Bremer hat geschrieben:(13 Sep 2019, 22:16)
Gutachten sorgt für Diskussionen
Kurz vor der Bundestagswahl im September 2017 sorgte dann ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags für Schlagzeilen. Dieses war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits seit Monaten öffentlich zugänglich und datiert vom Mai 2017. Die Gutachter beleuchten unter anderem die Frage, ob die Regierung den Bundestag bei Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik hätte stärker beteiligen müssen.
Allerdings kommen die Gutachter dabei zu keinem klaren Ergebnis, sondern stellen verschiedene Rechtsauffassungen gegenüber, ohne Position zu beziehen.
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ ... e-101.html
Auch der Faktenfinder der Tagesschau schreibt nicht von einem "Selbsteintrittsrecht". Allerdings machen das viele andere Medien, wobei ich mich frage, wie man eigentlich überhaupt dazu kommt?
So schreibt die SZ zu dem Urteil:
Das Urteil der Europarichter zum europäischen Flüchtlingsrecht gibt der Kanzlerin nicht recht. Es setzt sie aber auch nicht ins Unrecht. Bei der Aufnahme der Flüchtlinge im Spätsommer 2015, so ergibt sich das aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg, handelte Merkel nicht nach den EU-Zuständigkeitsregeln. Merkel durfte aber so handeln, wie sie gehandelt hat, weil die Zuständigkeitsregeln auch ein "Selbsteintrittsrecht" vorsehen - um in Notfällen anderen Staaten die Last zu erleichtern.
https://www.sueddeutsche.de/politik/urt ... -1.3603873
Der EuGH hat gar nicht über Merkel gerichetet, sondern es war eine Klage von 2 Afghanen gegen Österreich/Slowenien/Kroatien. Deshalb hat der EuGH auch nicht über das Selbsteintrittsrecht in Deutschland gerichet, damit auch nicht geprüft, ob die Regierung diese Sonderregelung überhaupt in Anspruch genommen hat (was der wissenschaftliche Diensts ja verneint hat). Der EuGH hätte in dem Urteil vielleicht über derartige Regelungen in den drei betroffenen Ländern entscheiden können, aber nicht mal das wurde gemacht. Es wurde erstmal nur über die illegalen Grenzübertritte in dem Falle von Österreich/Slowenien/Kroatien entschieden, die man dann aber auf Europa hochrechnen kann.
Die verkürzten Artikel in den Medien zeigen hier ein ganz anderes Bild, als es in dem Urteil bekanntgegeben wurde.
http://curia.europa.eu/juris/document/d ... cid=618446
Der EuGH stellt im Rahmen der Urteilsverkündung einige Sachen fest, die in den Medien dann nicht mehr erscheinen:
In Art. 12 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex hieß es „… Personen, die eine Grenze unerlaubt überschritten haben und die über kein Aufenthaltsrecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates verfügen, sind aufzugreifen und Verfahren zu unterziehen, die mit der Richtlinie 2008/115/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98)] in Einklang stehen.“
Eventuell könnte man folgenden Absatz mit einem Selbsteintrittsrecht in Verbindung setzen (das aber in Deutschland
nicht in Anspruch genommen wurde)
Ein Mitgliedstaat kann Drittstaatsangehörigen, die eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllen, die Einreise in sein Hoheitsgebiet aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen gestatten. Liegt zu dem betreffenden Drittstaatsangehörigen eine Ausschreibung gemäß Absatz 1 Buchstabe d vor, so unterrichtet der Mitgliedstaat, der dessen Einreise in sein Hoheitsgebiet gestattet, die anderen Mitgliedstaaten darüber.“
Und so sieht das Urteil des EuGH aus, das Merkel be- bzw. entlasten soll
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, in Verbindung mit Art. 2 Buchst. m dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass kein „Visum“ im Sinne von Art. 12 vorliegt, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Einreise der Drittstaatsangehörigen dulden, obwohl sie die im erstgenannten Mitgliedstaat grundsätzlich geforderten Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen.
2. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Einreise von den Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation geduldet wird, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat, dessen grundsätzlich geforderte Einreisevoraussetzungen sie nicht erfüllen, durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats im Sinne von Art. 13 Abs. 1 „illegal überschritten“ hat.
Das EuGH hat also geurteilt:
1...dass die zwei Afghaninen kein automatisches Schengen-Visum lediglich mit ihrer Einreise in das Schengen-Gebiet erhalten. Sie wollten sich auf Art.12 beziehen, dort steht wie oben schon zitiert aber, dass Personen, die eine Grenze überschreiten, aufgegriffen werden MÜSSEN.
2. ...dass der Grenzübertritt Kroatien-Slowenien-Österreich illegal war, und zwar nach Art. 13, der festlegt, dass der Staat zuständig ist, in dem ein Drittstaatler als erstes einreist. Es gibt in dem Urteil keinen Passus, der irgendwie über Selbsteintritt entscheidet, nicht mal das Wort kommt im gesamten Dokument vor.
Was soll man also von der Berichterstattung der Medien halten?
"Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!" (Zitat Angela Merkel 2010)
"Dann sind die nicht insolvent, aber sie hören auf zu verkaufen." (Zitat Robert Habeck 2022)