
Der Nationalismus hatte seine Blüte in der zweiten Hälfte des 19. Jhd. und der ersten Hälfte des 20. Jhd.
Die Staaten, die 1850 existierten waren entweder multinational und verstanden sich auch so (Österreich, Osmanisches Reich, USA, ...) oder zufällig als Nationalstaat entstanden, aber von Herrschaft und Führung international aufgestellt und auch sonst kulturell und sprachlich nicht homogen (UK, Frankreich, Russland).
Mit dem Aufkommen des Nationalismus wurde:
- die alte Ordnung angegangen, deren Vertreterstaaten zerstört
- Minderheiten diskriminiert,
- Juden völkisch motiviert diskriminiert
- Deutsche, Italiener und Slawen "gesammelt"
- in Mischbebieten Gegensätze konstruiert, Bekenntnis zur eigenen Gemeinschaft eingefordert
- erstmals Vertreibungen aus völkischen Gründen in bisher ungeahntem Maß organisiert.
- die zwei größten Kriege der Menschheit und unzählige kleine entfacht.
Deutschland und Italien waren die ersten Nationen, die sich in Feindschaft zu mindestens einem Nachbarn konstituierten, nach dem WK1 folgten viele andere.
Das ist eine sehr negative Sichtweise, passt ja auch zu deiner Signatur. Ich würde aber die Gründung von Nationalstaaten, hier dem Deutschen Reich, nicht reduzieren auf den Nationalismus mit den Eigenschaften und Ergebnissen, die du beschreibst.
Auch wenn viele der Wünsche nicht erfüllt wurden, so verbanden doch liberal/bürgerliche Schichten die Nationsgründung mit der Hoffnung der Abkehr von Monarchie und Feudalsystem und der Verbreitung von Demokratie und Rechtsstaat. Nun wurde das Deutsche Reich im wesentlichen "von oben" installiert, dennoch findet sehr vieles von dem, was wir heute an unserem Grundgesetz, unserer parlamentarischen Demokratie und unserem Rechtsstaat schätzen, in dieser Zeit seinen Ursprung.
Zum anderen führten technische Fortschritte wie Industrialisierung, Fernmeldewesen (Telegraphie) und Transportwesen (Eisenbahn, Dampfschiff) zu einer immer weitergehenden Verflechtung und Zusammenarbeit von geographisch auseinanderliegenden Regionen. Das ist i.w. das, was man heute "Globalisierung" nennt. Logischerweise kann ein größeres, standardisierteres Staatswesen einheitlicher, strukturierter und letztlich besser mit dieser zunehmenden Vernetzung umgehen. Auch Zölle und Bankenwesen wurden in dieser Zeit stärker vereinheitlicht, die wirtschaftlichen Vorteile dürften ausser Frage stehen.
Dass die Nationsbildung auch eine außenpolitisch aggressive Komponente hatte und wohl zumindest stark zur Entstehung von Weltkriegen, wie auch von all dem anderen von dir Beschriebenen, beitrug, steht halt auf der Minusseite dieser ganzen Entwicklung. Mir fehlt aber die Phantasie, mir vorzustellen, wie es anders und besser hätte laufen können.