Vongole hat geschrieben:(23 Jun 2021, 19:43)
Die geistige Einstellung der Mörder wurde bereits nach dem 1.Weltkrieg "hergestellt", indem man den Juden die Schuld am verlorenen Krieg zuschob und sie beschuldigte,
Anhänger des Kommunismus zu sein, um mittels dieser Ideologie die Weltmacht anzustreben.
Viel mussten die Nazis da nicht machen, derJudenhass war ja schon immer da, und fand von 1933 bis zur Kapitulation willige Vollstrecker nicht nur in SS und SA, sondern auch durch Otto Normalbürger.
Antisemitismus gab es vor 1933 auch in anderen Ländern, und ich würde sagen, sogar mehr als in Deutschland. Deswegen glaube ich, dass man sehr wohl die Jahre
nach 1933 anschauen muss, um zu verstehen, was aus welchen Gründen passiert ist. Der Nationalsozialismus war kein fertiger Film, der ab 1933 einfach abgelaufen ist, sondern er hat sich dynamisch entwickelt. Dazu gehörte auch eine gewisse Dynamik des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, das eher chaotisch und ungeregelt war und Raum für Eigeninitiative liess.
Es ist ein Unterschied, ob man seinen Hass nur denkt, ihn ausspricht, einem anderen ins Gesicht schlägt, einen anderen schwer verletzt oder umbringt, oder ob man im Blut watet, weil man gerade hunderte von Menschen erschossen hat. Ich halte den Gedanken, dass die Deutschen dazu 1933 willens und in der Lage gewesen wären, für falsch. 1941 aber waren sie es (oder zumindest eine ausreichend grosse Zahl).
Im übrigen gehe ich davon aus, dass es erstens schlimme Antisemiten gab, die einem Juden nie auch nur ein Haar gekrümmt haben - einfach, weil sie psychisch nicht dazu in der Lage waren. Zweitens gab es sicher auch viele Mörder unter den Einsatzgruppen, die gar nicht antisemitisch eingestellt waren, sondern einfach taten, was man ihnen befohlen hat, und es als lästige Arbeit empfunden haben. Aber auch diese Abstumpfung muss man erst einmal herstellen.
Vongole hat geschrieben:(23 Jun 2021, 19:43)
Auch wenn Hitler anfangs wohl an Vertreibung dachte, siehe der Madagaskar-Plan, wurde er spätestens am 30.Jan. 1939 sehr deutlich.
Für die Juden der Welt macht es jedenfalls keinen Unterschied, wann der Plan gefasst wurde, sondern dass er gefasst und durchgeführt wurde!
Die Rede im Januar 1939 ist ein wichtiger Beleg auf einer Treppe von Eskalationsstufen. Aber das ist ja genau das, was ich sage: Es war nicht 1933 alles schon bestellt, sondern es hat sich entwickelt. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass die frühen Pläne der Nationalsozialisten für eine Aussiedlung der Juden - zunächst nach Madagaskar, dann nach Osten - Lügen waren. Später waren sie es freilich, und Aussiedlung wurde zu einem Codewort für das Töten.
Die Verkürzung auf Hitler finde ich auch immer problematisch. Verständlich, denn sie kann der Entlastung anderer Deutscher dienen. Nicht Hitler selbst hat aber Millionen Leute ermordet, zumindest nicht direkt. Es mussten sich erst Bürokraten, Organisatoren und Schlächter finden, die hier die Initiative ergreifen und mitmachen wollten. Man musste auch erst die Methoden entwickeln, man musste schauen, wen man einbinden kann und wen nicht, und wie die Öffentlichkeit reagiert. Viele mussten sich wohl auch erst selbst darüber klar werden, was sie können und was nicht.
Für mich sind dies alles interessante Fragen. Man kann natürlich auch sagen: Alles egal, es ist halt passiert und lässt sich nicht ändern. Und wie es genau passiert ist, interessiert nicht. Das finde ich eine erstaunliche Ansicht, die mir persönlich fremd ist.