1. Europäische Agrarsubventionen
Die EU subventioniert den Agrarsektor mit derzeit ca. 60 Mrd EURO p.a. (2017: 58,58 Mrd. Euro, davon 42,61 Mrd EURO Direktzahlungen an Landwirte, Rest Strukturförderung, siehe https://www.agrarheute.com/politik/eu-h ... gen-529050)
Daneben gibt es Subventionen auf nationaler Ebene, die aber unter den EU-Mitteln liegen. In Deutschland in 2017 1,7 Mrd. p.a. https://www.bauernverband.de/45-bundesa ... nen-803655.
In Summe dürfte die europäische Landwirtschaft wohl mit ca. 70-80 Mrd EURO p.a. subventioniert werden.
Gründe und Ziele dieser Subventionen sind die Existenzsicherung und der Erhalt der Marktfähigkeit des europäischen Landwirtschaftssektors. Hierfür spielen sowohl strategische Ziele (grundsätzlicher Erhalt der Selbstversorgungsfähigkeit Europas) als auch taktische Aspekte (Abschwächung schmerzlicher Strukturwandelprozesse, starke Lobbyverbände) eine Rolle.
2. Effekte auf die afrikanische Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist das Herzstück der afrikanischen Wirtschaft und zentrale Ausgangsbasis jeglicher Entwicklung. 60% der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft. https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaf ... wirtschaft
2.1. Effekte der europäischen Agrarsubventionen auf afrikanischen Märkten
Seit langer Zeit wird kritisiert, dass EU-Billigexporte von Agrarprodukten in Afrika die dortige Landwirtschaft konkurrenzieren. Zu Umfang und Wirkungsmechanismen gibt es eine Vielzahl konträrer Meinungen, die der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hier zusammengetragen hat: https://www.bundestag.de/blob/532154/21 ... f-data.pdf
In Summe scheint mir der negative Effekt auf Afrikas Landwirtschaft unstrittig. Allerdings ist zu bedenken, dass diese Exporte aufgrund von Importzöllen vielfach zu Mehreinnahmen afrikanischer Staaten führen und Versorgungsengpässe decken, so dass ein Unterbinden jeglicher Agrarexporte vermutlich sehr negative Folgen hätte.
Besonders in der Kritik standen zumeist die direkten Exportsubventionen. Diese wurden jedoch 2014 abgeschafft: https://web.archive.org/web/20161023112 ... ungen.html Dennoch sind die unter 1. genannten Subventionen in Summe indirekt natürlich auch eine Subvention des Exports und tragen dazu bei, dass die Produkte günstiger angeboten werden können, als es ohne die Subventionen möglich wäre.
2.2 Effekte der europäischen Agrarsubventionen auf europäischen Märkten
Die derzeitigen Agrarexporte afrikanischer Staaten nach Europa sind vom Umfang her niedrig. Ursache sind, neben den für den Aufbau umfassender Exportaktivitäten in Afrika kaum gegebenen Voraussetzungen sowie des subventioniert niedrig gehaltenen Preisniveaus europäischer Produkte, auch Markteintrittsbarrieren monetärer wie nichtmonetärer Art. Während afrikanische Staaten bei Rohprodukten zumeist zollfreien Marktzugang besitzen, erhebt die EU Importzölle auf verarbeitete Produkte, zB 7,5% auf geröstete Kaffeebohnen (https://www.az.com.na/nachrichten/viel- ... mportiert-). Dieses und weitere Hemmnisse abzuschaffen sowie u.a. - neben günstigerer Marktpreise - die sogenannten Ursprungsregeln zu verbessern, hätte sicher ein erhebliches Potenzial für Afrikas Landwirtschaft, dürfte aber wohl bestenfalls mittelfristig zu realisieren sein.
2.3 Handelsbarrieren und Zölle
Der Status der Handelsbeziehungen und -regularien zwischen Europa und Afrika ist äußerst verworren und unübersichtlich, da es derzeit regional unterschiedliche Vereinbarungen bis hin zu zahlreichen bilateralen Abkommen mit einzelnen afrikanischen Staaten gibt. Einen recht guten Überblick gibt dieser Artikel, der auch auf die von der EU seit längerem geplante, nun aber ins Stocken gekommene Liberalisierung und Standardisierung der Handelsbeziehungen, Stichwort EPA-Abkommen, abhebt: https://www.dandc.eu/de/article/die-eu- ... eberdenken
Die derzeitigen Regelungen sind jedenfalls in Summe wohl kaum aus Sicht der afrikanischen Staaten als „unfair“ zu bezeichnen, da sie vielfach zollfreien Zugang zum europäischen Markt, gleichzeitig aber Importzölle zum Schutz der heimischen afrikanischen Landwirtschaft beinhalten. Die geplante Liberalisierung erfolgt auch aufgrund des Drucks der Entwicklungsländer anderer Kontinente, die sich benachteiligt sehen und mit WTO-Klagen drohen.
3. Flüchtlings- und Migrationskrise
Hierzu muss nicht viel ausgeführt werden, da dieses Thema bereits in anderen Strängen umfassend diskutiert wird. Jedenfalls drängt sich aufgrund des in Zukunft wohl immer stärker werdenden Migrationsdrucks die Frage auf, ob die europ. Staaten und die EU ggfs. ihre Agrarpolitik fundamental dahingehend überdenken sollten, inwieweit die dort eingesetzten Mittel der Entwicklung der afrikanischen Staaten schaden und insofern besser anderweitig eingesetzt werden sollten.
Zum Vergleich: Die Ausgaben europäischer Staaten für Entwicklungshilfe beliefen sich 2017 auf ca. 80 Mrd EURO, siehe https://www.euractiv.de/section/eu-auss ... ung-fallen. Da hiervon nur ein Teil auf Afrika entfällt, dürften die europäischen Entwicklungshilfsausgaben für Afrika, die übrigens auch Flüchtlingshilfe in den Geberländern enthält, demnach deutlich unter den Agrarsubventionen liegen.
Hier eine der vielen Meinungen dazu, aus dem oben bereits verlinkten Artikel:
https://www.dandc.eu/de/article/die-eu- ... eberdenkenGanz gleich, für welche Verhandlungsvariante man sich entscheidet, hinter dem EPA-Desaster steckt ein bekanntes Grundproblem: Seit den 1950er Jahren ist Schwarzafrika von europäischen Mächten als reiner Rohstoff- und Agrarlieferant definiert worden. Verarbeitende Industrie kam nicht vor, daher gab es auch kaum Verständnis für Förderung und Schutz neuer Industrien in Afrika. Dieser fragwürdige Konsens hat sich direkt in die Aushandlung der EPAs übertragen. Er steht nun offen zur Disposition, neuerdings auch wissenschaftlich. Gravierender noch hat sich die europäische Agrar- und Fischereipolitik ausgewirkt, da sie selbst die Afrika zugedachte Rolle als Primärproduzent untergrub. Niemand in den EPA-Verhandlungsgruppen war naiv genug, um sich von dem proklamierten Verzicht der EU auf direkte Agrar-Exportsubventionen täuschen zu lassen. Die sogenannten entkoppelten Subventionen haben im Wesentlichen den gleichen Effekt auf afrikanische und europäische Märkte.
Die richtige Antwort auf dieses Dilemma wäre das nächste politische Großprojekt in Deutschland und seinen Nachbarländern: der Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung und dem hochsubventionierten Ackerbau.
Was meint das Forum zu diesem vielschichtigen Thema? Sollten die europäischen Agrarsubventionen umfassend in Frage gestellt werden und zB besser der landwirtschaftlichen Entwicklung Afrikas zugutekommen, um die dortige Verhältnisse zu verbessern und den Migrationsdruck zu lindern? Und wenn ja, durch welche Maßnahmen? Und wie sollte mit der dann - vermutlich vielfach existenzbedrohenden - Verschlechterung der finanziellen Lage für viele europäische Landwirte umgegangen werden?