Auszug:
Endlich setzt sich diese Erkenntnis durch.Nicht mehr das Unanständige von queer im Sinne von schräg, versaut und schwuchtelig – so lässt sich das englische Adjektiv am besten übersetzen – steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen, sondern queer wird nun als absolute alternative Anständigkeit eingefordert.
Auf Veranstaltungen wie den Queeren Hochschultagen an der Humboldt-Universität in Berlin oder den bundesweiten alternativen CSDs wacht eine Sprachpolizei darüber, dass Gender und Sexualität auch korrekt in Frage gestellt werden.
Ein strenger Blick scannt Aussagen und Aussehen der linken Szene, die im Zweifelsfall im Sinne eines "awareness"-Trainings korrigiert werden müssen.
Fehlverhalten wird durch Denunziation oder Ausschluss abgestraft.
So wurde der Auftritt der Punkband Feine Sahne Fischfilet im linken Zentrum Bielefeld unterbrochen, weil der verschwitzte Drummer seinen Oberkörper entblößt hatte. Diese allzu selbstverständliche Zurschaustellung purer Männlichkeit war ja wohl ein Akt patriarchaler Gewalt, oder?
Aus einer radikalen sexualpolitischen Kritik ist eine moralische Kontrolle geworden.
[...]
Denn in der Konsequenz führt eine solche Kultur dazu, dass hier jeder nur noch für sich selbst sprechen darf. Identitäten werden durch Leiderfahrungen als authentisch verifiziert; eine Form der Verkörperung, die keinen Raum mehr für Brüche, Witze oder das Unbewusste lässt.
Geschweige denn für Streit und den Austausch von Argumenten. Wie der Beitrag von Till Randolf Amelung auf sehr erhellende Weise klarstellt, werden hier private Kränkungserfahrungen, theoretische Einsichten und politische Forderungen auf unmögliche Weise verdichtet. Dass theoretische Einsichten nicht unmittelbar in politische Handlungen überführbar sind und biografische Verletzungen von der Politik nicht versöhnt werden können, bleibt dabei auf der Strecke.
Die Missverständnisse, die hier innerhalb der queer-feministischen Szene am Werk sind, aufzudecken, ist das Verdienst von Beißreflexe.
Dass die Theorie, dass "nichtbinäre Genderkonstrukte" eigentlich nur das Produkt von Leuten ist, die sonst keine Probleme auf der Welt und viel zu viel Zeit haben, gedanklich auf absonderliche Abwege zu geraten, hat sich noch nicht durchgesetzt, aber das kann ja noch kommen.
Wenn es jetzt schon verboten sein soll, den Oberkörper zu entkleiden - dann ist diese Genderbürgerwehr moralisch wirklich am Ende.
Wird diese Verwirrung verschwinden? Oder werden diese Menschen vielleicht etwas weniger dogmatisch?
(Nur um das mal klar zu machen: Es ist mir völlig egal, wie sich jemand identifiziert, die können von sich von mir aus "Schwulvegan Androgyner Megacyborg Z2000" nennen und Sex mit Möbelstücken haben. Aber mir bleibt es ebenso vorbehalten, einen Mann Mann und eine Frau Frau zu nennen. Das ist meine Meinungsfreiheit.)