sünnerklaas hat geschrieben:(02 Aug 2021, 14:36)
Die Speditionsbranche und die Versender/Empfänger sitzen in der ökonomischen Falle. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sind nicht drin.
Das sehe ich nicht ganz so. In der Speditionsbranche ist es bloß Usus geworden, dass man bei den Transportkosten durch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse besonders schön "sparen" kann. Das ist betriebswirtschaftlich "sinnvoll". Wie sich jetzt in GB zeigt, ist es aber volkswirtschaftlich schnell ein großes Problem. Dabei sind die Transportkosten der geringste Teil dessen, was anschließend an Verkaufspreis entrichtet werden muss.
Ist nicht nur in der Speditionsbranche so. Ich habe mal als Berichterstatter einem Arbeitsgerichtsverfahren beigewohnt, in dem der Betreiber einer Taxifirma verklagt worden war. Der hat vor Gericht freimütig geäußert, dass er sich Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einfach nicht leisten könne. Die Lösung seiner ökonomischen Falle hat er sich folgendermaßen vorgestellt: Wer krank wird, wird gefeuert. Der Taxi-Unternehmer war nicht begeistert, als der Richter ihn darauf hingewiesen hat, dass er gesetzlich verpflichtet ist, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten, ganz gleich ob er sich das "leisten kann".
In GB zeigt sich gerade, dass dieses "Geschäftsmodell" des Lohndumpings schwere Nachteile hat. Auf dem Kontinent funktioniert das auch nur noch deshalb, weil es genügend polnische, bulgarische... (etc) Brummifahrer gibt, die mit Löhnen zufrieden sind, für die kein deutscher Fahrer mehr in einen LKW steigen würde. Die Arbeitsbedingungen (monatelang unterwegs sein und hinter dem Fahrersitz schlafen, mit dem Campingkocher auf dem Autobahnrastplatz sein Abendessen warm machen...) verringern das Problem nicht. Was in GB gerade passiert, ist einer der wenigen positiven Punkte, die ich am Brexit bislang erkennen konnte.
Dann würde man ein ehernes Dogma einreissen: Transportkosten dürfen nie eine Rolle spielen. Transportkosten sind immer sehr günstig. Egal, von woher die Ware kommt.
Ein Trugschluss. Wie schon der Fall "Ever Given" gezeigt hat. Aber: weil es ein Dogma ist, kommt man ohne massiven Gesichtsverlust aus der Sache nicht raus. Wenn einem die Transportkosten um die Ohren fliegen, haut die gesamte Kalkulation nicht mehr hin. Und die ist in vielen Branchen Spitz auf Knopf genäht.
So spitz auf knopf sind die gar nicht genäht. Transportkosten machen den kleinsten Teil an den Kalkulationen aus. Herstellungskosten fallen auch nicht so dramatisch ins Gewicht. Von dem Betrag, den Du im Supermarkt für einen Liter Milch bezahlst, kriegt der Milchbauer weniger als die Hälfte. Den Rest streichen die Handelsunternehmen und Zwischenhändler ein. Von diesen Einnahmen müssen sie die Spediteure bezahlen. Und sowohl die Handelskonzerne als auch die Spediteure wollen ihre Kosten gern so niedrig halten wie es nur geht, weil sie selbst dann mehr verdienen. Deshalb fahren Fernfahrer auf dem Kontinent annähernd zu Sklaverei-Bedingungen. Die Gewinne landen woanders.
Das Problem ist nicht dadurch zu lösen, dass man immer so weiter macht. Eine Lösung wäre es, wenn man mit den Fernfahrern Tarifvereinbarungen schließen und diese Tarife dann europaweit für allgemeinverbindlich erklären würde. Es gibt ja sogar schon Tendenzen in diese Richtung. Gerade im Speditionsgewerbe muss in dieser Richtung dringend so weiter gemacht werden. Was die osteuropäischen Brummi-Fahrer in Deutschland erleben müssen, ist unmenschlich! Das geht gar nicht!
Ja, das wird dazu führen, dass der Liter Milch für mich im Supermarkt teurer wird. Wenn ich dafür aber nicht mehr 65 Cent zahlen muss, sondern 72 Cent, dann kann ich damit locker leben. Außerdem dürfen die Handeslkonzerne dann gern wieder mit ihrem Preiskampf beginnen. Den bezahlen sie dann allerdings mit ihren eigenen Gewinnaussichten und nicht mit den Löhnen der Bauern und Brummi-Fahrer.