Ich habe nicht auf meine Gründe verwiesen, sondern auf Gründe, die ich mir vorstellen könnte, die bei Anderen eine Rolle gespielt haben könnten.imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:45)
Irgendwer muss diesen Willen aber haben, sonst würde man nicht in den Archiven nach dem erstbesten graben, von dem gilt:
In einem normalen Vorgang sollte man kein Verfahren gegen jemanden anstreben unter diesen Umständen.
Meine Erfahrung ist, dass sich Menschen, die sich schuldig fühlen, irgendwann schon melden werden. Auf irgendwelchen Opas rumzutrampeln, in der Hoffnung, dass sie stellvertretend für die überwiegend vergangene Generation irgendwelche Gesten loslassen, um den eigentlichen Verantwortlichen, nämlich der Politik, so spät im Leben ein weiteres Mal die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen, nun, das amüsiert mich nicht gerade und ich will auch nicht behaupten, dass es dein Ansinnen ist. Für den zweiten Weltkrieg einzustehen, wird Deutschland auch in Zukunft nicht erspart bleiben und möglicherweise wird das weder billig noch besonders angenehm. Dieses müssen wir gemeinsam tragen und können es nicht den letzten paar Überlebenden von damals aufhalsen, indem man Menschen so lange drangsaliert, bis sie sich für irgendwelche Gesten hergeben. Um etwas zu gestehen, müsste man erstmal was gemacht haben und das zweitens auch so wissen. Ich habe zunehmend Zweifel an einem Rechtssystem, das derartige Prozesse führt. Ob das der Sinn der Sache war?
Ich finde dieses Zitat sehr wichtig, weil es eine Grundproblematik zeigt:
Es geht hier nicht um juristische Schuld, sondern um Verantwortung. Das ist ein klarer Unterschied und dass so schnell wie hier und woanders jede Verantwortung von diesem Mann gewiesen wurde, macht mir Sorgen. Ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte. Ich hätte wohl mein Leben nicht riskiert. Aber ich denke heute (!), dass ich (solange mir nicht jede Handlung mit Waffengewalt aufgezwungen worden wäre) mich mit diesem Verhalten in gewisser Weise "schuldig" gemacht hätte oder zumindest ein kleines wenig mitverantwortlich. Ob ich das heute auch so sehen würde, wenn ich in dieser Situation gewesen wäre, kannst du natürlich anzweifeln.Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:54)
So wie man leichtfertig alte Menschen beschuldigen kann, kann man sie auch leichtfertig von einer Mitverantwortung freisprechen. Schade, dass Du diese Seite der Medaille nicht erkennst.
Jetzt aber zur Problematik. Dieser Prozess kann auf Viele unfair wirken. Auch mich beschlich so ein unwohles Gefühl beim Durchlesen eines Taz-Artikels über den Prozess. So wird es vermutlich vielen gegangen sein. Und auch wie hier werden Viele sehr schnell die Position eingenommen haben, wie arm der alte Mann doch sei und wie jung er noch gewesen sei oder dass sich heutige Wohlstandskinder nicht dazu Kritik äußern dürfte, weil sie selbst genauso gehandelt hätten usw. Soweit, so gut. Dann folgt aber ganz schnell der Schritt, die Verantwortung von den Deutschen wegzuschieben und die Verantwortung + Schuld bei einigen wenigen bekannten Nazis zu suchen. Die "Bösen" seien ja nur eine verschwindend geringe Minderheit gewesen. Ja eigentlich sie das deutsche Volk das größte Opfer der Nazis gewesen. Usw. Hinzu kommt, dass ich immer wieder höre und lese, dass der Holocaust ja eigentlich gar nicht so schlimm sei. Die christliche Kirche habe ja auch mehrere Millionen Menschen auf dem Gewissen, was ist eigentlich mit den Indianern. Es geht sogar soweit, dass der Holocaust nerve, andere Nationen hätten ja ähnliche Verbrechen begangen. Kombiniere ich nun diese beiden Bilder (Holocaust-Relativierung und Verantwortlichkeit auf einige wenige Nazis beschränkt) zusammen, ergibt sich ein gefährliches Bild, was ich sehr sehr kritisch sehe und was in meiner Wahrnehmung durchaus weit verbreitet ist. Viel weiter als nur unter Rechtsextremen.
Hier sehe ich den Prozess als einen möglichen Katalysator für die Verbreitung dieses Bildes. Jetzt bin ich aber nach dem Gysi-Zitat im Kampf gegen Links Thread etwas verwirrt. Darf ich diesen Prozess kritisieren, weil er dieses Bild fördert oder mache ich mich damit letztlich selber der Verantwortlichkeit/Schuld- und Holocaust-Relativierung schuldig? Ich bin gedanklich etwas verwirrt.