Brainiac hat geschrieben:(25 Sep 2021, 09:18)
Ich habe dazu doch eigentlich eine Menge ausgeführt und möchte das nicht alles wiederholen. Möchtest du vielleicht auf etwas davon eingehen?
Natürlich, sehr gerne
Die Stimme auf dem Wahlzettel bildet meinen politischen Willen ab, und dieser wird als Teil des gesamten Wahlergebnisses dokumentiert. Das Wahlergebnis ist aber bei weitem nicht ausschließlich deswegen wichtig, wer im Bundestag sitzt:
Richtig, für mich aber kein überzeugender Punkt, weil man in jede Meinungsumfrage das Selbe geliefert bekommt. Wahlen sind aber zur Verteilung von Macht gedacht. Dieses Ziel erreicht eine Partei unter der 5%-Hürde nicht
Politische Parteien sind Organe von Verfassungsrang, nach Art 21 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Und zwar alle. Das tun sie über Veröffentlichungen ihrer Positionen und Argumente, und über die politische Auseinandersetzung – und das geschieht im Bundestag, aber genauso auch außerhalb des Bundestags.
Das betrifft auch wieder eher die Mitarbeit in Parteien, sowie Meinungsumfragen, aus denen "Volkes Wille" abzulesen ist.
Bundestagsabgeordnete sind nach Art 38 GG "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Das besagt insbesondere, dass sie gegenüber ihren Parteien nicht weisungsgebunden sind, sehr wohl aber sich dem gesamten Volk verpflichtet zu fühlen haben - was auch einschließt, den politischen Willen der Wähler zu berücksichtigen, die es nicht in den Bundestag geschafft haben.
Korrekt, aber in erster Linie sehen sie sich natürlich IHREM Wähler verpflichtet. DER hat sie legitimiert im Bundestag eine Position zu vertreten. Der Abgeordnete wird sagen, dass es Verfassungswille ist, in erster Linie die Politik der großen Meinungsströmungen abzubilden, weil die die relevanten Positionen abbilden (also diejenigen, die es zu großen Stimmanteilen gebracht haben).
Es gibt eine Partei, die keiner Regierungskoalition angehören wird. Diese Stimmen könnte man genauso als "verloren" bezeichnen, was aber offenichtlich ca. 10% der Bürger nicht davon abhält, eben diese Partei zu wählen. (Ok, die Wähler dieser Partei haben mit den drei Parteien aus dem Video nichts am Hut
kennen aber vermutlich auch die Thematik und haben ihre eigene Antwort darauf.)
Die AfD übt eine Oppositionsrolle aus. Es wäre es massives Missverständnis des demokratischen Systems, dahinter eine "machtlose" Position zu sehen. Tatsächlich hat der Einzug der AfD in den Bundestag ganz sicher zu einer Veränderung der Politik der Regierung geführt (ob an das mag oder nicht - ist hier ja nicht das Thema).
Da man nicht Koalitionen wählt, sondern Parteien, hat man nur sehr mittelbaren Einfluss darauf, wer schließlich die Regierung bildet – und es ist sehr gut möglich, dass einem nach der Regierungsbldung die eigene Stimme dann doch "verloren" erscheint (was sie natürlich nicht ist, einem aber so vorkommen kann). Mir ist das 2017 passiert: Ich wollte Jamaika (oder Ampel) und bekam GroKo.
Hätte ich
gewusst, dass es GroKo gibt, hätte ich vielleicht lieber eine der beiden großen Parteien gewählt, um ihren Einfluss in der Regierung zu stärken.
Korrekt. Aber das ist kein Grund FÜR die Wahl von Kleinparteien, sondern GEGEN zuviel Kompromisse bei der Wahl der größeren Parteien.
Landet die gewählte Partei in der Opposition, so könnte auch hier argumentiert werden, dass die Stimme "verloren" sei - schließlich kann man gegen eine stabile Regierungskalition nicht wirklich viel machen ("Opposition ist Mist", Müntefering). Ob nun aber die eigene Partei an der Regierung beteiligt sein wird, hat man nun wirklich nicht in der Hand, gerade bei dieser Wahl nicht.
S.o. - Rolle der Opposition.
Würden immer nur Parteien gewählt, die relativ sicher in den Bundestag einziehen, droht politische Stagnation. Hätten die deutschen Bürger seit 1945 stets ausschließlich so gedacht, hätten wir möglciherweise nur ein Zwei- oder Dreiparteiensystem, wie in den USA. Ob man das dortige politische System besser findet, als das deutsche, muss jeder für sich selbst bewerten.
Korrekt, aber eher ein sehr weitreichendes strategisches Interesse der Bürger. In meinen Augen zu abstrakt um aus dem Grund eine Kleinpartei zu wählen. Aber mit entsprechend hohen Idealen, mag man einem das als Begründung ausreichen. Eher symbolisch halt.
Und last not least müssen 0,5% der Zweitstimmen erreicht werden, um an der Wahlkampfkostenerstattung teilzunehmen. Die Finanzierung ist gerade für kleine Parteien eine erhebliche Herausforderung – gute Kampagnen kosten richtig Geld.
Ja, das ist ein Grund um eine Kleinpartei zu wählen. Da gehe ich mit. Bedeutet zwar, dass ich mit meiner Stimme keine echte Macht beeinflusse, aber immerhin fördere ich Diversität in der politischen Landschaft.
Vielleicht wäre es sogar sinnvoll, den letzten Punkt stärker zu betonen, weil er in meinen Augen der einzig wirklich relevante für den Demokratischen Prozess ist.
Unterm Strich: Natürlich ist der Einfluss meiner Stimme, sofern die von mir gewählte Partei in den Bundestag einzieht, höher – das braucht man nicht wegzudiskutieren. Der Einfluss ist im anderen Fall aber eben auch nicht Null, oder "verloren" – er ist einfach nur geringer. Und das kann beispielsweise dadurch überwogen werden, dass nur diese kleinere Partei wirklich dafür steht, was ich will. Es ist eine Abwägung.
Wenn eine Kleinpartei eine sehr hohe Abdeckung mit meinem Wählerwillen hätte, und gleichzeitig alle größeren Parteien keine hohe Abdeckung mit meinem Wählerwillen hätten, dann wäre das tatsächlich ein Indikator für mich eine Kleinpartei zu wählen. Dazu müsste die Partei allerdings dann auch ein erkennbar unterschiedliches Profil zu den Großparteien haben.
Da liegt dann aber oft auch das Problem, denn in der Vielfalt der Parteien ist es wahrscheinlich eine Kleinpartei zu finden, die ein kleinwenig besser das ausdrückt was ich will. Dennoch ist der Kompromiss den man eingehen muss um eine ähnliche Position bei einer Großpartei zu finden, meist relativ klein. Das motiviert wenig die Stimme der Kleinpartei zu geben, weil das tenzenziell eher noch dem politischen Gegner hilft.
Beispiel: Im Wahlomat hatten Volt und die Grünen bei mir exakt gleiche 35%. Mal angenommen die hätten ganz oben gestanden und ich möchte etwas für die Themen Klima und Europa tun, würde ich der Idee nicht sogar schaden, wenn ich Volt anstatt Grüne wähle, weil meine Stimme bei den Grünen in Mandate umgesetzt wird, während sie bei Volt zwar als Stimme für Europa gesehen wird, meine Unterstützung des Klimaaspektes aber ins Gegenteil verkehrt wird, weil ich den Grünen Mandatswirksame Stimmanteile entziehe?
Um es ganz deutlich zu sagen: Wenn die Grünen wegen 0.3% an einer Regierungsbeteiligung scheitern, dann darf man sich bei Volt fragen, ob man nicht aktiv zum realpolitischen Gegenteil dessen beigetragen hat, was man eigentlich für richtig hält.
Der Prozess der politischen Willensbildung in der Bevölkerung findet nicht nur im Bundestag statt. Je mehr % kleinere Parteien erhalten, desto mehr werden sie bekannt, gehört und motiviert (und schaffen es vielleicht beim nächsten Mal - aber selbst das ist nicht entscheidend).
Der Unterschied zu den Nichtwählern ist, dass man bei den Wählern kleinerer Parteien weiß, wofür sie stehen (nicht nur, wogegen).
Alles richtig, alles sehr idealistisch, aber auf der praktischen Ebene bewirkt man mE durch die Wahl einer Kleinpartei, insbesondere bei einer existierenden politisch nahestehenden Großpartei, eher das Gegenteil dessen was man möchte.