sünnerklaas hat geschrieben:(07 Aug 2018, 11:46)
Ich glaube, das wäre was für einen neuen Trööt. Ich glaube, man muss die Entwicklung in einem anderen Gesamtzusammenhang sehen: die ehemaligen RGW-Staaten sowie das Gebiet der ehemaligen DDR bilden da eine Einheit.Dort herrscht in erheblichen Teilen eine komplett andere Mentalität, als in den alten EG-Staaten. Man hat in Westdeutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten den Wiederaufbau nach 1945 trotz massiver Finanzhilfen aus den USA dann doch weitgehend mit den eigenen Händen geschafft.
Das ist eine Scheindiskussion. Die Reparatur des sehr nachhaltig zerstörten Landes zwischen Elbe, Harz und Ural und das teilweise erstmalige Aufholen nah an das Niveau der ersten Welt, sagen wir mal grob 1945-1965, war auch im Ostblock überwiegend eine "Eigenleistung". Was in dem einen Land an Reparationen oder Aufbauhilfe hineinkam, floss aus dem anderen heraus. Die Entwicklung des Beitrittsgebietes unterscheidet sich auch fundamental von 1) RGW-Nachfolgestaaten ab 1989 wie Bulgarien und 2) Ex-Sowjetrepubliken ab 1991 wie Ukraine, von Anfang bis heute. Bei aller berechtigten Kritik am Einheitsprozess und an der erlebten wirtschaftlichen, kulturellen und ideologisch-moralischen Degradierung der Region, es war zu keinem Zeitpunkt wie in Polen, wie in Ungarn, wie in Georgien. Darin kann man ruhig einen Erfolg sehen, bei aller gefühlten Ungerechtigkeit (Ossis) oder Hängemattenmentalität (mit Blick auf Ossis).
Leistung, das war die Erfahrung in diesen Staaten, lohnte sich nicht, es würde eh alles von den Besatzern abmontiert und/oder in die UdSSR abtransportiert.
Welche "Leistung" wurde nach der unmittelbaren Nachkriegszeit aus Polen abmontiert?
Daraus hat sich eine sehr problematische Mentalität entwickelt: man macht nix, lohnt sich ja eh nicht. Man wartet auf den großen Zauberer, der über Nacht alles gut macht. Man selbst ist komplett passiv.
Die Polen vor und nach 1989-91 waren im Rahmen ihrer vorfindlichen Bedingungen nicht "faul" oder "passiv". Polen und die Tschechoslowakei waren Schauplätze, an denen der Status Quo herausgefordert und hinterfragt wurde. 1956, 1970, 1980, 1989 in Polen, und niemand möchte die Tschechoslowakei 1968 und 1989 vergessen. Auch andere Ostblockstaaten suchten und gewannen teilweise Bewegungsfreiheit, Ungarn, Jugoslawien, Albanien... kennt man ja alles. Die Grünen und vor allem Bündnis 90, um mal wieder ins Thema zu kommen, sind gerade daraus hervorgegangen, dass in der Zone diverse Leute weder die Karriere in der SED noch die bequeme Plan-B-Karriere in der Blockpartei suchten, dass sie im Konflikt mit der Staatsführung standen, dass sie (ganz verschiedene, widersprüchliche) Kritik an der Politik allgemein, an Zwängen, Mängeln, Umweltzerstörung und fehlender Mitsprache von unten hatten. Deshalb sind die Ostgrünen im Gegensatz zur roten 68er-Tradition im Bundesgebiet auch so intensiv mit den evangelischen Kirchen verbandelt, oft verhältnismäßig konservativ/"unlinks", pragmatisch für Bündnisse mit allem und jedem und ursprünglich auch sehr PDS/Linke-feindlich. Diese Grünen und Bündnis 90 haben (ab 1990 bzw 1993) den Bundesgrünen, die 1990 aus dem Bundestag fielen und zahlreiche andere Wahlniederlagen erlebten, nicht nur organisatorisch einen Anker gegeben sondern auch einen Impuls eingebracht, ohne den die heutige Partei von Göring Ost und Kretschmar West undenkbar ist. Den nie sauber gelösten Konflikt darum, für wen die Grünen nun eigentlich da sein wollen und wofür sie stehen, haben sie über den gemeinsamen Nenner "Umwelt und Bürgerrechte" vermarktet und ansonsten dazu genutzt, unscharf zu bleiben und jedem alles zu versprechen. Über 1999-2005 erodierten dabei immer wieder Teile des altlinken Grünenmilieus in Richtung PDS/Linke und APO. Dabei ist es "irgendwie" geblieben. Die Grünen koalieren heute mit allem und jedem, sind für Linkspartei und CDU aufgeschlossen. Tabubrüche 1994 Sachsen-Anhalt, 2001 Berlin und 2014 endgültig in Thüringen nach links, spätestens mit Baden-Württemberg nach rechts. Immer unklarer wird aber, mit welchem gesellschaftlichen Auftrag oder mit welcher Perspektive auf die Republik sie das eigentlich tun. Ähnliche Probleme haben derzeit CDU und SPD - CSU, FDP und Linke in weit minderem Maße, obwohl bei denen auch nicht alles klar ist.
Die Folgen dieser Haltung sind allgemein sichtbar: welches großes Unternehen aus den ehealigen osteuropäischen Staaten stammt gibt es? Welchen Weltmarktführer? Wenn ein Pole, ein Tscheche, ein Slowake oder ein Ungar eine tolle, marktfähige Idee hat, geht er damit nach (West-)Deutschland, Benelux, Skandinavien, GB oder Frankreich - auch weil er dort nicht dem Neid seiner Landsleute ausgesetzt ist, also denen, die so frustriert sind, dass sie nichts machen. Dort bekommt er statt Neid Wertschätzung und Anerkennung. Und genau dieser Brain-Drain, der nun schon fast seit 30 Jahren anhält, ist fatal für Osteuropa.
Das halte ich für ausgemachten [Fehlgriff]. Was es in Deutschland oder vor allem USA gibt, das in den Heimatländern mangelt, sind potente Geldgeber für Startups bzw Konzerne, die systematisch Innovationen aufsaugen um sie zu verwerten. Was es in sehr unterschiedlichem Maße vor allem in den Ex-Sowjetrepubliken gibt, sind komplizierte und mafiöse Verwaltung, Justiz, Politik. Zudem fehlt denen, die nicht in der EU sind, oft auch der Marktzugang, etwa im Bereich Biologie, Medizin, Agrochemie - und es gibt vorfindliche Player, die sehr groß, sehr marktstark und eben nicht aus diesen Ländern sind. Richtig beobachtet ist, dass aus vielen osteuropäischen Ländern (und analog aus dem Beitrittsgebiet ins Bundesgebiet) Migration vor allem ausgebildeter junger Leute gibt. Ein Thema, für das die deutschen Grünen innerdeutsch weitgehend blind sind, im Europa-Maßstab profitierend-akzeptierend mit Willkommenskultur antworten - warum nicht, Handwerker, Ärzte und Pflegekräfte sind rar und aus der deutschen Demographie nicht bedienbar. Zudem passt das wunderbar zur Multikulti-Idee. Das ist tatsächlich für die Länder, die diese Leute verlieren, ein Abzug - für die Welt insgesamt aber ein Segen, denn warum sollen Potentiale zuhause unter widrigen Bedingungen versuchen, was sie woanders unter Bestbedingungen erreichen können? Am Neid kann's nicht liegen, der ist in Deutschland oder UK so spürbar wie nur irgendwo.