Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

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Mischwatt

Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von Mischwatt »

Guten Tag,

dies ist mein allererstes Posting hier. :-) Schade, dass man keine Bilder einfügen kann.

Derzeit verfolge ich die Vorwahlen in den USA und da tun sich einige Fragen auf. Zwei Aspekte finde ich mit Blick auf die Demokratischen Vorwahlen besonders interessant und rätselhaft ;-) ...beide hängen wahrscheinlich eng zusammen und googeln brachte keine zufriedenstellenenden Ergebnisse.


1. Proportion / Zusammenhang zw. Stimmenanzahl und zugewiesenen Delegierten

Wenn man sich die bisherigen Vorwahlen in den einzelnen Staaten ansieht, dann hat man den Eindruck als wenn es Bernie Sanders schon organisatorisch sehr schwer hat.

Beispiel 1: Colorado
Sanders: 58,9% | 71.928 Stimmen | 38 Delegierte
Clinton: 40,4% | 49.256 Stimmen | 38 Delegierte

Wie kann es sein, dass Clinton, trotz 18%-Punkten Abstand und und rund 22.680 Stimmen Differenz genau so viele Delegierte bekommt wie Sanders?

Beispiel 2: New Hampshire
Sanders: 60,4% | 151.584 Stimmen | 15 Delegierte
Clinton: 38,0% | 95.252 Stimmen | 15 Delegierte

s. Bsp. 1

Beispiel 3, noch drastischer: Michigan
Sanders: 49,8% | 595.222 Stimmen | 67 Delegierte
Clinton: 48,3% | 576.795 Stimmen | 70 Delegierte(!)

Wie kann es sein, dass Clinton weniger Stimmen bekommen hat, aber mehr Delegierte?


2. Super Delegates (SD)

Was hat es mit den SD aufsich? Auf mich wirkt die Demokratische Wahl diesbezgl. etwas demokratisch "angeknackst". Da bekommt eine Kandidatin ständig "Helfsdelegierte" hinzu, um den Vorsprung zu halten - so wirkt es auf mich. Ein Außenseiter hat somit in den US-Wahlen ja niemals eine Chance, weil immer dem establishment-nahestehende SD dazukommen. Interessanterweise gibt es dazu in den USA oder sonstwo keine Diskussion.

Und damit die Antworten und eine mgl. Diskussion nicht ganz bei 0 beginnt: "Die Einführung der Superdelegierten wurde 1982, nach der verlorenen Präsidentschaftswahl 1980, beschlossen." (Wikipedia) Schon klar. Aber meine Frage setzt da an: Die Demokraten können sich doch jede (Vor)wahl sparen, wenn die SD unter'm Strich das Endergebnis so stark beeinflussen. Anders gesagt: Ein Kandidat außerhalb des Meinungs- und Ideologie-Bereich der SD hat ja eine defacto nie erreichbare Hürde. Das ist ja so als wenn man beim Stabhochsprung einem Newcomer die Latte immer 50cm höher hängt als es eig. sein müsste (-> Rekord würde nie oder nur mit extremer unnatürlicher Kraft gebrochen).

Einen Schritt weitergedacht: Mit dem Verfahren könnten sich ja nur radikale Kandidaten, mit radikalen Ideen und einer radikal gedrehten öffentlichen Meinung in der Bevölkerung durchsetzen. Das kann doch keiner wollen. Anders herum: Ein stetiger Wandel, ein "natürlicher Wandel" (gemäßigter Wandel) in der Politik wird es ja so nie geben - aus dem Demkokratischen Lager.

P.S.: Zugegeben: Bei den REP und mit Blick auf Trump würde man es sich zZ wünschen.
Moonlight

Re: Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von Moonlight »

Hände hoch! Es wird abgestimmt.
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Emin
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Re: Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von Emin »

Die Frage 1 beantwortest du mit Frage 2. Es gibt zwei Arten von Delegierten pro Staat: Die, die an das Wahlergebnis gebundenen sind, und die Superdelegierten. Clinton bekommt überproportional Delegierte, weil sie neben den gebundenen fast alle Superdelegierten bekommt. Die gebundenen Delegierten werden fast genau proportional verteilt. In Colorado hat Clinton 28, und Sanders 38 gebundene Delegierte gewonnen. Jedoch hat sie dazu noch 8 von 12 Superdelegierten auf ihre Seite ziehen können, während die restlichen 4 noch unentschieden sind. Deswegen steht es in Colorado nach Delegiertenstimmen 36 zu 38, obwohl das Ergebnis viel eindeutiger für Sanders war.

Die Primaries sind ohnehin nicht sonderlich demokratisch, da dort insgesammt 30-40 Millionen Menschen wählen, oder noch weniger. Bei 220 Millionen wahlberechtigten Amerikanern macht das eine Wahlbeteiligung von 15-20%. Es ist also eine parteiinterne Geschichte, und Parteien dürfen es eben handhaben, wie sie möchten. Den Grund für die Superdelegierten hast du schon genannt. Es verhindert, dass Kandidaten von außerhalb der Partei die Nominierung "stehlen", wie es Trump bei den Republikanern zur Zeit tut. Ich kenne auch genug Demokraten, die bei den republikanischen Vorwahlen für Trump stimmen, weil sie ihn für einen schwachen Kandidaten halten, und so Clinton dann im November leichtes Spiel hat.
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Mischwatt

Re: Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von Mischwatt »

Erstmal danke für die interessante Antwort. :thumbup:

Aber da beginnen doch erst die spannenden Fragen: Die spannenste vorweg:
Den Grund für die Superdelegierten hast du schon genannt. Es verhindert, dass Kandidaten von außerhalb der Partei die Nominierung "stehlen",
Ok, machte Sinn, wenn Sanders ein parteiloser wäre. Aber er ist doch, wie Clinton, Mitglied der DEM. Partei. Wiki:

Bernard „Bernie“ Sanders (* 8. September 1941 in New York) ist ein US-amerikanischer Politiker der Demokratischen Partei, der seit 2007 den Bundesstaat Vermont im US-Senat vertritt und am 29. April 2015 seine Kandidatur für die Vorwahlen seiner Partei für die US-Präsidentschaftswahl 2016 bekanntgab. Sanders, der sich selbst als „democratic socialist“ (demokratischer Sozialist) bezeichnet,[1] ist der parteiinterne Hauptkonkurrent von Hillary Clinton.
Es gibt hier bei dieser Wahl gar keinen Grund für "Superdelegierte" (SD). Clinton und Sanders sind doch gleichberechtigte Kandidaten innerhalb der Partei, oder? Es sei denn, SD sollen nicht nur parteilose aus dem Rennen halten, sondern auch Kandidaten, die das etablierte System anzweifeln. ?! :rolleyes: :cool:

Colorado (...) Jedoch hat sie dazu noch 8 von 12 Superdelegierten auf ihre Seite ziehen können,
"Auf ihre Seite ziehen können" oder wurden sie proportional zugewiesen?

Ich kenne auch genug Demokraten, die bei den republikanischen Vorwahlen für Trump stimmen, weil sie ihn für einen schwachen Kandidaten halten, und so Clinton dann im November leichtes Spiel hat.
Interessant :-)

EDIT, aus aktuellen Anlass: Dass das Wahlsystem krumm und schief ist sieht man jetzt wieder an
Wyoming:
Sanders: 55,7% -> 7 Delegierte
Clinton: 44,3% -> 11 Delegierte
Vor dem Hintergrund, dass beide Kandidaten Mitglieder der Demokratischen Partei sind, finde ich das pervers. :/

Mischwatt
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franconian_dude
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Re: Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von franconian_dude »

Das ist doch alles nur ein Trick um den gewünschten Kandidaten des Establishment durchzudrücken.
Lass dich davon nicht beeinflussen, denn genau das ist ja das Ziel.
Fakt ist, wenn Sanders die pledged Delegates (also die aus den Wahlen ohne Superdelegates) gewinnt, dann wird er auch nominiert werden (und wenn nicht, hat er allen Grund als Unabhängiger anzutreten). Da habe ich keine Bedenken. Wichtig ist nur, dass die pledged Delegates gewonnen werden.

Stand aktuell: HRC: 1310 - Sanders: 1094

1647 pledged Delegates werden noch gewählt.
Wie du siehst, ist es nicht so eindeutig, wie uns (weltweit) die Medien suggerieren.
Es ist einfach unredlich von Tagesschau über Focus bis CNN die Superdelegates mit in die Rechnung einzubeziehen.

Nochmal, sollte Sanders die pledged Delegates gewinnen, dann werden landesweit (auch viele nicht berechtigte Wähler für Sanders, weil nicht registriert bei den Demokraten) so auf den Putz hauen, dass entweder Sanders bei den Demokraten Kandidat wird oder gezwungen wird, als unabhängiger Kandidat anzutreten.
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Emin
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Re: Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von Emin »

Mischwatt hat geschrieben:(10 Apr 2016, 09:06)

Erstmal danke für die interessante Antwort. :thumbup:

Aber da beginnen doch erst die spannenden Fragen: Die spannenste vorweg:


Ok, machte Sinn, wenn Sanders ein parteiloser wäre. Aber er ist doch, wie Clinton, Mitglied der DEM. Partei. Wiki:



Es gibt hier bei dieser Wahl gar keinen Grund für "Superdelegierte" (SD). Clinton und Sanders sind doch gleichberechtigte Kandidaten innerhalb der Partei, oder? Es sei denn, SD sollen nicht nur parteilose aus dem Rennen halten, sondern auch Kandidaten, die das etablierte System anzweifeln. ?! :rolleyes: :cool:



"Auf ihre Seite ziehen können" oder wurden sie proportional zugewiesen?



Interessant :-)

EDIT, aus aktuellen Anlass: Dass das Wahlsystem krumm und schief ist sieht man jetzt wieder an
Wyoming:
Sanders: 55,7% -> 7 Delegierte
Clinton: 44,3% -> 11 Delegierte
Vor dem Hintergrund, dass beide Kandidaten Mitglieder der Demokratischen Partei sind, finde ich das pervers. :/

Mischwatt
Sanders ist erst November 2015 der demokratischen Partei beigetreten und war zuvor parteilos. Bei den Primaries haben bisher ca. 15 Millionen Menschen gewählt, wobei Clinton fast 9 und Sanders etwa 6 Millionen Stimmen bekommen hat. Wenn wir mal die wenigen quängelnden Sanders-Groupies ignorieren, dann ist diese Wahl schon so ziemlich entschieden. D.h. ca. 15 Millionen Amerikaner, was deutlich weniger als 10% der wahlberechtigten Amerikaner ist, haben den Kandidaten gewählt. Noch krasser ausgedrückt sind es sogar die Staaten des super tuesday, also etwa 10 Staaten, und wenige Millionen Menschen, die den Kandidaten bestimmen. Denn wer dort gewinnt, wird auch höchstwahrscheinlich am Ende der Sieger. Die Struktur der Primaries, wo die Staaten nacheinander wählen über einen Zeitraum von ca. 6 Monaten, ist an sich alles andere als demokratisch. Die Staaten, die früh wählen, entscheiden die Wahl, denn die später kommenden werden ihre Entscheidung entsprechend anpassen. Sanders bräuchte jetzt ca. 56% der Staaten nur um in der Delegiertenzahl gleichzuziehen. Stünde es dort Gleichstand, dann hätte Clinton trotzdem noch mehr Wählerstimmen durchs Volk, und deutlich mehr Superdelegierte, und würde trotzdem Kandidatin werden. Sanders müsste jetzt schon noch sehr deutlich gewinnen (also 60% oder noch mehr), um einen überzeugenden Standpunkt zu haben wieso er Kandidat sein sollte. Aber wie gesagt ist das v.a. der Struktur der Primaries zu schulden. Wirklich demokratisch wäre es, wenn das ganze Land gleichzeitig abstimmt. Das ist aber nun mal nicht der Fall.
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Re: Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von franconian_dude »

Sogar auf wikipedia wurde diese hanenbüchene Rechnung mit folgendem Kommentar enfernt: Misleading popular vote counts removed.
Scheinbar klammern sich immer noch Leute daran und verwechseln (mich Absicht?) Äpfel mit Birnen.
Ich kann nicht die Hälfte aller closed Primaries und Caucuses rausrechnen, und zähle dann lediglich die Wähler der Open Primaries auf. UNREDLICH!
Dass HRC insgesamt mehr Stimmen hat (bis jetzt) bestreitet keiner, aber bei weitem ist der Abstand geringer wie oben suggeriert.
Mischwatt

Re: Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von Mischwatt »

Sehr interessant Eure Antworten...

Meine Quelle für den Stand der Dinge ist:
http://www.politico.com/2016-election/r ... nt-tracker

Und die zählen auch einfach die SD dazu...
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franconian_dude
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Re: Demokratische Vorwahlen: Proportion "Stimmenanzahl - Delegierte"

Beitrag von franconian_dude »

Naja, bei den Republikanern passt die Rechnung schon, die haben nicht so ein undemokratisches Konstrukt.
Die NYT ist redlich und bildet den aktuellen Stand korrekt ab:

Ney York Times Stand Deligierte
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