Mich beunruhigt der aufgeblähte Bundestag mit 709 Abgeordneten, deren Zahl gemäß Bundestagspräsident bei anhaltendem Trend der Parteienvielfalt demnächst auf 800 ansteigen könnte... so Schäuble. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir auch noch Landesparlamente haben und Kommunalvertretungen, die ihrerseits die politischen Willensbildung fördern wollen.
Das Deutsche Reich kam mit 397 Abgeordneten zu politischen Entscheidungen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstag ... iserreich)
Das Wahlrecht entsprach mit zwei aufeinanderfolgenden Wahlen dem heutigen französischen Wahlrecht nahezu vollständig. Im 1. Wahlgang war der Bewerber gewählt, der >50% der Stimmen seines Wahlkreises gewann. Bei der Stichwahl in Wahlkreisen ohne dieses klare Ergebnis genügte die Mehrheit der Stimmen.
Nun ist ja klar, daß Demokraten nicht wieder in die Machtverhältnisse des Kaiserreichs zurück kehren wollen. Aber ich finde bemerkenswert, daß unsere französischen Nachbarn mit ihrem Wahlsystem leben können, und ich frage mich, warum wir uns ein solches Wahlsystem gönnen, das zu fast uferloser Anzahl von Abgeordneten führen kann.
Klar ist auch, daß unser deutsches Wahlrecht die Zahlenverhältnisse der Stimmen je Partei genauer annähert als ein Mehrheitswahlrecht das im allgemeinen kann und tut. Also wählen wir in 299 Wahlkreisen Abgeordnete mit einfacher Mehrheit. Und dann erzeugen wir mit unserer Zweitstimme die Verhältniszahl der Parteien im Bundestag. Dabei werden heute Parteien unter 5% nicht mehr betrachtet. Das zuerst erwähnte Mehrheitswahlrecht hat unterschiedliche Auswirkungen: Eine bundesweit sehr kleine Partei kann in einem Wahlkreis einen besonders anerkannten Bewerber durchsetzen, auch wenn sie ansonsten die 5%-Hürde nicht knacken kann. Aber meist setzen sich doch Bewerber der "großen Volksparteien" durch. Bei völliger Gleichverteilung könnte eine einzige Partei sämtliche Wahlkreise gewinnen. Etwa CDU/CSU 30%, SPD 20%, Grüne 10% und Linke 10%. 3 der 4 Parteien haben kein Direktmandat gewonnen; eine starke Verfälschung des Wählerwillens... unwahrscheinlich aber immerhin möglich.
Nun werden die Direktmandate den Parteien in ihren Stimmenergebnissen zugeordnet. Die 30% CDU entsprechen im Extremfall 299 Abgeordneten. 20% SPD sind dazu etwa 200 Abgeordnete, plus 100 Grüne plus 100 Linke. Schon sind wir bei 600 Abgeordneten. Das ist aber zu einfach gedacht. Natürlich muß die Verteilung der Abgeordneten auch der Verteilung in den Bundesländern entsprechen... da könnte ja jeder kommen! Und schon vermehrt sich die Zahl der CDU-Abgeordneten, damit auch dieses Bild eingehalten wird. Und damit vermehrt sich aber auch die Zahl der Abgeordneten der übrigen Parteien. Am Ende dieses Spiels haben wir eine recht gute Abbildung des Wählerwillens nach Bundesländern, immerhin bereinigt um Stimmen, die an Parteien die unter 5% Zustimmung gelandet sind. Also, der Alptraum >800 Abgeordnete ist möglich! Und die Frage steht im Raum, ob in einem solchen Parlament mit dieser Zahl von Abgeordneten noch für politische Gespräche und politischen Streit Raum bleibt... und wie viele Abgeordnete davon praktisch ausgeschlossen sind und nur als Stimmvieh Wirkung entfalten. Auch nicht schlimm, wenn damit nicht auch noch eine fürstliche Bezahlung verbunden wäre... die, wenn ich mich richtig erinnere, der eines einfachen Richters beim Bundesgerichtshof entspricht. Neid ist da völlig unangebracht, auch über erworbenes Übergangsgeld beim Ausscheiden aus dem Bundestag und erworbene Pensionsansprüche nach Erreichen der Altersgrenze. Wirklich bedenklich ist der Reibungsverlust einer so großen Organisation und der Aufgabenmangel als unbeachteter Hinterbänkler... die reine Verschwendung!
Daher mein Vorschlag, es mit dem ganz feinen Ausgleich nicht zu übertreiben und auch dort eine gröbere Abstufung in Analogie zur 5%-Hürde ein zu führen. Oder gleich zum Wahlrecht für den Deutschen Reichstag zurück zu kehren, das sich in Frankreich noch heute bewährt: Erster Wahlgang: Wahlkreis ist mit >50% Zustimmung gewonnen, zweiter Wahlgang: Verbliebene Wahlkreise gehen an den Bewerber mit den meisten Stimmen. Dazu schreibt wiki:
Gewählt wurde in Einmannwahlkreisen mit absolutem Mehrheitswahlrecht. Damit gab es nur direkt gewählte Abgeordnete. Es war derjenige gewählt, der im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Geschah dies nicht, kam es zwischen den beiden Kandidaten mit der höchsten Stimmenzahl zu einer Stichwahl. Die Stichwahlen gewannen während der Reichstagswahlen im Kaiserreich immer größere Bedeutung. Während bei der Reichstagswahl 1874 nur in 46 der 397 Wahlkreise (11,6 %) Stichwahlen abgehalten werden mussten, waren es bei der Reichstagswahl 1890 schon 147 Wahlkreise (37 %) und bei der Reichstagswahl 1912 190 Wahlkreise (47,9 %).[4]
Dies war Ausdruck der Tatsache, dass die Bedeutung von „Hochburgen“ der Parteien abnahm, während sich insbesondere die Sozialdemokratie als reichsweite Massenbewegung etablierte. Die Sozialdemokraten waren an zunehmend mehr Stichwahlen beteiligt (im Jahr 1912 an 120 der 190 Stichwahlen), wovon sie die Mehrheit verloren (im Jahr 1912: 45 gewonnene Stichwahlen von 120), weil sozialdemokratische Kandidaten in der Stichwahl meist einer großen Koalition aller bürgerlichen Parteien gegenüberstanden. Besonders erfolgreich in den Stichwahlen waren die liberalen Parteien der Mitte, die die große Mehrheit ihrer Reichstagsmandate in der Regel erst in der Stichwahl gewinnen konnten. Beispielsweise nahmen die Nationalliberalen bei der Wahl 1912 an 68 Stichwahlen teil, von denen sie 41 gewannen. Im ersten Wahlgang waren nur 3 Direktkandidaten erfolgreich gewesen. Die Deutsche Fortschrittspartei nahm 1912 an 55 Stichwahlen teil, von denen sie 42 gewann. Im ersten Wahlgang hatte sie kein einziges Direktmandat erzielt.
Leider wurde im Kaiserreich mit der Größe der Wahlkreise getrickst. Das müßte ein Gesetz verhindern: "200.00 +-10.000 Wahlberechtigte bilden einen Wahlkreis."