H2O hat geschrieben:(08 Jan 2019, 20:50)
Völlig in Ordnung, das ist auch so! Nur schimmert eben ein Vorbehalt durch, daß andere gemeinsame Organe von Gemeinschaften eben nicht über diese Legitimation
verfügen. Das können Staatsrechtler ja durchaus so sehen; aber mir ist kein Fall bewußt, in dem ein Staatsrechtler erfolgreich die Handlungen der EU und ihrer Organe in ihre Schranken gewiesen hätte.
Herr Rüttgers setzt damit einen Irrtum in die Welt, oder Sie haben ihn nicht so wiedergegeben, wie er sich erklärt hat. Der Gesetzgebungsmechanismus der EU ist viel komplizierter. Sehen Sie mir bitte nach, daß ich als Ingenieur vielleicht nicht so richtig die zugehörige Fachsprache beherrsche.
Also: Der EU-Kommission steht kein "Initiativrecht" zu. Dies liegt ganz überwiegend beim EU-Ministerrat, einem Organ, das fallabhängig von Regierungsmitgliedern der einzelnen Mitgliedsstaaten gebildet wird... in ganz entscheidenden Fällen auf Ebene der Premiers, Kanzler, Präsidenten. Die erkennen gemeinsam mit "qualifizierter Mehrheit" die Notwendigkeit eines Gesetzes, geben vorformuliert ihren Willen der EU-Kommission bekannt. Die EU-Kommission verfügt im Gegensatz zum EU-Ministerrat über eine gesetzeskundige Beamtenschaft, die dadurch Querverbindungen im EU-Regelkörper erkennt und den Gesetzesvorschlag rechtsfest in Gesetzestexte der offiziellen Gemeinschaftssprachen umsetzt. Jetzt wäre es schon sehr verwunderlich, wenn die Kommission dieses Ergebnis nicht dem EU-Ministerrat zur Kontrolle und Zustimmung vorlegte. Aber sei's drum.
Der Gesetzesvorschlag wird dem EU-Parlament zugeleitet, das darüber spricht und verhandelt, vielleicht sogar Änderungen daran anregt. Die Kommission bearbeitet diese Anliegen, und der Ministerrat befindet erneut darüber. Wenn am Ende dieses Abgleichs alle Seiten glücklich sind, dann gehen EU-Gesetze den nationalen Parlamenten zur Ratifizierung zu. Ratifizierung heißt nicht "abnicken", sondern durchaus auch Widerspruch des nationalen Parlaments. Darüber wird dann wieder im EU-Ministerrat beraten, geändert, abgestimmt... usw. Und irgendwann ist ein EU-Gesetz dann zustimmungsfähig und geht danach ziemlich geräuschlos in den nationalen Gesetzeskörper über.
Ziel der Übung: Überall in der EU sollen nationale Richter auf der Grundlage dieser Gesetze zu übereinstimmenden Urteilen kommen. Ich bin davon überzeugt, daß diese Verfahrensregelung der EU-Gesetzgebung auch schriftlich festgelegt ist.
Das ist doch nicht dumm, sondern ein Teil der Gesetzgebungsverfahrens, das durchaus in ein Pingpong-Spiel zwischen EU-Ministerrat, EU-Kommission und EU-Parlament ausarten kann. Allerdings sind das dort überwiegend ganz vernünftige Leute, die gestalten wollen, so daß mir im Augenblick kein Fall gegenwärtig ist, wo es dieses aufregende Pingpong-Spiel gegeben hat.
Dennoch will ich nicht vergessen, darauf hin zu weisen, daß in der EU einiges in Bewegung ist. So hat das EU-Parlament sich regelwidrig das Recht ertrotzt, dem EU-Ministerrat einen EU-Präsidenten aus den Reihen der Parlamentarier vor zu schlagen. Die Regel ist aber, daß dies der EU-Ministerrat nach eigenem Ermessen tut.
Der EU-Ministerrat ernennt auf jeden Fall die EU-Kommissare, die nach nationaler Zugehörigkeit vorgeschlagen werden. Nach dem BREXIT sind das 27 Kommissare aus 27 Mitgliedsstaaten für zugeordnete Sachgebiete. Klar, daß die Welt in 27 Sachgebiete eingeteilt werden muß
, aber so ist sie nun einmal, diese EU.
Und nun gilt die Regel, daß das EU-Parlament den mühsam ausgehandelten Kommissionsvorschlag des EU-Ministerrats insgesamt zurückweisen kann, also keine Kommission gegen seinen Willen gebildet werden kann. Eine Hand wäscht die andere, und so schlägt das EU-Parlament den Kommissionspräsidenten aus seinen Reihen vor, und der EU-Ministerrat tut gut daran, das so hin zu nehmen, damit nun "seine" Kommissare durchgehen. Damit nicht genug: Das EU-Parlament lädt jeden der vorgeschlagenen Kommissare zum Gespräch im Parlament, um deren Sichtweisen kennen zu lernen... in der Presse heißt das: Sie zu grillen. Und nickt ab... oder weist zurück.
So darf sich der CSU-Abgeordnete in der Fraktion der europäischen Volksparteien einige Hoffnung machen, bei ausreichender Mehrheit im EU-Parlament zum Nachfolger des EU-Präsidenten Juncker vorgeschlagen zu werden. Wieder wäscht eine Hand die andere: Wenn diese Mehrheit mit einem Bündnis mit einer anderen Parlamentsfraktion errungen wurde, dann stellt dieser Partner den EU-Parlamentspräsidenten. Diese Abläufe waren erstmals bei der Wahl des EU-Präsidenten Juncker zu beobachten, in der als Nebenprodukt der EU-Parlamentspräsident Schulz aus der Fraktion der sozialistischen Parteien im EU-Parlament ins Amt gewählt wurde.
Jetzt habe ich mich aber wirklich redlich bemüht, Ihnen zu vergegenwärtigen, wie in der EU am Ende doch wieder demokratische Entscheidungen getroffen werden. Daß man daran arbeiten sollte, das EU-Parlament "volksnäher" zu bestimmen und ihm mehr "Initiativrechte" zu zu gestehen... den EU-Ministerrat als 2. Kammer der Gesetzgebung mit eingeschränktem Veto-Recht um zu bauen ...klar, das wäre besser. Aber so ist das eben in der Politik. Hauptsache ist der Effekt (hieß es einmal im Film "Das Wirtshaus im Spessart") Und was heute nicht ist, kann morgen kommen.
Noch eine Anmerkung: Natürlich verfügt die EU in Fragen der Gemeinschaft über eine unabhängige Justiz, den Europäischen Gerichtshof. Die EU-Kommission sieht sich als Hüterin der EU-Verträge; sie kann bei erkannten Regelbrüchen den EuGH anrufen, der auf der Grundlage der bestehenden EU-Gesetze ein Urteil fällt... oder aber anmahnt, eine Gesetzeslücke zu schließen. Weniger sicher bin ich, ob einzelne EU-Mitglieder diesen EuGH anrufen können, wenn ihnen aus ihrer Sicht ein Unrecht zugemutet wird.
Ganz zum Schluß "Aufgabe von nationalen Souveränitätsrechten": Das geschieht, indem EU-Mitglieder die Verhandlungsmacht für Verträge der EU, die am Ende auch sie im Alltag betreffen, der EU-Kommission übertragen, die dadurch im Namen der Gemeinschaft mit ganz anderer Verhandlungsmacht etwa China oder Japan oder den USA gegenüber tritt.
Auch da ist noch einiges im Fluß. Kein Nationalstaat verzichtet bisher auf teils nutzlose Auftritte auf der großen Weltbühne... aber immerhin hat man schon eine Außenbeauftragte der EU, Frau Mogherini, eingesetzt, an der sich die "Nationalen" gern vorbei drängen. Dann verhandelt der Außenminister von Malta eben mit Japan oder China über den Lauf der Welt.
Der guten Ordnung halber will ich aber auch unseren Außenminister nennen, der den großen Auftritt vor der UNO pflegt, oder aber die beiden Führernaturen Merkel und Macron, die Rußland und Ukraine zu Waffenstillständen und Gebietsrückgaben veranlassen wollen. In meinen Augen nahezu kindische Aufführungen.