schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Sep 2018, 15:26)
Wenn man
politisch diskutiert, muss man das persönliche versuchen, richtig einzuordnen. Es geht ja eigentlich nicht um "Spießigkeit". Ich und viele andere haben dieses Zeremoniell halt so wahrgenommen:
Die "Weltfestspiele der Jugend und Studenten" 73 in Berlin, was ich da alles so als pubertierender Jugendlicher erlebt habe ... gehört nicht hierher, ist aber alles andere als "spießig". Politisch gesehen waren sowohl diese Weltfestspiele als auch die Frauentage hunderprozentig durch Partei- und Staatsführung instrumentalisiert. Die Weltfestspiele 73 waren nicht nur mein erotisches Erweckungserlebnis sondern die größte Polizeiaktion der DDR seit 1956 und es wurden mehr politische Staatsfeinde in psychiatrische Kliniken eingewiesen als ich während dieser Zeit hübsche Mädels überhaupt
gesehen habe. So knallhart und illusionslos
muss man das betrachten.
Müssen muss man gar nichts. Im Gegenteil: Man sollte sich bemühen, so differenziert wie möglich an solche Dinge heranzugehen. Das bedeutet, dass sich erst aus den vielen vielen Einzelmeinungen und Einzelerfahrungen der Leute, die es erlebt haben und die natürlich ebenfalls reflektieren wie man selbst, ein halbwegs akzeptables und gültiges Bild von der DDR ergibt. Und nicht aus irgendwelchen Schlaumeier-Kommentaren aus Oberammergau. Und es kann doch nicht sein, dass sich Tausende, wenn nicht gar Millionen überhaupt nicht wiederfinden in den ständigen Einheits-Feiertags-Reden, die in Kürze wieder auf uns niederplätschern. Ich kann da nur sagen: Nein, nein, nein, so war es nicht. Jedenfalls nicht so einfach. Dieses "einerseits und andererseits", was ich oben ansprach, sollte man schon versuchen zu sehen.
Und die Weltfestspiele 73, wo der klassische Urberliner an sich sowieso nicht dabei war; er flüchtete so weit weg wie möglich, hab ich auch ganz anders erlebt. Ich war da in keiner "Zehnergruppe" oder dergleichen, sondern nur mal einen Nachmittag, einen Abend und eine Nacht ganz privat mit Freunden vor diversen Bühnen und in diversen Theatern, die sich ja alle mit sehr unterschiedlichen interessanten Programmen beteiligten. So, wie ich auch sonst dahin gegangen wäre. Und das war einfach faszinierend, was man da erleben konnte. Dass die Wiesenflächen auf dem Alex hinterher wie verbrannt aussahen, lag am akzeptierten Dauer-Vö...
Habs selbst beim Vorbeigehen gesehen, wie sich da ungehindert, ungeniert und frei querbeet geliebt worden ist. Daher der Spottname des Festivals "Interpimper 73". Ja klar, war das Ganze irgendwo auch Inszenierung einer Freiheit und Weltoffenheit, die es sonst nicht gab in der DDR. Aber die vielen interessanten Gespräche mit Leuten, darunter zig Künstler, aus aller Herren Länder möchte ich nicht mehr missen im Nachhinein. Unvergesslich das Ganze.
Ja, und der Frauentag - sagte ich oben schon - wurde einerseits ziemlich spießig abgehandelt und immer wieder gleich. Aber andererseits - in anderen Kreisen - eben auch originell und zugewandt und so, dass man das Ereignis in allerbester Erinnerung hat. Dieses Vereinheitlichen im Nachhinein wundert mich schon ein wenig bei dir, wo du sonst doch immer für Individualität und Differenzierung plädierst. Wie gesagt: Es gab sone und sone Feiern. Wer nicht wollte, nahm nicht teil oder suchte sich genau die Feiern, die eben nicht spießig waren. Das, was Honecker da bei dieser Vorzeige-Frauentags-Schaffe veranstaltete, das war das Letzte. Da hast du recht. Das hat bei uns aber auch keiner ernst genommen. Es weckte eher ein müdes Lächeln.
Dennoch ist mir natürlich klar, dass es schwierig ist, bei dieser Thematik auf alle Widersprüche, auf Positives und Negatives gleichermaßen zu schauen und es politisch aus heutiger Sicht einzuordnen, wenn man selbst zu den Verfolgten und Reglementierten gehörte. Da hat man zumeist seine abschließende Meinung schon lange gefunden und dabei bleibt man dann auch. Das leuchtet mir ein. Einer aus meinem näheren Umfeld wertet zum Beispiel alles haargenauso wie du. Wir haben darüber immer mal wieder Gespräche und kommen nicht unter einen Hut. Er fragt mich da auch immer, wieso gerade ich bei dem familiären Background trotzdem immer noch was Positives an der DDR sehe. Das ist schwierig zu beantworten. Ich kann es da immer nur so machen, wie ich es hier mache. Es gab halt Dutzende Geschichten, die waren einfach mal menschlicher und besser, als das heute der Fall ist. Und ich glaube auch nicht an die Legende, dass das höhere Maß an Menschlichkeit und Solidarität der Leute untereinander (was man bis heute spürt bei vielen Ossis) ausschließlich aus der Mangelwirtschaft und der Unfreiheit geboren war. Nee, da war noch was anderes... Naja, jut. Und punkt. Bringt nichts, sich da weiter zu zerfleischen. Aus und vorbei
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz