unsere Gesellschaft entwickelt sich beständig weiter. Noch die Großeltern und Urgroßeltern, von manchem die Väter, haben gelernt, dass der Jude zum eigenen Besten umgesiedelt gehört und dass die Partei mit dem Hakenkreuz weiß, wo's langgeht. Nachdem der Ritt nach Ostland einem Taumel zurück gen Westen wich, wurde umgelernt. Nazi war jetzt böse, teilweise sogar sehr böse. Überhaupt wollte man alles, das damit zu tun hatte, nicht mehr sehen. Das Zeigen der NS-Symbole in der Öffentlichkeit war nicht en vogue und passende Gesetze wurden gemacht. Fremdländische Medienerzeugnisse, die für den deutschen Markt aufbereitet werden sollten, mussten umdekoriert werden. Dazu gehörten ab den 80er Jahren auch immer wieder Komputerspiele. Davor mussten vornehmlich Bildbände und Filme zurechtgerückt werden, damit nicht gezeigt wurde, was nicht gezeigt werden durfte. Prominent wurde der Fall des Spieles "Wolfenstein", in dem man aus der Ich-Perspektive relativ unterschiedslos Menschen abmurkst und gegenteiliges verhindert. Jedoch wurden auch die Exportversionen eher friedliebend angelegter Spiele wie "Indiana Jones and the Last Crusade: The Graphic Adventure" (1989, LucasFilm Games - heute Disney)" um Nazisymbole wie Hakenkreuze fast vollständig bereinigt. Mit der Zeit ändert sich auch der Geschmack. Heute, in Zeiten von AfD und NSU, wertet die Gesellschaft offenbar die Kunstfreiheit in Filmen und Videospielen höher als den Wunsch, Nazisymbole weitgehend aus der Öffentlichkeit draußenzuhalten. So hat unter anderem der Selbstkontrolle-Verband "USK" seine Regeln verändert und will im Einzelfall heute Hakenkreuze in Erzeugnissen auch für jugendliche Spieler dulden. Das Zeigen der Symbole könne sozialadäquat sein, also in einem angemessenen Kontext stehen. Auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), ehemals Schriften - BPjS, hat über die Zeit ihre Prüfstandards verändert. Galt es in den 80ern noch als jugendgefährdend, wenige Bildpunkte hohe Männchen an Fallschirmen mit einer Kanone abzuschießen, geht heute kaum ein Titel in den Handel, der nicht wesentlich grafischere Gewaltdarstellungen und Anspielungen enthält. Auch Bezüge zum Nationalsozialismus und zum Angriffskrieg sind wesentlich freier. In den 90ern urteilte man da noch strenger.
Auszüge aus der Indizierungsentscheidung Nr. 4600 vom 13.6.1996
Die jugendgefährdende Wirkung (…) beruht (…) darauf, dass der Inhalt des Computerspiels kriegsverharmlosend und kriegsverherrlichend ist, im weitesten Sinne die Ideologie des Nationalsozialismus verharmlost wird und (...) gegen Art. 26 GG verstößt, da das Führen eines Angriffskrieges befürwortet wird. Das Spiel ist kriegsverharmlosend, weil (…) seine zahlreichen schmerzhaften Auswirkungen verschwiegen werden. (…) Damit wird objektiv der Tatbestand der Kriegsverharmlosung durch nahezu alle Kriegssimulationsspiele erfüllt.
Entscheidend für die Einstufung des vorliegenden Spiels als jugendgefährdend ist jedoch nach Ansicht des Entscheidungsgremiums der konkrete Realitätsbezug.
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Das Computerspiel kann damit nach Auffassung des 12er-Gremiums dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche eine positive Haltung zum Angriffs- und Eroberungskrieg einnehmen. Es kann gerade durch diesen konkreten Realitätsbezug dazu beitragen, Kindern und Jugendlichen einen Teil der Ideologie des Nationalsozialismus nahezubringen.
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[Die Textpassagen aus der Spielanleitung], die im Spiel ihre Entsprechung finden, haben das 12er-Gremium (…) veranlasst, hervorzuheben, dass es in diesem Spiel nicht um Siegen oder Besiegtwerden (…) geht, sondern um die spielerische Befürwortung des Angriffs- und Eroberungskrieges. So sah das 12er-Gremium Art. 26 GG insofern tangiert, als in dem Handbuch systematisch zur Kriegsführung gegen Polen und zwar basierend auf dem historischen Geschehen während des Zweiten Weltkrieges aufgerufen wird.
Kriegführung gegen Polen - das geht natürlich 1996 nicht. In Zeiten der Konfrontation mit Russland und der allgemeinen Bewerbung von Auslandseinsätzen sieht das ganz anders aus.
Eine angepasste Version des Erzeugnisses ist heute am Markt. Viele BPjS-Entscheidungen der 80er und 90er Jahre sind heute revidiert. Aus einem abstrakten Freiheitsstandpunkt heraus ist das sicher zu begrüßen. Es geht auch nicht darum, ob die Entscheidungen der Vergangenheit möglicherweise im Einzelfall falsch waren. Ich möchte den Blick auf einen gesellschaftlichen Aspekt lenken: Fehlte denn in geschnittenen oder visuell entschärften Werken je ein Hakenkreuz, um einen Film oder ein Spiel genießen zu können? Fühlte sich jemand in seiner Freiheit beschränkt? Ist es euch ein wichtiges Anliegen, künftig mehr Hakenkreuz wagen zu dürfen als Rezipient oder Kulturschaffender? Oder ist es ein Thema, das ihr eher gleichgültig hinnehmt, wie es eben kommt?