Unité 1 hat geschrieben:(20 Sep 2019, 16:49)
Na weil Menschen unterschiedliche Leben führen. Hier spielt die so oft bemühte und so selten verstandene Sozialisation tatsächlich eine entscheidende Rolle.
Ich weiß schon, was dahintersteckt - aber ich verstehe nicht, was das für eine Rolle spielen soll.
Meine Kindheit und Jugend war auch geprägt von diversen unschönen Schicksalen - aber deswegen entschuldige ich doch nicht davon unabhängige moralische Fehltritte damit - oder werde automatisch kriminell! Denn im Grunde will diese Art der Urteilsfindung doch untermauern, dass jeder, der bspw. eine nicht irgendwelchen Idealen entsprechende Kindheit hatte, quasi einen an der Waffel hat, so dass er u. a. Recht und Unrecht nicht mehr entsprechend zu unterscheiden weiß.
Und es ist nicht so, dass dieses "Spiel" nicht durchschaubar wäre und entsprechend ausgenutzt werden würde - letztes Jahr hatten wir einen Jugendlichen bei uns im Heim, der Sozialstunden ableisten musste. Ich hab ihn gefragt, was er denn angestellt hat - er mir nur gesagt, genügend, damit sie ihn in den Jugendknast verfrachten hätten können; aber er habe Polizei und Gericht 'ne Story vonwegen schlechte Kindheit mit schlechtem Umfeld erzählt und seine Familie habe mitgespielt, um ihn zu schützen. Und jetzt kommt's: Das alles, auf Anraten seines Anwalts!
Oder wenn ich an die Zeit denke, als ich zur Musterung musste - viele damalige Freunde und Bekannte haben mir geraten, ich solle dort unbedingt Nazi spielen, dann müsste ich nicht mal Zivildienst machen. Oder kurz vorher eine Murmel schlucken, dann würde man auch gänzlich "ausgemistet", nach dem Röntgen. Und ich war letztlich wirklich der einzige aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis, der Zivildienst gemacht hat, weil die Anderen eben alle eine Show ablieferten. Die Moral von der Geschicht: Moral ist was für Deppen wie mich!
Die Doppelmoral wäre in dem Fall bei denen zu finden, die meinten, der oder der gehörten gehängt statt eingeknastet...
Das würde vorraussetzen, dass "der oder der" jeweils ein- und dieselbe Straftat begangen haben und wenigstens einer (oder auch alle) von "denen" seinen (ihren) moralischen Schwerpunkt nicht mehr auf die vorgesehene Art der Bestrafung legt.
Die Meinungsfreiheit gilt ja nicht unbeschränkt. Aufruf zum Mord ist ebenso verboten wie Schmähungen, die bspw. die Würde des Menschen untergraben. Das Beispiel der Demokratie gilt hier doch auch analog. Du kommst nicht umhin, dir die Meinungen genauer anzusehen. Warum meint der oder die, dass dieses oder jenes nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Ich kann dir nur empfehlen, das auch mal zu tun.
Kennst du dieses Internet-Bild mit den zwei Bussitzen, die angeblich aussehen wie Burkaträgerinnen? Einige Menschen meinen, diesbezüglich eine Schreckens-Zukuft für Deutschland vorhersehen zu können - und diese "Meinungen" soll ich mir genauer ansehen?
Nur, weil wer verurteilt, was ein anderer sagt, ergibt sich daraus nicht der Wunsch nach Einschränkung von Meinungsfreiheit.
Ich meine aber keine simple Verurteilung von etwas Gesagtem.
Sondern: Ich und du haben ein- und dieselbe moralische Vorstellung von Meinungsfreiheit, aber ich lege sie für mich anders aus. Und wenn du es auch so machst, dann komm ich dir mit der Moralkeule. Und wenn du mir dann auch mit der Moralkeule kommst, dann verlege ich (feige ausweichend!) meine Moral auf einen anderen Schwerpunkt.
Wenn du verstehen willst, verstehe ich deinen Widerspruch nicht. Wie kannst du verstehen, wenn du nicht genauer hinhörst? Schau, auch hier bestätigst du deine Annahme im Vorhinein.
Wenn ich Doppelmoral meine entdeckt zu haben und versuche, sie zu enttarnen und ich werde dafür beleidigt - da soll ich genauer hinhören?
Womöglich gibt es auch nicht unbedingt dort eine Doppelmoral, wo du eine vermutest, und die Leute sind dann etwas angepiekst und reagieren unwirsch.
Ich warne die Leute nicht vorher, wenn ich meine, Doppelmoral entdeckt zu haben oder das ich sie fälschlichereise vermuten könnte. Ich stelle ganz harmlose Fragen, wie bspw. "Warum siehst du das so und nicht so". Grund für angepiekst sein oder unwirsch reagieren ist das ja nicht unbedingt, oder? Außer eben, es steckt mehr dahinter... Z. B. Doppelmoral. Aber freilich, sie können auch einfach nur einen Scheißtag gehabt haben usw.
"Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen." Erich Kästner