Hier ein interessanter Beitrag von Wolfgang Kubicki zum Thema "Demokratie heißt, konträre Meinungen auszuhalten" (leider im Bezahlbereich):
Manche Hüter der Moral glauben, Regelbrüche seien erlaubt, solange es gegen die Bösen geht. Aber demokratische Regularien müssen auch für politische Gegner gelten – selbst wenn man diese als abstoßend empfindet, schreibt Wolfgang Kubicki in einem Gastbeitrag.
https://www.welt.de/debatte/kommentare/ ... alten.html
Darin beklagt er zuerst, dass Demokratie als Staatsform an Wertschätzung verliere, und führt Entwicklungen auf, die zu Trump, Bolsonario und Orban geführt haben.
Weiter heisst es:
Es ist ein verstörender Zug der Zeit, dass sich derjenige, der sich für die Einhaltung der demokratischen Usancen starkmacht, vor allem im Netz allzu häufig übelsten Beschimpfungen ausgesetzt sieht. Sofern sich die Pöbler im weiten Rahmen der Meinungsfreiheit bewegen, muss man das jedoch ertragen. Ich finde es allerdings erschreckend, wie häufig man in die wirklich unangenehme Situation kommt, die demokratischen Rechte der Rechtspopulisten verteidigen zu müssen. Denn viele politische Mitbewerber machen selbst vor Regelbrüchen nicht halt, wenn es gegen „rechts“ geht. Dann gelten offenbar andere Maßstäbe. Dass dies unserer freien und offenen Debattenkultur schadet, wird entweder nicht erkannt oder – schlimmer noch – billigend in Kauf genommen. Das Motto lautet dann „Moral schlägt Recht“. Als Demokrat will ich das nicht akzeptieren.
Nicht nur Kubicki hat mit genau diesem Problem zu kämpfen!
Ein paar Beispiele: Im Februar 2016 verabschiedete der Landtag von Schleswig-Holstein mit den Stimmen der damaligen Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) eine Resolution gegen rechten Populismus. Hierin hieß es, der Landtag „stellt sich den neuen rechten Parteien wie der AfD entschlossen entgegen und sucht die politische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit“. Was für die meisten zunächst einmal harmlos klingen mag, ist aus rechtsstaatlichen Gründen mindestens zweifelhaft. Denn dass das Legislativorgan Landtag dazu genutzt wurde, eine missliebige Partei auszugrenzen, hat eine besondere Dimension.
Der Landtag – und nicht die Wählerinnen und Wähler – sollte also entscheiden, ob die AfD ein gutes oder schlechtes politisches Angebot macht. Hiermit erhoben Ralf Stegner und seine Leidensgenossen das moralische Mehrheitsprinzip über das Rechtsstaatsprinzip. Beteiligt waren interessanterweise ausgerechnet Parteien, die sich normalerweise für Minderheitenrechte starkmachen. Die Frage stellt sich: Was passiert eigentlich, wenn es andere moralische Mehrheiten geben sollte?
Nächstes Beispiel: Nach dem schrecklichen rechtsterroristischen Anschlag in Halle überschlugen sich die politischen Stimmen mit Forderungen, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nun auf die AfD zu reagieren habe. Von Alexander Dobrindt (CSU) bis Lars Klingbeil (SPD) war man sich einig, dass die AfD jetzt unter behördliche Beobachtung gestellt werden müsse. Diese Forderung ist deshalb sowohl wirkungslos als auch gefährlich, weil eine entsprechende Beobachtung von Parteien an strenge Regularien gebunden ist und nicht dem politischen Willen unterliegt.
Eine solche Aufforderung ist deshalb populistisch. Wenn in der politischen Auseinandersetzung der Eindruck vermittelt wird, diese Regeln könnten beliebig vom politischen Willen überwunden werden, dann bekommen wir ein grundsätzliches Problem. Mit der Illusion, Regelbrüche seien erlaubt, solange es gegen die Bösen geht, befördern politische Kräfte tatsächlich einen massiven Vertrauensverlust der Menschen in die Lauterkeit behördlichen Handelns.
Das letzte Beispiel: Es gehört gewissermaßen schon zum traurigen Klassiker behördlicher Verweigerungshaltung, dass Parteitage von nicht verbotenen Parteien in öffentlichen Gebäuden untersagt werden. In relativer Regelmäßigkeit müssen Gerichte daher immer wieder feststellen, dass auch rechtsextreme, ja sogar verfassungsfeindliche Parteien das Recht zur Nutzung dieser Räumlichkeiten haben, wenn dies auch den anderen Parteien zugestanden wird.
Ein Fall aus Wetzlar aus dem vergangenen Jahr zieht jedoch jedem, dem der Rechtsstaat etwas wert ist, die Schuhe aus. Trotz eines letztinstanzlichen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes überließ die Stadt Wetzlar der NPD die dortige Stadthalle nicht. Man muss die NPD nicht mögen – dankenswerterweise tun dies die allermeisten Menschen auch nicht –, trotzdem ist das kein Grund, die Gewaltenteilung zu ignorieren. Wenn sich Behörden nur noch an Recht und Gesetz halten, wenn es ihnen selbst als richtig erscheint, können wir uns unsere Rechtsordnung und unsere Gerichte sparen. Dann entscheidet die angebliche Moral und am Ende auch die Willkür. Was das dann im Übrigen für Minderheitenrechte im Allgemeinen bedeuten könnte, kann man sich ausmalen.
Das sind eben Beispiele in denen es den Verfassungsorganen an rechtsstaatlichem Verhalten mangelt.
Ja, sie existieren - Legislative, Exekutive, Judikative, alle Gesetze dazu usw. . Aber ein Rechtsstaat lebt eben davon, dass diese Organe auch ihrer angedachten Funktion entsprechend handeln. Das mit "Rechtsstaat am Ergebnis messen" zu verwechseln, zeigt eine urdeutsche Krankheit.
In Deutschland glauben sehr viele Menschen, dass das was in Gesetzbuch steht, dadurch dass es da steht auch gelebt wird. Der Glaube daran erscheint mir in Deutschland sehr viel ausgeprägter zu sein als im Ausland. Dabei sind auch Gesetze nur beschriebenes Papier und Polizisten und Richter nur verkleidete Menschen, wenn nicht die Gepflogenheiten in der Gesellschaft die Menschen dazu bringen nach den Buchstaben UND der Philosophie dieser Gesetze zu handeln. Genau darin sehe ich erhebliche Defizite, die Kubicki hier an Beispielen benennt.
Abschließend ein wichtiger Absatz:
Ein Demokrat achtet die demokratischen Regeln und Institutionen und verteidigt sie gegen jedermann – die Meinungsfreiheit zum Beispiel auch und gerade dann, wenn die Meinung abstoßend, widerlich oder eklig ist, sich dabei aber im Rahmen der Gesetze bewegt. Er sieht im Gegenüber zuerst einen Menschen, der nach Artikel 1 unserer Verfassung eine achtens- und schützenswerte Würde hat.
Das sehe ich im aktuellen gesellschaftlichen Klima kaum gegeben. Man muss nur aufmerksam durch das Forum streifen um festzustellen wie personengebunden die Debatten sind. Es zählt zuallererst zu welchem Lager man gehört. Wer versucht sachlich zu diskutieren ist sehr sehr schnell davon eingefangen - es ist vielfach kaum möglich.
Meine Hochachtung an Kubicki. Das ist wahrer demokratischer Geist. Davon können sich so manche "bedingungslose Kämpfer für die gute Sache" was abschauen.