carolus hat geschrieben:(01 May 2020, 10:46)
@JosefG,
wenn sie alle bekannten religionen ausschließen, wer bleibt noch übrig? freimaurer, welche an den "großen baumeister aller zeiten" 'glauben'?
Wieso muss es denn immer eine Art von Religion sein, die übrig bleibt?
Es ist doch im Endeffekt wie beim Kampf der alten griechischen Philosophen, die den Mythos durch den Logos ersetzen wollten. So etwas ist natürlich möglich. Aber jeder neue Logos muss aufpassen, dass er nicht selbst zum Mythos wird.
Sehr gut sieht man das am Beispiel der kommunistischen Bewegung. Sie hat es zwar geschafft, dass die alten christlichen Mythen zumindest teilweise ausradiert wurden. Aber stattdessen bildete sich der Kommunismus als Ideologie bzw. weltliche Ersatzreligion. Ähnliches kann man aber auch auf einer anderen Seite des politischen Spektrums beobachten. Leider kann sich jeder Neoliberale heutzutage als Atheist bezeichnen. Aber auch er glaubt doch an etwas höheres wie die Marktgesetze.
Ganz anders der Philosoph Friedrich Nietzsche. Er sagte zwar solche wahren Sätze wie "Gott ist tot. Und wir haben ihn getötet." Er hat jedoch kein einheitliches Ideologiekonzept hinterlassen. Er war aber auch kein Nihilist. Er war nur der Prophet, der den Nihilismus kommen sah. Wenn man sich dann das 20. Jahrhundert ansieht mit all seinen Konzentrationslagern, dann weiß man, was gemeint ist. Ihm ging es jedenfalls sehr stark um die Umwertung aller Werte, die das Christentum verbogen hatte. Wo das Christentum, aber auch andere Religionen das Jenseits emporheben, obwohl sich dessen Existenz nicht beweisen lässt, so will Nietzsche das Diesseits bejahen. Dieses Leben ist schließlich das einzige, was wir haben. Die Religionen dagegen verachten es für die Fantasie eines Jenseits, das nur in den Köpfen der Menschen existiert. Und Friedrich Nietzsche war ja auch nur ein Vorgänger der Philosophierichtung des Existenzialismus, die ebenfalls versuchte, das Leben in all seiner Absurdität zu bejahen. Das Leben als Ganzes macht keinen Sinn. Aber anstatt sich selbst umzubringen, kann jeder einzelne Mensch versuchen, sich einen individuellen Sinn zu suchen.
Wie auch immer. Ich habe es hier wahrscheinlich schon geschrieben, aber Atheismus als Kategorie halte ich für nicht einengend genug. Karl Marx, der Begründer des Kommunismus, war Atheist. So mancher Neoliberale ist es, was die klassischen Religionen betrifft, wohl auch. Da die Leute, die sich alle als Atheisten bezeichnen, untereinander zu verschieden sind, würden sie sich wohl untereinander gegenseitig verbal verprügeln, bevor sie auf die Gläubigen der alten Religionen losgehen würden. Einen Nihilismus, der alles und jeden zerstören will, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, das ist auch nicht zielführend. Für mich bleibt folglich nur ein lebensbejahender Atheismus übrig, der weder selbst zur weltlichen Ersatzreligion wird wie der Kommunismus noch einen Tanz um den Fetisch des Goldenen Kalbs veranstaltet wie die Kapitalisten. Unter lebensbejahend meine ich, dass sowohl das menschliche Leben qualitativ aufgewertet wird wie auch der ganze Planet vor der Auslöschung bewahrt wird. Das sind so die Detailfragen, über die man streiten könnte. Aber Atheismus alleine halte ich, wie gesagt, als Kategorie für eine Parteigründung für zu wenig.