Dies erachte ich als naive Träumerei. Als Verbraucher habe ich fast keinen Einfluss darauf, wie viel Geld die Textilarbeiterinnen in Bangladesch bekommen. Dies geht nur mit einem Lieferkettengesetz, das den Namen verdient! Und hier ist eindeutig der Staat gefragt! Dem Kapitalismus als System ist es völlig egal, wie niedrig die Löhne und die Sozialstandards der produzierenden Arbeiterinnen sind. Und auch die Umweltkosten werden einfach externalisiert. Das heißt: Gewinne werden privatisiert. Um die Zerstörung der Umwelt durch die Produktion sollen sich andere kümmern. Hohe Sozialstandards und strenge Umweltauflagen gefährden den Gewinn.Liegestuhl hat geschrieben:(08 Oct 2021, 09:48)
Natürlich ist der Kapitalismus eine demokratische Veranstaltung. Der Unternehmer versucht das herzustellen, was der Kunde wünscht und zu kaufen bereit ist. Wenn er am Kunden vorbei produziert, scheidet er (und sein Produkt) aus dem Markt aus. So wird gewährleistet, dass die Kundenentscheidung auch zum Maßstab jeglicher Wirtschaftsethik wird. Wenn die Kunden nur noch Fleisch von freilaufenden Hühnern kaufen, dann werden die Produzenten auch nur dieses Fleisch herstellen.
Oder, um mal ein anderes Beispiel zu nennen: Smartphones werden teilweise aus sogenannten "seltenen Erden" hergestellt. Doch wo finden sich diese Metalle? Wenn man nicht aus China Waren bestellen will, so kommen diese Metalle vor allem aus Afrika. Diese werden in der Regel von Kinderarbeitern unter unwürdigen Bedingungen geschürft. Dann werden sie von irgendwelchen Warlords an den Westen verkauft. So klebt dann quasi Blut an jedem Kauf eines Smartphones. Die Mehrheit der Menschen wissen dies aber gar nicht. Und sie könnten diese Verbrechen mit ihrem Verhalten auch gar nicht beeinflussen. Muss man sich als Verbraucher jedes Mal bei jedem Produkt darüber informieren, inwieweit die Substanzen, die darin verarbeitet werden, unter menschenunwürdigen und umweltschädlichen Bedingungen aus der Erde geholt und verarbeitet werden? Und was ist das dann für eine Wahl, wenn man beispielsweise nur zwischen Coltan aus der chinesischen Superdiktatur wählen kann oder aber solchem, an dem quasi das Blut von afrikanischen Kinderarbeitern klebt? Der Kapitalismus -bzw. der Markt- regelt da gar nichts zum Guten! Er ist folglich eine Herrschaftsideologie, die vorgibt, gar keine zu sein.
Solche Dinge wie Sozialismus und Kommunismus stehen hier auch gar nicht zur Debatte. Auch das, was vor 1990 in den Ostblockstaaten herrschte, war, theoretisch betrachtet, nur eine undemokratische Herrschaftsideologie. In puncto Umweltzerstörung, systemimmanente Demokratiefeindlichkeit und der Weigerung, freie Gewerkschaften zuzulassen, schenken sich Kapitalismus und Kommunismus nichts. Der Unterschied ist nur: Die kommunistischen Unrechtsregimes sind -außerhalb des staatskapitalistischen Chinas- auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Der Kapitalismus wiederum lebt als Untoter dagegen noch weiter. Und die Krisen werden immer schlimmer: Bankenkrisen, Klimakrise usw.Daraus begründet sich auch die moralische Überlegenheit des Kapitalismus über den Sozialismus, in dem eine Nomenklatura darüber entscheidet, was gut für die Menschen ist.
Die Lösung? Wie wäre es beispielsweise mit "Mehr Demokratie wagen"?
Demokratie ist aber nur möglich in Gesellschaften, die einen funktionierenden Rechts- und Sozialstaat haben! Zur Erinnerung: Die Kommunisten wollten im Endstadium den Staat abschaffen. Und auch die radikalen Anhänger des Kapitalismus wollen den Staat durch den Markt ersetzen. Die Staatsfeindlichkeit ist hier also genau so riesig, wenn man sich das Ganze mal theoretisch betrachtet. In der Praxis natürlich herrscht in China ein Überwachungsstaat. Und auch die Kapitalisten können von der Staatsknete nicht lassen. Gewinne werden, wie gesagt, privatisiert. Wenn dann aber beispielsweise eine Krise kommt, dann schreit auch selbst die Lufthansa nach finanzieller Unterstützung durch einen Nanny-Staat, der sie vor der Pleite bewahren soll, anstatt ganz im kapitalistischen Sinne aufrecht stehend unterzugehen. Und die Lufthansa ist da nur ein Beispiel unter vielen.
Die Inkonsequenz ist also bei beiden Seiten erwiesenermaßen vorhanden.
Aber, wie gesagt: Der Kommunismus steht hier gar nicht zur Debatte. Der Kapitalismus dagegen will genau so die Welt beherrschen. Seine Anhänger behaupten jedoch, dass er gar keine Herrschaftsideologie sei. Trotzdem bezahlen auch hier Menschen mit ihrem Blut und ihrem Leben für den Profit anderer. Und auch der Mensch wird auf inhumane Weise selbst zur Sache bzw. zur Ware. Was den kommunistischen Diktaturen ihre Arbeitslager und Gulags waren und sind, in denen unmenschliche Zustände herrschen, das sind beim Kapitalismus die toten und ausgebeuteten Kinderarbeiter in der sogenannten Dritten Welt. Und auch hierzulande führt die Durchökonomisierungsideologie dazu, dass Menschen immer mehr als Ware bzw. als Konsumgut betrachtet werden. Siehe hierzu auch das Beispiel der Single-Börsen im Internet.
Wie jede andere Herrschaftsideologie versucht sich aber auch der Kapitalismus als "alternativlos" darzustellen, um sich zu legitimieren. Er schafft es aber durch sein Dasein nicht, die Weiterexistenz der Menschheit auf diesem Planeten zu gewährleisten. Wenn jeder Mensch, jede Pflanze und jedes Tier nur noch nach ihrem ökonomischen Wert beurteilt wird, so darf es nicht verwundern, dass der ganze Planet bis zum Geht-Nicht-Mehr ausgebeutet werden. Fehlende Sozialstandards sind ihm genau so egal wie der Verlust an Leben, um seine Weiterexistenz zu gewährleisten. Wichtig ist nur, dass immer mehr Kapital akkumuliert wird. Ob dieses Geld aus kriminellen Geschäften stammt oder aber -siehe die Panama Papers oder aber die Pandora Papers- aus Diktaturen wie Aserbaidschan, in denen die Autokraten ihre Bevölkerung auspressen, unterdrücken und umbringen, dies stört an den Börsen niemand.
"Alternativlos" ist jedoch gar nichts im menschlichen Leben. Außer der Tatsache, dass wir alle irgendwann sterben müssen. Wie ich schon an anderer Stelle erwähnte, ist der Mensch zur Freiheit verdammt. Dies war auch die Ansicht der französischen Existenzialisten. Der Kapitalismus als System ist folglich auch nicht alternativlos. Die Menschheit hat die Wahl, sich dagegen zu entscheiden, wenn sie überleben will. Es gibt keine Verpflichtung, das kapitalistische System bis zum totalen ökologischen Zusammenbruch aufrecht zu erhalten. Die Zukunft ist offen.
In diesem Sinne denke ich auch, dass dieser Thread im Philosophie-Unterforum richtig ist. Ich kritisiere hier auch vor allem die theoretischen Grundlagen, mit dem sich der Kapitalismus fälschlicherweise zu legitimieren versucht. Bzw. sich als scheinbar alternativlos und demokratiefördernd darzustellen versucht.