Skeptiker hat geschrieben:(23 Aug 2019, 09:18)
Das ist eben genau der Punkt. Das NetzDG löst einen Beifang aus, der aus all dem besteht, was Laien nicht sicher als strafrechtlich relevant oder Teil von Meinungsfreiheit trennen können.
Dadurch filtert man mit illegalen Hassbeiträgen auch diejenigen mit legalem Zorn weg.
Es wird sehr spannend sein zu sehen wie die linke gesellschaftliche Hälfte reagieren wird, wenn das von ihr getragene Gesetz bei einem Thema gegen diese angewendet wird, wenn es das erste mal ein linkes Aufregerthema gibt. Ob man dann noch die Beschneidung von Kundgebungsfreiheit als Verteidigung der Demokratie gegen Extremisten verteidigen wird, oder einige dann wohl verstehen, dass mit dieser Beschneidung ein Wert beschnitten wird, den man vorgibt zu verteidigen?
Ich halte sehr viel mehr davon einfachen Zugang zu seriösen Quellen zu geben, sodass jeder Mensch Veröffentlichungen auf Faktengehalt prüfen kann. Dann sollte man es schon den Kindern in der Schule beibringen wie ein Mensch sich eine unabhängige Meinung verschafft. Das ist viel effektiver, als Meinungskundgebungen auf einen unverfänglichen Korridor zu beschränken.
Du hast immer so eine eigenwillige Rechts-Links-Brille. Das Thema ist international ein alter Hut und hat mit der speziellen Ausformung in Deutschland nur einen Aspekt. Ueberall in der Welt haben Regierungen Gesetze auf den Weg gebracht, unter bestimmten Bedingungen Betreiber von Diensten in die Pflicht zu nehmen
- inkriminierte Inhalte proaktiv angemessen und spaetestens bei Kenntnis unverz
ueglich zu entfernen
- Urheber der Inhalte mit gebuehrender Gruendlichkeit zu identifizieren und gegenueber Behoerden ggf auch diese Information bereitzustellen
Umgekehrt haben Plattformbetreiber einerseits aus Selbstschutz, andererseits im Werben um moeglichst viele Nutzer und damit Werberelevanz
- den Kreis einstellbarer Inhalte eigenstaendig enger definiert als das Gesetz erlaubt
- ein Beschwerdemanagement und eine proaktive Suche nach Verbotenem, teilweise mit Automaten oder Personal installiert
Dabei spielt gar keine Rolle, wo genau die gesetzlichen Grenzen sind. Einige Plattformen haben traditionell subkulturelle Inhalte, auch Bilder, Zeichnungen, Musik, vorgehalten und sich spaeter auf einen schematisch-ueberkorrekten Ausschluss von U18-Inhalten, insbesondere Nacktheit und Sexualitaet, eingeschossen. Die Reaktionen im Netz sind Legion. Gern werden die absurdesten Ergebnisse vorgestellt - insbesondere wenn bezahlte Werbeeinblendungen auf derselben Seite mit Erotik arbeiten, wo der vergleichsweise milde Nutzerinhalt gesperrt wurde.
Dasselbe erstreckt sich auf Schmaehung, Miszfallensbekundungen und Kritik an oeffentlichen Personen, Marken, Vereinen, gesellschaftlichen Gruppen, Parteien.
Jedoch hat dieser Streit darum, was man auf welcher Plattform sagen darf, sehr wenig mit den zugrundeliegenden Gesetzen zu tun. Portale mit sehr weitgehenden Toleranzen fuer ausgewaehlte Themen und Gespraechskorridore existieren sehr wohl. Betreiber sind fuer ausgewaehlte Issues sehr wohl bereit, fuer den Schutz der Nutzerdaten oder die Gewaehrleistung der Aussprache vorbehaltlich des Rechtsstreits Inhalte stehen zu lassen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit Rechten Dritter kollidieren. Einige von uns kennen etwa den verstorbenen Imker Ernst K. aus Lingen, der auf Wordpress.com jahrelang Inhalte ausstellte, die in vieler Hinsicht Kritik verdienten und nach deutschem Recht auch strafbar waren. Er nahm Strafverfahren und Verurteilungen fuer seine Aussagen in Kauf. Auch der linksalternative internationale Plattformbetreiber, der jahrelang auch Bekennerschreiben autonomer Gruppen publizierte, musste fuer sein sehr weitgehendes Angebot in Kauf nehmen, dasz Teile seiner Plattform immer wieder Klagen ausgesetzt waren und schließlich einer der Teile auch verboten wurde. Die Regeln dieses Forums legen es nicht nahe, genauer darauf einzugehen.
Ich halte viel davon, die Entscheidungen ueber sagbares, die Plattformbetreiber in Form allgemeiner Regeln aufstellen und in Form von Filterung durch Menschen oder Automaten durchsetzen, zu diskutieren, zu kritisieren, sich ggf nach Alternativen umzuschauen. Eine Einschraenkung der Redefreiheit oder Meinungsfreiheit ist all das aber nicht.
Die andere Frage ist die gesellschaftliche Diskussion, ob man sich gegenseitig auf der Strasze, in einem Medium oder anderweitig auch mitteilen darf, dass man sich nicht mag, dass man die Handlungen und Aussagen Dritter verurteilt oder laecherlich findet, dass man sie als Person unwuerdig findet und dass man auch Inhalte kommuniziert, die das Selbstbild oder Fremdbild des anderen angreifen. Hier finde ich die Tendenz ungluecklich, wenn externe Dritte darueber urteilen, was wahr ist ("Fake News") oder welche Vorwuerfe man nicht machen darf ("Hate Speech") nicht im Sinne einer Meinung, sondern einer schwebend drohenden Bestrafung.
Zu allen Zeiten war es ungluecklich, wenn man Personen oder Gruppen der Verfolgung aussetzte aufgrund des oft bloszen Verdachtes, sie koennten mit ihren Aussagen unerwuenschte Bewegungen befoerdern wollen. Chaplin als Kommunist, die mittelalterliche Hexe, die unverstaendliche Religion, der man immer auch das Boese oder das Feindliche mitdenkt, das unserioese Skandalblatt, das man nicht dem Urteil des Lesers sondern dem Gericht ueberantworten will ...
Meinungen duerfen dumm sein, duerfen auf wissenschaftlich falschen oder auf vom Zeitgeist nicht ernst genommenen Ansichten basieren. Dem Streit der Meinungen mit einem vorangehenden Filter des Sagbaren zu begegnen, ist problematisch. Hingegen ist es vollkommen in Ordnung, als Betreiber bestimmte Aussagen
nicht in diesem Medium haben zu wollen oder als Kunde entsprechende Vorstellungen zu formulieren, einzufordern.
Unter dem Strich steht die Tuer, fast alles zu sagen, heute technisch und rechtlich weit auf. Einen Zuhoererkreis zu finden, ist eine andere Sache. Jedoch ist das kein Recht.