sünnerklaas hat geschrieben:(13 Aug 2021, 13:15)
Die alte EWG/EG basierte auf den Gemeinsamkeiten, die Politik und Kultur über viele Jahrhunderte geprägt haben. Nach 1945 hat man das als das Verbindende festgestellt. Und das ganze steht auf soliden Füßen: von Karl dem Großen übder Karl V., die französische Revolution und Napoleon Bonaparte. Daraus ergibt sich eben auch eine gemeinsame Rechtstradition und gemeinsame Werte. Das ganze steht auf einem soliden Fundament.
Und es sind ja die aus der Rechtstradition ergebene Rechtsprechung und Rechtsauffassung und einige kulturelle Werte, die Ost- und Westeuropa trennen und die gerade von einigen osteuropäischen Ländern scharf kritisiert oder sogar völlig abgelehnt werden.
In dieser Diskussion um "europäische Werte" gibt es einige grundlegende Missverständnisse. Missverständnis Nummer Eins dreht sich um die sogenannten "EU-Gelder". Wer von diesen EU-Geldern im Zusammenhang mit Ostmitteleuropa redet, muss zuerst einmal sagen, wovon er eigentlich redet. Es gibt im EU-Haushalt keine "EU-Gelder" sondern vor allem zwei große Töpfe: Agrarpolitik (GAP) zuerst und Regional- bzw. Infrastrukturpolitik als zweites. Wenn man seriös von "EU-Geldern" spricht muss man sagen, was man eigentlich meint. Dann: Durch die allgemeine Berichterstattung entsteht der Eindruck. die Länder Ostmitteleuropas würden quasi von "EU-Geldern" leben. Der Eindruck ist völlig falsch. Fakt ist, dass ein Land und ein Staatswesen wie das von Ungarn tatsächlich
durch und durch korrupt ist. Keine Frage. Aber es
lebt nicht von EU-Geldern. Eher im Gegenteil. Wie läuft das eigentlich tatsächlich und wirklich? Ich hatte anlässlich der Wiedereröffnung des Schengen-Raums kürzlich die Gelegenheit, mich mit kenntnisreichen Leuten aus Ungarn, Österreich, Deutschland dazu auszutauschen. Mit diesen "EU-Geldern" besipielsweise in Ungarn wird folgendes gemacht: Viktor Orbán sagt seinen Parteifreunden aus der Fidesz zu, dass er dafür sorgt, dass die eine Autobahnbrücke endlich gebaut wird. Dass die andere historische Altstadf saniert wird. Dass der andere touristisch wichtige Radweg ausgebaut wird. usw. Damit baut er sich einerseits eine Freundesklicke in der Provinz auf. Die werden dann auch gewählt. Andererseits sind solche Projekte auch keineswegs irgendwie illegal sondern - ganz im Gegenteil - ganz im Sinne des EU-Regionalhaushalts. So. Aber wovon
lebt ein Land wie Ungarn eigentlich. Bzw. woher bezieht es seine ziemlich guten Wirtschaftsdaten, seine sehr gerine Arbeitslosenquote, woher nimmt Viktor Orbán sein typisches arrogantes Grinsen? Wenn ein Unternehmen wie BMW, Bosch oder Siemens in Österreich eine Produktionsstätte eröffnen will, dann muss es damit rechnen, fünf, sechs, sieben Jahre für Genehmigungen zu streiten. In
Ungarn dagegen ruft Viktor Orbán in Debrecen bei seinem Parteifreund an und sagt ihm, dass ab nächsten Monat soundsoviel Quadratkilometer erschlossenes Betriebsgelände für BMW bereitzustellen ist. Fertig! Und ab nächstes Jahr rollen dort Autos vom Band. Fertig. So läuft das! Wer ein (auch aus meiner Sicht berechtigtes) Problem mit Ungarn hat, sollte sich nicht an das ungarische Volk sondern an die deutsch-ungarische Handelsvertretung in Budapest wenden. An die Duzfreunde von Onkel Orbán.
Leben tun die Ungarn von diesen ausgelagerten Produktions- und Entwicklungsstätten. Bzw. umgekehrt. Leben tut Westeuropa zu einem nicht geringen Teil davon. Ich arbeite ja selbst an einer technischen Hochschule. Dieses ingenieurmäßige Tüftelnwollen ... ist nicht mehr so sehr die Sache junger Leute. Es herrscht eher so die Vorstellung: Ein paar Jahre programmieren und dann "Chef" oder "Manager". Sicherlich vereinfacht gesagt. In Ländern wie Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei ist das (noch) anders!
Die andere Quelle von Ungarns wirtschalticher Prosperität resultiert aus ihren Geschäften mit Rohstoffen aus der Ex-SU. Speziell mit Aserbaidshan. Anders als die sturen Katholiken und Russlandfeinde in Polen haben die Geschäftsleute in Ungarn kein Problem damit. Sie investieren gigantische SUmmen in Erdölfelder in Aserbaidshan und gewinnen noch gigantischere Summen daraus (gemessen an der Größe von UNgarn). MOL ist - noch vor BWM, Audi, Siemens, Bosch & Co. hinaus die größte ungarische Deviseneinnahmequelle. Vorbild dürfte irgendwo auch das schweizerische Unternehmen Glencore gewesen sein. Du brauchst keine eigenen Rohstoffe. Du muss nur wissen, wie man damit Geschäfte macht!
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)