten linken Intellektuellen Noam Chomsky. Was wurde in dem einen Staat, der offiziell für sich in Anspruch nahm, diesesn "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zu errichten, davon umgesetzt? Nichts! Außer die Inanspruchnahme dieser Ideologie. Venezuela war zu allen Zeiten dieser Inanspruchnahme eine reine Klientelwirtschaft mit einer besonderen Stellung des Militärs. Es wurden einfach nur Erdöleinnahmen abgeschöpft. Bis das Zugpferd "Erdölwirtschaft" zuschanden geritten war. Sonst nix! Man kann ziemlich viel über die psychologische Wirkung der Persönlichkeit von Hugo Chavez auf das Volk und die Rolle, die die Ideologie "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" dabei spielte, lernen. Aber für die Erschließung der wirklichen Machtstrukturen, der Fäden der Macht und der Logik der realen politischen Abläufe ist das Studium dieser Ideologie komplett für die Tonne.
Ist sicher etwas dran an dem Gedanken, dass man öfter einmal anstelle der postulierten Glaubenssätze die realen Macht(sicherungs)strukturen ansehen sollte. Das gilt für links- wie rechtsdrehende heilsgeschichtliche Narrative - ebenso aber auch für die, die sich selbst als Mitte als angeblich ideologiefreie Chorknaben in solcherart machtverschleierter Aufhübschung präsentieren.
Wobei bei Linken, um die es in diesem Strang geht, deshalb den Fokus mal auf diese Drehrichtung der Politsäuren gerichtet, stetig der eigene Anspruch unterlaufen wird. Denn was "linke" Atheisten/Humanisten oft der Religion mittels Erwähnung von Kreuzzügen, Kolonialismus oder Missbrauchsfällen usw. usf. anlasten, davon wollen sie in der Regel nichts hören, wenn sozialistische Ideen ins Spiel kommen. Da heißt es dann: »Die Ideen wurden missbraucht«, während bei der Religion ein Heer von Laientheologen in den alten Schriften liest und daraus süffisant lächelnd zitiert. Wendet man nun dieses Verfahren auf die Gesellschaftstheorien an, die die politische Grundlage der eigenen Gesellschaftsutopie darstellen, gilt dieser Ansatz nicht mehr und man bewegt sich wieder auf dem Niveau, wo das eigentlich ja alles ganz anders gemeint war, als später in der Praxis von Unfähigen/Böswilligen vollzogen.
Für die Gesellschaft viel wichtiger als dieses ganze Rechtslinksgedöns wäre es im Zusammenhang mit Gewalt, einmal darüber nachzudenken, wie sich der totale öffentliche Raum auf die Psyche bestimmter Typen von Frustrierten, Narzissten und/oder Zeloten auswirkt. Also von Menschen, die mehr und mehr verlernen, "Triebverzicht" zu leisten, die ihre Weltsicht, täglich bestätigt im öffentlichen Raum, an irgendeinem Punkt direkt und unmittelbar umsetzen müssen. Dieses Verlernen ist pädagogisch übrigens durchaus antrainiert, weil man inzwischen alle Negativität auszulöschen trachtet, statt den höcht unterschiedlichen Menschen zu vermitteln, wie mit ihr umzugehen, wie sie auszuhalten ist. Diese "Selbsttechnik" (der Foucaultsche Begriff gefällt mir besser als Ihr Sartrescher "Selbstentwurf") ist verpönt, weil man von der Gleichung ausgeht, dass gleiche Werte auch gleiche Köpfe erfordert - notfalls werden sie angepasst.