Europa2050 hat geschrieben:(06 Mar 2021, 11:43)
Nein, das ist die Sicht eines Hardcoreliberalen und Bayern auf den stockkonservativen und aggressiven Nachbarn im Norden, und die hatte ich auch schon zu Zeiten, als es den Begriff PC noch gar nicht gab und Preußen sich „DDR“ nannte und der Obrigkeitsstaat vorübergehend ein rotes Mäntelchen hatte.
Die Vorstellung einer liberalen, fortschrittlichen und pazifistischen Geschichte der deutschen Klein- und Mittelstaaten ist zu einem beliebten Topos geworden, der es ermöglicht, den Widrigkeiten der nationalen deutschen Geschichte zu entkommen. Besser und vor allem wahrer wird der Blick auf die Geschichte dadurch nicht.
Bayern war über lange Zeit ebenfalls ein stockkonservativer und aggressiver Nachbar, auch wenn es heute Mode ist, dies auszublenden, und Preussen hatte eine liberale und fortschrittliche Seite. Bayern hatte auch signifikanten Anteil am Aufstieg des Nationalsozialismus, anteilig mit der
Hauptstadt der Bewegung sicher sehr viel mehr als Preussen, das aber den Alliierten als Feindbild besser taugte.
Dass Bayern gut mit Frankreich konnte, verwundert nicht, hatte es doch lange keine direkte Grenze zu Frankreich und konnte sich in aller Ruhe ansehen, wie französische Truppen mordbrennend durch benachbarte deutsche Staaten zogen, die Bayern als lästige Konkurrenten sah. Bayern war sich auch nicht zu schade, den Franzosen die Stiefel zu lecken und Territorien anderer deutscher Staaten mit französischer Erlaubnis zu annektieren.
Europa2050 hat geschrieben:(06 Mar 2021, 11:43)
Mit deinem zweiten und dritten Absatz kann ich mitgehen. Aber er betrifft das bourbonische Frankreich, die einzige Großmacht im westlichen Europa, die über Jahrhunderte gewaltigen Druck auf deutsche und italienische Kleinstasten ausübte. Auch die Feindschaft der Häuser Bourbon und Habsburg war über Jahrhunderte eine Konstante, inkl. dem von dir geschilderten Verrat an Europa und Christentum durch Frankreich.
Für Bayern war Frankreich über die Jahrhunderte jedoch eine verlässliche Schutzmacht gegen die Gelüste Habsburgs.
All das tut aber nichts zum Thema „Erbfeindschaft“. Das waren klassische Händel in Adelsgesellschaften, das war Otto- und Pierre-Normalverbraucher egal, so lange es ihn nicht betrage. Die entstand nach der Revolution und Pillnitz.
Bis dahin führte man Kriege, weil es um Land ging, oder die Herrschaft einer Familie. Nun wollte man aber den Franzosen eine Ideologie überstülpen, die die gerade erst beseitigt hatten. Und die folgenden Kriege löste eben nicht Frankreich aus - Napoleon gewann sie bis 1813 nur.
Der moderne Nationalismus ist in der Tat erst mit und im Gefolge der Französischen Revolution entstanden. Es gab auch davor ein Nationalgefühl - aber viel schwächer ausgeprägt, und auch eher bei den oberen Schichten. Beim einfachen Volk spielten andere Ideen eine viel grössere Rolle, etwa, welche Konfession man hatte, oder welchem Stand man angehörte. Man kann auch behaupten, dass die moderne Demokratie auch erst durch den Nationalismus ermöglicht wurde, weil nun eben die Standesgrenzen fielen und sich alle als "Franzosen" oder "Deutsche" fühlten und einander als Gleiche ansahen.
Ich sehe aber durchaus Frankreich als primären Aggressor bei den Revolutionskriegen, auch wenn die anderen Staaten sicher nicht unschuldig waren. Auch hat Frankreich seine Gegner äusserst hart behandelt - viel, viel härter als später das besiegte Frankreich im Rahmen des Wiener Kongresses behandelt wurde. Schau dir doch einmal an, wie viele Territorien Preussen nach seinen Niederlagen gegen Frankreich verloren hat. Es war damit auch klar, dass die so erreichten Friedensschlüsse nur auf kurze Zeit Gültigkeit bewahren konnten - bis man eben wieder zu Kräften kam, um sich zu wehren.
Europa2050 hat geschrieben:(06 Mar 2021, 11:43)
Und wie das bei einer ordentlichen „Erbfeindschaft“ ist - am Ende sind alle Hände voller Blut.
Und was den deutschen Beitrag zu dieser „Erbfeindschaft“ betrifft - der erwuchs nunmal östlich der Elbe, da hilft alles schwelgen in Preußens Gloria nicht...
Mich wundert eben immer, dass man die Zeit vor 1870 immer ausblendet. Frankreich hat über Jahrhundert das Reich angegriffen und sich immer mehr von seinem Territorium einverleibt. Schau doch mal eine Karte von Frankreich um 1500 an und vergleiche sie mit einer Karte von 1789.
Und warum kam es überhaupt zur Reichsgründung 1870/71, und warum war sie erfolgreich? Ich kann es dir sagen: Weil sich die süddeutschen Staaten von Frankreich bedroht fühlten. Denn auch nach dem Wiener Kongress bedrohte Frankreich immer wieder den Deutschen Bund und hatte beispielsweise 1840 im Rahmen der Rheinkrise die Chuzpe, den Rhein als Grenze zu fordern. Von daher wird auch verständlich, dass der Deutsche Bund eine Reihe von Festungen baute, wie etwa in Rastatt, Luxemburg oder Ulm. Als ich diese gigantischen Festungen das erste Mal sah, hatte ich gar nicht verstanden, wozu sie hätten dienen sollen. Nun, so ist es eben, wenn man in der Schule eine weichgespülte, politisch-korrekte Version der Geschichte serviert bekommt.
Den Süddeutschen schwante zunehmend, dass nur Preussen ihre Sicherheit garantieren konnte. Und sie haben sich dann auch sehr schnell in den neuen Staat integriert. Das neue Deutsche Reich war so erfolgreich, dass es schon wenige Jahrzehnte später nicht mehr in Frage gestellt wurde. Nicht einmal ein Weltkrieg konnte diesen Staat zerstören; es gab selbst nach der Niederlage 1918 keine ernsthaften Bewegungen auf deutscher Seite, das Reich zu verlassen.
Ich glaube, vielen ist heute gar nicht mehr klar, wie sehr das heutige Deutschland noch auf dem beruht, was damals geschaffen wurde. Eine Partei wie die SPD? Ohne Preussen, ohne das Deutsche Reich undenkbar; und umgekehrt war im übrigen auch die SPD ein starker Anhänger des Reiches, wie man selbst noch bei Schumacher nach dem Zweiten Weltkrieg sehen konnte. Der deutsche Sozialstaat? Beruht immer noch auf dem, was damals erschaffen wurde. Recht und Justiz? Gründen immer noch in den Kodizes, die damals geschaffen wurden. Die deutsche Wirtschaft? Fusst immer noch auf den Unternehmen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden.
Ich war beschämt, wie wenig der Reichsgründung in Deutschland anlässlich des 150. Jahrestages gedacht wurde. Das nennt man wohl Geschichtsvergessenheit. Nun, dann überlässt man das Thema eben den Rechtsnationalen und Nationalkonservativen. Undenkbar in jedem anderen Land, und aus meiner Sicht gefährlich, weil die Leute merken, dass man ihnen Dinge vorenthält.