Stoner hat geschrieben:(20 Sep 2021, 08:59)
Dann schließe ich mich mal den Doofen an. Vielleicht mag jemand erklären, woher ein Wähler, der seine Zweitstimme weder der AfD noch der Linken oder einer Kleinpartei gibt, auch nur annähernd wissen könnte, was für ihn am Ende rauskommt. Da die Parteienvertreterder der wichtigen Parteien spieltheoretisch durchaus vernünftig nichts ausschließen, kann sich am Ende sogar hochtaktisches Wählen gegen einen wenden.
Und insofern ist die Macht der Parteien gegenüber den Wählern inzwischen tatsächlich absolut. Letzterer wird zum absoluten Michel degradiert, denn alle Macht geht von den Hinterzimmern aus. Und das funktioniert ganz legal, ohne dafür eigens windige Gesetze zu schaffen. Mehr Michelei war nie.
Aber natürlich gilt: Wer wählen geht, darf nicht klagen, er legitimiert das schließlich.
Der Sprung zur absoluten Macht der Parteien gegenüber den Wählern ist hier nicht so richtig nachvollziehbar. Wer aus politischer Überzeugung sich für eine Partei entscheidet, muss eben damit leben, dass sie ggf. als Opposition agiert oder gar nicht erst in den Bundestag kommt. Wer taktisch wählt, operiert mit der Unbekannten der Wahlneigung anderer Wähler und muss eben damit leben, dass die Wunschkoalition nicht zustande kommt und er oder sie eine Partei gewählt hat, die nicht seinen oder ihren Überzeugungen (teilweise) entspricht. Nur können sich diese Wähler nicht sinnvollerweise beschweren, sie haben sich entschieden, ihre Stimme als Manövriermasse
anzubieten. Wer taktisch wählt, gibt erst den Parteien die Macht zur Beliebigkeit, bestuhlt die Hinterzimmer. Wer strategisch, also politischen Präferenzen gemäß wählt, der möchte auch, dass die gewählte Partei in eine Koalition kommt bzw. kann damit leben, wenn's zur Mehrheit nicht reicht.
Dass bei den unscharf konturierten Parteien der Mitte der Unterschied der verschiedenen Koalitionen eh nicht so groß ist, sei als Randnotiz vermerkt.
Das Problem ist doch grundlegenderer Natur. Die möglichste Vermeidung klarer Positionen, um nicht später darauf festgenagelt zu werden, betrifft doch den gesamten politischen Betrieb. Glatt geschliffene Sprache, das Ausweichen auf konkrete Nachfragen hin einerseits und andererseits das dreiste Lügen trotz besseren Wissens: Das Problem ist mangelnde Verantwortlichkeit. Die fehlende Einsicht, Diener der Öffentlichkeit zu sein und nicht vice versa. Zur Einlösung des demokratischen Versprechens, dass mündige Bürger sich um ihre Belange kümmern, kann die aktuelle Gestalt parlamentarischer Demokratie eh nur ein Zwischenschritt sein. Da ist das Wahlsystem weniger relevant als die strukturelle Ausgestaltung.