Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Moderator: Moderatoren Forum 3

Benutzeravatar
Cat with a whip
Beiträge: 13369
Registriert: Fr 4. Jul 2008, 21:49

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Cat with a whip »

Fazer hat geschrieben:(09 Mar 2016, 18:27)
Ich denke, die EU Kommission wird den Polen klar machen, dass sie das Urteil anerkennen müssen. Ansonsten wäre der Entmachtung der Verfassungsgerichte in der EU Tür und Tor geöffnet.
Es sind ja nicht "die" Polen, sondern nur die mit knapper Mehrheit regierende PiS, die zudem gleich nach den Wahlen massiv in den Umfragen eingebrochen ist. Und dass die PiS mit dem Anschlag auf den Staat und Pressefreiheit nicht im Sinne der Mehrheit der Bürger handelt wurde auch klar. Die polnische Opposition lehnt die Reform der PiS kompromisslos ab.

Die Venedig-Kommssion wird am Freitag die Reform auch zerreisen. Auch ihr Gutachten wird die Regierung ingorieren.
Die Staatsskrise ist sehr schwer, wenn die Regierung das Verfassungsgericht ignoriert. Dass Polen in der EU gehalten wird steht ausser Frage, evtl. werden nun doch Sanktionen folgen.
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
Benutzeravatar
Nomen Nescio
Beiträge: 13100
Registriert: So 1. Feb 2015, 19:29

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Nomen Nescio »

Cat with a whip hat geschrieben:(09 Mar 2016, 18:05)

Polens Verfassungsgericht wehrt sich im Machtkampf mit der Rechtskonservativen PiS. Es erklärt die Reform für verfassungswidrig.

http://www.sueddeutsche.de/politik/-pol ... -1.2899572
ich meine mich zu erinnern, daß ein teil der probleme möglich ist, weil polen kein verfassungsgericht hat. das höchste gericht hat geurteilt, aber das hat m.w. keine befugnis bezüglich der verfassung.
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Nomen Nescio hat geschrieben:(09 Mar 2016, 21:07)

ich meine mich zu erinnern, daß ein teil der probleme möglich ist, weil polen kein verfassungsgericht hat. das höchste gericht hat geurteilt, aber das hat m.w. keine befugnis bezüglich der verfassung.
Nein, in Rzeczpospolita wird immer wieder
"Trybunał Konstytucyjny" geschrieben, was
ich als "Verfassungsgericht" übersetze.

Für den weiteren Fortgang wird wohl die
Bewertung der "Venedig-Kommission" aus-
schlaggebend sein. Darauf wird sich die
EU-Kommission berufen und der Ministerrat
wohl auch, wenn es mehr als mahnende
Worte an die polnische Regierung geben
sollte.
Benutzeravatar
Alexyessin
Ehrenpräsident
Beiträge: 91425
Registriert: Do 17. Nov 2011, 22:16
user title: Phönix
Wohnort: wo´s Herzal is

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Alexyessin »

Jetzt hat doch glatt der Polnische Außenminister den Bericht der Venedig Konferenz zurückgewiesen. Alles politisch ideologisiert. Welch Wunder. Vielleicht haben große Teile der PiS mal einen Grundkurs in Demokratie nötig.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin kein Nazi, aber...
Baier is ma ned so - Baier sei is a Lebenseinstellung
Mia glangt das i woas das i kennt wenn i woin dadat
Benutzeravatar
Nomen Nescio
Beiträge: 13100
Registriert: So 1. Feb 2015, 19:29

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Nomen Nescio »

was wird passieren nach den nächsten wählen? rache? anklägen? politiker sind manchmal sehr kurzsichtig. es sei, sie zersetzen auch die wahlmöglichkeiten.
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Alexyessin hat geschrieben:(11 Mar 2016, 20:07)

Jetzt hat doch glatt der Polnische Außenminister den Bericht der Venedig Konferenz zurückgewiesen. Alles politisch ideologisiert. Welch Wunder. Vielleicht haben große Teile der PiS mal einen Grundkurs in Demokratie nötig.
Kommt darauf an, wie verärgert die EU-Kommission
jetzt ist; ob sie also die Polen gewähren lässt und auf
deren Selbstheilungskräfte baut, oder ob es doch ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen geben wird.

Oder man lässt die Kiste sausen und wartet auf die
nächste Klippe mit der Flüchtlingskrise, an der sich
weiterer Streit entzünden dürfte... bis hin zum lauten
Türenknallen.

Das alles ist sehr schade, aber nicht mehr beherrschbar,
es sei denn, die Regierung Szydlo/Duda lenkt doch noch
ein, gegen den Willen des PIS-Parteiführers Kaczynski.
Benutzeravatar
frems
Beiträge: 47101
Registriert: Sa 4. Apr 2009, 14:43
user title: Hochenergetisch
Wohnort: Hamburg, Europa

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von frems »

Polen kommt nicht zur Ruhe:
Es sollte der größte Massenprotest in Polen seit 1989 werden, und es sieht so aus, als sei das der polnischen Opposition gelungen: 240.000 Menschen kamen nach Angaben der Stadt Warschau unter dem Motto "Wir sind und bleiben in Europa" am Samstag zusammen. Sie stellten sich lautstark gegen die europaskeptische Politik der nationalkonservativen Regierung. [...]

Die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sorgte in den vergangenen Monaten mit umstrittenen Gesetzesreformen für Kontroversen zwischen Warschau und Brüssel. Die PiS-Merheit im Sejm hatte im vergangenen Dezember im Eilverfahren und gegen die Stimmen der Opposition mehrere umstrittene Maßnahmen verabschiedet.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/p ... 91246.html
Labskaus!

Ob Mailand oder Madrid -- Hauptsache Europa.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

frems hat geschrieben:(07 May 2016, 19:49)

Polen kommt nicht zur Ruhe:


http://www.spiegel.de/politik/ausland/p ... 91246.html
Ich meine, daß wir alle in Wort und Tat zeigen sollten, daß uns diese Rückfälle der europaskeptischen PiS-Regierung in Gepflogenheiten des beginnenden 20. Jahrhunderts sehr verstören und wir Europäer nicht bereit sind, daran in irgend einer Weise mit zu wirken. Dabei muß zu erkennen sein, daß uns polnische Europäer ebenso am Herzen liegen wie unsere westlichen Nachbarn von europäischer Gesinnung. Polen konnten in den vergangenen Jahren als Wanderarbeiter und auch als "Auswanderer" unsere Völker aus der Nahansicht erleben und in unseren europäischen Gesellschaften Fuß fassen. Diese Mitbürger und Europäer müssen wir dafür gewinnen, ihren rückwärtsgewandten nationalen Eigenbrötlern tüchtig den Kopf zu waschen.

Vor allem muß so etwas wie ein systematischer Jugendaustausch organisiert werden. Man darf nicht verdrängen, daß viele junge Polen Deutsch lernen, um auch wirtschaftlich eines Tages zu einer besseren Zusammenarbeit in der Lage zu sein. Das sollte man durch großzügige Austauschprogramme nach Kräften fördern. Einfacher ist der Weg in die Herzen der Nachbarn nicht zu finden!

Auch kann nicht schaden, wenn unsere jungen Leute Polnisch als Fremdsprache erlernen. Auch das ließe sich durch einen Jugendaustausch fördern! Wie sonst soll Europa auf der Grundlage der Gleichwertigkeit und Augenhöhe eines Tages gelingen?
Benutzeravatar
frems
Beiträge: 47101
Registriert: Sa 4. Apr 2009, 14:43
user title: Hochenergetisch
Wohnort: Hamburg, Europa

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von frems »

H2O hat geschrieben:(08 May 2016, 07:55)

Ich meine, daß wir alle in Wort und Tat zeigen sollten, daß uns diese Rückfälle der europaskeptischen PiS-Regierung in Gepflogenheiten des beginnenden 20. Jahrhunderts sehr verstören und wir Europäer nicht bereit sind, daran in irgend einer Weise mit zu wirken. Dabei muß zu erkennen sein, daß uns polnische Europäer ebenso am Herzen liegen wie unsere westlichen Nachbarn von europäischer Gesinnung. Polen konnten in den vergangenen Jahren als Wanderarbeiter und auch als "Auswanderer" unsere Völker aus der Nahansicht erleben und in unseren europäischen Gesellschaften Fuß fassen. Diese Mitbürger und Europäer müssen wir dafür gewinnen, ihren rückwärtsgewandten nationalen Eigenbrötlern tüchtig den Kopf zu waschen.

Vor allem muß so etwas wie ein systematischer Jugendaustausch organisiert werden. Man darf nicht verdrängen, daß viele junge Polen Deutsch lernen, um auch wirtschaftlich eines Tages zu einer besseren Zusammenarbeit in der Lage zu sein. Das sollte man durch großzügige Austauschprogramme nach Kräften fördern. Einfacher ist der Weg in die Herzen der Nachbarn nicht zu finden!

Auch kann nicht schaden, wenn unsere jungen Leute Polnisch als Fremdsprache erlernen. Auch das ließe sich durch einen Jugendaustausch fördern! Wie sonst soll Europa auf der Grundlage der Gleichwertigkeit und Augenhöhe eines Tages gelingen?
Die letzten Ereignisse, u.a. die Wahlen, stimmen ja wieder optimistisch. Dein erster Absatz klingt ganz wie
Europa muss Polens Kämpfer für Europa stützen

Das Polen der Kaczynski-Partei PiS will die Vorteile der EU, missachtet aber ihre Regeln. Europa darf bis zur nächsten Wahl in Polen aber nicht nur den moralischen Zeigefinger heben. Ein Kommentar.
http://www.tagesspiegel.de/politik/prot ... 71634.html
Labskaus!

Ob Mailand oder Madrid -- Hauptsache Europa.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

frems hat geschrieben:(10 May 2016, 00:05)

Die letzten Ereignisse, u.a. die Wahlen, stimmen ja wieder optimistisch. Dein erster Absatz klingt ganz wie


http://www.tagesspiegel.de/politik/prot ... 71634.html
Nein, diese Drohgebärdensprache halte ich für voreilig. Mein Vorschlag geht windelweich zur Sache; Jugendaustausch fördern, zur Not auch einseitig. Junge Polen sollen sich längere Zeit in der EU umsehen und erkennen, welchen Unfug der Herr Kaczyński und seine PiS ihnen da zu Hause auftischen. Und natürlich viel über die europafreundlichen Kräfte in Polen und anderswo berichten, damit diese Leute sich durch ihre Partner wertgeschätzt sehen.

Richtiger fände ich Bemühungen, das Kerneuropa unter Gleichgesinnten an zu steuern, in dem die stetig sich vertiefende Zusammenarbeit und die gemeinsame Währung zum Nahziel erklärt werden, falls notwendig auch mit Ausgleichsleistungen für Partner, die das wirklich brauchen. Diese Bemühungen stehen nicht im Widerspruch zum Austauschprogramm für junge Leute, aus meiner Sicht auch russischen Jugendlichen. Auch die sollten erfahren, daß ihnen aus dem Projekt Europa nur Vorteile erwachsen werden.
Fazer
Beiträge: 3993
Registriert: Mi 21. Okt 2015, 10:40

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Fazer »

H2O hat geschrieben:(10 May 2016, 08:29)

Nein, diese Drohgebärdensprache halte ich für voreilig. Mein Vorschlag geht windelweich zur Sache; Jugendaustausch fördern, zur Not auch einseitig. Junge Polen sollen sich längere Zeit in der EU umsehen und erkennen, welchen Unfug der Herr Kaczyński und seine PiS ihnen da zu Hause auftischen. Und natürlich viel über die europafreundlichen Kräfte in Polen und anderswo berichten, damit diese Leute sich durch ihre Partner wertgeschätzt sehen.

Richtiger fände ich Bemühungen, das Kerneuropa unter Gleichgesinnten an zu steuern, in dem die stetig sich vertiefende Zusammenarbeit und die gemeinsame Währung zum Nahziel erklärt werden, falls notwendig auch mit Ausgleichsleistungen für Partner, die das wirklich brauchen. Diese Bemühungen stehen nicht im Widerspruch zum Austauschprogramm für junge Leute, aus meiner Sicht auch russischen Jugendlichen. Auch die sollten erfahren, daß ihnen aus dem Projekt Europa nur Vorteile erwachsen werden.
Das klingt ja schön. Nur kann man einen Jugendaustausch eben nicht einseitig durchführen, da muss die Polnische Regierung schon mitmachen. Der Euro als Ziel wird gerade von PiS und Co. abgelehnt, obwohl dieses Ziel schon in den europäischen Verträgen enthalten ist. Und gerade Polen hat in den letzten Jahren wirtschaftlich massiv von der EU profitiert.

Siehe hier: "Polens fette Jahre"
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014 ... ettansicht

Und laut dieser Übersicht:
http://europa.eu/about-eu/countries/mem ... dex_de.htm
hat Polen z.B. in 2014 ca. 18 Mrd. Euro an Zuschüssen von der EU erhalten!!

Es ist insoweit geradezu erschreckend, dass die PiS dennoch an die Macht gekommen ist und einen Anti-EU Kurs vertritt.
Freiheit bedeutet Verantwortung; das ist der Grund, weshalb sich die meisten vor ihr fürchten. (George Bernard Shaw)
Benutzeravatar
frems
Beiträge: 47101
Registriert: Sa 4. Apr 2009, 14:43
user title: Hochenergetisch
Wohnort: Hamburg, Europa

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von frems »

Das ist in der Tat verwunderlich. Ähnlich sieht es in Ungarn aus. Irland und Spanien sind hingegen die genauen Gegenteil: profitieren wenig bzw. haben diverse Nachteile, aber sind weiterhin proeuropäische gesinnt: http://www.politico.eu/article/hungary- ... roskeptic/
Labskaus!

Ob Mailand oder Madrid -- Hauptsache Europa.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Fazer hat geschrieben:(10 May 2016, 10:48)

Das klingt ja schön. Nur kann man einen Jugendaustausch eben nicht einseitig durchführen, da muss die Polnische Regierung schon mitmachen. Der Euro als Ziel wird gerade von PiS und Co. abgelehnt, obwohl dieses Ziel schon in den europäischen Verträgen enthalten ist. Und gerade Polen hat in den letzten Jahren wirtschaftlich massiv von der EU profitiert.

Siehe hier: "Polens fette Jahre"
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014 ... ettansicht

Und laut dieser Übersicht:
http://europa.eu/about-eu/countries/mem ... dex_de.htm
hat Polen z.B. in 2014 ca. 18 Mrd. Euro an Zuschüssen von der EU erhalten!!

Es ist insoweit geradezu erschreckend, dass die PiS dennoch an die Macht gekommen ist und einen Anti-EU Kurs vertritt.
Ja, aber gerade auch laut der zitierten Übersicht sind diese 18Mrd Euro erstens nur der Einnahmeteil ohne Verrechnung der polnischen Einzahlungen und zweitens machen sowohl die Brutto- als auch die Nettoeinnahmen Polens aus der EU weniger als 5 Prozent seines eigenen BIP aus. 18 Milliarden sind gewiss keine Kleinigkeit, aber "massiv profitieren" suggeriert, dass der überwiegende Teil, dass mindestens zwei Drittel, wenn nicht noch mehr, der Staatseinnahmen aus dem EU-Haushalt stammt. Noch kleiner ist der Anteil der Zahlungen der Nettoeinzahler (Niederlande, Deutschland etc. ) am jeweils eigenen BIP. Das Geschwätz von den "Profiteuren" einerseits und den "Zahlmeistern" andererseits zielt zu 95 Prozent auf politische Suggestion und nicht auf rationale Analyse ab.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Darüber hinaus ist zu beachten, dass EU-Subventionen nach Polen durchaus nicht nur den Polen selbst zugute kommen (können). Bestes Beispiel dafür wäre das in Kürze in Betrieb gehende und durch EU-Mittel geförderte LNG-Flüssiggasterminal in Swinemünde, unmittelbar an der deutschen Grenze. Flüssiggas-Importe sind bzw. wären ein wirksames Mittel, um sich aus einseitiger Erdgasabhängigkeit per Pipeline zu lösen. Statt aber eine Mitnutzung dieses LNG-Terminals durch Deutschland anzustreben, wird von entsprechenden Lobbyisten ein kompletter Neubau in Wilhelmshaven favorisiert. Gesamt-EU-wirtschaftlich gesehen ist das kompletter Unsinn. und in Wilhelmshaven gibts inzwsichen schon genug Fehlinvestitionen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Und mal ehrlich: Dieses gigantische Meer von EU-Fahnen bei den jüngsten Protesten in Warschau: Wann habe ich solche Bilder das letzemal gesehen? Ich kann mich absolut nicht erinnern ...
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Nomen Nescio
Beiträge: 13100
Registriert: So 1. Feb 2015, 19:29

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Nomen Nescio »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 May 2016, 11:38)

Und mal ehrlich: Dieses gigantische Meer von EU-Fahnen bei den jüngsten Protesten in Warschau: Wann habe ich solche Bilder das letzemal gesehen? Ich kann mich absolut nicht erinnern ...
als das geschah, waren wir vermutlich noch nicht geboren.
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Fazer hat geschrieben:(10 May 2016, 10:48)

Das klingt ja schön. Nur kann man einen Jugendaustausch eben nicht einseitig durchführen, da muss die Polnische Regierung schon mitmachen. Der Euro als Ziel wird gerade von PiS und Co. abgelehnt, obwohl dieses Ziel schon in den europäischen Verträgen enthalten ist. Und gerade Polen hat in den letzten Jahren wirtschaftlich massiv von der EU profitiert.

Siehe hier: "Polens fette Jahre"
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014 ... ettansicht

Und laut dieser Übersicht:
http://europa.eu/about-eu/countries/mem ... dex_de.htm
hat Polen z.B. in 2014 ca. 18 Mrd. Euro an Zuschüssen von der EU erhalten!!

Es ist insoweit geradezu erschreckend, dass die PiS dennoch an die Macht gekommen ist und einen Anti-EU Kurs vertritt.
Alles, was Sie hier sagen, stimmt so, selbstverständlich. Aber wir müssen an der polnischen und anderen (russischen!) Regierungen vorbei denken... und nicht nur dort. Warum nicht in Italien, Finnland, Frankreich, BENELUX oder Schweden?

Wie wäre es denn, wenn Deutschlands Unternehmen in diesen Ländern Anzeigen schalteten, die jungen Leuten mit halbwegs verwertbaren deutschen Sprachkenntnissen unbesetzte Lehrstellen anbieten, und die Bundesregierung/die Bundesländer entsprechende Unterkünfte vorhielten? Bei jungen Leuten muß das ja nicht unbedingt eine zentralbeheizte Dreizimmerwohnung mit Kachelbad sein... Für eine vorübergehende Zeit der Ausbildung tun es auch einfachere Behausungen... mit diesen Einschränkungen kann man doch schon in den Anzeigen offen und ehrlich umgehen!

Ja, und wenn am Ende der Ausbildung ein Fachmann hier bleiben möchte... dann herzlich willkommen! Oder man bietet diesen gut ausgebildeten jungen Leuten an, in deutschen Beteiligungen in ihren Heimatländern eine Tätigkeit auf zu nehmen. Das muß man natürlich mit Verstand zusammenführen. Mehr europäische Verbundenheit und deutsche Aufbauhilfe in Europa geht doch fast schon nicht mehr!

Ähnliche Strategien stelle ich mir auch bei unseren Universitäten und Hochschulen vor. Auch die könnten werben und fördern, wenn ausreichende deutsche Sprachkenntnisse schon vorhanden sind; etwa Sprachniveau B2... kann sich in deutscher Sprache frei austauschen. Durch die Sprachkenntnisse hat ein Bewerber doch schon einmal einen eigenen erfolgreichen Beitrag zur Zusammenarbeit in Europa erbracht!

Ohne schöpferische Angehensweise ist Europa Apparatschiks und nationalem Stumpfsinn ausgeliefert!
Zuletzt geändert von H2O am Di 10. Mai 2016, 11:49, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Nomen Nescio
Beiträge: 13100
Registriert: So 1. Feb 2015, 19:29

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Nomen Nescio »

in polen wird jetzt heftig gestritten über die genaue zahl der demonstranten.
The polarized nation can’t agree on how many people took to the streets. It’s either 240,000. Or 45,000.
...
“The fight over the number of participants in Saturday’s KOD demonstration is essentially a fight over the legitimacy of the ruling PiS as well as the opposition forces”
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Nomen Nescio hat geschrieben:(10 May 2016, 11:49)

in polen wird jetzt heftig gestritten über die genaue zahl der demonstranten.
Der Streit ist doch müßig! Wichtiger scheint mir zu sein, daß in der öffentlichen Diskussion Polens der europäische Gedanke lebendig bleibt und sich an der betont rückwärtsgewandten Regierungspolitik reibt. Die Ohrfeigen werden kommen, wenn die neue Regierung es schafft, ausländische Beteiligungen außer Landes zu ekeln und Investitionen ausbleiben.

Oder wenn tatsächlich der Gedanke an ein Kerneuropa um sich greift, und Polen sich an den Rand geschoben sieht. Das muß noch nicht einmal mit harten Maßnahmen verbunden sein; allein das Gefühl: "Die planen jetzt ohne uns!" dürfte schon ernüchternd wirken.
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 May 2016, 11:22)

Ja, aber gerade auch laut der zitierten Übersicht sind diese 18Mrd Euro erstens nur der Einnahmeteil ohne Verrechnung der polnischen Einzahlungen und zweitens machen sowohl die Brutto- als auch die Nettoeinnahmen Polens aus der EU weniger als 5 Prozent seines eigenen BIP aus. 18 Milliarden sind gewiss keine Kleinigkeit, aber "massiv profitieren" suggeriert, dass der überwiegende Teil, dass mindestens zwei Drittel, wenn nicht noch mehr, der Staatseinnahmen aus dem EU-Haushalt stammt. Noch kleiner ist der Anteil der Zahlungen der Nettoeinzahler (Niederlande, Deutschland etc. ) am jeweils eigenen BIP. Das Geschwätz von den "Profiteuren" einerseits und den "Zahlmeistern" andererseits zielt zu 95 Prozent auf politische Suggestion und nicht auf rationale Analyse ab.
Dieses Thema hatten wir aber schon einmal. Ein BIP beschreibt sämtliche Leistungen eines Gemeinwesens. In Polen sind 5% Zuwachs des BIP eine Zahl, die jeder Wirtschaftsminister mit Fanfarenklängen bekannt gäbe. Die 15 Mrd sind bares Geld, nicht irgendwelche Dienste der Verwaltung oder anderer staatlicher Einrichtungen.

Aber mir geht es nicht darum, hier Stimmungen zu fördern, wohl aber die Einsicht, daß Polen und viele seiner Bürger gern die Vorteile der EU genießen, der PiS-Staat aber im Gegenzug viel Ärger macht.

Wenn diese Vorteile so gering wären, wie Sie das hier vermitteln möchten, dann könnte Polen doch seinen eigenen Weg gehen, so wie inzwischen oft genug schrill angekündigt. Die verlegen sich aber ausschließlich auf das Stänkern.

Unsere europäische Strategie müssen wir daran anpassen: Die Europa und Deutschland freundlich gesonnenen jungen Leute in der EU und Russland ansprechen, sie zu Ausbildung und Studium nach Deutschland einladen, wenn sie über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Und den Gedanken an ein Kerneuropa mit dem Ziel einer europäischen Föderation voran zu treiben, zu dem alle dazu gewillten Regierungen eingeladen sind, diesen Gedanken mit zu gestalten. Das wird mühsam, aber vielleicht rettet dieser Ansatz die EU.
Fazer
Beiträge: 3993
Registriert: Mi 21. Okt 2015, 10:40

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Fazer »

H2O hat geschrieben:(10 May 2016, 11:56)

Der Streit ist doch müßig! Wichtiger scheint mir zu sein, daß in der öffentlichen Diskussion Polens der europäische Gedanke lebendig bleibt und sich an der betont rückwärtsgewandten Regierungspolitik reibt. Die Ohrfeigen werden kommen, wenn die neue Regierung es schafft, ausländische Beteiligungen außer Landes zu ekeln und Investitionen ausbleiben.

Oder wenn tatsächlich der Gedanke an ein Kerneuropa um sich greift, und Polen sich an den Rand geschoben sieht. Das muß noch nicht einmal mit harten Maßnahmen verbunden sein; allein das Gefühl: "Die planen jetzt ohne uns!" dürfte schon ernüchternd wirken.
In keiner Weise ist der Streit müssig. Die PiS regiert mit absoluter Mehrheit und erhebt insoweit den Anspruch "für das Volk" zu sprechen wenn sie einen Anti EU Kurs fährt. Wenn aber in einem Land wie Polen 240.000 Leute auf die Strasse gehen, dann zeigt dass, dass es erheblichen Widerstand gibt, den auch die Regierung berücksichtigen muss:
If the participants in the anti-government march are at the higher end, it show the opposition, led by the nonpartisan Committee for the Defense of Democracy, is able to galvanize enormous crowds against the PiS party government and the country’s deepening constitutional crisis.

...

The inability to agree on how many people walked through the capital of the EU’s sixth-largest country is a sign of the deep conflict in Poland, wrote Michał Szułdrzyński, deputy editor of the Rzeczpospolita newspaper.

“The fight over the number of participants in Saturday’s KOD demonstration is essentially a fight over the legitimacy of the ruling PiS as well as the opposition forces,” he wrote.

http://www.politico.eu/article/counting ... d-justice/
Im übrigen ist die Regierung schon dabei, Investoren zu verprellen. Für die Banken soll es eine Sondersteuer geben, die de facto fast den ganzen Gewinn aufzehrt. Für Einzelhändler soll es eine Sondersteuer geben, die so gestaffelt ist, dass fast nur die grossen internationalen Händler betroffen sind. Orban hat in Ungarn in den letzten Jahren das gleiche versucht und gemacht.
Freiheit bedeutet Verantwortung; das ist der Grund, weshalb sich die meisten vor ihr fürchten. (George Bernard Shaw)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Fazer hat geschrieben:(10 May 2016, 12:48)

In keiner Weise ist der Streit müssig. Die PiS regiert mit absoluter Mehrheit und erhebt insoweit den Anspruch "für das Volk" zu sprechen wenn sie einen Anti EU Kurs fährt. Wenn aber in einem Land wie Polen 240.000 Leute auf die Strasse gehen, dann zeigt dass, dass es erheblichen Widerstand gibt, den auch die Regierung berücksichtigen muss:



Im übrigen ist die Regierung schon dabei, Investoren zu verprellen. Für die Banken soll es eine Sondersteuer geben, die de facto fast den ganzen Gewinn aufzehrt. Für Einzelhändler soll es eine Sondersteuer geben, die so gestaffelt ist, dass fast nur die grossen internationalen Händler betroffen sind. Orban hat in Ungarn in den letzten Jahren das gleiche versucht und gemacht.
Alles bekannt und klar! Nur würde ich eben nicht mehr zu große Worte darum machen, sondern eine Strategie für Europa an der polnischen und anderen Regierungen vorbei in Gang setzen. Einerseits freundliche Kommentare zu polnischen Anhängern der europäischen Einigung, und andererseits Jugendarbeit durch Anwerben von jungen Leuten zu Ausbildung und Studium.

Und nicht zuletzt auch mehr öffentlichen Anschub für das Kerneuropa der Willigen, das auf eine europäische Föderation hinaus läuft; wenn man so will: auf eine riesengroße Schweiz. Mal sehen, wann die Widerborste einknicken! :cool:
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(10 May 2016, 12:14)

Dieses Thema hatten wir aber schon einmal. Ein BIP beschreibt sämtliche Leistungen eines Gemeinwesens. In Polen sind 5% Zuwachs des BIP eine Zahl, die jeder Wirtschaftsminister mit Fanfarenklängen bekannt gäbe. Die 15 Mrd sind bares Geld, nicht irgendwelche Dienste der Verwaltung oder anderer staatlicher Einrichtungen.

Aber mir geht es nicht darum, hier Stimmungen zu fördern, wohl aber die Einsicht, daß Polen und viele seiner Bürger gern die Vorteile der EU genießen, der PiS-Staat aber im Gegenzug viel Ärger macht.

Wenn diese Vorteile so gering wären, wie Sie das hier vermitteln möchten, dann könnte Polen doch seinen eigenen Weg gehen, so wie inzwischen oft genug schrill angekündigt. Die verlegen sich aber ausschließlich auf das Stänkern.

Unsere europäische Strategie müssen wir daran anpassen: Die Europa und Deutschland freundlich gesonnenen jungen Leute in der EU und Russland ansprechen, sie zu Ausbildung und Studium nach Deutschland einladen, wenn sie über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Und den Gedanken an ein Kerneuropa mit dem Ziel einer europäischen Föderation voran zu treiben, zu dem alle dazu gewillten Regierungen eingeladen sind, diesen Gedanken mit zu gestalten. Das wird mühsam, aber vielleicht rettet dieser Ansatz die EU.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die wirksamen Vorteile der EU-Mitgliedschaft Polens bei weitem eher darin liegen, viel einfacher und kostengünstiger ihre Produkte exportieren zu können, als von den EU-Zahlungen zu profitieren. Tagtäglich fahren hier in Berlin ausschließlich Nahverkehrs-Busse an mir vorbei, die in Poznan produziert werden. Und sicher ist das, was die PiS-Leute öffentlich erzählen, vor allem reine Propaganda. Noch ein Grund mehr, sich an rationale Argumente zu halten. Das Weltbild nicht weniger Bundesdeutscher, nach denen die Polen es sich mit "unseren" Zahlungen bequem machen und dann auch noch auf Europa schimpfen, ist und bleibt nicht nur einfach verzerrt sondern ist ganz grundsätzlich falsch.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 May 2016, 13:23)

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die wirksamen Vorteile der EU-Mitgliedschaft Polens bei weitem eher darin liegen, viel einfacher und kostengünstiger ihre Produkte exportieren zu können, als von den EU-Zahlungen zu profitieren. Tagtäglich fahren hier in Berlin ausschließlich Nahverkehrs-Busse an mir vorbei, die in Poznan produziert werden. Und sicher ist das, was die PiS-Leute öffentlich erzählen, vor allem reine Propaganda. Noch ein Grund mehr, sich an rationale Argumente zu halten. Das Weltbild nicht weniger Bundesdeutscher, nach denen die Polen es sich mit "unseren" Zahlungen bequem machen und dann auch noch auf Europa schimpfen, ist und bleibt nicht nur einfach verzerrt sondern ist ganz grundsätzlich falsch.
Wie schon einmal gesagt: Wenn die polnische Regierung beleidigt sein sollte, daß sie 5% ihres BIP aus der EU leistungslos erhält, dann könnte sie diese Mittel doch aus ihrer eigenen Schatulle entnehmen. Wieviel % trägt der polnische Export zum polnischen BIP bei? Welchen Anteil hat daran der Export von EU-Zweigbetrieben und EU-Unternehmensbeteiligungen? Wie viele Millionen Polen verdienen ihr Brot in anderen EU-Ländern? Das wäre eine nüchterne und ernüchternde Betrachtung. Damit sollte niemand ohne Not herum spielen!

Solcher Unsinn wie "die machen es sich auf unsere Kosten bequem" oder die inzwischen gewohnten Stänkereien polnischer Regierungsmitglieder gegen Deutschland allgemein gehören in den Bereich unfreundlicher bis bösartiger Beschimpfungen, für die mir jedes Verständnis abgeht!
Ein Liebeswerben um enge Zusammenarbeit stelle ich mir anders vor ;)

Ich meine, daß wir Europäer uns mit dieser polnischen Regierung einfach nicht mehr befassen sollten. Allenfalls vor dem EuGH Klage erheben, wenn sie versucht, die Interessen deutscher oder anderer EU-Unternehmen durch diskriminierende Gesetze zu beeinträchtigen.

Ansonsten Ermutigung der polnischen Europäer durch freundlichen Zuspruch und Förderung des Jugendaustauschs mit Polen, notfalls einseitige Einladungen, sich in Deutschland einer Ausbildung oder einem Studium zu widmen. Irgendwie muß es sich für junge Polen doch lohnen, Deutsch als Fremdsprache erlernt zu haben! Kerneuropa ins Gespräch bringen... auch das könnte Wirkung zeigen.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben: Wie schon einmal gesagt: Wenn die polnische Regierung beleidigt sein sollte, daß sie 5% ihres BIP aus der EU leistungslos erhält, dann könnte sie diese Mittel doch aus ihrer eigenen Schatulle entnehmen. Wieviel % trägt der polnische Export zum polnischen BIP bei? Welchen Anteil hat daran der Export von EU-Zweigbetrieben und EU-Unternehmensbeteiligungen? Wie viele Millionen Polen verdienen ihr Brot in anderen EU-Ländern? Das wäre eine nüchterne und ernüchternde Betrachtung. Damit sollte niemand ohne Not herum spielen!
Wenn wir diese Rechnung weiterschreiben, könnten wir uns auch fragen, wie hoch der Aktienanteil Saudi Arabiens oder der Emirate an den internationalen Firmen ist, die Zweigstellen in Polen betreiben und von dort exportieren ...
Von 1994 bis 1998 hatte, also noch vor EU-Beitritt hatte Polen übrigens ein jährliches BIP-Wachstum von mehr als 5 Prozent (1997: 7.1). Sowohl der spätere EU-Beitritt als auch die wirtschaftlich eher positive Entwicklung der letzten Jahre verdanken sich ganz sicher eher diesem wirtschaftlichen Initial-Schub als den regulären EU-Beiträgen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 May 2016, 14:53)

Wenn wir diese Rechnung weiterschreiben, könnten wir uns auch fragen, wie hoch der Aktienanteil Saudi Arabiens oder der Emirate an den internationalen Firmen ist, die Zweigstellen in Polen betreiben und von dort exportieren ...
Von 1994 bis 1998 hatte, also noch vor EU-Beitritt hatte Polen übrigens ein jährliches BIP-Wachstum von mehr als 5 Prozent (1997: 7.1). Sowohl der spätere EU-Beitritt als auch die wirtschaftlich eher positive Entwicklung der letzten Jahre verdanken sich ganz sicher eher diesem wirtschaftlichen Initial-Schub als den regulären EU-Beiträgen.
Solche Wachstumsbetrachtungen sind aber leicht daneben. Die alte Bundesrepublik Deutschland hatte ein Wahnsinnswachstum. Leider müssen wir nun mit 1,5 oder 2% zufrieden sein. Diese Schwäche hat ihre Ursache wohl in einem sehr hohen Ausgangswert der Wirtschaft. Mehr als "Exportweltmeister" geht leider nicht!
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(10 May 2016, 14:37)
Wie schon einmal gesagt: Wenn die polnische Regierung beleidigt sein sollte, daß sie 5% ihres BIP aus der EU leistungslos erhält, dann könnte sie diese Mittel doch aus ihrer eigenen Schatulle entnehmen. Wieviel % trägt der polnische Export zum polnischen BIP bei? Welchen Anteil hat daran der Export von EU-Zweigbetrieben und EU-Unternehmensbeteiligungen? Wie viele Millionen Polen verdienen ihr Brot in anderen EU-Ländern? Das wäre eine nüchterne und ernüchternde Betrachtung. Damit sollte niemand ohne Not herum spielen!
Noch einmal dazu: Gerade in Länder wie Polen oder Ungarn wird ein beträchtlicher Teil der EU-Gelder für Infrastruktur verwendet. Verkehrsausbau insbesondere. Und davon profitieren nicht zuletzt die Niederlassungen großer Firmen aus den EU-Nettoeinzahlerländern. Ich bin der letzte, der einem Viktor Orbán etwas Positives abgewinnen könnte, aber mit
Viktor Orbán hat geschrieben: So viel Geld, wie die Europäische Union hierher gesandt hat, haben die westlichen Firmen auch wieder von hier mitgenommen. Wir sind quitt. Es gibt nichts, was wir einander vorwerfen könnten.
hat er vollkommen recht. (Aus einer wie meist ziemlich präzisen Analyse in der Reihe "hintergrund" des Deutschlandfunks, http://www.deutschlandfunk.de/orbans-un ... _id=352929)
Was soll ein Ingenieur bei Audi Motors im ungarischen Györ oder bei Ford oder Fiat im polnischen Tychy denken, wenn seine Entwicklungen weltweit nicht nur nicht als in seiner Heimat erfolgt sondern seine Landsleute auch noch als Schmarotzer angesehen werden? Richtig: Er wird eine rechtsnationalkonservativen Partei wählen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 May 2016, 09:53)

Noch einmal dazu: Gerade in Länder wie Polen oder Ungarn wird ein beträchtlicher Teil der EU-Gelder für Infrastruktur verwendet. Verkehrsausbau insbesondere. Und davon profitieren nicht zuletzt die Niederlassungen großer Firmen aus den EU-Nettoeinzahlerländern. Ich bin der letzte, der einem Viktor Orbán etwas Positives abgewinnen könnte, aber mit

hat er vollkommen recht. (Aus einer wie meist ziemlich präzisen Analyse in der Reihe "hintergrund" des Deutschlandfunks, http://www.deutschlandfunk.de/orbans-un ... _id=352929)
Was soll ein Ingenieur bei Audi Motors im ungarischen Györ oder bei Ford oder Fiat im polnischen Tychy denken, wenn seine Entwicklungen weltweit nicht nur nicht als in seiner Heimat erfolgt sondern seine Landsleute auch noch als Schmarotzer angesehen werden? Richtig: Er wird eine rechtsnationalkonservativen Partei wählen.
Nein, so geht Wirtschaft wohl doch nicht; kein Wirtschaftsbetrieb wird eine ferne Niederlassung gründen, wenn er dabei keine Geschäftsgewinne machen kann. Wohltätigkeit liegt dem nie zu Grunde, jedenfalls nicht bei eigenverantwortlichen Unternehmungen. Wenn dann ein Mensch mit verdrehtem Hirn meint, daß er "quit" sei, dann tickt der nicht so richtig. Seine Mitbürger haben nämlich auch am Ort ihr Brot und vielleicht auch den Brotaufstrich dazu verdient... mit ihrer Arbeit, haben Steuern bezahlt und unter anderen auch Herrn Orban ausgehalten. Und das wird so lange geschehen, wie sich die Sache für das Unternehmen auszahlt, und endet, wenn die Geschäfte schlecht laufen oder der Anspruch der Menschen vor Ort nicht ihrer Produktivität entspricht... gilt auch hier zu Lande. Gnadenerweise sind das nie; Standorte müssen schon Vorteile bieten... da reißen sich für gewöhnlich die Lokalpolitiker alle Beine aus, und die Arme auch noch, damit nur ja Arbeit und Brot für fleißige Menschen vor Ort zu verdienen ist und Steuergelder in die Kassen fließen, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche geschaffen oder erhalten werden können.

Ohne den Aufbau der Infrastruktur durch Fördergelder der EU-Partner (Energie, Straßen, Schienen, Flugplätze) hätte ein Unternehmen dort niemals mit Gewinn wirtschaften können, wäre erst gar nicht auf den verwegenen Einfall gekommen, sich irgendwo in der fernen Puszta nieder zu lassen. Gut funktionierende Betriebe mit wettbewerbsfähigen Produkten haben Herr Orban & Co sicher nicht aus eigener Kraft aufbauen können. Dann würde ihr Laden seit 1990 brummen!

Nur ausgemachte Esel können mit solchen dummen Reden "wir sind quit" ihre Wirtschaftspartner verprellen. Dann wird eben ihr Wirtschaftsstandort weniger anziehend; vielleicht will dann gar kein Manager aus einer Zentrale in Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Deutschland mitsamt seiner Familie vor Ort die Interessen seines Unternehmens vertreten, und Fachkräfte werden dann eben nicht von dort in die Muttergesellschaft eingeladen und fortgebildet, neue Produkte nicht mehr dorthin vergeben. Mir fallen auf einen Schlag gleich mehrere Standorte ein, wo die Zusammenarbeit wenigstens von freundlichen Reden begleitet sein würde. Schlimm genug, daß man als Europäer solche Gedanken wälzen muß!

Wir wollen unseren Kontinent doch aufbauen und insgesamt zu einem guten Ort entwickeln. Leute vom Schlage Orbans/Kaczyńskis wollen das nur unter nationalem Vorzeichen und gegen ihre Nachbarn und gegen die Gemeinschaft. Das nervt!
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(12 May 2016, 10:34)

Nein, so geht Wirtschaft wohl doch nicht; kein Wirtschaftsbetrieb wird eine ferne Niederlassung gründen, wenn er dabei keine Geschäftsgewinne machen kann. Wohltätigkeit liegt dem nie zu Grunde, jedenfalls nicht bei eigenverantwortlichen Unternehmungen. Wenn dann ein Mensch mit verdrehtem Hirn meint, daß er "quit" sei, dann tickt der nicht so richtig. Seine Mitbürger haben nämlich auch am Ort ihr Brot und vielleicht auch den Brotaufstrich dazu verdient... mit ihrer Arbeit, haben Steuern bezahlt und unter anderen auch Herrn Orban ausgehalten. Und das wird so lange geschehen, wie sich die Sache für das Unternehmen auszahlt, und endet, wenn die Geschäfte schlecht laufen oder der Anspruch der Menschen vor Ort nicht ihrer Produktivität entspricht... gilt auch hier zu Lande. Gnadenerweise sind das nie; Standorte müssen schon Vorteile bieten... da reißen sich für gewöhnlich die Lokalpolitiker alle Beine aus, und die Arme auch noch, damit nur ja Arbeit und Brot für fleißige Menschen vor Ort zu verdienen ist und Steuergelder in die Kassen fließen, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche geschaffen oder erhalten werden können.

Ohne den Aufbau der Infrastruktur durch Fördergelder der EU-Partner (Energie, Straßen, Schienen, Flugplätze) hätte ein Unternehmen dort niemals mit Gewinn wirtschaften können, wäre erst gar nicht auf den verwegenen Einfall gekommen, sich irgendwo in der fernen Puszta nieder zu lassen. Gut funktionierende Betriebe mit wettbewerbsfähigen Produkten haben Herr Orban & Co sicher nicht aus eigener Kraft aufbauen können. Dann würde ihr Laden seit 1990 brummen!

Nur ausgemachte Esel können mit solchen dummen Reden "wir sind quit" ihre Wirtschaftspartner verprellen. Dann wird eben ihr Wirtschaftsstandort weniger anziehend; vielleicht will dann gar kein Manager aus einer Zentrale in Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Deutschland mitsamt seiner Familie vor Ort die Interessen seines Unternehmens vertreten, und Fachkräfte werden dann eben nicht von dort in die Muttergesellschaft eingeladen und fortgebildet, neue Produkte nicht mehr dorthin vergeben. Mir fallen auf einen Schlag gleich mehrere Standorte ein, wo die Zusammenarbeit wenigstens von freundlichen Reden begleitet sein würde. Schlimm genug, daß man als Europäer solche Gedanken wälzen muß!

Wir wollen unseren Kontinent doch aufbauen und insgesamt zu einem guten Ort entwickeln. Leute vom Schlage Orbans/Kaczyńskis wollen das nur unter nationalem Vorzeichen und gegen ihre Nachbarn und gegen die Gemeinschaft. Das nervt!
Die großen Konzerne, die Zweigstellen in Ungarn oder Polen betreiben, denken nicht im Traum daran, diese Länder zu verlassen. Und das, obwohl Orbán sie nicht nur verbal sondern mit Zusatzsteuern, Zwangsenteignungen (bei Energieunternehmen), rückwirkenden Steuereinnahmen, Zwangsumtauschkursen usw. usf. traktiert. Der Grund ist natürlich ganz einfach und eigentlich jedem bekannt: erheblich niedrigere Löhne bei gleicher Fachqualifikation. Ungarn hat gerade eben die letzte Rate eines Milliardenkredits zurückgezahlt, das es 2008 zur Rettung vor einer Staatspleite in Anspruchh nahm. Diese Kombination aus nationaler Symbolpolitik und wirtschaftlichen Erfolgen zahlt sich für Orbán aus: Nach einer gewissen Schwäche bei den letzten Wahlen steht er bei der Bevölkerung so gut da wie schon lange nicht mehr und kann vor Kraft kaum laufen. Das lässt diese sogar auch die niedrigen Einkommen vergessen. Ich sage das keineswegs, weil ich ein Befürworter der Orbán-Politik bin, im Gegenteil. Ich warne nur davor, den Mann zu unterschätzen. Eher wird es eine Konvegenz des osteuropäischen Nationalkonservatismus mit dem westeuropäischen geben.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 May 2016, 10:53)

Die großen Konzerne, die Zweigstellen in Ungarn oder Polen betreiben, denken nicht im Traum daran, diese Länder zu verlassen. Und das, obwohl Orbán sie nicht nur verbal sondern mit Zusatzsteuern, Zwangsenteignungen (bei Energieunternehmen), rückwirkenden Steuereinnahmen, Zwangsumtauschkursen usw. usf. traktiert. Der Grund ist natürlich ganz einfach und eigentlich jedem bekannt: erheblich niedrigere Löhne bei gleicher Fachqualifikation. Ungarn hat gerade eben die letzte Rate eines Milliardenkredits zurückgezahlt, das es 2008 zur Rettung vor einer Staatspleite in Anspruchh nahm. Diese Kombination aus nationaler Symbolpolitik und wirtschaftlichen Erfolgen zahlt sich für Orbán aus: Nach einer gewissen Schwäche bei den letzten Wahlen steht er bei der Bevölkerung so gut da wie schon lange nicht mehr und kann vor Kraft kaum laufen. Das lässt diese sogar auch die niedrigen Einkommen vergessen. Ich sage das keineswegs, weil ich ein Befürworter der Orbán-Politik bin, im Gegenteil. Ich warne nur davor, den Mann zu unterschätzen. Eher wird es eine Konvegenz des osteuropäischen Nationalkonservatismus mit dem westeuropäischen geben.
Darin sehe ich gar keinen Widerspruch zu meinen Ausführungen; so lange sich das Geschäft lohnt, wird es fortgesetzt: So funktioniert Wirtschaft. Erst wenn die Politik sich "gestaltend" einmischt, die Sache sich auch auf mittlere Sicht nicht mehr einfangen läßt, beginnt der Rückzug.

Was würde denn die "Konvergenz" mit westlichen Nationalisten bedeuten? Jeder politische Verführer würde doch Vorteile für seine "Kundschaft" durchaus zu Lasten anderer Wettbewerber heraus schinden wollen: Möglichst alles hierher. Mit Wirtschaften hat das wenig zu tun, wohl aber mit "Nationalsozialismus". Was daraus folgt, kann ich mir ganz gut ausmalen. La France et les Francais d'abord! Bestimmt erfinden unsere Nationalisten ähnliche Sprüche :eek: Und weil dann jeder für sich Recht hat, kommt es alsbald auch wieder zur Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(12 May 2016, 11:18)

Darin sehe ich gar keinen Widerspruch zu meinen Ausführungen; so lange sich das Geschäft lohnt, wird es fortgesetzt: So funktioniert Wirtschaft. Erst wenn die Politik sich "gestaltend" einmischt, die Sache sich auch auf mittlere Sicht nicht mehr einfangen läßt, beginnt der Rückzug.

Was würde denn die "Konvergenz" mit westlichen Nationalisten bedeuten? Jeder politische Verführer würde doch Vorteile für seine "Kundschaft" durchaus zu Lasten anderer Wettbewerber heraus schinden wollen: Möglichst alles hierher. Mit Wirtschaften hat das wenig zu tun, wohl aber mit "Nationalsozialismus". Was daraus folgt, kann ich mir ganz gut ausmalen. La France et les Francais d'abord! Bestimmt erfinden unsere Nationalisten ähnliche Sprüche :eek: Und weil dann jeder für sich Recht hat, kommt es alsbald auch wieder zur Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.
Was das in Hinsicht auf die Flüchtlingsproblematik bedeutet, konnte man in jüngster Zeit vor allem anhand von Österreichs politiischem Schwenk und der Bundespräsidentenwahl dort sehen.
Auch der Besuch Orbáns beim CSU-Parteitag und beim Altkanzler gehören in dieses Fach.

Auch wenn es hier eigentlich um Polen geht: Die jüngeren Pressekommentare zur Entwicklung in Ungarn lauten ziemlich einhellig auf ein "Der Ruf der Regierung ist schlecht, der Wirtschaft aber geht es recht gut." hinaus. Und ich denke, so schnell wie anfangs erwartet, wird auch die PiS-Regierung die polnische Wirtschaft nicht ruinieren. Spitzenreiter im Fach "ruinieren" dürften ohnehin europaweit die Orbán-Vorgängerrergierungen von MSzP und SzDSz sein.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 May 2016, 13:18)

Was das in Hinsicht auf die Flüchtlingsproblematik bedeutet, konnte man in jüngster Zeit vor allem anhand von Österreichs politiischem Schwenk und der Bundespräsidentenwahl dort sehen.
Auch der Besuch Orbáns beim CSU-Parteitag und beim Altkanzler gehören in dieses Fach.

Auch wenn es hier eigentlich um Polen geht: Die jüngeren Pressekommentare zur Entwicklung in Ungarn lauten ziemlich einhellig auf ein "Der Ruf der Regierung ist schlecht, der Wirtschaft aber geht es recht gut." hinaus. Und ich denke, so schnell wie anfangs erwartet, wird auch die PiS-Regierung die polnische Wirtschaft nicht ruinieren. Spitzenreiter im Fach "ruinieren" dürften ohnehin europaweit die Orbán-Vorgängerrergierungen von MSzP und SzDSz sein.
Schon richtig; erst einmal wurde etwas aufgebaut mit fremdem Geld und fremder Hilfe. Das mit einem Schlage zu zerstören wäre auch ein politisches Meisterstück. Das sind eher schleichende Vorgänge, die mit dem Herausekeln von Investoren beginnen und danach in einen Stillstand mit dem Verzicht auf neue Produkte zum allmählichen Rückzug über gehen (Substanzverbrauch).

Verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen, das wird ein mühseliges Geschäft werden, wenn der Wettbewerb um Investoren diesen Leuten die Wahl läßt, wo sie ihr Glück suchen können.
Benutzeravatar
Nomen Nescio
Beiträge: 13100
Registriert: So 1. Feb 2015, 19:29

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Nomen Nescio »

H2O hat geschrieben:(12 May 2016, 15:14)

Schon richtig; erst einmal wurde etwas aufgebaut mit fremdem Geld und fremder Hilfe. Das mit einem Schlage zu zerstören wäre auch ein politisches Meisterstück. Das sind eher schleichende Vorgänge, die mit dem Herausekeln von Investoren beginnen und danach in einen Stillstand mit dem Verzicht auf neue Produkte zum allmählichen Rückzug über gehen (Substanzverbrauch).

Verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen, das wird ein mühseliges Geschäft werden, wenn der Wettbewerb um Investoren diesen Leuten die Wahl läßt, wo sie ihr Glück suchen können.
es gibt doch einen spruch über vertrauen und ein pferd ??
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Nomen Nescio hat geschrieben:(13 May 2016, 21:38)

es gibt doch einen spruch über vertrauen und ein pferd ??
Dieser Spruch muß eine niederländische Abwandlung eines Spruchs über Vertrauen sein. In Norddeutschland ist er nicht verbreitet. Bitte lassen Sie uns teilhaben an dieser Volksweisheit!
Benutzeravatar
Nomen Nescio
Beiträge: 13100
Registriert: So 1. Feb 2015, 19:29

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Nomen Nescio »

vertrauen kommt zu fuß und geht zu pferd.
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Nomen Nescio hat geschrieben:(14 May 2016, 13:28)

vertrauen kommt zu fuß und geht zu pferd.
Ja, da habe ich gesucht, aber nichts dergleichen gefunden in deutschen Sprüchen. Müssen wir also aus den Niederlanden importieren. :)
Benutzeravatar
Alexyessin
Ehrenpräsident
Beiträge: 91425
Registriert: Do 17. Nov 2011, 22:16
user title: Phönix
Wohnort: wo´s Herzal is

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Alexyessin »

http://www.faz.net/aktuell/politik/eu-v ... 63846.html

So ist es richtig. Wer profitieren will, der muss auch Regeln einhalten. Mal sehen, was da kommt.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin kein Nazi, aber...
Baier is ma ned so - Baier sei is a Lebenseinstellung
Mia glangt das i woas das i kennt wenn i woin dadat
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Alexyessin hat geschrieben:(01 Jun 2016, 15:32)

http://www.faz.net/aktuell/politik/eu-v ... 63846.html

So ist es richtig. Wer profitieren will, der muss auch Regeln einhalten. Mal sehen, was da kommt.
Wenn im Ergebnis von EU-Rügen oder gar Sanktionen die Zehntausende, die unlängst in Warschau pro EU und kontra Justizreform protestierten, in eine Art nationale Solidarität mit der Regierung getrieben werden, dann geht die Sache aber ordentlich nach hinten los. Es sei denn, man legt selbst keinerlei Wert auf ein gutes Verhältnis zum Nachbarland. Dann kanns einem freilich egal sein.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Alexyessin
Ehrenpräsident
Beiträge: 91425
Registriert: Do 17. Nov 2011, 22:16
user title: Phönix
Wohnort: wo´s Herzal is

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Alexyessin »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Jun 2016, 15:42)

Wenn im Ergebnis von EU-Rügen oder gar Sanktionen die Zehntausende, die unlängst in Warschau pro EU und kontra Justizreform protestierten, in eine Art nationale Solidarität mit der Regierung getrieben werden, dann geht die Sache aber ordentlich nach hinten los. Es sei denn, man legt selbst keinerlei Wert auf ein gutes Verhältnis zum Nachbarland. Dann kanns einem freilich egal sein.
NEin, denn die Sanktionen zeigen den Menschen dort eher "Ihr seid nicht allein" .
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin kein Nazi, aber...
Baier is ma ned so - Baier sei is a Lebenseinstellung
Mia glangt das i woas das i kennt wenn i woin dadat
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Jun 2016, 15:42)

Wenn im Ergebnis von EU-Rügen oder gar Sanktionen die Zehntausende, die unlängst in Warschau pro EU und kontra Justizreform protestierten, in eine Art nationale Solidarität mit der Regierung getrieben werden, dann geht die Sache aber ordentlich nach hinten los. Es sei denn, man legt selbst keinerlei Wert auf ein gutes Verhältnis zum Nachbarland. Dann kanns einem freilich egal sein.
Diese Reaktion kann doch gar nicht eintreten. Die EU hat es offenbar geschafft, daß die Regierung Szydlo sich nun doch bemüht, die Bedenken der EU-Kommission durch geänderte Maßnahmen zu entkräften. Es geschieht also genau das, was das KOD gefordert hat: Kein fortgesetzter Zank mit der EU.

Siehe auch http://www.rp.pl/Polityka/305269962-Szy ... lizmu.html; leider nur auf Polnisch zu lesen.

In ähnlicher Weise sind auch angekündigte unfreundliche Akte gegen ausländische Investoren inzwischen klammheimlich "beerdigt" worden.

Was will man mehr? Das KOD hat viel dazu beigetragen, daß die Regierung Szydlo sich mäßigen will. Niemand will Polen oder die Polen demütigen... das wäre ja wirklich dämlich. Aber sich derartig mit der EU anlegen, das geht nicht lange gut.

Nachtrag:
In einem weiteren Meinungsbeitrag in der Rzeczpospolita weist der Verfasser Szuldrzyński darauf hin, daß die Regierungspartei PiS auf völlig demokratischem Wege die politische Macht errungen hat, sie also auch dem Willen ihrer Wähler gemäß ein Recht auf Gestaltung der polnischen Politik habe. Er bezweifelt dann aber, daß der Ruin der Beziehungen Polens zur EU dem Willen des Wählers entspräche.

Jetzt wird es wohl drei Stufen der Gespräche geben: Die Kommission erwartet in spätestens 14 Tagen eine Stellungnahme der polnischen Regierung zu den Vorschlägen der EU, um in Polen wieder zu rechtsstaatlichen Verfahren zurück zu kehren. Dabei geht es im wesentlichen um die Besetzung des Verfassungsgerichts, aber auch den Umgang des Parlaments mit diesem Gericht. Wenn die Antwort darauf die EU-Kommission nicht befriedigen sollte, kommt eine nächste Steigerungsstufe, in der die EU ein Verfahren gegen Polen einleitet, das damit enden kann, daß Polen sein Stimmrecht in der EU verliert.Polen hat also noch Gelegenheit, im Sinne der EU-Verträge ein zu lenken.

Im Hintergrund drohen zum Jahresende Verhandlungen über den Haushalt der EU, in dem die EU praktisch geräuschlos ihren Haushalt umschichtet, um mehr Mittel für Forschung und Wissenschaften und weniger Mittel zur Regionalförderung beschließen zu können. Polen hätte im äußersten Falle dabei kein Stimmrecht.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Hinter den Massenprotesten Anfang Mai in Polen steht die Bewegung KOD (Komitet Obrony Demokracji, Komitee zur Verteidigung der Demokratie). In einem Interview mit der Heinrich Böll Stiftung letzte Woche äußern sich zwei (an sich regierungskritische) KOD-Vertreter zur Frage der Kritik an Polen:
Heinrich Böll Stiftung: Wie sollten ausländische Staaten oder die EU auf die Geschehnisse in Polen reagieren?

AS: Ausländische Staaten, und Deutschland im Besonderen, sollten sehr vorsichtig sein mit zu harscher Kritik. Die PiS-Regierung würde in einem solchen Fall nämlich behaupten, dass diese Staaten versuchen, die polnische Politik zu beeinflussen. Die Internationale Gemeinschaft kann die Regierung jedoch auf Fehler hinweisen, und sie dazu auffordern, einen Richtungswechsel einzuschlagen.

JM: Es gibt nur einen Staat, der klare Ansagen machen könnte: die von der PiS sehr geschätzten USA. Andere Staaten sollten vorsichtiger sein. Diesen vorsichtigen Weg gehen wir von Beginn an, da wir der Meinung sind, dass wir so mehr für die polnische Gesellschaft und Entwicklung erreichen können.
(https://www.boell.de/de/2016/05/26/wir- ... alten-muss)

Die Situation in Polen ist einfach sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite wurde ausgerechnet die Partei des jetzt amtierenden EU-Rats-Präsidenten Tusk klar abgewählt und eine sehr EU-kritische Partei auf demokratischem Weg mit der Regierung beauftragt. Auf der anderen Seite gibt es in Polen, wie ich gerade erst wieder las, nach Schätzungen eine europaweit einmalige EU-Befürwortung in der Bevölkerung von etwa 80 Prozent. Letzteres ist ein wertvolles Kapital, das nicht einfach verspielt werden darf. So verstehe ich auch die Äußerungen der beiden KOD-Vertreter. Ihre Strategie zielt vor allem auf eines ab: Sich für eine höhere Wahlbeteiligung einzusetzen. Letztendlich wurde unter dem Strich die PiS von nur 18 Prozent der Wahlberechtigten gewählt.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Und Nachsatz: Das unterscheidet die Situation in Polen auch grundlegend von der in Ungarn. Anders als noch vor einem Jahr steht eine mehr-als-zwei-Drittel-Mehrheit der Bevölkerung geschlossen hinter der Regierung. Nicht nur wegen der restriktiven Flüchtlingspolitik sondern auch wegen (maßvoller) wirtschaftlicher Erfolge. Insofern relativiert sich das mit der "Ungarisierung".
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Jun 2016, 08:22)

Hinter den Massenprotesten Anfang Mai in Polen steht die Bewegung KOD (Komitet Obrony Demokracji, Komitee zur Verteidigung der Demokratie). In einem Interview mit der Heinrich Böll Stiftung letzte Woche äußern sich zwei (an sich regierungskritische) KOD-Vertreter zur Frage der Kritik an Polen:

(https://www.boell.de/de/2016/05/26/wir- ... alten-muss)

Die Situation in Polen ist einfach sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite wurde ausgerechnet die Partei des jetzt amtierenden EU-Rats-Präsidenten Tusk klar abgewählt und eine sehr EU-kritische Partei auf demokratischem Weg mit der Regierung beauftragt. Auf der anderen Seite gibt es in Polen, wie ich gerade erst wieder las, nach Schätzungen eine europaweit einmalige EU-Befürwortung in der Bevölkerung von etwa 80 Prozent. Letzteres ist ein wertvolles Kapital, das nicht einfach verspielt werden darf. So verstehe ich auch die Äußerungen der beiden KOD-Vertreter. Ihre Strategie zielt vor allem auf eines ab: Sich für eine höhere Wahlbeteiligung einzusetzen. Letztendlich wurde unter dem Strich die PiS von nur 18 Prozent der Wahlberechtigten gewählt.
Die KOD kann die polnischen Wähler nicht an die Wahlurnen treiben. Das sind viele Millionen Einzelentscheidungen und Bewertungen. Und wieviele Jahre soll dieser Zustand noch anhalten? Bis zu den nächsten Parlamentswahlen vergehen noch ~40 Monate!

Aus meiner Sicht macht die EU-Kommission es ganz richtig, daß Sie Polen auf Verletzungen von rechtsstaatlichen Grundsätzen hinweist, die aber in der EU als gemeinsames Verständnis voraus gesetzt werden. Nun liegt es an Polen, diese Gemeinsamkeit wieder her zu stellen oder sich einem Vertragsverletzungsverfahren aus zu setzen. KOD sollte nicht versuchen, die EU zu steuern. Das müssen die Organe der EU schon in eigener Verantwortung tun. Es sieht auch ganz danach aus, daß die EU in aller Gelassenheit diesen Weg beschreitet.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(02 Jun 2016, 08:58)

Die KOD kann die polnischen Wähler nicht an die Wahlurnen treiben. Das sind viele Millionen Einzelentscheidungen und Bewertungen. Und wieviele Jahre soll dieser Zustand noch anhalten? Bis zu den nächsten Parlamentswahlen vergehen noch ~40 Monate!

Aus meiner Sicht macht die EU-Kommission es ganz richtig, daß Sie Polen auf Verletzungen von rechtsstaatlichen Grundsätzen hinweist, die aber in der EU als gemeinsames Verständnis voraus gesetzt werden. Nun liegt es an Polen, diese Gemeinsamkeit wieder her zu stellen oder sich einem Vertragsverletzungsverfahren aus zu setzen. KOD sollte nicht versuchen, die EU zu steuern. Das müssen die Organe der EU schon in eigener Verantwortung tun. Es sieht auch ganz danach aus, daß die EU in aller Gelassenheit diesen Weg beschreitet.
Kritik ist ja auch richtig und angebracht. Wenn sie nicht mit dieser "Von oben"-Haltung daherkommt. Und vor allem, wenn sie sich gegen die Regierung und nicht gegen "die Polen" richtet. Gerade auch wegen der Tatsache, dass letztlich doch nur eine Minderheit tatsächlich hinter der Regierungspartei steht. Und was mich unglaublich nervt, ist diese endlose Argumentation, dass der Wohlstand in Polen vollständig durch EU-Gelder finanziert werde.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Jun 2016, 09:23)

Kritik ist ja auch richtig und angebracht. Wenn sie nicht mit dieser "Von oben"-Haltung daherkommt. Und vor allem, wenn sie sich gegen die Regierung und nicht gegen "die Polen" richtet. Gerade auch wegen der Tatsache, dass letztlich doch nur eine Minderheit tatsächlich hinter der Regierungspartei steht. Und was mich unglaublich nervt, ist diese endlose Argumentation, dass der Wohlstand in Polen vollständig durch EU-Gelder finanziert werde.
Die EU-Kommission kann sich nur mit der polnischen Regierung und deren Maßnahmen befassen. Andere Eingriffsmöglichkeiten in innerpolnische Abläufe hat sie doch gar nicht. Wenn die PiS es schafft, die Stimmung in einer Wagenburg zu schüren mit "die in Brüssel gegen uns in Polen", dann kann man den Polen auch nicht mehr helfen. Dann nehmen die Dinge eben ihren Lauf. KOD ist da schon ein ganz gutes Gegengewicht als Stimme der Polen, denen das europäische Projekt Herzenssache ist.

Mich nervt es nicht, wenn ich immer wieder lesen muß, daß Deutschlands Wohlstand besonders dem Umstand geschuldet ist, daß wir Deutschen in der EU einen vergleichsweise freien Marktzugang haben. So soll es bleiben!

Natürlich ist es Blödsinn, den Polen vorhalten zu wollen, daß sie ihren Wohlstand im wesentlichen milden Gaben der EU verdanken. Die Polen arbeiten doch im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Entwicklung ihres Landes, und sie haben auch eindrucksvolle Erfolge auf zu weisen. Sie nutzen die Möglichkeiten der Niederlassungsfreiheit und Gewerbefreiheit in der EU. Finde ich gut!

Aber daß die EU mit Co-Finanzierungen in Polen fast unzählig viele Projekte ermöglicht, die ansonsten aus Mangel an verfügbaren Mitteln unterblieben, das können Sie in Westpommern an allen Ecken und Enden wirklich nicht übersehen. Auch das finde ich gut, denn in anderen EU-Ländern versickern diese Mittel ohne den hier sichtbaren Erfolg.

Dennoch wäre es sicher ein harter Schlag, wenn diese Mittel der EU plötzlich ausblieben und in der übrigen EU anderweitig eingesetzt werden würden. Dieses Risiko geht die polnische Regierung mit ihrer Verstocktheit gegen Mahnungen der EU augenblicklich ein... neben dem Verlust ihres Stimmrechts bei Abstimmungen innerhalb des Ministerrats. Und das müssen nicht die letzten Mittel sein, die die EU einsetzen kann, um Vertragsverletzungen entgegen zu wirken. Aber auch damit sollte man unaufgeregt umgehen.
Atheist

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

Neues über die Ungarisierung Polens:
Die EU-Kommission übt im Streit um das polnische Verfassungsgericht weiter Druck auf Warschau aus. Mehrere polnische Abgeordnete tun das als „absurdes Theater“ ab.

Im Streit um die Einschränkung der Befugnisse des polnischen Verfassungsgerichts macht die EU-Kommission weiter Druck auf Warschau. Ihr Vizepräsident Frans Timmermans forderte die nationalkonservative Regierung am Dienstag abermals auf, die Grundwerte der EU einzuhalten. Dazu gehöre die Unabhängigkeit der Justiz. Zwar sei die umstrittene Reform des Verfassungsgerichts mittlerweile etwas abgemildert worden, es gebe aber immer noch Probleme, sagte Timmermans vor dem Europaparlament in Straßburg.

So entscheide die Regierung über die Veröffentlichung der Urteile des Verfassungsgerichts – und damit über ihr Inkrafttreten, kritisierte Timmermans. Die Exekutive lehne es nach sie vor ab, das Urteil der Verfassungsrichter gegen die Reform im Amtsblatt zu veröffentlichen. Problematisch sei auch die Zusammensetzung des Gerichts. „Der Streit ist nicht beendet“. Dabei gehe es um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz. Diese Prinzipien seien im EU-Vertrag verankert.

Der polnische Christdemokrat Janusz Lewandowski stellte sich hinter das Vorgehen der EU-Kommission. Der Wahlerfolg der erzkonservativen Regierungspartei PiS sei keine Rechtfertigung für die Reform. „Die Polen haben nicht für eine Schwächung ihres Verfassungsgerichts gestimmt“, sagte er. Sie hätten auch nicht für eine „Säuberung der öffentlichen Medien gestimmt.“ Davon seien 190 Journalisten betroffen. „Das alles ist für die ganze Welt sichtbar, es ist weder zu verschleiern, noch zu verleugnen.“

Der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, Gianni Pittella, warf der polnischen Regierung vor, das ganze Volk in „Geiselhaft ihrer Angst“ zu nehmen. „Warum wollen Sie das Verfassungsgericht zügeln, wovor haben Sie Angst?“, fragte der Italiener
https://www.euractiv.de/section/eu-inne ... er-justiz/

Schon praktisch, diese Formalien, wie z.B. das Bekanntmachungserfordernis - passt ein Urteil nicht (und das trotz günstiger Zusammensetzung des Spruchkörpers), wird es kurzerhand einfach nicht bekannt gemacht.

Wertegemeinschaft. :cool:
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Die EU in ihrer derzeitigen Form braucht einen beinharten französischen Kommissionspräsidenten, der sich gut mit seinen deutschen Partnern abstimmt. Dann fliegen entweder EU-weit die Fetzen, oder es gibt endlich wieder ein gemeinsames Ziel. Letzteres wäre mir lieber, aber Ersteres auch nur ein Ende mit Schrecken. Immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende, auf den die EU zielsicher zusteuert.
Atheist

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

Das Europaparlament legt nach:
Mit großer Mehrheit haben die Europaparlamentarier Polen aufgefordert, bis Ende Oktober die Freiheit des Verfassungsgerichts zu garantieren. Alle Parteien im polnischen Parlament sollten dafür einen Kompromiss finden, hieß es in einer beschlossenen Resolution. Derzeit sei das Verfassungsgerichts gelähmt. Die Weigerung der Regierung, alle dessen Urteile zu veröffentlichen, gefährde "die Demokratie, die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit".

Die EU-Kommission untersucht seit Januar in einem Prüfverfahren zur Rechtsstaatlichkeit die Lage in Polen. Das Verfahren kann letztlich dazu führen, dass das Land sein Stimmrecht in der EU verliert. Brüssel moniert unter anderem, dass die polnische Regierung sich weigert, mehrere Verfassungsurteile zu veröffentlichen und damit in Kraft zu setzen. Sie hatte die Arbeit des Verfassungsgerichts in einem Gesetz neu geregelt. Das Gericht hatte das Gesetz für unvereinbar mit der Verfassung bezeichnet. Die von der konservativen Partei PiS geführte Regierung hatte angekündigt, das Urteil nicht anerkennen zu wollen.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016 ... rise-frist

Der Beschwichtigungsversuch der PiS ist absurd und entlarvend:
Der EU-Abgeordnete Ryszard Legutko, Mitglied der polnischen Regierungspartei PiS, nannte die Resolution bei der Debatte darüber im Parlament "absurd". "Die Europäische Union durchlebt die bedeutendste strukturelle Krise in ihrer Geschichte und findet dabei die Zeit, sich mit einer total marginalen Angelegenheit zu befassen", sagte er. Der polnische Vorsitzende der konservative EVP-Fraktion Janusz Lewandowski warb für ein Einlenken: "Polen braucht Europa und Europa braucht Polen."
Benutzeravatar
H2O
Moderator
Beiträge: 47058
Registriert: So 13. Sep 2015, 13:49
Wohnort: Zachodniopomorze

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

"Polen braucht Europa und Europa braucht Polen."

Weit entfernt davon, Polen für nebensächlich zu halten (ich lebe dort zeitweise!), so ist doch diese Einvernahme Europas durch Polen eine ziemliche Unverfrorenheit. Verdammt noch mal, liebe Polen, das darf Eure Regierung so nicht machen! Polen als Mühlstein am Halse der EU, wo Polen ein Antrieb sein könnte wie unsere anderen Nachbarn in den Niederlanden, in Frankreich und in Schweden! Was aber tut diese polnische Regierung: Sie spielt herum mit einem Sonderbündnis gegen Gemeinschaftsbeschlüsse... vielleicht sogar aus Eitelkeit, weil sie dort Erster unter Kleineren sein kann, anstatt Schrittmacherdienste zum Vorteil der Gemeinschaft zu leisten, wenn auch nicht immer ganz vorn. In seiner eitlen Trotzhaltung ist Polen in Europa überflüssig.
Benutzeravatar
Cat with a whip
Beiträge: 13369
Registriert: Fr 4. Jul 2008, 21:49

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Cat with a whip »

PiS zieht nun auch gegen Frauen zu Felde. Ein absolutes Abreibungsverbot wird kommen und wäre ein Freifahrtschein für Vergewaltigungen und würde den Abtreibungstourismus weiter anheizen. Junge Frauen überlegen sich gar ganz auszuwandern...
http://ze.tt/totales-abtreibungsverbot- ... source=zon
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
Antworten