Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

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Atue001
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Atue001 »

Ein Bundesstaat bedeutet nicht, dass das Subsidiaritätsprinzip aufgehoben wird - bei vernünftiger Organisation bedeutet er im Gegenteil eine vernünftige Machtbalance auf jeder Ebene.

Die verstärkte Integration begleitet die EU eigentlich seit den Gründungstagen ihrer Vorgängerorganisationen. Der Vertrag von Lissabon ist noch lange nicht ausgereizt - noch sind viele Themen möglich, die man auch auf der Basis dieses Vertragswerkes besser integrierend angehen kann. Ein Beispiel könnte das Thema Maut sein - hier wäre es gut, wenn die Zugänge dazu, unter welchen Voraussetzungen welche Art Maut in Europa möglich ist, vereinheitlicht werden könnte.
Auch im Bankensektor stehen noch einige Reformschritte an, die schon thematisiert wurden.
Eine Lösung für die Asylproblematik wäre ebenso wünschenswert, wie mehr Kontrolle für das Thema der Rechtsstaatlichkeit.
Gemeinsame Anstrengungen und auch Regelungen im Bereich einer abgestimmten Verteidigungspolitik kann man machen - und mal ernsthaft Anstrengungen zu unternehmen, um auf europäischer Ebene eine eigene IT zu haben, wäre auch durchaus auf der Ebene des Vertrags von Lissabon machbar.

Dabei hat der Vertrag von Lissabon sogar noch eine Öffnungsklausel, dass Staaten, die weitergehende Integration bei bestimmten Themenstellungen haben wollen, auch dies tun können.

GB ist ein Rückschlag - aber eigentlich nur ein kleiner. Gerade GB zeigt, dass nationaler Egoismus nur Verlierer generiert. Das wird in wenigen Jahren noch deutlicher sein, als es heute schon ist. Nicht nationalismus hat die größten kulturellen Leistungen der Menschheit ermöglicht, sondern Kooperation und Zusammenarbeit.
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H2O
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Wähler hat geschrieben:(03 Aug 2020, 18:18)

Der Vertrag von Lissabon ermöglich ja auf vielen Politikfeldern eine stärkere Integration der EU-Mitgliedsstaaten. Die Bürger in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten wollen allerdings im Durchschnitt auch Fortschritte erkennen können. Eine Fiskalunion und eine stärk koordinierte Wirtschaftspolitik können den Binnenmarkt wieder aus der Corona-Krise heraus und nach vorne bringen. Warten wir also ein Jahr ab, um die wirtschaftliche, innen- und außenpolitische Entwicklung der EU besser beurteilen zu können. Dann können nächste Integrationsschritte folgen.
Dem kann ich mich anschließen; allerdings meine ich, daß eine so umfangreiche Freigabe von Gemeinschaftsmitteln schon eine vertiefte Gemeinschaft voraussetzen sollte. Wie wollen Sie den Steuerzahlern und Sparern der wirtschaftlich erfolgreichen Staaten vermitteln, daß diese Mittelabflüsse sinnvoll sind, wenn damit nach Belieben verfahren wird? Im Privatbereich richte ich mich auf eine Geldentwertung ein.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben:(03 Aug 2020, 18:18)
Der Vertrag von Lissabon ermöglich ja auf vielen Politikfeldern eine stärkere Integration der EU-Mitgliedsstaaten. Die Bürger in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten wollen allerdings im Durchschnitt auch Fortschritte erkennen können. Eine Fiskalunion und eine stärk koordinierte Wirtschaftspolitik können den Binnenmarkt wieder aus der Corona-Krise heraus und nach vorne bringen. Warten wir also ein Jahr ab, um die wirtschaftliche, innen- und außenpolitische Entwicklung der EU besser beurteilen zu können. Dann können nächste Integrationsschritte folgen.
H2O hat geschrieben:(04 Aug 2020, 06:26)
Dem kann ich mich anschließen; allerdings meine ich, daß eine so umfangreiche Freigabe von Gemeinschaftsmitteln schon eine vertiefte Gemeinschaft voraussetzen sollte. Wie wollen Sie den Steuerzahlern und Sparern der wirtschaftlich erfolgreichen Staaten vermitteln, daß diese Mittelabflüsse sinnvoll sind, wenn damit nach Belieben verfahren wird? Im Privatbereich richte ich mich auf eine Geldentwertung ein.
Der Prozess zur Vertiefung der Gemeinschaft kam auch auf dem letzten EU-Gipfel zu einem weiteren Schritt, auch wenn das Ergebnis vielen nicht gefällt. Die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten wollten es aber so und das EU-Parlament wird nur Korrekturen beim traditionellen siebenjährigen Finanzrahmen erreichen.
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H2O
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Wähler hat geschrieben:(04 Aug 2020, 06:31)

Der Prozess zur Vertiefung der Gemeinschaft kam auch auf dem letzten EU-Gipfel zu einem weiteren Schritt, auch wenn das Ergebnis vielen nicht gefällt. Die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten wollten es aber so und das EU-Parlament wird nur Korrekturen beim traditionellen siebenjährigen Finanzrahmen erreichen.
So empfinde ich das letzte Treffen und die getroffenen Entscheidungen auch; allerdings wünsche ich mir endlich auch eine Formalisierung durch einen europäischen Finanz- und Wirtschaftsminister und einen europäischen Minister für soziale Fragen. Informell sind wir in Europa schon gut voran gekommen, aber "einklagbar" sind noch zu wenige gemeinschaftliche Dinge.
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Orbiter1
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Atue001 hat geschrieben:(01 Aug 2020, 23:31)

Ihnen wäre es also lieber gewesen, nicht die privaten Gläubiger mit einzubeziehen? Also die, die das Ganze mit verursacht haben?
Die griechische Staatsschuldenkrise wurde nicht von den Banken sondern im wesentlichen von den griechischen Regierungen verursacht.
Schlimm genug, dass in Deutschland für das Fehlverhalten der Banken der Steuerzahler aufkommen muss - normalerweise wäre das auch in Deutschland nicht deren Aufgabe! Nur - meinen sie ernsthaft, es wäre billiger gewesen, die genannten Banken einfach pleite gehen zu lassen?
Das weiß man nicht. Definitiv weiß man aber dass der Plan die griechischen Banken nach dem Schuldenschnitt mit 37 Mrd € zu rekapitalisieren (größter Aktionär war dann mit dem Geld aus den Rettungspaketen der griechische Staat) und später teurer an der Börse zu verkaufen, in die Hose gegangen ist. Gerade mal 7 Mrd € hat man dabei eingenommen. https://www.dw.com/de/griechenland-bank ... a-18894140 Entsprechend die Auswirkungen auf die Staatsverschuldung Griechenlands.
Bleiben wir auf ihrem wissenschaftlichen Niveau, und überprüfen mal auch mit derselben Zeitung.....
https://www.welt.de/wirtschaft/article1 ... arden.html

Das war 2018 - inzwischen laufen die Kredite weiter und werden bedient - der Betrag dürfte inzwischen um einiges höher liegen.
Nun rechnen sie nochmals gegen.....fällt ihnen was auf?
Ja, mir fällt auf dass sie die Klappe ziemlich weit aufreißen, Zitat: "Ob eine solche positive Bilanz wirklich dem populistischen Kriterium genügt, dass da Geld aus dem Fenster geworfen wird....das ist starker Tobak, der keiner einzigen ernsthaften wissenschaftlichen Prüfung standhält", aber hinterher nichts liefern was ihre Behauptung bestätigt. Wo also ist die ernsthafte wissenschaftliche Prüfung dass Deutschland eine positive Bilanz aus den Rettungspaketen ziehen kann? Und wie ernsthaft kann eine wissenschaftliche Prüfung eigentlich sein wenn die Tilgung der Rettungspakete erst in diesem Jahr beginnt und aktuell bis 2060 läuft, wobei innerhalb der Eurogruppe bereits eine Verlängerung bis 2070 verhandelt wird?
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Atue001 »

Orbiter1 hat geschrieben:(04 Aug 2020, 11:21)

Die griechische Staatsschuldenkrise wurde nicht von den Banken sondern im wesentlichen von den griechischen Regierungen verursacht.
Von dieser Krise habe ich gar nicht gesprochen, sondern davon, dass die betroffenen Banken in hochverzinste griechische Staatsanleihen investiert haben, und nun durch den deutschen Steuerzahler gerettet werden mussten.
Wäre spannend geworden, diese Pleite gehen zu lassen.

Im Übrigen haben die Banken durchaus eine Mitschuld an der griechischen Staatsschuldenkrise, denn sie haben darauf gewettet, dass Griechenland nicht pleite geht. Einem privaten Schuldner hätten sie keinen Kredit mehr gegeben! Hätte man den Finanzhahn für Griechenland Seitens der Banken schon früher zugedreht, wäre der Reformbedarf in Griechenland schon Jahrzehnte früher so offensichtlich geworden, dass die Regierung hätte handeln müssen!
Eigentlich sind die Banken dazu verpflichtet - nur haben sie munter weiter gemacht in ihrem Spiel mit Geld, was nicht gedeckt ist. Und nachdem das Kartenhaus nahezu eingestürzt war, und nachdem dann auch die betroffenen Banken kaum mehr finanzierbar waren - da durfte der Steuerzahler einspringen.
Orbiter1 hat geschrieben:(04 Aug 2020, 11:21)
Das weiß man nicht. Definitiv weiß man aber dass der Plan die griechischen Banken nach dem Schuldenschnitt mit 37 Mrd € zu rekapitalisieren (größter Aktionär war dann mit dem Geld aus den Rettungspaketen der griechische Staat) und später teurer an der Börse zu verkaufen, in die Hose gegangen ist. Gerade mal 7 Mrd € hat man dabei eingenommen. https://www.dw.com/de/griechenland-bank ... a-18894140 Entsprechend die Auswirkungen auf die Staatsverschuldung Griechenlands.
Wissen tut man vieles nicht - vor allem nicht, was genau passiert wäre, wenn man anders vorgegangen wäre.....da ist vieles Spekulation.
Nur - auf solcherlei Spekulationen begründen sie ihre Argumentation!
Orbiter1 hat geschrieben:(04 Aug 2020, 11:21)
Ja, mir fällt auf dass sie die Klappe ziemlich weit aufreißen, Zitat: "Ob eine solche positive Bilanz wirklich dem populistischen Kriterium genügt, dass da Geld aus dem Fenster geworfen wird....das ist starker Tobak, der keiner einzigen ernsthaften wissenschaftlichen Prüfung standhält", aber hinterher nichts liefern was ihre Behauptung bestätigt. Wo also ist die ernsthafte wissenschaftliche Prüfung dass Deutschland eine positive Bilanz aus den Rettungspaketen ziehen kann? Und wie ernsthaft kann eine wissenschaftliche Prüfung eigentlich sein wenn die Tilgung der Rettungspakete erst in diesem Jahr beginnt und aktuell bis 2060 läuft, wobei innerhalb der Eurogruppe bereits eine Verlängerung bis 2070 verhandelt wird?
Auf der Basis völlig veralteter Zahlen haben sie eine Rechnung aufgestellt, wie teuer das alles für den Steuerzahler wird.......auf der Basis von aktuelleren Zahlen habe ich ihnen entgegengehalten, dass derzeit in der Bilanz ein saftiger Gewinn steht, und eben kein Verlust. Meine Zahlen sind neuer und damit näher dran an der Realität. Finden sie sich damit ab, oder spekulieren sie weiter auf eine potentielle Nicht-Rückzahlung von Krediten - deren Rückzahlungsdatum im Übrigen nahezu irrelevant ist! Denn Deutschland braucht dieses Geld nicht, und selbst NULL Zinsen von Griechenland sind derzeit schlechter als die Negativzinsen, die Deutschland für die Aufnahme von Geld am Kreditmarkt "zahlen" muss.

In Zeiten von Negativzinsen wäre es ein verdammt schlechtes Geschäft, unnötigerweise auf die fristgerechte Rückzahlung von Krediten aus Griechenland zu bestehen - die so fließenden Millionen können wir wesentlich günstiger mit Negativzins am Kreditmarkt platzieren! Auch nur Fakten......

Sollte sich das Gesamtszenario beispielsweise durch die Folgen der Coronakrise verändern, wird sich an der grundlegenden Relation dennoch kaum etwas bewegen. Griechenland wird dann höhere Konditionen zahlen müssen, also Zinsen zahlen - und Deutschland wird auch noch viele Jahrzehnte niedrigere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen, um sich rezufinanzieren. Das Zinsgap mehrt die Einnahmen der BRD - wir verdienen gut an der Griechenlandkrise! Und das noch nicht mal nur an den Krediten.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Ove Haithabu »

Man darf davon ausgehen dass die Stelle für den Kommissar für Handel in Kürze neu zu besetzen ist. Entweder tritt der selber zurück (hat er gestern noch abgelehnt) oder Frau von der Leyen schmeisst ihn raus.

Phil Hogan, der derzeitige Kommissar, hat zusammen mit 80 anderen Persönlichkeiten unseres Landes trotz Corona auf einem Golf-Event diniert. Kurz zuvor war er noch in County Kildare (das County in dem Irland derzeit Reiserestriktionen hat) der Gardaí aufgefallen weil er beim autofahren telefoniert hat.
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Cobra9
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Cobra9 »

Tja die Ach so tollen Beziehungen zwischen polen und Deutschland

https://m.tagesspiegel.de/politik/histo ... 34562.html
Andrij Melnyk nennt Rolf Mützenich den „widerlichsten deutschen Politiker“..wo Er Recht hat...

Genieße den Augenblick, denn der Augenblick ist dein Leben
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Orbiter1
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Evtl bleibt der EU ein weiterer Westbalkanstaat als Mitglied erspart. In Montenegro sieht es nach einer Abwahl der EU-freundlichen Regierung aus. Die russlandfreundliche bisherige Opposition feiert bereits ihren Wahlsieg. https://www.tagesschau.de/ausland/monte ... l-103.html Na hoffentlich nimmt die neue Regierung gleich zu Beginn den Antrag auf EU-Mitgliedschaft zurück und tritt aus der NATO aus.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

Von der Leyen will Europa noch grüner machen, die Ökoziele verschärfen

https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... 9a72f2bc66

Jetzt, wo Europa sich erstmal aus der Coronakrise aufrappeln möchte. Sie plant sehenden Auges in der Konsequenz nichts weiteres als die Beschleunigung der Deindustriaslisierung.

Man könnte fast sagen so eine Art Morgenthau-Plan für Europa.

Mal gespannt, ob man ihr folgt.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Europa2050 »

Senexx hat geschrieben:(16 Sep 2020, 14:49)

Von der Leyen will Europa noch grüner machen, die Ökoziele verschärfen

https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... 9a72f2bc66

Jetzt, wo Europa sich erstmal aus der Coronakrise aufrappeln möchte. Sie plant sehenden Auges in der Konsequenz nichts weiteres als die Beschleunigung der Deindustriaslisierung.

Man könnte fast sagen so eine Art Morgenthau-Plan für Europa.

Mal gespannt, ob man ihr folgt.
Unabhängig vom Klimathema halte ich die Energiewende angesichts der Tatsache, dass auf den meisten fossilen Brennstoffen Autokraten, Diktatoren und andere Irre sitzen in einem so energieabhängigen Bereich wie Europa für reinen Selbstschutz.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Atue001 »

Es ist schon mehr als nur Selbstschutz - Europa hätte theoretisch durchaus die Möglichkeit, sich energetisch deutlich stärker noch von heimisch verfügbarer (teurer) Kohle zu bedienen. Trotzdem setzt man auf die Energiewende und mehr. Da ist schon auch die Überzeugung mit im Spiel, dass in der Zukunft grüne Techniken entscheidend sein werden, wenn man eigene Arbeitsplätze erhalten will.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Adam Smith »

Atue001 hat geschrieben:(19 Sep 2020, 23:04)

Es ist schon mehr als nur Selbstschutz - Europa hätte theoretisch durchaus die Möglichkeit, sich energetisch deutlich stärker noch von heimisch verfügbarer (teurer) Kohle zu bedienen. Trotzdem setzt man auf die Energiewende und mehr. Da ist schon auch die Überzeugung mit im Spiel, dass in der Zukunft grüne Techniken entscheidend sein werden, wenn man eigene Arbeitsplätze erhalten will.
Frankreich setzt auf die Atomenergie und hofft darauf, dass Deutschland dafür den Krugman macht. Also Zuschüsse wie in Bezug auf Italien, die dann Deutschland die nächsten Jahrzehnte abstottern darf. Die einheimische Kohle ist auch sehr teuer. Deutschland macht in Prinzip alles richtig bis auf die 133 Milliarden Euro, die es jetzt als Reparationsleistungen an der Backe hat.
Das ist Kapitalismus:

Die ständige Wahl der Bürger bestimmt das Angebot.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Atue001 »

Das ist nicht richtig. Frankreich kommt nur nicht schnell genug weg vom Atomstrom, weil es versäumt hat, in der Vergangenheit die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen.
Reparationsleistungen hat Deutschland nicht an der Backe - und für die meisten Investitionen, die Deutschland in Richtung EU bezahlt, kommen im Gegenzug Aufträge aus der EU an die Wirtschaft Deutschlands zurück. Die sorgt heimisch für Arbeitsplätze und Zahlungen in die Sozialleistungen......bezahlt von Geldern aus der EU. Die Gesamtleistung dieser Zahlungen bringt unterm Strich für Deutschland dann doch eher einen Gewinn.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Euractiv 17. September 2020 Alexander Stubb: Die EU-Wirtschaftspolitik als Machtinstrument verstehen
https://www.euractiv.de/section/eu-auss ... verstehen/
"Die traditionellen EU-Instrumente, die als „Soft Power“ bezeichnet werden, könnten nun sehr wohl auch als „Hard Power“ eingesetzt werden. Ich denke: Was die EU tun muss, ist, über ihre außenpolitische Strategie auf eine neue Art und Weise nachzudenken. Und wahrscheinlich müsste diese Strategie etwas weiter gefasst sein, als sie es früher war...Ich plädiere hauptsächlich dafür, dass die Außen- und Sicherheitspolitik heute viel breiter angelegt wird als die traditionelle Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) oder die gemeinsame Verteidigung."
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Atue001 hat geschrieben:(19 Sep 2020, 23:37)

Das ist nicht richtig. Frankreich kommt nur nicht schnell genug weg vom Atomstrom, weil es versäumt hat, in der Vergangenheit die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen.
Frankreich wird sich nie gänzlich von der Atomtechnologie verabschieden. Frankreich ist Atommacht und braucht Brennstoff für seine Atomwaffen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

SWP 7. Februar 2020 Neue Initiativen für eine gelähmte Union
https://www.swp-berlin.org/publikation/ ... mte-union/
"Erstens ist die Strategie der neuen EU-Führung, die Aufmerksamkeit auf Zukunfts­themen wie Klimawandel und Digitalisie­rung zu lenken, ein kalkuliertes Wagnis...Die Aussichten auf wegweisende Beschlüsse sind also in diesen Bereichen besser als in den bekannten Krisenfeldern der Asyl- oder Wirtschaftspolitik...Zweitens bleiben erhebliche Zweifel, ob die EU und vor allem die Kommission ihrem »geopolitischen« Anspruch gerecht werden können...Drittens müssen in den übrigen Politikbereichen neue Ansätze zur Überwindung festgefahrener Widerstände gefunden wer­den. Ein Blick auf die Felder Justiz, Inneres und Migration sowie Wirtschafts- und Wäh­rungsunion lässt erkennen, dass die EU zwar jahrelang Interessengegensätze ver­walten kann, ohne auseinanderzubrechen. Sie bleibt aber offenkundig verwundbar gegenüber künftigen Krisen."
Die Binnenwanderung von Fachkräften wird die EU im langfristigen Prozess einer Generation am meisten verändern.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Zu glauben dass man die Auszahlung des 500 Mrd € großen Hilfspakets tatsächlich mit der Rechtsstaatlichkeit verknüpft war ja bei dem windelweichen Abschlusstext schon immer äußerst naiv, dass sich nun ausgerechnet die deutsche Ratspräsidentschaft bei diesem Thema zum Steigbügelhalter von Ungarn und Polen macht ist aber doch eine Überraschung.

"Im Streit um die geplante Bestrafung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU hat die deutsche Ratspräsidentschaft mit einem Kompromissvorschlag im Europaparlament für Empörung gesorgt. Abgeordnete bezeichneten den Vorschlag am Montag als Zeichen von „Feigheit und Prinzipienlosigkeit“ und als „Unverschämtheit“.

Die Bundesregierung gehe auf Kuschelkurs zu Ungarns Regierungschef Viktor Orban und zum Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, kritisierte etwa der Abgeordnete Moritz Körner (FDP). Aus Kreisen der deutschen Ratspräsidentschaft wurde dies zurückgewiesen. Man setze nur um, was die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel im Juli entschieden hätten." Quelle: https://amp.tagesspiegel.de/politik/fei ... 25956.html

Polen, Ungarn und voraussichtlich weitere Osteuropastaaten können ihre Länder weiter ungestört in Autokratien umbauen und dabei noch das Geld aus den EU-Töpfen einsacken, Deutschland sei Dank!
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

Da macht sich wohl so etwas wie ein neuer Realismus breit: Die EU ist nicht die Herrscherin über souveräne Staaten.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von naddy »

Orbiter1 hat geschrieben:(28 Sep 2020, 19:19)

Polen, Ungarn und voraussichtlich weitere Osteuropastaaten können ihre Länder weiter ungestört in Autokratien umbauen und dabei noch das Geld aus den EU-Töpfen einsacken, Deutschland sei Dank!
So lange "wir" Exportweltmeister sind, macht das ja Sinn. Da holt man sich das Geld halt auf anderem Weg wieder zurück. Dafür hat man sich schon mit ganz anderen Kalibern arrangiert und beispielsweise einen Friedensnobelpreisträger ausgeladen, um unsere chinesischen "Geschäftsfreunde" nicht zu brüskieren. Also bitte nicht so zimperlich wegen Orban und Co.
"Das gefährliche an der Dummheit ist, daß sie die dumm macht, die ihr begegnen." (Sokrates).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

naddy hat geschrieben:(28 Sep 2020, 20:27)

So lange "wir" Exportweltmeister sind, macht das ja Sinn. Da holt man sich das Geld halt auf anderem Weg wieder zurück. Dafür hat man sich schon mit ganz anderen Kalibern arrangiert und beispielsweise einen Friedensnobelpreisträger ausgeladen, um unsere chinesischen "Geschäftsfreunde" nicht zu brüskieren. Also bitte nicht so zimperlich wegen Orban und Co.
Kann man ja gerne machen aber bitte nur in einer reinen Binnenmarkt-EU ohne das ganze Werte-Gedöns mit Demokratie, Solidarität, Rechtsstaatlichkeit, usw. Die EU-Verträge sind entsprechend zu ändern. Und das nicht irgendwann sondern kurzfristig.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

Orbiter1 hat geschrieben:(28 Sep 2020, 20:44)

Kann man ja gerne machen aber bitte nur in einer reinen Binnenmarkt-EU ohne das ganze Werte-Gedöns mit Demokratie, Solidarität, Rechtsstaatlichkeit, usw. Die EU-Verträge sind entsprechend zu ändern. Und das nicht irgendwann sondern kurzfristig.
Braucht man da nicht Einstimmigkeit und Zustimmung der Parlamente?
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

Temeswar wählt Herrn Fritz aus dem Schwarzwald zum OB

https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... 1f25aa797d
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Senexx hat geschrieben:(03 Oct 2020, 14:53)

Temeswar wählt Herrn Fritz aus dem Schwarzwald zum OB

https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... 1f25aa797d
Glückwunsch an die Bürger der Stadt und dem neuen Bürgermeister eine glückliche Hand für eine glückliche Zukunft in Wohlstand.
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Es gibt eben auch politische Nachrichten, die uns Europäern Mut machen! Wir Europäer stehen uns näher als wir oft glauben.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Orbiter1 hat geschrieben:(28 Sep 2020, 19:19)

Zu glauben dass man die Auszahlung des 500 Mrd € großen Hilfspakets tatsächlich mit der Rechtsstaatlichkeit verknüpft war ja bei dem windelweichen Abschlusstext schon immer äußerst naiv, dass sich nun ausgerechnet die deutsche Ratspräsidentschaft bei diesem Thema zum Steigbügelhalter von Ungarn und Polen macht ist aber doch eine Überraschung.

"Im Streit um die geplante Bestrafung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU hat die deutsche Ratspräsidentschaft mit einem Kompromissvorschlag im Europaparlament für Empörung gesorgt. Abgeordnete bezeichneten den Vorschlag am Montag als Zeichen von „Feigheit und Prinzipienlosigkeit“ und als „Unverschämtheit“.

Die Bundesregierung gehe auf Kuschelkurs zu Ungarns Regierungschef Viktor Orban und zum Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, kritisierte etwa der Abgeordnete Moritz Körner (FDP). Aus Kreisen der deutschen Ratspräsidentschaft wurde dies zurückgewiesen. Man setze nur um, was die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel im Juli entschieden hätten." Quelle: https://amp.tagesspiegel.de/politik/fei ... 25956.html

Polen, Ungarn und voraussichtlich weitere Osteuropastaaten können ihre Länder weiter ungestört in Autokratien umbauen und dabei noch das Geld aus den EU-Töpfen einsacken, Deutschland sei Dank!
Die slowakische Präsidentin Caputova fordert ebenfalls das Thema Rechtsstaatlichkeit endlich ernst zu nehmen und die Budgetverhandlungen dafür zu nutzen einen harten Sanktionierungsmechanismus durchzusetzen.

"The EU risks falling “hostage” to authoritarian member states if it fails to agree a tough system to protect the rule of law within its own borders, Slovakia’s president has warned. Zuzana Caputova urged national governments to grab the “unique opportunity” offered by a much argued-over plan to suspend EU budget payments to countries that breach the bloc’s democratic standards and fundamental values. ...

Asked if leaders from the conservative European People’s Party grouping, including Angela Merkel, Germany’s Chancellor, should have taken a firmer political stand against Hungary’s ruling Fidesz party, which is still a member, Ms Caputova replied: “What I’m still surprised about quite often is relativism of values. So on the one hand you have values that are being declared, and on the other hand you have activities that do not reflect those values." Quelle: https://amp.ft.com/content/33fa04e6-e16 ... bd0ba32510

Die Mahnung und Forderung Caputovas sind der deutschen EU-Ratspräsidentschaft herzlich egal. Die Osteuropastaaten können sich gerne zu Autokratien entwickeln, Hauptsache die Wirtschaft floriert. Die EU sollte die Heuchelei mit der Werteunion endlich beenden und wieder zurück zu einer reinen Wirtschaftsunion bestehend aus Binnenmarkt und Zollunion, und sonst nichts. Dann werden auch das Europaparlament und eine Reihe anderer EU-Institutionen überflüssig und können aufgelöst werden.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Die EU sollte die Heuchelei mit der Werteunion endlich beenden und wieder zurück zu einer reinen Wirtschaftsunion bestehend aus Binnenmarkt und Zollunion, und sonst nichts. Dann werden auch das Europaparlament und eine Reihe anderer EU-Institutionen überflüssig und können aufgelöst werden.
Nach oben
Ich kann diesen gedanklichen Rückzug der EU aus der Werteunion überhaupt nicht unterstützen. Dann lieber doch den Eiertanz und Reibungsverluste durch Vertragsverletzungsverfahren gegen unbotmäßige Sünder, um am Ende dann doch das europäische Projekt ansteuern zu können.

Als Kompromiß könnte ich mir vorstellen, daß die EU sich neu gründet als Werteunion mit sehr kurzfristigen Zielvorgaben zu den Zielen, die die alte EU ja auch schon ansteuern wollte. An der Neugründung können dann nur Mitglieder teilnehmen, die diese kurzfristige Entwicklung gemäß Volksabstimmung wollen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

H2O hat geschrieben:(13 Oct 2020, 22:59)

Ich kann diesen gedanklichen Rückzug der EU aus der Werteunion überhaupt nicht unterstützen. Dann lieber doch den Eiertanz und Reibungsverluste durch Vertragsverletzungsverfahren gegen unbotmäßige Sünder, um am Ende dann doch das europäische Projekt ansteuern zu können.

Als Kompromiß könnte ich mir vorstellen, daß die EU sich neu gründet als Werteunion mit sehr kurzfristigen Zielvorgaben zu den Zielen, die die alte EU ja auch schon ansteuern wollte. An der Neugründung können dann nur Mitglieder teilnehmen, die diese kurzfristige Entwicklung gemäß Volksabstimmung wollen.
Das könnte nur funktionieren, wenn man die EU auflösen würde. Das wäre aber eine Katastrophe. Den einzig gangbaren Weg sehe ich darin, innerhalb der bestehenden Europäischen Union sowas wie einen "Europäischen Bund" zu gründen. Das Europa der zwei Geschwindigkeiten. In so einem "Europäischen Bund" könnten sich "willige" Staten zusammenschließen, eine gemeinsame Verfassung verabschieden, Grundzüge einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik festlegen, ein gemeinsames Parlament und eine gemeinsame Länderkammer aufbauen...

Wie schon immer, müssten Deutschland und Frankreich die Keimzelle so eines Bundes sein. Ich sehe da nur im Moment auf deutscher Seite keine Bereitschaft für solche Schritte. Möglicherweise ändert sich das mit der Wahl des nächsten CDU-Vorsitzenden. Wenn Merz das Rennen macht, ist meiner Einschätzung nach jeder Schritt in diese Richtung verbaut. Mit Laschet könnte es vielleicht gehen. Mit Rödgen wäre die Wahrscheinlichkeit größer. Aber der wird es wohl leider nicht werden.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

@ Kohlhaas:

Präsident Hollande wollte doch vor etwa 5 Jahren den Club der Willigen aus der Eurogruppe formen. Vielleicht ist da doch eine Möglichkeit, einige Schritte in Richtung Föderation Europa zu machen?
Senexx

Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

H2O hat geschrieben:(14 Oct 2020, 20:14)

@ Kohlhaas:

Präsident Hollande wollte doch vor etwa 5 Jahren den Club der Willigen aus der Eurogruppe formen.
Und? Ist etwas daraus geworden? Nein. Warum nicht? Spinnerte Idee.
Vielleicht ist da doch eine Möglichkeit, einige Schritte in Richtung Föderation Europa zu machen?
Nicht mehr in Ihrem Leben. Und vermutlich auch nicht in meinem.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Senexx hat geschrieben:(14 Oct 2020, 20:20)

Und? Ist etwas daraus geworden? Nein. Warum nicht? Spinnerte Idee.



Nicht mehr in Ihrem Leben. Und vermutlich auch nicht in meinem.
Mag ja sein; aber locker lassen ist in der Sache ein Fehler. Also werde ich weiter dafür werben.
Eulenwoelfchen

Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Eulenwoelfchen »

H2O hat geschrieben:(14 Oct 2020, 20:14)

... Vielleicht ist da doch eine Möglichkeit, einige Schritte in Richtung Föderation Europa zu machen?
Das passiert bereits, relativ unbemerkt wg. der Coronakrise:
Nämlich die gesmtschulnerische Haftung mit dem sog. Europäishen "Wiederaufbaufonds" zur Ankurbelund der coronageschädigten EU-Witrschaft. Es wird zwar betont, diese gesamtschulnerische Haftung sei eine Ausnahme. Angesichts der gigantischen Summen ist das aber eine Verharmlosung eines klammheimlichen Einstieg in eine fast nicht mehr umkehrbare gesamtschuldnerische Haftungsgemeinschaft, zu der es keine demokratische Legitimation innerhalb der gesamten EU-Länder gab, Ebenso fehlt dazu eine breite und offene Diskussion.

Dazu gibt es in faz-net einen sehr lesenswerten Artikel
https://www.faz.net/aktuell/politik/eur ... 38352.html

Aber gerade das, die Befragung der Bürger, scheut die EU wie der Teufel das Weihwasser. Siehe auch das Scheitern einer gemeinsamen
EU-Verfassung. Die im übrigen als übergeordnete politische Klammer zuerst nötig wäre, statt wie beim EURO auch, zuerst finanz- und wirtschaftspolitische Fakten zu schaffen und darauf zu hoffen, dass dies igendwann auch eingmeinsames europäisches "National"gefühl
erbringen werde.

Gerade das aber erwies sich als fataler Irrtum. Statt Gemeinsamkeit erleben wir Entfremdung und nationalistische Einigelung, deren einzige
Motivation darin besteht, sich aus dem Fleischtopf möglicht viele Brocken zu holen und ansonsten der Vision eines einigen Europa
den Stinkefinger zu zeigen. Mehr oder weniger unverblümt, je nach Gemütslage und Erfolg nationalistischer Populisten in den jeweiligen
Ländern.

Die EU weicht(e) schon immer der Kernfrage zu einer eigenen eeuropäischen Identität aus und verlegte sich lieber darauf, diese Lösung den freien Kräften des Marktes anzuvertrauen. Ein sehr unguter Weg, der in meinen Augen längerfristig scheitern wird und statt mehr
Gemeinsamkeit zu mehr Spaltung / Nichtakzeptanz führen wird. Ein Teppichhändlerverein, in dem jeder jeden möglichst elegant zum eigenen Vorteil auszubremsen versucht.

Es wäre längst überfällig, die Völker Europas zu befragen welches oder wieviel einiges Europa sie wollen. Nicht nur, ob man sich mit einer gesamtschuldnerisch haftenden Fiskalunion ggf. anfreunden könnte.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Es wäre längst überfällig, die Völker Europas zu befragen welches oder wieviel einiges Europa sie wollen. Nicht nur, ob man sich mit einer gesamtschuldnerisch haftenden Fiskalunion ggf. anfreunden könnte.
Diesen Gedanken hatte ich hinter Präsident Macrons "Dialog mit den europäischen Bürgern" erwartet... nicht nur einen netten Vortrag in der Sorbonnne. Und noch einmal keimte Hoffnung auf, als "Pulse of Europe" in Schwung kam. Aus, vorbei!

Natürlich ist dieser Dialog mehr als überfällig! Ich vermute auch, daß dann ein Teil der kleinlichen Krämereien wie von allein verschwände. Wo ich mich mit Ausländern über mehr als Wein und Käse austauschen konnte, in Italien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Polen... immer kam die Sehnsucht nach einem Europa Hand in Hand zur Sprache... und nur in England traf ich gelegentlich (selten, aber wiederholt) auch auf so etwas wie: "Britain has always been an island...", also die höfliche Art, "Nein" zu sagen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

H2O hat geschrieben:(15 Oct 2020, 08:45)

Diesen Gedanken hatte ich hinter Präsident Macrons "Dialog mit den europäischen Bürgern" erwartet... nicht nur einen netten Vortrag in der Sorbonnne. Und noch einmal keimte Hoffnung auf, als "Pulse of Europe" in Schwung kam. Aus, vorbei!

Natürlich ist dieser Dialog mehr als überfällig! Ich vermute auch, daß dann ein Teil der kleinlichen Krämereien wie von allein verschwände.
Da leiden sie offenbar unter vollkommenen Realitätsverlust. Die EU hat sich als unfähig erwiesen reformunwilligen Mitgliedern Reformen abzutrotzen und Mitgliedern die ihre Staaten in Autokratien umwandeln davon abzuhalten. Dafür werden die Beträge die umverteilt und von immer weniger Mitgliedstaaten erarbeitet werden sollen durch das Coronarettungspaket immer größer. Die EU hat total versagt und sollte sich vor einem Dialog mit seinen Bürgern fürchten, zumindest in den Nettozahlerstaaten. Fragen sie mal die Niederländer wie hoch ihre Bereitschaft ist für Reformverweigerer und De-facto-Autokratien zu zahlen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Orbiter1 hat geschrieben:(15 Oct 2020, 09:19)

Da leiden sie offenbar unter vollkommenen Realitätsverlust. Die EU hat sich als unfähig erwiesen reformunwilligen Mitgliedern Reformen abzutrotzen und Mitgliedern die ihre Staaten in Autokratien umwandeln davon abzuhalten. Dafür werden die Beträge die umverteilt und von immer weniger Mitgliedstaaten erarbeitet werden sollen durch das Coronarettungspaket immer größer. Die EU hat total versagt und sollte sich vor einem Dialog mit seinen Bürgern fürchten, zumindest in den Nettozahlerstaaten. Fragen sie mal die Niederländer wie hoch ihre Bereitschaft ist für Reformverweigerer und De-facto-Autokratien zu zahlen.
Gerade deshalb ist der Dialog mit den Bürgern doch so wichtig! Dann kommen ungefiltert die Wünsche und die Hoffnungen der Bürger zu Tage, die sie mit dem europäischen Projekt verbinden. Und vielleicht auch, daß einige Völker sich einen Nationalstaat wünschen, der in seinen Grenzen tun kann, was ihm beliebt. Danach könnte man sich nach Wahlen neu sortieren, wenn der Wunsch dazu besteht.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

Orbiter1 hat geschrieben:(15 Oct 2020, 09:19)

Da leiden sie offenbar unter vollkommenen Realitätsverlust. Die EU hat sich als unfähig erwiesen reformunwilligen Mitgliedern Reformen abzutrotzen und Mitgliedern die ihre Staaten in Autokratien umwandeln davon abzuhalten. Dafür werden die Beträge die umverteilt und von immer weniger Mitgliedstaaten erarbeitet werden sollen durch das Coronarettungspaket immer größer. Die EU hat total versagt und sollte sich vor einem Dialog mit seinen Bürgern fürchten, zumindest in den Nettozahlerstaaten. Fragen sie mal die Niederländer wie hoch ihre Bereitschaft ist für Reformverweigerer und De-facto-Autokratien zu zahlen.

Ja, die EU hat versagt. Da liegen Sie richtig.

Aber ihre Diagnose ist falsch. Und die "Medizin", die sie gerne verabreicht hätten, ist keine Medizin, sondern das Bazillus.

Glauben Sie im Ernst, die Osteuropäer hätten die sowjetische Herrschaft abgeschüttelt, um sich von Brüssel oder Berlin kujonieren zu lassen?

Die EU muss umdenken und wieder zu ihren Anfängen mit den Osteuropäern zurück.

Diese wurden einmal aufgenommen, um die entstehenden Demokratien zu stärken und ihnen eine Perspektive zu bieten.

Die EU und die Großen müssen einfach wieder lernen, was Respekt bedeutet, weg vom Oktroi.

Einer der größten Fehler der jüngsten Zeit war Merkels Grenzöffnung und der Versuch, den Osteuropäern Immigranten aufzuzwängen.

Und jetzt kommen Sie, und verlangen, dass man ihnen "Wohlverhalten" abpressen soll?
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

H2O hat geschrieben:(15 Oct 2020, 09:28)

Gerade deshalb ist der Dialog mit den Bürgern doch so wichtig! Dann kommen ungefiltert die Wünsche und die Hoffnungen der Bürger zu Tage, die sie mit dem europäischen Projekt verbinden. Und vielleicht auch, daß einige Völker sich einen Nationalstaat wünschen, der in seinen Grenzen tun kann, was ihm beliebt. Danach könnte man sich nach Wahlen neu sortieren, wenn der Wunsch dazu besteht.
Ich wüsste nicht was ein Dialog bringen sollte. Die Wünsche der Bürger sind den EU-Politikern doch längst bekannt. Manfred Weber habe ich (aber sicher auch viele andere) z. B. bereits mehrfach angeschrieben und vor 1 Jahr bei einer Veranstaltung in meiner Kommune persönlich angesprochen wann denn nun endlich die Fidesz aus der EVP-Fraktion (deren Vorsitzender Weber ist) ausgeschlossen wird. Da kommt nur dass man mit Hochdruck darauf hinarbeitet, passiert ist seit Jahren nichts. Das einzige was die EU-Mitgliedstaaten teilen ist das Interesse an einer prosperierenden Wirtschaft, alles was darüber hinausgeht sind Sonntagsreden. Das weiß auch der Rest der Welt und nimmt die EU deswegen auch bei den Themen Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch bei vielen anderen Themen, nicht ernst. Hoffentlich endet diese Heuchelei bald und wir bekommen wieder eine reine Wirtschaftsunion.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

H2O hat geschrieben:(14 Oct 2020, 20:14)

@ Kohlhaas:

Präsident Hollande wollte doch vor etwa 5 Jahren den Club der Willigen aus der Eurogruppe formen. Vielleicht ist da doch eine Möglichkeit, einige Schritte in Richtung Föderation Europa zu machen?
Insbesondere aus Frankreich sind immer wieder solche Signale gekommen. Nicht zuletzt vom amtierenden Präsidenten. Merkwürdigerweise hat Berlin dazu "lautstark geschwiegen". Es war schon mehr als auffällig, dass von der Bundesregierung überhaupt keine Reaktion auf Macrons Reformvorschläge für die EU kam. Ich sehe die "Bremser" derzeit in Deutschland. Warum das so ist, kann ich nur schwer nachvollziehen. Meiner Vermutung nach liegt es zum Teil an Angela Merkel. Sie ist in einem Land sozialisiert worden, in dem ein "geeintes Europa" keinerlei Bedeutung hatte. Vielleicht bessert sich die Lage, wenn Merkel abgetreten und ein neuer CDU-Vorsitzender gewählt worden ist. Laschet und Rödgen jedenfalls sind sehr viel "europäischer" eingestellt als Merkel. Der zweite "Hemmschuh" in der deutschen Politik ist die SPD. Nicht dass die SPD etwa antieuropäisch wäre. Sie stemmt sich aber permanent gegen Maßnahmen in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, die zwingend mit Fortschritten beim europäischen Einigungsprozess einher gehen müssen. Da wird sich wohl erst etwas ändern, wenn es diese unselige Groko nicht mehr gibt.

Die von anderen Foristen geäußerte Meinung, dass die EU "versagt" habe, ist völliger Blödsinn. Die EU hat erstens einen riesigen und florierenden Wirtschaftsraum geschaffen, und sie hat zweitens - was allentscheidend ist! - diesem Kontinent die längste Phase des Friedens gebracht, die es hier jemals gab.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Euractiv 15. Oktober 2020 Trilog zu Kohäsionspolitik
https://www.euractiv.de/section/europak ... nackpunkt/
"Ein neues EU-Budget bedeutet auch eine neue Regeln für die Kohäsionspolitik. Durch ein Gesetz wird geregelt, wie genau die Gelder der Strukturfonds an die Regionen verteilt werden. Diese „Common Provisions Regulation“ oder „CPR“ wird gerade im Trilog verhandelt. Am heutigen Donnerstag treffen EU-Parlament, Kommission und Rat wieder zusammen."
Auch in der EU muss das Alltagsgeschäft weitergehen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Es gibt sehr viel Unverständnis für die tatsächlichen Zusammenhänge und dafür umso mehr Theater mit symbolisch aufgeladenen Reizwörtern.

Nur ein Beispiel: Der Südosteuropa-Korrespondent des DLF, Clemens Verenkotte jüngst in einem Beitrag zu Sanktionen gegen Ungarn in der Reihe "Europa heute".
Der Forint, die Landeswährung sinkt runter. Man konnte für einen Euro Anfang Januar noch 330 Forint bekommen. Mittlerweile bekommt man für einen Euro nur noch 365 Forint.
Wörtlich. https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dra ... 37427c.mp3
Mensch, Clemens: Wenn der Forint gegenüber dem Euro abgewertet wird, dann bekommt man mittlerweile für einen Euro nicht nur noch sondern sogar 365 Forint. Erstens. Und Zweitens - bei gleichen äußeren Bedingungen jedenfalls, Infrastruktur, Ausbildungsstand etwa - ist damit der Betrieb von Produktionsstätten in Ungarn nicht etwa schlechter sondern attraktiver geworden. Die Leidtragenden sind die Menschen dort wegen steigender Preise. Gut. Wenn man Mittelaltergeschichte studiert hat, weiß man das vielleicht nicht.

Die Geschichten über Länder wie Ungarn sind von Entwicklungen wie Einrschränkung der Pressefreiheit, Aushebelung der Gewaltenteilung, Nationalismus geprägt. Und diese Entwicklungen sind ja auch tatsächlich dramatisch. Sie sind katastrophal. Aber man muss doch angesichts dessen verstehen wollen, warum eigentlich und wirklich jemand wie Viktor Orbán dieses typisch überheblich selbstzufriedene Grinsen nicht loswird. Warum der Laden läuft. Warum die Fidesz nicht aus der EVP geschmissen wird. Warum - anders als etwa in Südeuropa nach wie vor nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Wegen irgendwelcher EU-Gelder? Völliger Unsinn! Die EU-Mitgliedschaft ist die Eintrittskarte in einen gemeinsamen Markt. Ganz einfach. Bei diesen "EU-Geldern" muss man erstmal sagen, was man eigentlich meint. GAP oder Infrastruktur. Beides ist in jedem Fall kaum mehr als einmal ein Getränk umsonst bei dieser Veranstaltung "gemeinsamer Markt". Es würde mich nur wenig wundern, wenn Länder wie Ungarn einseitig und von ihrer Seite die Annahme dieser Gelder verweigern würden und strikt ihren politischen Kurs fortsetzen. Solange große Unternehmen wie Daimler, BMW, Bosch, Siemens, Audi usw. usf. dort Produktionsstandorte betreiben - und übrigens volles Rohr weiter ausbauen, während man in Deutschlanf Kapazitäten abbaut - dank Güterfreizügigkeit, guter Infrastruktur und kürzester Entfernungen in Mitteleuropa die Produkte vom Band in ein paar Stunden ausliefern kann, wird Herr Orbán sein überhebliches Grinsen auch nicht ablegen. Tatsächlich werden diesen Produktionsstandorten in Ländern wie Ungarn nicht selten auch noch alle möglichen Unterstützungen gewährt. Steuerbefreiungen zum Beispiel. Verkehrsinfrastruktur auf Kosten des Staates (und natürlich mit Hilfe ebendieser EU-Infrastrukturfonds).

Nur zum Vergleich: Im Zusammenhang mit Brexit und EU-Handelsvertrag kochen beim Thema "Fischereirechte" regelmäßig die Emotionen hoch. Man braucht sich - auch als VWL-Laie wie ich - nur ein klein wenig in das Thema vertiefen, um zu sehen, dass "Fischerei" sicherlich nicht keine, aber realwirtschaftlich sowohl in der EU wie in UK nur eine marginale Rolle spielt. Irgendwas im einstelligen Prozentbereich. Der Kampf um Fischereirechte ist reine Symbolpolitik, Theatervorstellung. Und ganz ähnlich verhält es sich mit diesen "EU-geldern" und den "Nehmerstaaten".
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Senexx hat geschrieben:(15 Oct 2020, 09:47)

Ja, die EU hat versagt. Da liegen Sie richtig.

Aber ihre Diagnose ist falsch. Und die "Medizin", die sie gerne verabreicht hätten, ist keine Medizin, sondern das Bazillus.

Glauben Sie im Ernst, die Osteuropäer hätten die sowjetische Herrschaft abgeschüttelt, um sich von Brüssel oder Berlin kujonieren zu lassen?

Die EU muss umdenken und wieder zu ihren Anfängen mit den Osteuropäern zurück.

Diese wurden einmal aufgenommen, um die entstehenden Demokratien zu stärken und ihnen eine Perspektive zu bieten.

Die EU und die Großen müssen einfach wieder lernen, was Respekt bedeutet, weg vom Oktroi.

Einer der größten Fehler der jüngsten Zeit war Merkels Grenzöffnung und der Versuch, den Osteuropäern Immigranten aufzuzwängen.

Und jetzt kommen Sie, und verlangen, dass man ihnen "Wohlverhalten" abpressen soll?
Zumindest einen Vorteil hätte die Nichtaufnahme der Osteuropäer für die Alt-EU gehabt: Ein Rechtsaußenhardliner wie Matteo Salvini hätte dann nicht in Viktor Orbán sein großes Vorbild gefunden.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Oct 2020, 09:08)

Zumindest einen Vorteil hätte die Nichtaufnahme der Osteuropäer für die Alt-EU gehabt: Ein Rechtsaußenhardliner wie Matteo Salvini hätte dann nicht in Viktor Orbán sein großes Vorbild gefunden.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Die Probleme Italiens sind hier OT.

Aber die Merkel"sche Flüchtlingspolitik war ein richtiger Katalysator.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Atue001 »

Als ob die Flüchtlingsthematik tatsächlich ein Problem Berlins gewesen wäre!

Die Realität war doch eine andere. Durch das Dublin-Abkommen war doch Deutschland bezüglich Flüchtlingen nahezu außen vor. Realistisch konnte Deutschland doch von Asylanträgen nur noch über den Flugweg erreicht werden - eine winzige Minderheit hat es noch über Schleuser irgendwie illegal bis nach Deutschland geschafft. Das wars.

Die wirklichen Dramen aber spielten sich vor allem am Mittelmeer ab. Dort war und ist die EU angreifbar, weil es dort eine extrem schwierig zu verteidigende Außengrenze gibt- Meer halt. Dazu erst der arabische Frühling, dann die Folgen mit Flüchtlingsbewegungen. Dazu der Syrienkrieg, der die EU vor allem in Griechenland traf. Die Südländer, mit den Flüchtlingen nahezu allein gelassen, haben mehrfach um Hilfe gebeten - und wurden mit ihren Gesuchen einfach ignoriert. Auch von Deutschland. Es war ja bequem, so wie es war.

Dann wollte man auch die Grenzsicherung im Mittelmeer nicht mehr - weil Frontex das Problem nicht gerade abgemildert hat, sondern tatsächlich eine ganze Reihe an Bootsflüchtlingen aufgegriffen hat, und dann an die EU-Häfen gebracht hat. Also - nicht die Nordhäfen in Bremen oder Rotterdam, sondern natürlich wieder die Seehäfen im Mittelmeer. Noch mehr Flüchtlinge.

Ohne Frontex wurde es auch nicht besser - da übernahmen dann zunehmend mehr private Hilfsorganisationen deren Job - und brachten die Flüchtlinge erneut nach Italien, Malta oder Spanien, selten auch mal Frankreich. Und nun?

Die Flüchtlinge aus Afrika wurden zunehmend mehr von Italien einfach durchgelassen - die wollten nicht in Italien bleiben, die wollten weiter in den reicheren Norden. Also hat man die Flüchtlinge einfach ignoriert, oder sie sogar per Bahn weiter gen Norden transportiert.

Hilfen der Nordländer oder der Ostländer?

Fehlanzeige!

Dann wurden neue Flüchtlingsrouten aktuell - weil Syrien Flüchtlinge generiert hat. Griechenland - Ex-Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und vor allem Ungarn wurden zu neuen Durchlauf- und Anlaufstellen. Und dann hat vor allem Ungarn die Grenzen dicht gemacht. Zig Tausende Flüchtlinge in Ungarn auf dem Bahnhof - und kaum auch nur Wasser für diese - von allem anderen, was Menschenwürde verheißt ganz zu schweigen.

Und dann will mir jemand erklären, dass Merkel das Problem war?

Merkel hat Druck gemacht, dass man eine Lösung findet - und sie hat dem Irrtum unterlegen, wenn Deutschland Vorreiter spielt, dann ziehen die anderen mit. Und darüber hat sie zeitweilig auch die Kontrolle verloren. Es kamen ganz sicher mehr Flüchtlinge nach Deutschland, als sie erwartet hatte, und die anderen Europäer haben Merkel schlicht und einfach machen lassen.

Nein - das Problem begann spätestens (!) mit dem Dublin-Abkommen. Das war viel zu kurz gegriffen. Damals hätte man begleitend schon eine europäische Asylpolitik, eine europäische Grenzpolitik und auch eine erweiterte abgestimmte europäische Außenpolitik vereinbaren müssen. Und bis heute fehlen wesentliche Teile davon.

In Ungarn hat man einen Zaun errichtet - das geht auch in Polen und anderen Nordstaaten halbwegs gut. Wie aber soll das in Italien oder Griechenland gehen? Und was passiert, wenn die noch immer relativ instabilen Staaten Ex-Jugsolawiens mit Flüchtlingswellen überrannt werden, die dort nicht versorgt werden können? Sollen und können das die EU-Staaten ignorieren? Oder überlässt man dann Hilfsaktionen den Russen oder den Chinesen?

Und wie soll Griechenland seine Inseln schützen?

Nein - nicht Merkel war und ist das Problem - das Problem ist, dass zu wenige Europäer vorausschauend und weitblickend denken und handeln! Würde man das tun, dann würde man mehr Integration anstreben, und in der Folge hätte man eine gemeinsame Asyl und Flüchtlingspolitik, genauso wie eine gemeinsame Grenzsicherung nach Außen und eine gemeinsame Außenpolitik.

Leider sind wir so weit noch nicht.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Das was mit dem etwas phrasenhaft klingenden Begriff "Gemeinsamer Markt" (sowohl was Produktion wie auch Absatz wie auch "Arbeitsmarkt" betrifft) beschrieben wird, bringt so dermaßen viele Vorteile und Gewinne ... dass sämtliche sonstigen Verzerrungen, Probleme, interne Differenzen davon immer noch dominiert werden. Einschließlich Migration, Fluchtbeewegungen, kulturelle Unterschiede, fehlende gemeinsame Außenpolitik, unterschiedliche Auffassungen von Demokratie usw. Deshalb braucht man sich auch nicht wundern, dass die nochmalige Erweiterung der EU - trotz großer Widerstände und Stockungen - in Richtung Westbalkan fortgeführt werden wird. Man muss das nur nüchtern und ohne kulturelle Vorbehalte sehen. Es gibt einfach aus Richtung Wirtschaft zu viele starke Interessen daran.

Gut: Der Brexit ist das Gegenexempel zu dieser Betrachtung. Man wird sehen, ob UK in 10 Jahren als nachahmenswertes oder als abschreckendes Beispiel dastehen wird.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

Wer über die Zukunft Europas nachdenkt, darf nicht die Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung außer acht lassen. Einer neuen Untersuchung zufolge

https://www.welt.de/wirtschaft/article2 ... uropa.html

liegt Europas Zukunft nicht im Süden, sondern weiter im Norden und im Osten.

Man könnte also - überspitzt formuliert - endlich daran denken, die Südländer loszuwerden. Frankreich ist dabei ein Grenzfall, aus politischen Gründen, wirtschaftlich eher immer weiter zurückfallend. Aus meiner Sicht liegt das unter anderem daran, dass man in Frankreich schon früh auf Deindustrialisierung und Tertiarisierung gesetzt hat. Fourastié winkt aus dem Grab.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von King Kong 2006 »

Der Trumpismus hat, denke ich noch einmal klar gemacht, daß Europa, die EU endlich eine Rolle für sich Global suchen muß. Genauer gesagt, eine Möglichkeit mehr Gewicht und Unabhängigkeit zu erlangen. Die USA als Leibwache ist in der Form, wie im Kalten Krieg nicht mehr buchbar. Die USA können es auch nicht mehr. Stattdessen eine vernünftige Partnerschaft auf Augenhöhe.

Die EU muß natürlich wissen, was sie will. Gut, mag man sagen, steht ja irgendwo auch. Genauerr gesagt, müssen Wege gefunden werden, politisch handlungsfähiger zu werden. Man sah zuletzt an Weissrussland und Zypern in dieser Frage, wie schwer das ist. Wenn jeder sein Privatsüppchen kocht. Aber das wird sich wohl nicht ändern. Deshalb bin immer noch der Meinung: weniger ist mehr. Die EU hat zu viele Mitglieder. Deshalb zu viele Bedürfnisse und Interessen. Besser wäre ein Kerneuropa und ein Ring von Staaten herum mit guten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen.
Wenn man zuviel weiß, wird es immer schwieriger, einfache Entscheidungen zu treffen.
Wissen stellt eine Barriere dar, die einen daran hindert, etwas in Erfahrung zu bringen.
- Frank Herbert, Die Kinder des Wüstenplaneten
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

Orban droht mit Veto gegen EU-Haushalt wegen des gegen seinen Willen beschlossenen "Rechtsstastsnechanismus".

Wir wünschen ihm viel Erfolg gegen diese Brüsseler Anmaßung und Missachtung der Souveränität.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Senexx hat geschrieben:(09 Nov 2020, 02:24)

Orban droht mit Veto gegen EU-Haushalt wegen des gegen seinen Willen beschlossenen "Rechtsstastsnechanismus".

Wir wünschen ihm viel Erfolg gegen diese Brüsseler Anmaßung und Missachtung der Souveränität.
Dann gibt es halt keinen EU-Haushalt für die nächsten 7 Jahre, kein billionenschweres Rettungspaket und damit keine Nettozahlungen von Deutschland. Passt! Ungarn wäre ja bezogen auf das BIP der größte Profiteur des EU-Haushalts gewesen. Wenn die lieber auf das Geld verzichten anstatt die EU-Verträge einzuhalten ist das in Ordnung.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Haegar »

Senexx hat geschrieben:(09 Nov 2020, 02:24)

Orban droht mit Veto gegen EU-Haushalt wegen des gegen seinen Willen beschlossenen "Rechtsstastsnechanismus".

Wir wünschen ihm viel Erfolg gegen diese Brüsseler Anmaßung und Missachtung der Souveränität.
Wir ?
Du und wer noch ?

Spass beiseite.
Ja da bin ich neugierig, wie sich die anderen, vor allem die Nettozahler, von einem Nettoempfänger erpressen lassen.
Senexx

Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Senexx »

Haegar hat geschrieben:(09 Nov 2020, 11:18)

Wir ?
Du und wer noch ?

Spass beiseite.
Ja da bin ich neugierig, wie sich die anderen, vor allem die Nettozahler, von einem Nettoempfänger erpressen lassen.
Ohne Haushalt bekommt die EU Probleme. Und einen, dem man die Gelder wegnehmen will, damit zu schockieren, dass es keinen Haushalt gibt, aus dem er nix bekommen soll, dürfte sehr schwierig sein. Er hat doch nix mehr zu verlieren. Orban sitzt am längeren Hebel.
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