Occham hat geschrieben:(27 Jul 2020, 18:13)
Bei einem BGE stellt sich eben auch die Frage, wer muss arbeiten und wer nicht und dass ist unmoralisch. Es muss also irgend ein Verfahren geben, das dich im Auge der Automatisierung zum arbeiten bzw. zum nicht arbeiten auswählt, dann ist es aber nicht mehr bedingungslos...
Das ist eine sehr engstirnige Sichtweise. Tatsächlich ist es auch heute schon so, dass eigentlich alle Menschen arbeiten - aber längst nicht alle Arbeiten in den Wirtschaftskreislauf und Geldkreislauf eingebunden sind. Das ist auch nichts neues - vielmehr wurde auch schon permanent gearbeitet, als es noch nicht einmal Geldsysteme gab.
Arbeit lediglich als Mittel zum Zweck des Überlebens zu definieren - darüber sind wir schon eine ganze Weile hinweg. Wer heute über moderne Formen des Arbeitens nachdenkt, denkt vielmehr auch daran, dass nahezu alles was wir tun, Arbeit ist. Arbeit hat dann längst nicht nur den Zweck, dass man Geld verdient - sondern mehr noch, dass man Selbstbestätigung bekommt, positive Rückmeldungen von Dritten und auch den eigenen permanent vorhandenen ganz menschlichen Willen zum Schaffen und Gestalten befriedigt.
Gerade im Zusammenhang mit der Frage der Gleichberechtigung wird deutlich, dass heute viele Formen des Arbeitens im Geld- und Wirtschaftssystem nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt sind. Darunter sind sehr viele Tätigkeiten zu finden, die im familiären Bereich häufig von Frauen getätigt werden. Ein schönes Beispiel dafür ist folgendes:
Eine Mutter, die ihr Kind erzieht, bekommt dafür erst einmal kein Einkommen.
Eine Erzieherin, die fremde Kinder erzieht, bekommt dafür ein Einkommen durch die Gesellschaft in Höhe von wenigstens 40.000€ im Jahr.
Eine Erzieherin, die das eigene Kind in das Heim bringt, in der sie Erzieherin ist, bekommt also für diese Tätigkeit 40.000€ im Jahr, während sie ohne die Unterbringung im Heim für dieselbe Tätigkeit leer ausgeht......
Die Selbst-erziehende Mutter hat dabei anders als die Erzieherin keinen Urlaub, kein Weihnachts und Urlaubsgeld, keinen Anspruch auf Krankheitstage etc. etc. etc.......
Wer solche Sichtweisen als irrelevant oder gar Humbug abtut, sollte sich klar machen, dass sehr viele Tätigkeiten, die heute in den Geldkreislauf und den Wirtschaftskreislauf integriert sind, vor wenigen Jahrzehnten noch weitestgehend außen vor waren. So ist es heute normal, dass Kleinkinder von Tagesmüttern betreut werden, oder in Kindertagesstätten aufgefangen werden. Und der Kindergarten gilt inzwischen schon fast als Bildungseinrichtung. Und auch am anderen Ende des Lebens haben sich bemerkenswerte Veränderungen etabliert - während es vor 50 Jahren noch völlig normal war, dass der Lebensabend durch die eigene Familie kostenfrei begleitet wird, wird es zunehmend normaler, dass man heute mit 80+ in einem Pflegeheim oder betreuten Wohnen untergebracht ist. Man mache sich klar: Solange die Arbeit im Kreis der Familie erbracht wurde, was sie meist nicht oder allenfalls geringfügig im Geldkreislauf und Wirtschaftskreislauf integriert - während die Tätigkeiten heute im Geldkreislauf und Wirtschaftskreislauf völlig normal mitlaufen.
Auch diese Veränderung ist mit ein Grund dafür, warum uns die Arbeit nicht ausgeht - trotz all der Rationalisierungen, die wir ja seit vielen Jahrzehnten erleben!
Natürlich kann man sagen, dass die Pflege des eigenen Garten Privatvergnügen ist - aber gilt das auch noch, wenn der Garten speziell so angelegt wird, dass heimische Insekten dort eine Überlebensinsel finden? Oder leistet dann der Privatgärtner nicht doch wichtige gesellschaftliche Arbeit?
Wie ist das mit den vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten, die wir gerade auch in Deutschland mit seiner reichen Landschaft an Vereinen kennen? Ist das keine Arbeit? Oder Arbeit für Umme?
Gerade das Internet zeigt auf, wie fließend die Grenzen zwischen unbezahlter Arbeit und bezahlter Arbeit sind. Wer auf Youtube mal nur ein Filmchen postet, der bekommt vielleicht ein paar Anhänger.......andere posten regelmäßig Filmchen, und kommen irgendwann auf Zahlen, wodurch sie zu Influenzern werden, was dann bezahlt wird.....die Grenze dazwischen ist fließend.
Und das ist keineswegs neu!
Wer Tomaten züchtet, gibt Setzlinge gerne auch mal an Verwandte, Kollegen und Bekannte ab.....wenn diese für diese Leistung was zahlen....sind wir schon im Bereich dessen, was als Arbeit gilt, und im Geldkreislauf integriert abläuft.
Ebay ist ein weiteres Medium, welches aufzeigt, wie fließend heute die Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit ist......
Und was ist mit der Arbeit, die so mancher Hartzer aufnimmt, wenn er regelmäßig die Mülltonnen seiner Umgebung nach Pfandflaschen absucht......und sich den Gewinn daraus illegalerweise unversteuert sich selbst zuschreibt......ist das nun Arbeit, oder nicht?
Jugendliche, die regelmäßig Playstation u.ä. spielen - Arbeit oder nicht? Nun - die einen sind die Aufreger für die Eltern - die anderen schaffen es bei e-Sports in die obersten Ligen mit vielen Fans und verdienen richtig viel Kohle....die Grenzen sind fließend......
Was genau ist also Arbeit? Was ist bezahlte Arbeit? Und wer genau Arbeitet in dem Sinne, dass es in den Geldkreislauf integriert abläuft, und wer arbeitet für ja....was eigentlich?
So mancher Mann hat schon die Erfahrung gemacht, dass er gerne wieder in die erholsame Arbeit seines Jobs zurückkehrt - als Alternative zur Arbeit als Vater, wenn das eigene Baby im 3-Stundenrhythmus nach Nahrung schreit....das überlässt man der Frau....die das unentgeltlich erledigt.....wie gut, dass man sich dann als Mann auf der "Arbeit" ausruhen kann......
Ich denke, wir sollten uns mal von naiven Vorstellungen von Arbeit lösen, und etwas allgemeiner über den Begriff der Arbeit nachdenken, bevor vorschnell und ziemlich naiv und rückständig Arbeit und Einkommen gleichgesetzt werden.
Es gibt gute Gründe, warum Vordenker heute über ein BGE nachdenken - und es ist ziemlich rückständig, wenn Wenig-Denker entsprechende Hinweise vorschnell mal wieder unter Verweis auf erdachte Faulenzer abtun.....
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit BGE-Konzepten setzt immer auch voraus, dass man sich mal ernsthaft mit dem Thema Arbeit und Einkommen und dem zugrunde liegenden Wirtschaftssystem auseinandersetzt.