Neandertaler hat geschrieben:(12 May 2021, 11:35)
kannst du da konkreter werden? Ansonsten gibt es auch Quoren etc. Um solches zu verhindern.
Nehmen wir das Beispiel der fakultativen Referenden zu Bundesgesetzen in der Schweiz. Damit ein solches zustande kommt, bedarf es einer relativ geringen Menge an Unterschriften, die unter einem Prozent der Bevölkerung liegt und in gut drei Monaten gesammelt werden muss. Ich halte das auch für grundsätzlich sinnvoll - die Hürde darf nicht zu hoch sein, da es ja ständig neue Gesetze gibt und es oft nicht schnell genug möglich wäre, eine landesweite Aufmerksamkeit zu erlangen und erheblich höhere Quoren zu erreichen.
Andererseits liegt hier eben auch die Gefahr des Mißbrauchs, weil die Legislative so sehr stark ausgebremst werden kann. Ich hatte in meiner Zeit in der Schweiz mit verschiedenen Leuten darüber gesprochen und die meinten alle unisono: "Das ist verpönt" - das Instrument der direkten Demokratie sei so fundamental wichtig für das Selbstverständnis des Landes, dass man es nicht unbillig in Verruf bringen darf. (Natürlich gibt es dennoch auch Negativbeispiele von unnötigen Referenden oder seltsamen Volksinitiativen, aber im großen und Ganzen scheint so etwas relativ selten zu passieren.) Das meine ich mit "Grundkonsens", der so in Deutschland erst über längere Zeit erarbeitet werden müsste.
Beim langsamen hochfahren bin ich sehr skeptisch, gibt es dafür ein gelungenes Praxisbeispiel? Ich vermute daß dann schnell auf einen kleinen Schritt nach vorne, schnell zwei zurück folgen. Aber frisch eingeführte Demokratische Prozess sind leider öfter Frakil.
Aus meiner Sicht ist die Entwicklung der direkten Demokratie in den Bundesländern ein solches gelungenes Praxisbeispiel für ein "langsames Hochfahren". Von der Entwicklung her war es so, dass diese Möglichkeiten bis zur Wiedervereinigung in den westdeutschen Bundesländern relativ stark restringiert waren. Mit der Wiedervereinigung wurde in den fünf neuen Bundesländern starker Fokus auf plebiszitäre Elemente gelegt, um den Erfahrungen der "friedlichen Revolution" in der DDR Rechnung zu tragen; in Folge dessen haben auch die westlichen Bundesländer die Restriktionen für Plebiszite deutlich gesenkt. Heute haben wir in den Bundesländern aus meiner Sicht alles in allem eine gute Akzeptanz der direkten Demokratie und ihrer Entscheidungen erreicht (auch wenn die Rahmenbedingungen zwischen den Bundesländern einheitlicher sein könnten).
Das hängt m.E. aber auch damit zusammen, dass es in den Ländern eher um gut abgrenzbare Sachfragen geht, die in der Länderzuständigkeit liegen, beispielsweise ob ein Bahnhof in Stuttgart gebaut wird, oder es in Hamburg die sechsjährige Primarschule geben soll. Auf Bundesebene sind die Themen tendenziell erheblich emotionaler und komplexer, die Herausforderung ist dort also größer, sowohl eine konstruktive öffentliche Diskussion und Entscheidungsfindung als auch eine gute Akzeptanz der getroffenen Entscheidung sicherzustellen. Ich plädiere daher dafür, direktdemokratische Elemente auf Bundesebene zunächst nur sehr gezielt und nicht zu allumfassend einzuführen, um dann aus den Erfahrungen zu lernen. Beipielsweise könnte man als Einstieg eine relativ enge Kategorie von Gesetzgebungen definieren, für die Referenden möglich sind - dazu sollten dann m.E. vorrangig Themen zählen, die eine Langzeitwirkung entfalten, die weit über die vierjährige Legislaturperiode hinausreicht (um dem Nachteil entgegenzuwirken, dass die gewählten Volksvertreter naturgemäß oft auch ihre Wiederwahl im Auge haben und dadurch tendenziell kurzfristiger denken). Um dieses im Einzelfall zu entscheiden bzw. dagegen anzugehen - also ob ein geplantes Gesetz in diese Kategorie der Langzeitwirkung fällt, oder nicht -, könnte eventuell das Verfassungsgericht zuständig gemacht werden. Zu Gesetzen mit Langzeitwirkung könnten vor allem Verfassungsänderungen zählen, aber nicht nur (sondern beispielsweise auch Themen wie Renteneintrittsalter oder Sterbehilfe). Das ist jetzt noch nicht so richtig bis ins letzte durchdacht, zugegeben.
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.