schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Sep 2018, 12:43)Ja. Franz-Joseph Strauß und seine Milliardenkrediteinfädelungen hatte ich ja schon genannt. Das war zwar auch nur ein Baustein bei der Lebensverlängerung der DDR aber kein ganz unwichtiger. Ein anderer, vielleicht noch wesentlicherer Punkt: Die völlig und absolut rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt zugunsten von Deviseneinnahmen.
Ich glaube, wenn man wirklich unabhängig von Beschuldigungen und uralten Ideologisierungen, unabhängig von antikommunistischer Hysterie und sozialistischer Klassenkampfrhetorik Überlegungen anstellen will, dann in diese Richtung: Was eigentlich hat ein Land wie China anders gemacht und den totalen wirtschaftlichen Aufstieg auch unter dem Banner des Sozialismus hinbekommen. Dass der chinesische "Sozialismus" in vielerlei Hinsicht kapitalistischer ist als die kapitalistischste Marktwirtschaft ... wissen wir doch. Das war in der DDR auch nicht anders. Gibt es etwas kapitalistischeres als den Freikauf politischer Häfltinge, um sich mit den Devisenerlösen eine neue Regierungsautoflotte zu finanzieren?
Ich hätte mir viel versprochen, wenn die Bürgerrechtler von damals zusammen mit anderen, die das ähnlich sahen (siehe große Kundgebung aufm Alex), den berühmten und heute oft kleingeredeten "dritten Weg" gegangen wären. Das heißt: Weg mit dem Ein-Parteien-System und den SED-hörigen Blockparteien CDU, LDPD, NDPD, Bauernpartei und wie sie alle hießen. Einführung eines echten demokratischen Wahlsystems mit Mehrparteien-Strukturen. Ablösung der alten stalinistischen Führungssäcke und Zusammenarbeit mit den progressiven Eliten, statt sie komplett zu entlassen (wie es ja dann der Fall war). Wiedereinführung (denn das gabs ja auch in der DDR schon einmal vor der ersten und zweiten Verstaatlichungswelle) von privatem Eigentum an Produktionsmitteln. Das Nebeneinander von mehreren Eigentumsformen akzeptieren und fördern: Von staatlichem, kommunalen, genossenschaftlichem, privatem. Gewinnorientierung der Wirtschaft wieder einführen und fördern und wirkliches Handeln nach dem Prinzip "Eigentum verpflichtet". Demokratie in der Wirtschaft einführen. Mehr Anteilseignertum ermöglichen, nicht nur bei Genossenschaften. Sozialistische Elemente der Sozialpolitik beibehalten und ausbauen. Kreativität und Individualität der Leute fördern statt behindern. Und so weiter und so fort. Da gab es damals zu Wenden- und Vorwende-Zeiten ne Menge guter Ansätze und Vorstellungen. Sehr interessant und spannend und im besten Sinne des Wortes eine neue demokratische Gesellschaft. Nicht zu vergleichen mit der Ex-DDR, aber auch nicht zu vergleichen mit der Ex-BRD. Etwas wirklich Neues. Die Eile vieler DDR-Bürger, möglichst schnell an Westgeld zu kommen und die Machtgeilheit von Kohl und seiner CDU (und diverse andere Faktoren) haben verhindert, dass man die DDR, statt sie abzuschaffen, grundlegend reformieren hätte können. Das war nämlich der Wunsch und die Idee von gar nicht mal so wenigen Menschen damals. Auch wenn dieser Weg sicher anstrengender gewesen wäre als Anschluss.
Eine andere Variante betont Gysi des Öfteren: Er sagt, wenn man einige gut funktionierende Dinge aus der DDR, wie Polikliniken, Schulwesen, Ganztagsschulcharakter, polytechnischer Charakter des Unterrichts, ausreichende Kita-Betreuung, hundertprozentige Gleichberechtigung von Frau und Mann, wo es keine Lohnunterschiede bei gleicher Arbeit gab, zur Einheit übernommen hätte für ganz Deutschland, wäre die Sache besser verlaufen. Dann hätten die Ossis nicht das Gefühl haben müssen, ihr Leben sei nur wertloser Mist gewesen. Und die Wessis hätten ein paar neue Dinge dazu gekriegt, die es so noch nicht gegeben hatte bei ihnen und die das Leben insgesamt verbessert hätten.
Und auch, wenn das nun alles lange Vergangenheit ist und nicht ungeschehen gemacht werden kann, sollte man es in der Analyse der damaligen Verhältnisse schon ein wenig beachten und mit bedenken.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz