Parlamentswahl in Polen

Moderator: Moderatoren Forum 3

Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Tja, so kann's kommen: Lukaschenko gibt in der Flüchtlingsfrage den Erdogan... und treibt eingeflogene Iraker und Afghanen über die litauische und polnische Grenze... was die national-klerikalen Regierenden Polens natürlich sehr empört... nicht etwa die menschenverachtende Handlungsweise Lukaschenkos, sondern mehr die Tatsache, daß ihnen nun zugemutet wird, ungebetene Moslems auf zu nehmen und zu versorgen.

Ein Witzbold unter den Lesern der Gazeta Wyborcza merkte dazu an, daß nun Polen in die Verlegenheit kommen könnte, seine EU-Partner um Aufteilung der Flüchtlinge auf die Partnerländer zu bitten. :p Na ja, an heldenhaften Reden fehlt es nicht: Der Vize-Premier und PiS-Minister für Kultur, kulturelles Erbe und Sport Piotr Gliński sagte schon, daß Polen nun wie 2015 vor Flüchtlingen geschützt werden müsse. An der Grenze sind polnische Grenzschützer, Polizei und Armee aufgefahren. In der Tat beeindruckende Bilder aus dem Leben einer christlichen Kulturnation...

In Brüssel macht die EU-Kommision Druck, daß Polen zum freiheitlichen Rechtssechtsstaat zurück kehrt. Der angekündigte gute Wille zur Änderung reicht der EU-Kommission nicht, um die ersehnten Mittel für den Aufbau einer moderneren Infrastruktur frei zu schalten, und die USA machen Druck, weil Polen seine Medien unter staatliche Kontrolle bringen will... und dabei ein US-Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden würde. Israel hat seine diplomatische Vertretung ausgedünnt und führt einen sehr kalten Krieg mit der PiS-Regierung. Tschechien liegt mit Polen über Kreuz, weil eine an der Grenze zu Tschechien liegende polnische Braunkohlegrube das Grundwasser weiträumig abpumpt... mit erheblichen Gebäudeschäden auch auf tschechischer Seite... und nur Deutschland verhält sich ziemlich gleichmütig abwartend... und baut mit den Russen Nord Stream 2 aus.

Da läuft es dem einen oder anderen freiheitlichen polnischen Politiker kalt den Rücken herunter.
Benutzeravatar
Niklas
Beiträge: 265
Registriert: Di 15. Aug 2017, 22:26
user title: Rettet Europa!

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Niklas »

H2O hat geschrieben:(19 Aug 2021, 11:14)

In Brüssel macht die EU-Kommision Druck...

und die USA machen Druck...
Tja, vor 40 Jahren hat das polnische Volk begonnen, für seine Freiheit zu kämpfen. Und jetzt wieder...
Offensichtlich gibt es gewisse Kräfte, welche Völker dieser Erde nicht in Ruhe lassen wollen.


H2O hat geschrieben:(19 Aug 2021, 11:14)

Deutschland verhält sich ziemlich gleichmütig abwartend... und baut mit den Russen Nord Stream 2 aus.
Weniger Steinkohle heißt mehr Erdgas. Die Klimaaktivisten sind die besten Freunde Putins.
"Selbst die Verlogenheit ist verkommen. Sie trat früher professioneller auf." -- Bruno Jonas, 2007
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Niklas hat geschrieben:(22 Aug 2021, 13:36)

Tja, vor 40 Jahren hat das polnische Volk begonnen, für seine Freiheit zu kämpfen. Und jetzt wieder...
Offensichtlich gibt es gewisse Kräfte, welche Völker dieser Erde nicht in Ruhe lassen wollen.
Polen hat doch wie die Briten stets die Wahl, sich aus dieser bedrückend empfundenen Unklammerung durch befreundete Nachbarn zu lösen und ganz unabhängig seinen eigenen Weg zu gehen. Dazu genügt eine klare Regierungsentscheidung oder noch besser: Eine Parlamentsentscheidung mit klarer Mehrheit. Allerdings würde ich mir zuvor eine allgemeine und öffentliche Volksbefragung zum EU-Austritt wünschen... muß aber nicht unbedingt sein.
Weniger Steinkohle heißt mehr Erdgas. Die Klimaaktivisten sind die besten Freunde Putins.
Auch hier hat Polen die Wahl; Steinkohle steht auf dem Weltmarkt in ausreichenden Mengen zur Verfügung. Dazu sollte Polen aber das Klimaschutzabkommen von Paris kündigen.

Einstweilen darf ich mich doch wundern, daß die polnische Regierung und damit Polen im Jahr 2004 eingegangene EU-Verträge nicht erfüllen will. Hat es da grobe Übersetzungsfehler gegeben? Die Briten können immerhin behaupten, daß die EU sich seit 1972 in einer Weise entwickelt hat, die ihnen mißfällt. Ich erkenne aber nicht, daß die EU sich seit 2004 in ihren Zielsetzungen wesentlich verändert hätte. Polen kann den begangenen Fehler ja eingestehen und die EU verlassen.

Ich würde diesen Schritt sehr bedauern, weil er ganz und gar nicht meinen Vorstellungen von der Zukunft Europas entspräche. Dann muß der Rest der EU dieses Ziel eben ohne die Mitwirkung Polens und der Briten weiter verfolgen.
olli
Beiträge: 2408
Registriert: Mo 11. Jan 2021, 17:57

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von olli »

H2O hat geschrieben:(22 Aug 2021, 14:20)

Polen hat doch wie die Briten stets die Wahl, sich aus dieser bedrückend empfundenen Unklammerung durch befreundete Nachbarn zu lösen und ganz unabhängig seinen eigenen Weg zu gehen. Dazu genügt eine klare Regierungsentscheidung oder noch besser: Eine Parlamentsentscheidung mit klarer Mehrheit. Allerdings würde ich mir zuvor eine allgemeine und öffentliche Volksbefragung zum EU-Austritt wünschen... muß aber nicht unbedingt sein.
Polen raus aus der EU ? Ein Wunsch würde wahrwerden. Es war schon ein Fehler die Polen überhaupt in die EU aufzunehmen. Pöbeln und unverschämt EU-Subventionen abgreifen ist alles was Polen macht. Es ist schon lange überfällig das die Polen aus der EU verschwinden.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

olli hat geschrieben:(22 Aug 2021, 14:33)

Polen raus aus der EU ? Ein Wunsch würde wahrwerden. Es war schon ein Fehler die Polen überhaupt in die EU aufzunehmen. Pöbeln und unverschämt EU-Subventionen abgreifen ist alles was Polen macht. Es ist schon lange überfällig das die Polen aus der EU verschwinden.
Nein, so streng würde ich nicht urteilen; meine Antwort an @Niklas lag im Tonfall auf der Höhe seines Beitrags.

Ich habe sehr liebe und sehr umgängliche polnische Freunde, bin hier in Westpommern wohlgelitten und erfreue mich auch guter Behandlung durch polnische Ämter. Mir sind derart EU-abwertende Reden in Polen nie begegnet. Im Gegenteil wurde wieder und wieder bestätigt, daß die EU eine sehr gute Sache ist, und daß man noch enger zusammenrücken sollte... ganz meiner eigenen Auffassung zur Zukunft unserer Gemeinschaft entsprechend.

Viele Polen in meiner Nachbarschaft haben auch ein Bein in Deutschland und ein Bein in Polen. Sie verdienen gutes Geld in Deutschland mit guter Facharbeit, und sie bauen ihre Wohnungen hier in Polen zu kleinen Schmuckstücken aus. Manchmal glaube ich aber nicht, daß sie ihre alten Tage hier verbringen werden, wenn Kinder und Enkel in Deutschland leben und arbeiten. Vermieten, verkaufen?

Es wäre schön, wenn der gestandene Europäer Tusk die polnische Opposition wieder zusammen schmieden könnte, um diesem verhängnisvollen Treiben der national-klerikalen polnischen Kräfte möglichst bald ein Ende bereiten zu können. Ich träume von einem offenen und freien Europa, in dem jedes Mitglied seinen guten Platz findet, und in dem es im Grunde gleichgültig ist, wo die Menschen leben und arbeiten. Ich genieße das jetzt schon, und ich wünsche unseren nachkommenden Generationen auch dieses Glück. Mögen ihnen die schlimmen Erfahrungen der europäischen Kriege und Teilungen im 20. Jahrhundert erspart bleiben! Daraus hat meine Generation ihre Lehren gezogen!
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Die EU-Kommission hat den EuGH beauftragt, die Höhe des Strafmaßes für das Fortbestehen der Disziplinarkammer für polnische Richter fest zu legen. Die polnische Regierung hatte zum festgesetzten Termin Mitte August etwas luschig geantwortet, daß man diese Konstruktion ändern werde. Aber die Disziplinarkammer arbeitet ihre von der Politik zugewiesenen Fälle weiter ab. Und nun läuft für jeden Tag des Fortbestehens dieser Richter einschüchternden Disziplinarkammer ein Strafgeld auf. Vermutungen gehen bis zu einigen 100.000 Euro täglich. Also ganz gewiß kein "Pappenstiel".

Offensichtlich hatte die polnische Regierung mit dieser Entschiedenheit der EU-Kommission nicht gerechnet, und entsprechend fahrig sind die Reaktionen auf diesen Beschluß der EU-Kommission.

Der Vizepräsident des Sejm, Ryszard Terlecki (führendes Mitglied der PiS-Regierungspartei), verstieg sich in öffentlicher Rede zu "sehr ernsthaften Konsequenzen, die Polen nun auf den Weg bringen werde", und er unterließ nicht den Hinweis auf die Briten, die der EU den Rücken zugekehrt haben... also recht eindeutig der Hinweis auf den denkbaren Austritt Polens aus der EU. Der mediale Aufschrei war so groß, daß er nun diese Gedankenverbindung als Konstruktion der Opposition darstellen wollte... beliebig unglaubwürdig. Er hätte besser geschwiegen...

Auf Twitter stellte er nun fest:
Polska była, jest i będzie członkiem UE.
  • "Polen war, ist und bleibt Mitglied der EU"
Damit ist der Fall aber nicht abgehakt. Nun warten die Polen voller Spannung auf die Höhe des Strafmaßes und die weiteren Maßnahmen der polnischen Regierung in der gesamten "Justizreform", mit der die Regierung sich den Durchgriff in das Rechtswesen sichern wollte.

So stellte das polnische Verfassungsgericht fest, daß seine Entscheidungen Vorrang haben vor den Entscheidungen des EuGH. Da öffnet sich der nächste Vertragsbruch mit entsprechenden Strafzahlungen bis zur gegenteiligen Feststellung.

Neben den Strafzahlungen wird die EU-Kommission Polen die Mittel zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und andere zugesagte Mittel sperren.

Der Austritt Polens aus der EU ist also noch längst nicht vom Tisch. Hier hat die polnische Opposition einen Ansatzpunkt, die Regierung Morawiecki/Kaczyński zu stürzen. Denn über 80% der Polen wollen ohne wenn und aber Unionsbürger bleiben.

Ein Leserkommentar in der Gazeta Wyborcza brachte den EU-Austritt auf den Punkt: "Wir Polen werden wieder zwischen Deutschland und Rußland eingeklemmt sein." Wobei ich als Deutscher eine mit Rußland vergleichbare imperiale Rolle Deutschlands nicht für möglich halte. Davor bewahrt uns weiter unsere möglichst tiefe Einbindung in die EU.
lili
Beiträge: 9110
Registriert: Mi 5. Nov 2014, 20:51

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von lili »

Merkel in Polen: " Politik ist doch mehr, als nur zu Gericht zu gehen"

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/p ... np1taskbar

Kann man diesen Konflikt mit einem Dialog lösen?
Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.

Henry David Thoreau
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

lili hat geschrieben:(11 Sep 2021, 20:54)

Merkel in Polen: " Politik ist doch mehr, als nur zu Gericht zu gehen"

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/p ... np1taskbar

Kann man diesen Konflikt mit einem Dialog lösen?
Nein; da werden rechtsstaatliche Grundsätze europäischer Demokratien umgestoßen. Das kann man machen, aber dann kann man sich nicht mehr in einer Wertegemeinschaft dieser Art mitbestimmend aufhalten.

Natürlich kann man deshalb dennoch im Gespräch bleiben. Was mich betrifft, so würde ich mit Taliban, Iran, China, Rußland, Türkei, Polen, Ungarn immer wieder das Gespräch suchen... auch wenn nichts bis ganz wenig dabei heraus kommt. Systemverändernd können solche Gespräche nie sein, aber bei klugen Leuten doch Verständnis wecken, wo uns im Westen der Schuh drückt. Selbst dann ist schon viel gewonnen.

Ich vermute, daß dieser Gesichtspunkt auch hinter den Anmerkungen der Kanzlerin im Verborgenen wirkt.
lili
Beiträge: 9110
Registriert: Mi 5. Nov 2014, 20:51

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von lili »

H2O hat geschrieben:(11 Sep 2021, 21:08)

Nein; da werden rechtsstaatliche Grundsätze europäischer Demokratien umgestoßen. Das kann man machen, aber dann kann man sich nicht mehr in einer Wertegemeinschaft dieser Art mitbestimmend aufhalten.

Natürlich kann man deshalb dennoch im Gespräch bleiben. Was mich betrifft, so würde ich mit Taliban, Iran, China, Rußland, Türkei, Polen, Ungarn immer wieder das Gespräch suchen... auch wenn nichts bis ganz wenig dabei heraus kommt. Systemverändernd können solche Gespräche nie sein, aber bei klugen Leuten doch Verständnis wecken, wo uns im Westen der Schuh drückt. Selbst dann ist schon viel gewonnen.

Ich vermute, daß dieser Gesichtspunkt auch hinter den Anmerkungen der Kanzlerin im Verborgenen wirkt.
Gespräche finde auch wichtig, nur man müsste sich nur auf kleine Kompromisse fokussieren. Mehr würde man nicht erreichen.
Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.

Henry David Thoreau
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

lili hat geschrieben:(11 Sep 2021, 21:12)

Gespräche finde auch wichtig, nur man müsste sich nur auf kleine Kompromisse fokussieren. Mehr würde man nicht erreichen.
Na ja, der Verrat von gemeinsamen Überzeugungen läßt sich kaum als "Kompromiß" verkaufen. Darum geht es in der innerpolnischen Diskussion und in der Auseinandersetzung mit der EU. Aber vielleicht kann die Kanzlerin oder ihr Nachfolger im Amt ja durch Gespräche erreichen, daß Polen zur gemeinsamen Linie zurück findet. Oder die Polen wählen eine Volksvertretung, die den aufgelaufenen Unfug kurzerhand entsorgt. Geldmittel aus der Gemeinschaft sollten auf jeden Fall an die gemeinsamen Grundsätze geknüpft werden. Darüber entscheidet die Verteidigung der europäischen Grundsätze: Die EU-Kommission.
lili
Beiträge: 9110
Registriert: Mi 5. Nov 2014, 20:51

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von lili »

Rechtstaatlichkeit in EU: Von der Leyen droht Polen mit Strafgeldern

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/p ... np1taskbar

Sie reagiert anders als Frau Merkel.
Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.

Henry David Thoreau
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

lili hat geschrieben:(12 Sep 2021, 16:43)

Rechtstaatlichkeit in EU: Von der Leyen droht Polen mit Strafgeldern

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/p ... np1taskbar

Sie reagiert anders als Frau Merkel.
Unsere aus dem Amt scheidende Kanzlerin ist eben ein vorsichtig abtastender Mensch, der selten die Selbstbeherrschung verliert. Ich werde ihre Auftritte sehr wahrscheinlich vermissen.

Bei Ihrem Abschiedsbesuch in Polen wurde sie politisch vom polnischen Präsidenten geschnitten... er hatte einen nicht aufschiebbaren Besuch in Krakau zugesagt. Und der Ministerpräsident Morawiecki sprach Englisch mit ihr, obwohl er einige Jahre an deutschsprachigen Universitäten studiert hat. Also kein besonders herzlicher Abschied. Die Kanzlerin ertrug das aber sehr gelassen. Die polnische Opposition verurteilt diese Flegeleien gegenüber der Kanzlerin mit sehr scharfen Worten..

Frau von der Leyen hat die Aufgabe, die EU zusammen zu halten. Läßt sie Polen und Ungarn weiter ungestraft ihren Weg aus demokratischen Rechtsstaaten in national-autoritäre Staaten gehen, dann ist es um die EU insgesamt geschehen. Tatsächlich ist es auch so, daß ein Austritt Polens aus der EU sicher eine sehr traurige Angelegenheit wäre, aber eher zu verkraften als eine EU, die ihre Spielregeln nicht mehr ernst nimmt. Frau von der Leyen hat gar keine andere Wahl, als nun für Polen den Geldhahn für den Wiederaufbau nach der Pandemie zu zu drehen und obendrein Strafgelder für Vertragsbruch ein zu fordern. Über die Höhe der Strafgelder entscheidet der EuGH.
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 19719
Registriert: Do 10. Aug 2017, 15:41

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(15 Sep 2021, 11:05)

Frau von der Leyen hat die Aufgabe, die EU zusammen zu halten. Läßt sie Polen und Ungarn weiter ungestraft ihren Weg aus demokratischen Rechtsstaaten in national-autoritäre Staaten gehen, dann ist es um die EU insgesamt geschehen. Tatsächlich ist es auch so, daß ein Austritt Polens aus der EU sicher eine sehr traurige Angelegenheit wäre, aber eher zu verkraften als eine EU, die ihre Spielregeln nicht mehr ernst nimmt. Frau von der Leyen hat gar keine andere Wahl, als nun für Polen den Geldhahn für den Wiederaufbau nach der Pandemie zu zu drehen und obendrein Strafgelder für Vertragsbruch ein zu fordern. Über die Höhe der Strafgelder entscheidet der EuGH.
Polen bleibt dann unter Kaczynski nichts weiter übrig, als etweder nachzugeben oder aus der EU und zur Not selbst aus der NATO auszutreten. Und dann beginnt das nächste Kapitel der Jahrhunderte alten polnischen Tragödie.
Ich vermute aber mal, dass bei einem Polexit noch andere ehemalige RGW-Staaten dem Austritt folgen. Der EU-Beitritt war ein riesengroßes Missverständnis. Man hatte die Wirkung des unterschiedlichen historischen Kontextes nicht berücksichtigt. Während die alten EG-Kernstaaten durchweg in der Geschichte Kolonialherren waren, die andere beherrschten und daraus ihr historisch gewachsenes und heute durchaus selbstkritisches Selbstbewusstsein ableiten, wurden die ehemaligen RGW-Staaten in ihrer Geschichte von anderen beherrscht.
Die Tragik von 1989/90: man ist nicht wirklich frei geworden. Man hat nur die Füße unter einen anderen Tisch gestellt. Und zwar nach 1990 freiwillig. Und auch da gibt es - zum Entsetzen vieler in diesen Ländern - plötzlich was auf die Finger, wenn man sich nicht verabredungsgemäß benimmt.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Den Polen schwant wohl, was sich da anbahnt! Die PiS verliert Zustimmung, die EU-freundliche Bürgerkoalition KO gewinnt hinzu. Es ist nicht sicher, daß die PiS-Regierungskoalition an der Macht bleibt.

Das widersprüchliche Gerede der polnischen PiS-Regierung zu ihrer Mitgliedschaft in der EU wird sich klären, wenn die Mittelzuweisungen ausbleiben und Strafgelder verlangt werden... zwischen 100.000 € täglich bis zu 300.000 € stehen im Raum.
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 19719
Registriert: Do 10. Aug 2017, 15:41

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(15 Sep 2021, 13:58)

Den Polen schwant wohl, was sich da anbahnt! Die PiS verliert Zustimmung, die EU-freundliche Bürgerkoalition KO gewinnt hinzu. Es ist nicht sicher, daß die PiS-Regierungskoalition an der Macht bleibt.

Das widersprüchliche Gerede der polnischen PiS-Regierung zu ihrer Mitgliedschaft in der EU wird sich klären, wenn die Mittelzuweisungen ausbleiben und Strafgelder verlangt werden... zwischen 100.000 € täglich bis zu 300.000 € stehen im Raum.
Ich traue es der PiS zu, dass deren Regierung die Polen noch vor vollendete Tatsachen stellt: Polexit - und zwar ohne Volksabstimmung per Regierungsbeschluss. Und dann alles aus lauter Wut kaputt schlagen. Schuld sind die anderen, man sei wieder einmal nur Opfer, das sich nur gewehrt habe.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

sünnerklaas hat geschrieben:(16 Sep 2021, 11:12)

Ich traue es der PiS zu, dass deren Regierung die Polen noch vor vollendete Tatsachen stellt: Polexit - und zwar ohne Volksabstimmung per Regierungsbeschluss. Und dann alles aus lauter Wut kaputt schlagen. Schuld sind die anderen, man sei wieder einmal nur Opfer, das sich nur gewehrt habe.
Natürlich gibt es hier Wutknochen in hohen Staatsämtern. Aber ein großer Teil des erarbeiteten polnischen Wohlstands beruht auf dem reibungslosen Funktionieren des gemeinsamen Markts, auf dem Zugang zu Arbeitsplätzen und der Niederlassungsfreiheit, auf Mittelzuweisungen aus dem gemeinsamen Haushalt der EU. Und plötzlich soll Polen davon ausgenommen sein? Das ist innenpolitisch doch nur sehr kurze Zeit zu überstehen. Die Klügeren unter den Wutknochen wissen das auch und dementieren eifrig.
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 19719
Registriert: Do 10. Aug 2017, 15:41

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(16 Sep 2021, 12:10)

Natürlich gibt es hier Wutknochen in hohen Staatsämtern. Aber ein großer Teil des erarbeiteten polnischen Wohlstands beruht auf dem reibungslosen Funktionieren des gemeinsamen Markts, auf dem Zugang zu Arbeitsplätzen und der Niederlassungsfreiheit, auf Mittelzuweisungen aus dem gemeinsamen Haushalt der EU. Und plötzlich soll Polen davon ausgenommen sein? Das ist innenpolitisch doch nur sehr kurze Zeit zu überstehen. Die Klügeren unter den Wutknochen wissen das auch und dementieren eifrig.
Im sehr frommen und streng katholischen Süden und Südosten scheint ein vorsichtiges Umdenken statt zu finden:

"Des Geldes wegen: Polnische Region hebt Status als "LGBT-freie Zone" auf" (Deutsche Welle).


Sanktionen der EU würden diese Regionen mit ihrer teilweise extremen Strukturschwäche und ihrer teilweise überalterten Bevölkerung besonders hart treffen.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Der Angriff auf die EU geht so weit, daß es Gefälligkeitsstudien gibt, die belegen, daß Polen für die Mitgliedschaft in der EU teuer bezahlt... also ein Verlustgeschäft mit der EU gemacht hat. Natürlich hat das einen Aufshcrei unter den besser unterrichteten Teilen der polnischen Mitbürger gegeben. Aber was soll Pjotr Normalverbraucher tun, wenn diese Studie von Professoren der Uni Warschau und anderen hohen Staatsdienststellen verfaßt wurde? Auch in Polen haben Professoren erst einmal einen Vertrauensvorschuß. Den haben die Verfasser der Studie nun n eingebüßt. Das war jetzt wohl doch zu dick aufgetragen! :D

Man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen: Der Hauptnutznießer der EU-Zuwendungen behauptet, daß er mehr in die EU einzahlt als er aus dem EU-Haushalt heraus holen kann.

Natürlich gab es Gegendarstellungen mit vielen Hinweisen auf Böswillige und dumme Fehler in dieser Gefälligkeitsstudie... aber mich würde nicht wundern, wenn sich hier in Polen doch eine Meinung festsetzt, daß Polen die EU maßgeblich über Wasser hält.

Ja, war so auch in der Gazeta Wyborcza zu lesen, daß die Wojewodschaft Heiligkreuz / Świętokrzyc im Süden Polens den Titel LBGT-freie Zone abgelegt hat, weil die EU wegen dieses Verstoßes gegen die Menschenrechte zugesagte Gelder zurück gehalten hatte. Die Wojewodschaft Krakau ist dem inzwischen gefolgt... schreibt der österreichische KURIER. Tja, muß wohl doch etwas dran sein, daß die Studie über die Mittelverteilung in der EU nicht so ganz der Wahrheit entspricht. :cool:
Benutzeravatar
JJazzGold
Beiträge: 52705
Registriert: Mo 25. Mai 2009, 01:34
user title: L'État, c'est moi

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von JJazzGold »

H2O hat geschrieben:(23 Sep 2021, 16:48)

Der Angriff auf die EU geht so weit, daß es Gefälligkeitsstudien gibt, die belegen, daß Polen für die Mitgliedschaft in der EU teuer bezahlt... also ein Verlustgeschäft mit der EU gemacht hat. Natürlich hat das einen Aufshcrei unter den besser unterrichteten Teilen der polnischen Mitbürger gegeben. Aber was soll Pjotr Normalverbraucher tun, wenn diese Studie von Professoren der Uni Warschau und anderen hohen Staatsdienststellen verfaßt wurde? Auch in Polen haben Professoren erst einmal einen Vertrauensvorschuß. Den haben die Verfasser der Studie nun n eingebüßt. Das war jetzt wohl doch zu dick aufgetragen! :D

Man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen: Der Hauptnutznießer der EU-Zuwendungen behauptet, daß er mehr in die EU einzahlt als er aus dem EU-Haushalt heraus holen kann.

Natürlich gab es Gegendarstellungen mit vielen Hinweisen auf Böswillige und dumme Fehler in dieser Gefälligkeitsstudie... aber mich würde nicht wundern, wenn sich hier in Polen doch eine Meinung festsetzt, daß Polen die EU maßgeblich über Wasser hält.

Ja, war so auch in der Gazeta Wyborcza zu lesen, daß die Wojewodschaft Heiligkreuz / Świętokrzyc im Süden Polens den Titel LBGT-freie Zone abgelegt hat, weil die EU wegen dieses Verstoßes gegen die Menschenrechte zugesagte Gelder zurück gehalten hatte. Die Wojewodschaft Krakau ist dem inzwischen gefolgt... schreibt der österreichische KURIER. Tja, muß wohl doch etwas dran sein, daß die Studie über die Mittelverteilung in der EU nicht so ganz der Wahrheit entspricht. :cool:
Habe ich auch gelesen. Könnte das der erste Schritt zu einem Polexit sein? Auch in GB wurde zum Einstieg in den Ausstieg mit falschen Zahlen argumentiert, um Exit Befürworter zu generieren.
Was machen Sie, sollte sich PiS Polen von der EU verabschieden? Bleiben Sie trotzdem dort?
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt
Benutzeravatar
Mendoza
Beiträge: 2933
Registriert: Sa 14. Jul 2018, 06:28

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Mendoza »

JJazzGold hat geschrieben:(25 Sep 2021, 10:30)

Habe ich auch gelesen. Könnte das der erste Schritt zu einem Polexit sein? Auch in GB wurde zum Einstieg in den Ausstieg mit falschen Zahlen argumentiert, um Exit Befürworter zu generieren.
Was machen Sie, sollte sich PiS Polen von der EU verabschieden? Bleiben Sie trotzdem dort?
Über einen Polexit braucht man eigentlich nicht zu diskutieren. Es gibt kaum ein Land mit höherer Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft. 3/4 aller Polen stehen zu ihr. In UK war das vollkommen anders. Die polnische - stark prosperierende - Wirtschaft ist so eng mit der europäische Wirtschaft (insbesondere D) verflochten wie siamesische Zwillinge. Das weiß auch die PIS ganz genau. Ein Austritt wäre Harakiri ohne Not.
Churchill "Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleichmäßige Verteilung der Güter. Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: Die gleichmäßige Verteilung des Elends."
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

JJazzGold hat geschrieben:(25 Sep 2021, 10:30)


(...)
...Bleiben Sie trotzdem dort?
Aus meiner Sicht geht eine solche polnische Entscheidung nicht durch. die heutige polnische Regierung regiert, weil die Mehrheit im Parlament zerstritten ist. Die Mehrheit ist sich aber einig... parteiübergreifend bis in die Regierungspartei hinein... daß Polen ein Teil Europas ist und bleibt.

Sollte dennoch der POLEXIT eingeleitet werden, dann warte ich ab, ob es Schikanen gibt gegen Ausländer mit unbefristeter Aufenthaltsgenehmigung. So lange das aus zu halten ist bleibe ich. Wenn's unerträglich werden sollte, dann ziehe ich mich in ein deutsches Altenheim zurück. Das halte ich aber für äußerst unwahrscheinlich!
Benutzeravatar
JJazzGold
Beiträge: 52705
Registriert: Mo 25. Mai 2009, 01:34
user title: L'État, c'est moi

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von JJazzGold »

Mendoza hat geschrieben:(25 Sep 2021, 10:47)

Über einen Polexit braucht man eigentlich nicht zu diskutieren. Es gibt kaum ein Land mit höherer Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft. 3/4 aller Polen stehen zu ihr. In UK war das vollkommen anders. Die polnische - stark prosperierende - Wirtschaft ist so eng mit der europäische Wirtschaft (insbesondere D) verflochten wie siamesische Zwillinge. Das weiß auch die PIS ganz genau. Ein Austritt wäre Harakiri ohne Not.
Weshalb dann diese offensichtliche Lüge, die eindeutig Stimmung gegen die EU fabrizieren soll?
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

JJazzGold hat geschrieben:(25 Sep 2021, 11:46)

Weshalb dann diese offensichtliche Lüge, die eindeutig Stimmung gegen die EU fabrizieren soll?
Es gibt in Polen, wie überall in der EU, nationalistische Parteien. Polen hat eine national-klerikale Regierungskoalition, in der sich auch nationalistische rechte Leute tummeln. Die sind gar nicht sonderlich zahlreich, aber wenn die abspringen, dann ist diese Regierung geplatzt. Also vollführt sie einen Eiertanz, um diese gefährliche Truppe nicht ganz zu verprellen. Herr Ziobro hat bei dieser "Studie" sicher Pate gestanden. Ein Schwindler als Justizminister... das gibt es auch!

Wie die Gazeta Wyborcza so nett titelt: Herr Jarosław Kaczyński wird zwischen Hernn Zbigniew Ziobro (das ist der EU-fresser der Solidarna Polska) und Herrn DonaldTusk (das ist der in die polnische Politik zurück gekehrte EU-Verteidiger der Bürgerplattform) gegrillt. Herr Ziobro ist Justizminister und Vorsitzender der Solidarna Polska, Herr Tusk ist informell eine Führungskraft der zerstrittenen Opposition.
Benutzeravatar
JJazzGold
Beiträge: 52705
Registriert: Mo 25. Mai 2009, 01:34
user title: L'État, c'est moi

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von JJazzGold »

H2O hat geschrieben:(25 Sep 2021, 12:19)

Es gibt in Polen, wie überall in der EU, nationalistische Parteien. Polen hat eine national-klerikale Regierungskoalition, in der sich auch nationalistische rechte Leute tummeln. Die sind gar nicht sonderlich zahlreich, aber wenn die abspringen, dann ist diese Regierung geplatzt. Also vollführt sie einen Eiertanz, um diese gefährliche Truppe nicht ganz zu verprellen. Herr Ziobro hat bei dieser "Studie" sicher Pate gestanden. Ein Schwindler als Justizminister... das gibt es auch!

Wie die Gazeta Wyborcza so nett titelt: Herr Jarosław Kaczyński wird zwischen Hernn Zbigniew Ziobro (das ist der EU-fresser der Solidarna Polska) und Herrn DonaldTusk (das ist der in die polnische Politik zurück gekehrte EU-Verteidiger der Bürgerplattform) gegrillt. Herr Ziobro ist Justizminister und Vorsitzender der Solidarna Polska, Herr Tusk ist informell eine Führungskraft der zerstrittenen Opposition.
Sehr informativ, danke!
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Die Gazeta Wyborcza hat eine Umfrage der Meinungsforscher IPSOS veröffentlicht:

Weiterhin sind 87% der befragten Polen für die Mitgliedschaft in der EU.
  • 50% wünschen sich die weiter vertiefte Zusammenarbeit.
    37 % wünschen sich doch mehr nationale Unabhängigkeit im gemeinsamen Markt.

    5 % wünschen sich, daß Polen die EU verläßt "POLEXIT"

    8 % der Befragten waren unentschieden.
Leider war nicht klar, wie weit das nationale Polen auf Zuwendungen der EU und die Vorzüge des Schengener Abkommens verzichten möchte.... oder wie weit der gemeinsame Markt noch die freie Bewegung von Kapital und Menschen und Dienstleistungen erhält.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Die Gazeta Wyborcza berichtet um 18:30 Uhr, daß das Polnische Verfassungsgericht die Unverträglichkeit der Polnischen Rechtsordnung mit der Rechtsordnung festgestellt hat, die der EuGH eingefordert hat. Die Leiterin des Polnischen Verfassungsgerichts, Frau Julia Przyłębska muß nun entscheiden, ob sie beantragen will, die Polnische Verfassung an das EU-Recht an zu passen oder ob sie auf einer unveränderten Polnischen Verfassung besteht. Im Fall der Verweigerung der Rückänderung der auf ihr Betreiben veränderten Polnischen Verfassung stellt Polen damit die Anerkennung der obersten Gerichtsbarkeit der EU in Frage... und sie stellt Polen damit außerhalb der geschlosssenen EU-Verträge auf.

Man wird sehen müssen, was das Polnische Parlament dazu veranlassen und beschließen wird. Mit diesem offenen Vertragsbruch kann Polen nicht Mitglied der EU bleiben.

Die Kommentatoren in Leserzuschriften der Gazeta Wyborcza toben sich regelrecht aus, rufen zu Großdemonstrationen gegen die Vertragsverletzung Polens auf.

Die Entscheidung des Polnischen Verfassungsgerichts ist inzwischen auch in den deutschen Medien angekommen:
https://www.t-online.de/nachrichten/aus ... ssung.html
Zuletzt geändert von H2O am Do 7. Okt 2021, 19:21, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 19719
Registriert: Do 10. Aug 2017, 15:41

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(07 Oct 2021, 18:58)

Die Gazeta Wyborcza berichtet um 18:30 Uhr, daß das Polnische Verfassungsgericht die Unverträglichkeit der Polnischen Rechtsordnung mit der Rechtsordnung festgestellt hat, die der EuGH eingefordert hat. Die Leiterin des Polnischen Verfassungsgerichts, Frau Julia Przyłębska muß nun entscheiden, ob sie beantragen will, die Polnische Verfassung an das EU-Recht an zu passen oder ob sie auf einer unveränderten Polnischen Verfassung besteht. Im Fall der Verweigerung der Rückänderung der auf ihr Betreiben veränderten Polnischen Verfassung stellt Polen damit die Anerkennung der obersten Gerichtsbarkeit der EU in Frage... und sie stellt Polen damit außerhalb der geschlosssenen EU-Verträge auf.

Man wird sehen müssen, was das Polnische Parlament dazu veranlassen und beschließen wird. Mit diesem offenen Vertragsbruch kann Polen nicht Mitglied der EU bleiben.
Ich vermute mal: Kaczynski wird den Polexit erzwingen. Da ist inzwischen ein neues Kapitel in der polnischen Tragödie aufgeschlagen worden. Durch das Urteil ist das Land nicht vertrauenswürdig und vertragswürdig.
Vielleicht könnte man zumindest den Polen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten eine Brücke bauen: indem man für sie wieder den alten Art.24 GG öffnet.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Vielleicht könnte man zumindest den Polen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten eine Brücke bauen: indem man für sie wieder den alten Art.24 GG öffnet.
Leuten mit praktischem Verstand könnte so etwas gefallen; aber nationalbewußte Polen werden eine solche Regelung als eine Art Wiederinbesitznahme der neuen Westgebiete durch Deutschland verstehen. Vorsicht an der Bahnsteigkante!
Benutzeravatar
aleph
Beiträge: 14088
Registriert: Sa 31. Mai 2008, 18:25
Wohnort: ប្រទេសអាល្លឺម៉ង់

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von aleph »

H2O hat geschrieben:(07 Oct 2021, 19:25)

Leuten mit praktischem Verstand könnte so etwas gefallen; aber nationalbewußte Polen werden eine solche Regelung als eine Art Wiederinbesitznahme der neuen Westgebiete durch Deutschland verstehen. Vorsicht an der Bahnsteigkante!
Sehe ich auch so, ein Bürgerkrieg ist nicht in Sicht und wenn, dann würde man die Regierung stürzen und ein europafreundliches einiges Polen schaffen.
Auf dem Weg zum Abgrund kann eine Panne lebensrettend sein. Walter Jens
Besser schweigen und als Narr zu scheinen, als sprechen und jeden Zweifel zu beseitigen. Abraham Lincoln
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

aleph hat geschrieben:(07 Oct 2021, 19:30)

Sehe ich auch so, ein Bürgerkrieg ist nicht in Sicht und wenn, dann würde man die Regierung stürzen und ein europafreundliches einiges Polen schaffen.
Ich kann mir vorstellen, daß Polen erst durch Schaden klug werden wird. Die Opposition ist heillos zerstritten... liegt sehr an den beteiligten Politikern, die vor persönlichem Ehrgeiz zerplatzen. Kaczyński & Cie. regieren mit 35% Stimmanteil in Wahlen. Selbst der politikerfahrene Donald Tusk bringt die Opposition nicht zusammen. :mad2:

Erst einmal wird Polen vom EU-Geldhahn abgeschnitten, wegen fortgesetzter Vertragsverletzung. Nach Wutanfall und POLEXIT schließen sich die Grenzen zur EU und die Teilnahme am Binnenmarkt entfällt. Und damit die Freizügigkeit in EU-Europa zur Arbeitssuche, für Dienstleistungen. Die Lieferketten werden unzuverlässiger, Investoren ziehen sich zurück.

Mal sehen, was Pjotr Normalverbraucher dann einfallen wird!
Benutzeravatar
Misterfritz
Vorstand
Beiträge: 34802
Registriert: So 4. Sep 2016, 15:14
user title: Cheffe vons Rudel
Wohnort: badisch Sibirien

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Misterfritz »

H2O hat geschrieben:(08 Oct 2021, 10:22)
Mal sehen, was Pjotr Normalverbraucher dann einfallen wird!
Tusk ruft ja zu Protesten auf - mal sehen, wer sich beteiligt.
https://www.spiegel.de/ausland/polen-do ... d156bc58d4
Was ich eher befremdlich finde, ist, dass die Polen doch eigentlich mehrheitlich EU-freundlich sind. Und Polen hat extrem von Binnenmarkt, Freizügigkeit und Geldern aus Brüssel profitiert. Interessiert das die polnische Regierung überhaupt nicht?
Das Salz in der Suppe des Lebens ist nicht Selbstdisziplin, sondern kontrollierte Unvernunft ;)
Benutzeravatar
aleph
Beiträge: 14088
Registriert: Sa 31. Mai 2008, 18:25
Wohnort: ប្រទេសអាល្លឺម៉ង់

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von aleph »

H2O hat geschrieben:(08 Oct 2021, 10:22)

Ich kann mir vorstellen, daß Polen erst durch Schaden klug werden wird. Die Opposition ist heillos zerstritten... liegt sehr an den beteiligten Politikern, die vor persönlichem Ehrgeiz zerplatzen. Kaczyński & Cie. regieren mit 35% Stimmanteil in Wahlen. Selbst der politikerfahrene Donald Tusk bringt die Opposition nicht zusammen. :mad2:

Erst einmal wird Polen vom EU-Geldhahn abgeschnitten, wegen fortgesetzter Vertragsverletzung. Nach Wutanfall und POLEXIT schließen sich die Grenzen zur EU und die Teilnahme am Binnenmarkt entfällt. Und damit die Freizügigkeit in EU-Europa zur Arbeitssuche, für Dienstleistungen. Die Lieferketten werden unzuverlässiger, Investoren ziehen sich zurück.

Mal sehen, was Pjotr Normalverbraucher dann einfallen wird!
Das sicher, aber keine Spaltung Polens von außen. Es liegt in unserem Interesse, dass ganz Polen stark und europafreundlich bleibt.
Auf dem Weg zum Abgrund kann eine Panne lebensrettend sein. Walter Jens
Besser schweigen und als Narr zu scheinen, als sprechen und jeden Zweifel zu beseitigen. Abraham Lincoln
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Misterfritz hat geschrieben:(08 Oct 2021, 11:49)

Tusk ruft ja zu Protesten auf - mal sehen, wer sich beteiligt.
https://www.spiegel.de/ausland/polen-do ... d156bc58d4
Was ich eher befremdlich finde, ist, dass die Polen doch eigentlich mehrheitlich EU-freundlich sind. Und Polen hat extrem von Binnenmarkt, Freizügigkeit und Geldern aus Brüssel profitiert. Interessiert das die polnische Regierung überhaupt nicht?
Nun ja, in Polen sind keine Wirtschaftsleute in der Regierung, sondern Nationalisten. Denen fallen allenfalls Raubkriege ein (unsere Nazis), aber keine profitable Wirtschaft. So ist mein Eindruck, wenn ich Nationalisten am Werk sehe. Die EU wird nicht um harte Gegenmaßnahmen herum kommen. Alles andere wäre eine Überraschung.

Ich drücke Herrn Tusk die Daumen, aber wenn der die Opposition vereinigen könnte, dann wäre auch das ein Wunder! Mein Eindruck: Streit im Inneren, Streit mit Nachbarn, Streit mit der EU, Streit mit den USA, Streit mit Rußland. Mit China oder Indien hat das wohl noch nicht geklappt! :D

Dabei gilt weiterhin
https://www.politik-forum.eu/viewtopic. ... 0#p5087243

aber auch ich sehe nicht, wie jemand diese Stimmungslage zum politischen Machtwechsel nutzen könnte. Daher meine Anmerkung, daß Polen wohl erst durch Schaden klug werden muß. Schade!
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

aleph hat geschrieben:(08 Oct 2021, 11:52)

Das sicher, aber keine Spaltung Polens von außen. Es liegt in unserem Interesse, dass ganz Polen stark und europafreundlich bleibt.
Ja, vermutlich werden einige Politiker die EU so sehen, daß die sich eben ganz Polen einverleiben will. Damit haben sie zugleich Recht und Unrecht. Wir Europäer wollen ja auf ein friedliches Miteinander in einer sich stetig vertiefenden Zusammenarbeit hinaus... und da ist kein Raum für nationale Sonderbeziehungen nach außen und nach innen. Eine Gemeinschaft von Gleichen, unabhängig von der Einwohnerzahl und Landesausdehnung. Und das wollen dann doch 45% der Polen überhaupt nicht... zumindest geben die Zahlen das nicht her:
https://www.politik-forum.eu/viewtopic. ... 0#p5087243

Da hilft vermutlich nur "Aus Schaden wird man klug!", wenn es dann Tschechen, Slowaken, Litauern stetig besser geht durch die tiefe Einbindung in die EU, und Polen als stolzer Nationalstaat davon weitgehend ausgeschlossen ist. Wer investiert denn in einem Staat, der das Recht in seinem Machtbereich nach Gutdünken verändern kann?
Benutzeravatar
Christdemokrat
Beiträge: 1366
Registriert: Mo 16. Aug 2021, 17:37

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Christdemokrat »

Ich verstehe die Aufregung nicht. Das polnische Verfassungsgericht hat ein Urteil gefällt, so wie andere Verfassungsgerichte der europäischen Nationalstaaten auch Urteile fällen.

Die fast schon kriegerische Rhetorik der EU gegenüber Polen, nur weil deren Verfassungsgericht ein Urteil gefällt hat, finde ich erschreckend. Und wieder einmal wird versucht über den "Geldhahn" politisch zu erpressen. Was ist das für eine EU, in der es permanent notwendig erscheint, Mitgliedsstaaten mit finanziellen Erpressungsversuchen zu politischen Entscheidungen zu zwingen?

Und in diesem Fall geht es ja noch nicht mal um eine politische, sondern um eine rechtliche Entscheidung. Glaubt man in der EU, das polnische Verfassungsgericht werde nun aus politischen Gründen sein Urteil revidieren?

Das sagt doch mehr über das Justizverständnis der EU aus.
Haegar
Beiträge: 2515
Registriert: Do 27. Aug 2009, 10:03

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Haegar »

Christdemokrat hat geschrieben:(08 Oct 2021, 14:04)

Ich verstehe die Aufregung nicht. Das polnische Verfassungsgericht hat ein Urteil gefällt, so wie andere Verfassungsgerichte der europäischen Nationalstaaten auch Urteile fällen.

Die fast schon kriegerische Rhetorik der EU gegenüber Polen, nur weil deren Verfassungsgericht ein Urteil gefällt hat, finde ich erschreckend. Und wieder einmal wird versucht über den "Geldhahn" politisch zu erpressen. Was ist das für eine EU, in der es permanent notwendig erscheint, Mitgliedsstaaten mit finanziellen Erpressungsversuchen zu politischen Entscheidungen zu zwingen?

Und in diesem Fall geht es ja noch nicht mal um eine politische, sondern um eine rechtliche Entscheidung. Glaubt man in der EU, das polnische Verfassungsgericht werde nun aus politischen Gründen sein Urteil revidieren?

Das sagt doch mehr über das Justizverständnis der EU aus.
Deine Sätze sagen mehr über Dein Verständnis von Recht aus.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content ... M%3Al14548

Und diesem Recht hat sich Polen durch Beitritt zu EU vertraglich unterworfen. Pacta sunt servada.
Vertagsbruch hat halt Konsequenzen und diese sind in den Verträgen festgelegt.

Es bleibt der Regierung in Polen überlassen, ob sie diese Rechtsfolgen tragen möchte.
Vertragstreue mit Erpressung gleichzusetzen ist schon mehr als komisch.
Benutzeravatar
Christdemokrat
Beiträge: 1366
Registriert: Mo 16. Aug 2021, 17:37

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Christdemokrat »

Haegar hat geschrieben:(08 Oct 2021, 14:50)
Es bleibt der Regierung in Polen überlassen, ob sie diese Rechtsfolgen tragen möchte.
Was hat die Regierung mit einem Urteil des Verfassungsgerichts zu tun? Die Regierung kann dem Verfassungsgericht weder vorschreiben, wie es zu urteilen hat, noch kann sie ein Urteil des Verfassungsgerichts revidieren. Das Urteil ist wie es ist.
Benutzeravatar
DarkLightbringer
Beiträge: 48077
Registriert: Mo 19. Dez 2011, 16:49
user title: Vive la Liberté !

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von DarkLightbringer »

Anscheinend hat auch mal das deutsche Bundesverfassungsgericht ein Urteil des EuGH zu Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank in Frage gestellt.

Ein Austritt Polens und Deutschlands wäre das Ende der EU.
>>We’ll always have Paris<<
[Humphrey Bogart als Rick Blaine in >Casablanca<, 1942]
Benutzeravatar
Vongole
Moderator
Beiträge: 21304
Registriert: Di 24. Mär 2015, 18:30

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Vongole »

Christdemokrat hat geschrieben:(08 Oct 2021, 14:53)

Was hat die Regierung mit einem Urteil des Verfassungsgerichts zu tun? Die Regierung kann dem Verfassungsgericht weder vorschreiben, wie es zu urteilen hat, noch kann sie ein Urteil des Verfassungsgerichts revidieren. Das Urteil ist wie es ist.
Die Justiz, auch das Verfassungsgericht, ist in Polen nicht mehr unabhängig:
Die besondere und leider bittere Pointe des heutigen Urteils aus Warschau ist nun, dass das Verfassungsgericht, das dieses Urteil gesprochen hat, das erste Gericht war, das von der PiS seiner Unabhängigkeit beraubt wurde. Dort agieren fast ausschließlich Parteigänger der Regierung. Der polnische Verfassungsgerichtshof ist nur noch eine leere juristische Hülle, eine bestenfalls rechtsstaatlich anmutende Fassade. Dahinter steckt ein politisch abhängiges Organ, von der Regierung gesteuert. Andreas Voßkuhle, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sagte im Gespräch mit der ZEIT schon vor knapp zwei Jahren über die Institution in Warschau, "das ist kein ernst zu nehmendes Gericht mehr, das ist eine Attrappe".
https://www.zeit.de/politik/ausland/202 ... sanktionen
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
Haegar
Beiträge: 2515
Registriert: Do 27. Aug 2009, 10:03

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Haegar »

DarkLightbringer hat geschrieben:(08 Oct 2021, 14:58)

Anscheinend hat auch mal das deutsche Bundesverfassungsgericht ein Urteil des EuGH zu Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank in Frage gestellt.

Ein Austritt Polens und Deutschlands wäre das Ende der EU.
Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil punktuell ein Urteil in Frage gestellt. Das politisch nicht unabhängige Verfassungsgericht hat das aber universal erklärt.
Das ist der Unterschied.
Haegar
Beiträge: 2515
Registriert: Do 27. Aug 2009, 10:03

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Haegar »

Christdemokrat hat geschrieben:(08 Oct 2021, 14:53)

Was hat die Regierung mit einem Urteil des Verfassungsgerichts zu tun? Die Regierung kann dem Verfassungsgericht weder vorschreiben, wie es zu urteilen hat, noch kann sie ein Urteil des Verfassungsgerichts revidieren. Das Urteil ist wie es ist.
Die polnische Regierung muss selbst entscheiden, ob sie in einem Vertragsverhältnis bleibt welches vorgeblich gegen die polnische Verfassung steht. Das hat die polnische Regierung zu tun. Nennt sich Gewaltenteilung.
Benutzeravatar
DarkLightbringer
Beiträge: 48077
Registriert: Mo 19. Dez 2011, 16:49
user title: Vive la Liberté !

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von DarkLightbringer »

Haegar hat geschrieben:(08 Oct 2021, 15:07)

Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil punktuell ein Urteil in Frage gestellt. Das politisch nicht unabhängige Verfassungsgericht hat das aber universal erklärt.
Das ist der Unterschied.
Das polnische Verfassungsgericht sieht bestimmte Punkte.
Nach Auffassung des polnischen Verfassungsgerichts verstoßen einige EU-Gesetze gegen die polnische Verfassung.
https://www.tagesschau.de/ausland/europ ... t-101.html

Zum andern müsste man nach dieser Argumentation das EUGH insgesamt in Frage stellen, da die Richter politisch bestimmt werden.

Die Kritik an der Ausdehnung von Unionsrecht in nationale Felder ist auch nicht gerade neu. Der Gerichtshof trete als "Agent der Zentralisierung" auf, das wurde schon 2013 formuliert, laut Wiki in der FAZ.
Die Gerichte könnten sich gegenseitig vorhalten, Agenten der jeweils interessierten Seite zu sein. Relativ locker. ;)
>>We’ll always have Paris<<
[Humphrey Bogart als Rick Blaine in >Casablanca<, 1942]
Benutzeravatar
Vongole
Moderator
Beiträge: 21304
Registriert: Di 24. Mär 2015, 18:30

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Vongole »

Man sollte halt lesen, bevor man einen Vertrag unterschreibt:
Die Europäische Union beruht auf Verträgen, die Staaten freiwillig untereinander geschlossen haben. Sie erlauben es der EU, Gesetze zu erlassen, die in allen Mitgliedsstaaten gelten und umgesetzt werden müssen: Das Europarecht. Es hat Vorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten. Das europäische Gemeinschaftsrecht zu schützen, ist Aufgabe des Gerichtshofes der Europäischen Union (auch EuGH genannt). Er entscheidet über Klagen von Mitgliedstaaten, Organen, natürlichen Personen oder Unternehmen (juristischen Personen).
https://www.europarl.europa.eu/germany/ ... erichtshof
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Die nicht mehr unabhängigen Gerichte, die in Polen mit Parteigängern der PiS besetzt sind, sind der wesentliche Skandal. Zugleich greift diese PiS-Regierung auch in staatliche und vom Staat abhängige Unternehmen ein, besetzt dort leitende (gut bezahlte) Funktionen mit ihren Gefolgsleuten. Dazu gibt es in der Gazeta Wyborcza eine Graphik, die die Netzwerke der ersten Hundertschaft dieser Seilschaften zeigen. Nichts, was es in Deutschland nicht auch gäbe, aber das Ausmaß in Polen ist schon erschreckend: Wirtschaftsunternehmen, Medien, Staatsdienst... eine Art Gleichschaltung!
Benutzeravatar
Christdemokrat
Beiträge: 1366
Registriert: Mo 16. Aug 2021, 17:37

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Christdemokrat »

H2O hat geschrieben:(08 Oct 2021, 15:58)
Die nicht mehr unabhängigen Gerichte, die in Polen mit Parteigängern der PiS besetzt sind, sind der wesentliche Skandal.
In Deutschland wurde doch mit Herrn Harbarth sogar ein aktiver CDU-Politiker und enger Vertrauter des Kanzleramtes zum Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts gemacht. Herr Harbarth ist direkt von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an das Bundesverfassungsgericht gewechselt. Mit Peter Müller sitzt ein weiterer CDU-Politiker als Richter am Bundesverfassungsgericht, der direkt aus seinem Amt als Ministerpräsident an das Gericht wechselte.

Wenn wir in Deutschland davon ausgehen, daß diese Verfassungsrichter unabhängig sind und politisch neutral urteilen, warum sollte man dann den polnischen Verfassungsrichtern etwas anderes unterstellen.

Was ich spontan über die polnischen Richter herausfinden konnte, sind diese immerhin keine PiS-Politiker, die direkt aus der Legislative oder Exekutive in die Judikative gewechselt sind, wie das in Deutschland der Fall gewesen ist.
Benutzeravatar
Vongole
Moderator
Beiträge: 21304
Registriert: Di 24. Mär 2015, 18:30

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Vongole »

Christdemokrat hat geschrieben:(08 Oct 2021, 16:30)

(..)

Was ich spontan über die polnischen Richter herausfinden konnte, sind diese immerhin keine PiS-Politiker, die direkt aus der Legislative oder Exekutive in die Judikative gewechselt sind, wie das in Deutschland der Fall gewesen ist.
Die polnischen Richter fungieren nur noch als Marionetten der PiS, und wer dagegen aufbegehrt, wird gefeuert.
Trotz Fundamentalkritik von Richterverbänden, Anwälten, der Opposition, der EU-Kommission und der Venedig-Kommission des Europarates hat Polens Präsident Andrzej Duda das sogenannte Maulkorb-Gesetz unterzeichnet. Es sieht weitreichende Disziplinierungsmassnahmen für Richter vor, die laut praktisch allen Experten ausserhalb der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf die Knebelung der Justiz abzielen. Zusammen mit den weiteren Schritten der Justizreform könnten sie das Land an den Rand eines Austritts aus der EU bringen.
(..)
Die PiS reagierte darauf mit jenem Gesetz, das Duda nun unterzeichnet hat. Es entmachtet das Oberste Gericht zugunsten des regierungstreuen Verfassungsgerichts und droht jenen Magistraten, die sich ihm nicht unterstellen, mit drakonischen Strafen bis zur Entlassung. In Einzelfällen wurden die Sanktionen bereits angewandt. Somit existieren in Polen nun faktisch zwei parallele Rechtssysteme. Es herrscht Chaos, da nicht nur die Legitimität von Urteilen, sondern auch von Richterbesetzungen ungewiss ist. Damit hat die Regierung das Gegenteil dessen erreicht, was sie mit ihrer Justizreform vorgeblich wollte – ein transparenteres, effizienteres System.
https://www.nzz.ch/international/polen- ... ld.1538626
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47036
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von H2O »

Christdemokrat hat geschrieben:(08 Oct 2021, 16:30)

In Deutschland wurde doch mit Herrn Harbarth sogar ein aktiver CDU-Politiker und enger Vertrauter des Kanzleramtes zum Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts gemacht. Herr Harbarth ist direkt von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an das Bundesverfassungsgericht gewechselt. Mit Peter Müller sitzt ein weiterer CDU-Politiker als Richter am Bundesverfassungsgericht, der direkt aus seinem Amt als Ministerpräsident an das Gericht wechselte.

(...)
Fast glaube ich, daß Sie uns hier hinter die Fichte führen möchten. Wie und von wem Richter am Bundesverfassungsgericht ernannt werden, das folgt allseits unter demokratischen Parteien anerkannten Regeln.

Niemand verlangt, daß nur politische Eunuchen im BGH Sitz und Stimme oder sogar den Vorsitz haben sollten. Aber das Auswahlverfahren für die Nachbesetzung des BGH geht über mehrere Legislaturperioden. Damit ist sehr weitgehend politische Vielfalt gewährleistet. Entsprechend hoch ist auch das Ansehen des BGH. Und das vergleichen Sie jetzt einmal mit dem polnischen TK und dessen Ansehen und Vertrauen in Polen. Nicht versehentlich haben sich der EuGH und die EU-Kommision darauf eingeschossen, sind Polen zugedachte Mittel gesperrt worden.

Etwas mehr Sachkenntnis sollte Ihrerseits schon abrufbar sein!
Benutzeravatar
Rautenberger
Beiträge: 3041
Registriert: Do 8. Mai 2014, 22:48

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von Rautenberger »

Christdemokrat hat geschrieben:(08 Oct 2021, 16:30)

In Deutschland wurde doch mit Herrn Harbarth sogar ein aktiver CDU-Politiker und enger Vertrauter des Kanzleramtes zum Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts gemacht. Herr Harbarth ist direkt von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an das Bundesverfassungsgericht gewechselt. Mit Peter Müller sitzt ein weiterer CDU-Politiker als Richter am Bundesverfassungsgericht, der direkt aus seinem Amt als Ministerpräsident an das Gericht wechselte.

Wenn wir in Deutschland davon ausgehen, daß diese Verfassungsrichter unabhängig sind und politisch neutral urteilen, warum sollte man dann den polnischen Verfassungsrichtern etwas anderes unterstellen.

Was ich spontan über die polnischen Richter herausfinden konnte, sind diese immerhin keine PiS-Politiker, die direkt aus der Legislative oder Exekutive in die Judikative gewechselt sind, wie das in Deutschland der Fall gewesen ist.
Da es eine völlige politische Neutralität nun mal nicht gibt, ist es bei solchen Institutionen (so z. B. auch bei Gremien des ÖR-Rundfunks) entscheidend, dass sie ausgewogen besetzt sind. Das ist hier ganz eindeutig nicht der Fall. Laut Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassun ... n)#Richter) wurden 14 von 15 (!) Richtern von PiS nominiert und nur ein einziger von der Opposition. Im Bundesverfassungsgericht dagegen haben außer AfD und Linke alle Bundestagsparteien mindestens einen Richter nominiert.

Angesichts der handverlesenen Besetzung des polnischen Verfassungstribunals wundert mich dann auch überhaupt nicht, dass in den Anhörungen zum EU-Recht ein Umgangston herrschte, der mich eher an einen stalinistischen Schauprozess erinnert als an ein Gerichtsverfahren in einem demokratischen Staat. Nachzulesen beim Spiegel: https://www.spiegel.de/ausland/polen-st ... e2d196fedf
Перемен требуют наши сердца, перемен требуют наши глаза...
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 19719
Registriert: Do 10. Aug 2017, 15:41

Re: Parlamentswahl in Polen

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(08 Oct 2021, 15:58)

Die nicht mehr unabhängigen Gerichte, die in Polen mit Parteigängern der PiS besetzt sind, sind der wesentliche Skandal. Zugleich greift diese PiS-Regierung auch in staatliche und vom Staat abhängige Unternehmen ein, besetzt dort leitende (gut bezahlte) Funktionen mit ihren Gefolgsleuten. Dazu gibt es in der Gazeta Wyborcza eine Graphik, die die Netzwerke der ersten Hundertschaft dieser Seilschaften zeigen. Nichts, was es in Deutschland nicht auch gäbe, aber das Ausmaß in Polen ist schon erschreckend: Wirtschaftsunternehmen, Medien, Staatsdienst... eine Art Gleichschaltung!
Jaroslaw Kaczynski will Rache nehmen. Rache für seinen angeblich ermordeten Bruder.
Alles andere ist Kaczynski egal. Die Justiz urteilt auf seinen Befehl. Geht das Land zugrunde? Egal. Dann hat es eben nichts anderes verdient. Das ist die Denkweise von Kaczynski.
Adam Smith
Beiträge: 38094
Registriert: Mi 18. Jan 2012, 21:57

Re: Großbritannien - post Brexit

Beitrag von Adam Smith »

Kohlhaas hat geschrieben:(09 Oct 2021, 14:51)

Über 80 Prozent der Menschen in Polen wollen in der EU verbleiben. Trotzdem haben wir gerade eine Situation, in der es
Bis auf Luxemburg wird die EU nirgendwo so geliebt wie in Polen. Die Bürger sind pro EU. Die Regierung kann die EU nicht leiden. Polen dürfte aber in der EU bleiben, weil die Menschen in Polen halt pro EU sind.
Das ist Kapitalismus:

Die ständige Wahl der Bürger bestimmt das Angebot.
Antworten