Sören74 hat geschrieben:(20 Jul 2019, 23:34)
Das klingt jetzt alles nach punktueller Besserstellung. Die Finnen haben ein tolles Bildungssystem, die Schweden den besseren sozialen Zusammenhalt, die Südeuropäer sind gastfreundlich usw. Ja klar, man kann nicht in allen Positionen absolute Spitze sein. Man kann danach streben, was ich begrüßenswert finde. Wenn es aber nicht überall gelingt, muss man aber deshalb nicht wieder in einem Jammerton verfallen. Sowas ist arg griesgrämig und hat im internationalen Sprachgebrauch schon Eingang gefunden, German Angst. Die Furcht, dass hier gleich alles zusammenbricht, während uns andere Länder für unseren
Gesamteindruck beneiden. Und dann wäre ich wieder bei dem Thema, wer steht denn
insgesamt deutlich besser da als Deutschland? Ich warte immer noch auf Vorschläge.
Ohne Frage. Wer aber nicht mehr in der Lage ist, einen realistischen Blick von außen auf das eigene Land zu richten, verliert irgendwann Maß und Mitte. Wichtig ist doch, dass man eine realistische Sichtweise an den Tag legt und keine Dystopien ausmalt.
Das hier ist ein Innenpolitikunterforum. Ich weiß natürlich nicht im Detail, wo es sich am besten lebt. Ich habe aber auch weder Zeit noch Energie oder Geld, um jetzt entweder die ganze Welt zu bereisen oder mich in Kürze schlau zu machen. Aber nehmen wir mal das Beispiel Pflegenotstand oder Ärztemangel in ländlichen Gebieten. Da nützt es nichts, wenn Deutschland vielleicht insgesamt eine gute Performance hinlegt, wenn man das Ganze von außen betrachtet. Wenn man sich den Fuß gebrochen hat, dann braucht man möglichst schnell gute Hilfe. Und gerade der Punkt, dass das Krankenhaussystem in einem der nominell reichsten Ländern der Welt kaputtgespart wird, spricht Bände. Bei psychischen Beschwerden ist das Ganze sowieso noch viel schlimmer. Ich weiß von Leuten, die einen Burnout hatten und monatelang auf eine Kur warten mussten. Da es aber hierzulande mittlerweile überall nur noch Fallpauschalen gibt, werden die Leute quasi mit offenen Wunden bzw. noch blutender Seele wieder nach Hause geschickt.
Und auch die Bahn ist in den letzten Jahrzehnten total kaputtgespart worden, um ein völlig anderes Beispiel zu bringen. Bzw. sie hat sich auch mit Stuttgart 21 total verhoben. So unpünktlich wie derzeit waren die Züge noch nie. Das hat aber nichts mit German Angst zu tun, dass einen das ärgert. Viele Berufspendler sind ja auch auf die Züge angewiesen, wenn sie nicht ein Auto besitzen, um damit die Straßen zu verstopfen.
Im Übrigen ist das, was ich meine mit der Griesgrämigkeit und dem Rumjammern als Selbstzweck wohl auch ein Mentalitätsproblem. Meine Familie -und ich auch- sind noch in Rumänien geboren. Als meine Eltern nach Deutschland gekommen sind, haben sie alles getan, um ein eigenes Haus zu haben und es abzuzahlen. Die nächste Generation wiederum war zumindest fleißig und intelligent genug, um es an eine deutsche Universität zu schaffen. Was mich betrifft, so bin ich ein Sonderfall. Ich wurde irgendwann chronisch krank und musste mein Studium abbrechen. Nach einer gewissen Zeit galt ich auch als austherapiert. Aber ich habe das nicht auf mir sitzen lassen. Anstatt mich von meiner Erkrankung brechen zu lassen und zusätzlich zum Kettenraucher zu werden und mich im eigenen Leid zu suhlen, habe ich irgendwie den Umständen entsprechend enorme Fortschritte gemacht. Mein Vater ist mittlerweile in Rente. Er hatte aber auch ein halbes Jahr verlängert. Und meine Mutter ist gesundheitlich so fit, dass sie es locker mit einer jüngeren Arbeitskollegin aufnehmen könnte. In der größeren Verwandtschaft habe ich drei Kusinen und einen Cousin, die entweder fertig studiert haben oder noch dabei sind, den Master zu machen. Also eigentlich alle aus meiner Verwandtschaft. Und das soll nicht arrogant klingen. Es gibt auch bei den Rumäniendeutschen genug Leute, die nichts verändern wollen und lieber rumjammern. Das ist dann so wie bei den Leuten, die 120 Kilos wiegen und lieber alle möglichen Tabletten fressen als den schweren Weg zu nehmen und abzunehmen.
Aber dieses Mentalitätsproblem ist es, das ich nicht verstehe. Ich habe in meinem Leben schon einiges durchmachen müssen. Aber ich will immer wieder kämpfen, dass es mir noch besser geht. Und das liegt bei meiner Familie wohl auch in den Genen. Dazu muss man sich den Stand der Dinge in aller Härte und ohne Weichzeichner bewusst werden. Und dann muss man kämpfen und sich anstrengen, damit man es irgendwann besser hat. Dazu gehört dann auch ein genügend großer Ehrgeiz. Aber vermutlich bin ich auch Perfektionist. Und bei vielen Menschen in der Gesellschaft sehe ich das nicht. Viele Deutsche leben schon seit Jahrhunderten in diesem Land. Aber im Gegensatz zu uns Spätaussiedlern haben sie immer noch kein eigenes Haus. Und auch die Ausbildungssituation ist schlecht. Und was das Wahlverhalten betrifft: Natürlich sehen schon einige die Probleme im Land. Aber weil sie unfähig oder nicht gewillt sind, sich auf was neues einzulassen, jammern sie lieber. Im Endeffekt werden aber doch wieder die gleichen Parteien gewählt, die ihre Probleme entweder nicht lösen können oder aber auch gar nicht wollen.
Und deswegen ist mein Klagen anders zu bewerten wie das Rumjammern von Leuten, die zwar die Probleme sehen, aber dann doch nichts dafür tun wollen, um aktiv ihre Situation zu verbessern. In dem einen Falle muss man nämlich bereit sein, die eigene Komfortzone zu verlassen und neues zu wagen. Die anderen haben sich in ihrer miesen Situation dagegen gut eingerichtet und jammern lieber lebenslänglich rum. Oder sie gehören zur Fraktion der Gesundbeter.
Ich für meinen Teil könnte mich über viele Dinge aufregen, die in Deutschland passieren. Ich habe aber auch gelernt, mich abzugrenzen von dem ganzen Mist, der so passiert. Trotzdem finde ich, dass es, was beispielsweise den Schmutz auf den Straßen betrifft, Deutschland nicht vorbildlich ist. Und auch die Verrohung der Gesellschaft fällt mir auf. Und dies wird aber auch von der Politik begünstigt. Und umgekehrt.